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tigung der vollen und ganzen Menschennatur, das Ideal reinen und freien Menschenthums auf dem Grunde vollendeter harmo= nischer Bildung, das keimte und knospete schon jeßt in ihm, wenn auch zunächst nur als unbestimmter dunkler Drang, als überschäumendes Unendlichkeitsgefühl. Einerseits daher im Gök, im Prometheus und in der Fausttragödie, deren erste Conception schon in diese Zeit fällt, das trohige ungestüme Titanenthum, das ungebåndigte Stürmen und Drången nach einer besseren und kraftvolleren Menschenart, nach schrankenloser Erkenntniß und Thatkraft; und andererseits im Werther die tiefe Klage über den Berlust des crträumten Naturzustandes, das leidenschaftliche Murren und Grollen gegen die Hårte und Kålte der widerstrebenden Wirklichkeit, die dem drångenden Geist die Flügel beschneidet und sein kühnes Emporstreben gewaltsam herabbeugt, der selbstquålerisch brütende Weltschmerz, das empfindsame und schönselige Schwelgen des Herzens in sich. »Warum so grenzenlos an Gefühl und warum so eingeengt in der Kraft des Vollbringens? Warum diese süße Belebung meiner aufkeimenden Ideen und deren dumpfes Dahinsterben unter der Ohnmacht der Menschen? Daß ich mich so hoch droben fühle, und doch nicht sagen soll, du bist Alles, was du sein kannst; hier, hier steckt meine Qual!«

Ein Jahrzehnt darauf lenkte Schiller dies revolutionåre Grollen auf Staat und Gesellschaft; einer der Wenigen, in denen auch die politische Seite zu leidenschaftlichem Ausdruck kam.

Und rings um diese großen Führer die gesammte deutsche Jugend, von denselben Stimmungen und Empfindungen getragen; aber krankhafter und unreifer.

Viel thörichtes Singen und Sagen von der Urkraft und Göttlichkeit des Genies, dessen Recht und Pflicht es sei, sich selbst voll und ganz auszuleben; und dabei die naiv komische Gewißheit eines Jeden, selbst ein solch göttliches Genie zu sein, das

kein anderes Lebens- und Sittengesetz anzuerkennen habe als einzig die ungebundene Eigenmacht des angeborenen Ich, wie es ging und stand, wie es nackt aus der Hand der Natur kam, ohne Zucht und Maß, mit allen Schrullen und blinden Leidenschaftlichkeiten. Die Spielereien der Lavater'schen Physiognomik, aus diesem Glauben an die Macht und Berechtigung aller zufälligsten und persönlichsten Eigenheiten und aus dem Suchen und Jagen nach Menschen von Genie und Herzenstiefe hervorgegangen, bemächtigten sich aller Kreise und galten als eines der wichtigsten Bildungsanliegen. Der Ruf nach Genialität wurde der Freibrief für alles Absonderliche und Verschrobene. Die scharf betonte Kraftfülle wurde prahlerische Schaustellung studentenhafter Roheit und wüste Orgie der Liederlichkeit; die in sich versunkene Gefühlsinnerlichkeit wurde verzehrende Empfindelei und haltlose Selbstverhåtschelung. Und es ist nur ein neuer und anderer Zug derselben überreizten Geniesucht, wenn in den meisten Jünglingen dieser Zeit eine Theatermanie herrscht, wie sie in solcher Ausdehnung wohl niemals vorgekommen. Schwerlich würde in der Bildungsgeschichte eines Deutschen der Gegenwart dem Theater ein so breiter Raum eingeräumt werden, wie ihm Goethe in der Bildungsgeschichte Wilhelm Meisters eingeräumt hat. K. Ph. Moritz sagt im Lebensroman Anton Reisers das lösende Wort. Die Bühne, als die gefeite Phantasiewelt, er= schien als die rettende Zuflucht gegen die Widerwärtigkeiten und Bedrückungen der Wirklichkeit, als der einzige Ort, wo der ungenügsame Wunsch, alle Scenen des Menschenlebens selbst zu durchleben, Befriedigung finden konnte.

Lenz spricht diese gefühlsschwelgerische Starkgeisterei treffend in den bekannten Versen aus: »Lieben, Hassen, Fürchten, Zittern, Hoffen, Zagen bis ins Mark, kann das Leben zwar verbittern, aber ohne sie wår's Quark!« Friedrich Müller, der sogenannte Maler Müller, einer der Begabtesten dieser jungen Dichter, rühmt

an der alten Sagengestalt des Doctor Faust, daß dieser gegen das verlahmte vermatschte Menschengeschlecht als ein fester, ausgebackener, fir und fertiger Kerl stehe, aus dem ein Löwe von Unersåttlichkeit brülle.

In der Wissenschaft und Dichtung derselbe phantastische Taumel. Je leidenschaftlicher man nach dem Vollen und Ganzen, nach dem Unmittelbaren und Urwüchsigen trachtete, je tiefer und ungeduldiger man sich nach des Lebens Bächen, ach! nach des Lebens Quelle sehnte, um so verachtender meinte man auf die Bedächtigkeit und Langsamkeit kaltblütiger ruhiger Forschung herabsehen zu dürfen. Was die trockene und nüchterne Verståndigkeit der Aufklärungsbildung nur ungenügend beantwortete, was die schneidende Kritik Kant's verneinte oder wenigstens als über das menschliche Erkenntnißvermögen hinausragend vorsichtig umging, das sollte ergänzt und unfehlbar beantwortet werden durch die dåmonische Kraft und Weihe des Genies, durch die Göttlichkeit des unmittelbaren Fühlens, Ahnens und Schauens. Von Lavater und Genossen wurde der Pietismus neu zugeftuht. Hamann und Jacobi, gleich Kant von den Zweifeln Humes ausgehend, aber vor der Ueberwindung derselben durch die Strenge wissenschaftlich folgerichtigen Vorschreitens weichlich zurückschreckend, verlieren sich in eine matte Glaubens- und Gefühlsphilosophie, die schlagend das unvergleichliche Wort bewährt, daß der Mysticismus die Scholastik des Herzens ist. Zumal in der Dichtung, dem eigensten Gebiet der Gefühls- und Phantasiethåtigkeit, erhob sich bei den Meisten, namentlich im Dramatischen, eine so wüste Lust am Rohen und Gråßlichen, ein so tumultuarisches Ueberspringen aller unüberspringbaren Kunstformen und Kunstgesehe, daß es wahrlich nicht Wunder nimmt, daß Lessing von diesen ungeheuerlichen Erscheinungen, welche die ganze Arbeit seines Lebens wieder in Frage stellten, verleht und unmuthig sich abwendete, so daß er in diesem gerechten Aerger sogar die

großartige Bedeutung der gewaltigen Jugenddichtungen Goethe's verkannte.

Wenn Goethe einmal in den Wanderjahren sagt, daß nur das Halbvermögen gern seine beschränkte Besonderheit an die Stelle des unbedingten Ganzen zu sehen wünsche und seine falschen Griffe durch den Vorwand einer unbezwinglichen Originalität und Selbständigkeit beschönige, so ist diese Betrachtung sicher aus dem Rückblick auf diese maßlosen Irrungen und Ueberstürzungen der Sturm und Drangperiode hervorgegangen.

Fast dünkt es uns unbegreiflich, wie es jemals eine Zeitstimmung geben konnte, in welcher so durchaus verschiedenartige Naturen und Richtungen, wie Herder, Goethe, Lavater, Jung-Stilling, Claudius, die Grafen Stolberg, Friedrich Jacobi, Heinse, Lenz, Klinger, und alle die Anderen, welche gewöhnlich als die Vorkämpfer und Vertreter der deutschen Sturm- und Drangperiode genannt werden, arglos nebeneinander standen, ja sich zu innigster Freundschaft und Strebensgemeinsamkeit zusammenschlossen; Goethe selbst hat spåter über dieses wunderliche Durcheinander bitter gespottet. Aber alle diese jungen Feuergeister, welche feindlich auseinanderstoben und sich in die entgegengesehtesten Parteilager spalteten, als das Werk der Verneinung vollendet war und der Neubau begann, waren in ihrem ersten Ringen und Kämpfen innig eins in dem begeisterten Gefühl, daß, wie sich Jacobi ausdrückt, diese Zeit ein feierliches Ringen zwischen Untergang und Aufgang, zwischen dem Ende einer alten und dem Anfang einer neuen Zeit sei.

Treffend hat man die Sturm- und Drangperiode das deutsche Gegenbild der französischen Revolution genannt. Es ist ungeschichtlich, wenn man, wie es grade neuerdings wieder vielfach geschehen ist, die Sturm- und Drangperiode nur als Abfall von der Höhe der bereits errungenen Bildung, nur als bedauerliche Trübung der großen Aufklärungsziele des achtzehnten

Jahrhunderts betrachtet. Die winterliche Eisdecke der alten Sahungen brach; überall Verjüngung und Erlösung, Frühlingsluft, Phantasie und Jugendfrische. Aber es war eine Frage auf Leben und Tod, ob sich der gåhrende Most klåren, ob der Kern des neuen gesteigerten und vertieften Lebensideals die trübenden Schlacken von sich abstoßen, ob sich der herbe unversöhnte Zwiespalt zwischen schrankenlosem Unendlichkeitsgefühl und beschränkter Endlichkeit, zwischen der Sophistik des eigensüchtigen Herzens und den unverbrüchlichen Grundlagen und Gesehen der Wirklichkeit, oder, wie man sich wohl auch auszudrücken pflegt, der herbe unversöhnte Zwiespalt zwischen Ideal und Leben, zwischen Herz und Welt, zu innerer Versöhnung und Selbstbefriedigung, zu Ruhe und Gleichgewicht befreien werde.

Nicht Alle, die den Thyrsus schwingen, sind des Gottes voll. Ein großer Theil dieser Stürmer und Drånger hat sich niemals aus der unklaren Gefühlsüberschwenglichkeit, aus der krankhaften Ueberspannung und Ueberreiztheit zu erheben vermocht. Viele haben sie durch Wahnsinn oder frühzeitigen Untergang gebüßt. Noch die Kränklichkeiten der sogenannten romantischen Dichterschule mit ihren religiösen und politischen Nachwirkungen haben in der Sturm- und Drangperiode ihre Wurzel.

Jedoch den Großen und Auserwählten gelang es, sich aus diesen Klippen und Fährlichkeiten sicher herauszuarbeiten.

Dies ist die zweite große Entwicklungsstufe und der Abschluß dieser gewaltigen Kämpfe. Jene Großen und Auserwählten sind dadurch die unsterblichen Schöpfer des großen klassischen Zeitalters der deutschen Literatur und Bildung geworden.

Ursprung und Wesen dieser entscheidenden Wendung sich zu klarer Einsicht bringen heißt sich über die Größe und die Schwäche unserer größten deutschen Bildungsepoche Rechenschaft ablegen.

Wissenschaftlich wurde die Läuterung durch Kant vollzogen. Im Jahr 1781 erschien die Kritik der reinen Vernunft, die

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