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nicht, daß die Beziehungen, in welchen Vinet zur Erweckung stand, ihn schwere innere Kämpfe gekostet haben?

In den Jahren 1822-1823 muß manches in seiner Seele vorgegangen sein. 1822 starb sein Vater, der treue Berater seiner Jugendentwicklung. Ihn selbst führte Gott in schwerer Krankheit in die Tiefe seines Innern. Verschiedene Zweifel bestürmen ihn. Es ist ihm nicht mehr so leicht, zu glauben, daß er Gottes Kind sei. Seine frühere Ruhe und Heiterkeit ist dahin. Wie lange mag dieser innere Proceß gedauert haben? Auf welchem Wege mag er zum Frieden und zur Glaubensgewißheit gelangt sein, die sich in allen seinen Werken zeigen? Wir wissen es nicht genau. In natürlicher Schamhaftigkeit spricht Vinet in seinem Tagebuch und in seinen Briefen nur dunkel darüber. Es lag nicht in seinem Charakter, fich über eine so delicate Frage näher zu äußern. 1823 schreibt er an Lérèsche: „Seit einiger Zeit und noch mehr seit meiner Krankheit bin ich viel ernster geworden“. Auf seinem Krankenlager, als er sich dem Tode nahe glaubte, dictirte er einem Freunde ein ergreifendes Gedicht, in welchem er Gott um Vergebung bittet und ihm völlige Hingebung und Weihe seines Lebens gelobt (Rambert, Al. Vinet nach seinen Gedichten, macht den gelungenen, wenn auch teilweise gekünstelten Versuch, die ganze Entwicklung Vinet's aus seiner Poesie abzuleiten). 1826 schreibt er an Lérèsche: „ich bin langsam, aber umso sicherer zum Verständnis der Wahrheit, welche frei macht, geführt worden". Diese Aenderung, die sich in ihm vollzog, diese seine sogenannte Bekehrung, wurde von größter Wichtigkeit für sein inneres Leben: „gegenüber der Unwissenheit, in welcher ich vordem gelebt habe, stellt sich mir die evangelische Wahrheit in ganz neuem Lichte dar". Vom Elternhause her besaß Vinet aufrichtige Frömmigkeit, aber in den traditionell-kirchlichen Formen. Er bemühte sich der Tugend gemäß zu leben. Aber er hatte die evangelische Wahrheit nicht in seine Ueberzeugung aufgenommen, sie noch nicht als Heilswahrheit erlebt. Eine wirkliche Beziehung zwischen Glauben und Leben, Dogma und Moral, objectivem und subjectivem Christentum war ihm noch fremd geblieben. Das, was Vinet bisher gefehlt hatte, die Bedeutung des Kreuzes Christi für das persönliche geistliche Leben ging ihm jetzt auf unter Kampf und Gebet, unter erneutem Nachdenken und eindringendem Studium der heiligen Schrift. Wol hat auch jetzt in seiner veränderten Stellung zur Erweckung sein weitherziger, aufrichtiger Geist, verbunden mit bescheidener, Andere mild, sich selbst streng beurteilender Demut Aufrichtigkeit und fast übertriebene Demut machen zusammen den Charakter dieses echt christlichen Individualisten aus - noch manches an den Anhängern des réveil zu tadeln. Er schreibt an Forel Juli 1831: „Diese Leute mit ihren kleinlichen Ansichten und großen Worten, mit ihren donnernden Bannflüchen und platten Schlichen sind geeignet, das Christentum in Miscredit zu bringen. Sie machen den Eindruck von Kindern, welche mit der Religion spielen". Aber im allgemeinen urteilt Vinet jezt günstiger über den réveil und über die Basler Missionsgesellschaft. Er zieht sich von dem kritisch gerichteten De Wette mehr und mehr zurück und findet Curtat zu wenig entschieden. Wie sehr der Gedanke der Er

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weckung, daß Glaubenswahrheiten für uns Lebenswahrheiten werden müssen, in sein Denken übergegangen ist, zeigt sein Artikel über die enge Beziehung zwischen Dogma und Moral in der Zeitschrift der Gesellschaft für christliche Moral. Doch schlägt er keinen polemischen Ton an, mischt sich nicht mehr unmittelbar in die dogmatische Discussion. Er verfolgte ein anderes Ziel. Er sah mit Bedauern, wie der Staat immer mehr in die Angelegenheiten der Kirche eingriff und mit Hülfe des Clerikalismus bureaukratisch jede Aeußerung des Glaubens und der Frömmigkeit außerhalb der officiellen Gottesdienste unterdrückte, besonders durch das berüchtigte Gesetz vom 20. Mai 1824. Die Momiers wurden das Opfer schmählicher Unterdrückung und fanatischer Pöbelverfolgung. Angesichts eines solchen Martyriums konnte Vinet nicht länger untätiger Zuschauer bleiben. Er protestirt feierlich gegen dieses ärmliche System, durch Verfolgung der Andersdenkenden die bestehende Staatskirche als die allein berechtigte zu schüßen, in der Aufsehen erregenden Broschüre über die Achtung der Ansichten" 1824. Noch stand ihm die Idee der Freikirche nicht fest. Aber entschieden ist er darüber: keine Staatskirche! keine Staatsreligion! Jeder soll seinem Gott nach seinem Gewissen dienen können, der Staat soll alle Confessionen und religiösen Anschauungen dulden, solange fie die öffentliche Ordnung nicht stören und die Moral nicht verlegen! Immer wieder hat Vinet mit energischer Beredsamkeit die individuelle Glaubens- und Gewissensfreiheit in Broschüren, Zeitungsartikeln und in zwei gekrönten Preisschriften („Gutachten zu gunsten der Cultusfreiheit" 1825 und Versuch über die Darlegung der Ueberzeugungen und über die Trennung von Kirche und Staat" 1842, deren Inhalt ich in der zusammenfassenden Darstellung näher besprechen werde) als entschiedener Anhänger des Princips des Gewissens und des christlichen Individualismus verteidigt. Wol ist seine Ueberzeugung von der Notwendigkeit und Heilsamkeit der völligen Trennung von Kirche und Staat zu seinen Lebzeiten nicht siegreich durchgedrungen. Aber er hatte doch noch die Freude, eine blühende Freikirche entstehen zu sehen, und die von ihm ausgestreuten Wahrheitsfeime wirken in allen tiefreligiös angelegten Geistern als Bürgschaft einer besseren Zukunft.

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Damit habe ich Vinet schon von Basel nach Lausanne begleitet, wohin er im Herbst 1837 als Professor der practischen Theologie übersiedelte, nachdem er manchen ehrenvollen Ruf ins Ausland in übergroßer Unterschätzung seiner Begabung abgelehnt hatte. Schon in Basel hatte er von Zeit zu Zeit in der französischen Kirche gepredigt. Hier hörten die zahlreichen Zuhörer nicht eine gewöhnliche, einfache Erbauungsrede, sondern eine tiefe, ernste Studie über die evangelischen Wahrheiten nach ihrer moralischen Seite betrachtet mit dem Zweck, das Evangelium Jesu den Gebildeten zu empfehlen als die wahrste Befriedigung der innersten Bedürfnisse der Menschenseele. Welch ein Gedankenreichtum seßte den Zuhörer in Staunen! welch eine ernste eindringliche Mahnung an das Gewissen als unwillkürlichen Zeugen der Wahrheit des Evangeliums ergriff und unterwarf unwiderstehlich Herz und Verstand! Aus diesen Predigten sind seine apologetischen discours (1. Aufl. 1831, 6. Aufl. 1862) und études (1847. 1861), seine ethischen

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,neuen discours" (1841, 2. Aufl. 1842, 4. Aufl. 1860), „neue études“ (1847, 1861) und „evangelische Meditationen“ (1849. 1857) hervorgegangen. Der Apologie des Christentums vom moralischen Gesichtspunkt aus wollen auch seine Studien über Pascal (1848. 1856), sowie seine essais über Moralphilosophie (1837) dienen. Aber auch seine zahl reichen, trefflichen literarhistorischen und literarkritischen Werke find von diesen sittlichreligiösen, christlichen Principien erfüllt und betrachten die literarischen Erscheinungen alle unter diesem Sehwinkel.

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Vinet's lezte Lebensjahre sollten ihm neben mancher ehrenden Anerkennung auch schwere Prüfungen bringen. Seine Gesundheit litt immer mehr, versteckte und offene Anfeindungen blieben nicht aus. Er sollte immer tiefer die Wahrheit seines eigenen Wortes erleben, daß Traurigkeit und Leiden das Los der ernsten Geister" ist. Seine kirchenpolitischen Ueberzeugungen fanden selbst bei seinen Freunden wenig Verständnis. Die neue Kirchenverfassung von 1839 widersprach völlig seinen Anschauungen vom Wesen der Kirche, welche noch abhängiger vom Staat wurde als zuvor, so daß Vinet 1840 aus der waadtländischen Geistlichkeit austrat. Im Jahre 1845 feierte in der waadtländer Februarrevolution der antireligiöse demokratische Radicalismus seine Orgien und unterdrückte die Religionsfreiheit vollständig, sodaß Vinet seine theologische Professur niederlegte und seinen feierlichen Gewissensprotest gegen die demokratische Tyrannei in der gedankentiefen Schrift „Der Socialismus in seinem Princip" niederlegte. Enttäuscht und körperlich gebrochen blieb Vinet doch rastlos tätig bis an sein Ende. Er hielt noch für Studenten, die sich von ihm nicht trennen wollten, private Vorlesungen über französische Literatur und über die Abschiedsreden Joh. 14—17 und gab Unterricht an der höheren Töchterschule, in welcher er wie im Vorgefühl seines nahen Endes die letzte Unterrichtsstunde mit den ergreifenden Worten schloß: „auch du, meine Seele, gleichst, in diese unreine Welt voll Gefahren gefeßt, der Taube Noahs, die nicht weiß, wo sie ihren Fuß niedersehen soll. Darum fliege hinweg! kehre zurück zu der Arche des Heils!“ Früher als er wol selbst gedacht, sollten sich diese Worte an ihm bewähren. Mitten in dem Project, seine Vorlesungen über „practische Philosophie des Christentums" noch herauszugeben ein Werk, das sicherlich den reifsten Ausdruck seiner originalen Gedanken geboten hätte, ward er im April 1847 von tötlicher Krankheit befallen. Bis an sein Ende der begeisterte Anhänger besonnener. Freiheit, ließ er sich noch das ebenerst erschienene Werk von Lamartine „Die Girondisten" vorlesen, um es womöglich in der Zeitschrift le Semeur noch zu besprechen. Unwandelbarer Individualist bis zum letzten Atemzug, brach er plößlich, als er merkte, daß man seine Worte aufschrieb, die liebenswürdigen Abschiedsworte an seine Freunde ab: „es ist genug, reden wir nicht mehr!" Wol graute ihm nicht vor dem Tode. Er hatte das Wort erfüllt: „Man muß sich auf das Sterben üben; denn niemand stirbt gut, wenn er nicht zuvor tot ist". Die Herzensdemut, welche ihn zeitlebens beseelt hatte, drängte ihm noch die Worte auf die Lippen: „bittet für mich als das unwürdigste Geschöpf um alle Gnaden, selbst um die allereinfachsten! bittet zu Gott, daß ich noch lebe, um mich zu bekehren, daß er mir die zahl

reichen Aergernisse vergebe, welche ich meiner Umgebung durch Ungeduld und Unduldsamkeit gegeben habe!", Gott, habe Erbarmen mit mir! Ich kann nicht mehr denken" waren die leßten Worte des demütigen, großen Denkers von Lausanne am 4. Mai 1847.

Am liebsten möchte ich hier finnend Halt machen und aus Furcht, durch kritische Analyse den edlen Duft einer so reichen christlichen Persönlichkeit zu entweihen, mit Scherer andächtig ausrufen: „Vinet's Person ist eine von denjenigen, welche unauslöschlich im Gedächtnis der Menschen zurückbleiben, weil sie ganz besondersartig das erhabene Bild des Herrn widerspiegeln. Sein Werk und Wert bestand weniger in dem, was er gesagt und getan hat, als in dem, was er gewesen ist. Ihn nur zu sehen, war schon höhere Erleuchtung und Mahnung. Ihn näher gekannt zu haben, bleibt ein Segen, für den man Gott nicht genug danken kann“.

(Schluß folgt.)

Baur und die neutestamentliche Kritik der Gegenwart.

Von

Professor D. Heinrich Holzmann
in Straßburg i. E.

II.

Was ist schließlich das Resultat der zwischen Baur und Ritschl, zwischen Tü bingen und Göttingen stattgehabten Auseinanderseßung gewesen? Ein Rückzug ist auf dem Punkte der synoptischen Evangelienkritik zu verzeichnen. Seit dem Tode von Baur's geistvollem Schüler Theodor Keim waren es hauptsächlich noch zwei bedeutende Theologen der Gegenwart, Adolf Hilgenfeld in Jena und der jüngst von uns geschiedene, unvergeßliche Karl Holsten in Heidelberg, welche die Priorität des Matthäus aufrecht erhielten; aber auch sie wiesen dem Marcus nicht mehr die leßte, sondern die mittlere Stellung an. Ritschl hat zu diesem Umschwung wesentlich mitgewirkt; er hat aber auch erfolgreiche Vorgänger und Nachfolger gehabt. Zu den leßteren gehört Otto Pfleiderer, welcher sich in seinem letzten Werk (Die Entwicklung der protestantischen Theologie in Deutschland seit Kant und in Großbritannien seit 1825, S. 277) über diesen Punkt also vernehmen läßt: Baur's Auge für das literarische Verhältnis der Evangelien zu einander sei getrübt und befangen gewesen; der verkehrten Hypothese Griesbach's folgend, nach welcher Marcus ein Excerpt aus Matthäus und Lucas gefertigt haben sollte, sei er an Wilke und Weiße vorübergegangen, welche „schon die Ursprünglichkeit des Marcus als der Quelle der beiden anderen klar und unwiderlegbar bewiesen hatten. Es ist immer das Schicksal der wissenschaftlichen Entdecker, daß sie durch zu weit getriebene Anwendung der neu gefundenen Gesichtspunkte zu neuen Einseitigkeiten und Irrtümern verführt werden. Dem entging auch Baur nicht; daraus erklärt es sich, daß sein sonst so scharfer kritischer Blick beim Marcus- und Matthäusevangelium, wie auch bei der Apokalypse versagte." Auch muß anerkannt werden, daß von einer so späten Datirung der synoptischen Evangelien, wie sie bei Baur begegnet, heute nirgends mehr die Rede ist. Im allgemeinen wird sich die, auch von Harnack festgehaltene (S. 651 f.) Zeit der flavischen Kaiser als richtige Ansetzung bewähren.

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