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am Grabe des Geh. Hofrats Prof. Dr. R. Fresenius

gehalten von Pfarrer Veesenmeyer in Wiesbaden.

„Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“, so hat die Liebe Gottes je und je gesprochen zu ihren Auserwählten, deren Lebenswege so recht ein Beispiel find seiner Gnade und die er auserkoren hat als seine Werkzeuge für viele. Mit diesen Worten nehmen wir heute Abschied von einem unserer Brüder, dem in seiner Art dieses Wort gegolten hat und noch gilt. Das Grab schließt sich heute über dem Ehrenbürger unserer Stadt, dessen Name, wie das kaiserliche Wort sagt, ein Wahrzeichen Wiesbadens war, über einer Zierde und Leuchte der Wissenschaft, deren Name die Runde um den Erdball gemacht hat, über einem academischen Lehrer, zu dessen Füßen Tausende von Jüngern seiner Wissenschaft gesessen haben, über einem der treuesten Glieder unserer evangelischen Gemeinde und einem charakterfesten Vertreter protestantischen Geistes, über einem Manne, in dessen Seele kein Falsch war, der keinen Feind hinterläßt auf dieser Welt! In dieser ganzen großen Trauerversammlung ist gewiß nicht ein einziger, den nicht sein Herz drängte zu Gefühlen der Hochachtung, der Liebe und der Dankbarkeit. Das ist ja auch ein Segen vom Leben der Gerechten, daß sie uns das Abschiednehmen leichter machen. Wir trauern gewiß tief und aufrichtig, aber wir können nicht klagen, unsere Herzen sind voll Dankes und voll Friedens.

Gewiß, wer wollte es leugnen, sein Tod ist uns allen wie der Familie des Heimgegangenen überraschend gekommen. Er ging ja frisch wie immer unter uns aus und ein, er verbrachte den letzten Abend seines Lebens, wie gewöhnlich, geistig angeregt und anregend im engen Familienkreise. Ihn und uns hat der Tod ahnungslos getroffen. Aber wer wollte klagen über diesen Tod, der so schön war wie sein Leben, das harmonisch ausklang wie ein frommes Lied. Ohne jedes Krankenlager, ohne jeden Schmerz, im glücklichsten Alter, umgeben von der Liebe der Seinen, mitten in voller Arbeit und Tätigkeit, den Jahren nach alt, dem Herzen nach jung, ward er vom Tode sanft hinweggenommen. Da hat der Tod allen Schrecken verloren und hat uns zum Troste schein

bar vergeßlich die Pforte offen gelassen, durch die er, Gottes letter, oft bester Engel, den Vollendeten hinausführte. Ohne Furcht und Grauen hat der Entschlafene manchmal von seinem Tode gesprochen, aber über sein Bitten und Verstehen hat ihn der Herr gesegnet auch im Sterben.

Und welch ein Alter ging diesem Tode voraus! In ihm sehen wir die Erfüllung des Schleiermacher'schen Wortes: „Ein leeres Vorurteil ist das Alter, die schnöde Frucht von dem trüben Wahn, daß der Geist abhänge vom Körper. Ungeschwächt will ich den Geist in die späteren Jahre bringen, nimmer soll der frische Lebensmut mir vergehen; was mich jetzt erfreut, soll mich immer erfreuen, stark soll mir bleiben der Wille und nimmer verlöschen das Feuer der Liebe. Nie werde ich mich alt dünken, bis ich auch fertig wäre; aber nie werde ich fertig sein, weil ich weiß und will, was ich soll. Nichts was geschehen kann, mag mir das Herz beklemmen: frisch bleibt der Puls des inneren Lebens bis an den Tod." Wort für Wort haben sich diese Weissagungen an dem Heimgegangenen erfüllt. Ein leuchtendes Vorbild der Willenskraft und Geistesenergie steht er vor uns: Zu einer Zeit, wo tausend andere dem Ruhebedürfnis nachgegeben haben würden, hat er nicht aufgehört, mit seinem Leben und seiner Persönlichkeit, mit seinem Wissen und Können überall einzutreten. Tag für Tag ist er durch seine Lehranstalt gegangen, mit freundlichen Worten seine Schüler ermunternd, Tag für Tag in seiner literarischen Arbeit tätig gewesen. Er hatte seine Kraft und seine reichen Lebenserfahrungen in die Dienste der städtischen Verwaltung gestellt, hat mitberaten in all den gelehrten wissenschaftlichen, humanen und kirchlichen Vereinigungen, denen er angehörte. Wie steht er vor uns, der Greis mit dem jugendlichen Herzen, dem beides gegeben war, die Gabe der Erkenntnis und der Weissagung, beides zu Gebote stand, das Wort ernster Lebensweisheit und des wolwollenden, nie verleßenden Scherzes, und dessen ganzes Wesen eingetaucht war in die beste Gabe des heiligen Geistes die Liebe. Und wer den Geschiedenen und sein Familienleben kannte, der weiß, welch ein Sonnenschein von Glanz und Licht, von Freude und Liebe über seinem Leben lag. Wenn sie kamen, seine Kinder und Enkel, alle um ihn, den ehrwürdigen Patriarchen des Hauses, geschart, wetteifernd in Liebe und Pietät, da erfüllte sich das alte Prophetenwort: „Wenn deine Söhne und Töchter zu dir kommen, da wird dein Auge seine Lust schauen und dein Herz ausbrechen vor Freude."

Ja, liebe Leidtragende der Familie, Sie wissen wol, was er Ihnen und Ihrer großen Familie gewesen ist; wie er es verstand, zu weinen mit den Weinenden und sich zu freuen mit den Fröhlichen; mit welcher Liebe, Geduld und Gleichmut er auch das Schwere, was einen großen, ausgedehnten Familienkreis heimsucht, empfand und mittrug, nachdem er selbst durch die Leidensschule des Lebens gegangen war. Wer es weiß, welch ein Glück seine Liebe war für seine Gattin und seine Kinder, welch ein Segen sein Bild war für deren Kinder, seine Enfel, der kann heute nur die Hände falten und sprechen: „Herr, du hast ihn gesegnet, daß er werde ein Segen." So sprechen auch wir im Hinblick auf den Lebenstag, der diesem einzigartigen Lebensabend vorangegangen.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, dem gerecht zu werden, was der Gelehrte, der Forscher in seiner Wissenschaft geleistet hat. Aber wol ist hier am Plaße ein Wort der höchsten Achtung und Anerkennung für eine wissenschaftliche Arbeit, wie sie des Entschlafenen Leben ausgefüllt hat. Mag seine Wissenschaft vielleicht später andere Wege, andere Methoden einschlagen als er, in ihren Annalen wird sein Name für immer stehen, und nimmer wird vergessen sein seine nunmehr bald fünfzigjährige Wirksamkeit als Lehrer, in der er Tausenden ein freundlicher Gönner, Hunderten ein väterlicher Freund geworden ist. Und neben dieser Wirksamkeit hat er Zeit gehabt für alle die Aemter, die ihm das öffentliche Leben, der Staat und die Gemeinde übertrugen. Von den Tagen der Jugend bis zum höchsten Alter war sein Leben ausgefüllt mit treuer, ernster, Gott wolgefälliger Arbeit. Darum hat es ihm auch sein Herr gelingen lassen, er hat ihn gesegnet und zum Segen gesetzt.

Was uns hier in seinem Leben besonders woltuend berührt, das ist die Verbindung von Wissenschaft und Religion, von Bildung und Frömmigkeit, in der schließlich sein ganzer Charakter und seine menschlich edle und liebenswürdige Persönlichkeit wurzelte. Wer da meinen wollte, daß ein Geist, der sich die Erforschung des Materiellen zur Lebensaufgabe gestellt hat und dem mechanischen Zusammenhang der Dinge im Kleinsten und Minutiösen nachgeht, das Auge verlieren müsse für den Zusammenhang der Welt im Großen und für das Reich des Unsichtbaren, den wird dieser Mann der Wissenschaft Lügen strafen, dessen Leben den Beweis dafür, daß die Furcht des Herrn aller Weisheit Anfang ist, geliefert hat. Wie oft hat er Humboldt's Wort im Munde geführt, daß blos die Wissenschaft, welche auf halbem Wege stehen bleibt, von Gott abführt, alle echte und ganze Wissenschaft aber nur näher zu ihm hinan führt! Er gehörte zu denen, die Gott im Herzen tragen und ihr Leben lang vor Augen haben, und die wissen, daß sie den Dank für ihre Begnadigung wieder ausströmen lassen müssen in dem schlichten und einfachen Gottesdienste des Lebens.

Aber wie sich bei ihm die Frömmigkeit verband mit dem Wissen, so harmonirte auch das Denken und der wissenschaftliche Geist mit der Frömmigkeit. Er war ein treues Glied unserer evangelischen Gemeinde und hat sich, auf der Höhe menschlicher Geistesbildung stehend, des Evangeliums von Christus, auch im Gottesdienst der Gemeinde, nicht geschämt. Aber er war auch ein Mann des kirchlichen Fortschritts, der Freund einer reinen und geklärten religiösen Erkenntnis, einer der Führer des vielverkannten Protestantenvereins. Je seltener der Fall ist, daß derselbe Mann den Ehrenvorsitz führt in den Versammlungen der Naturforscher und denen der Theologen, je mehr die Erkenntnis schwindet von der grundlegenden Bedeutung der Religionsfrage für alle anderen Fragen des Lebens, umso dankbarer müssen wir sein, daß er der Unsere war, umso dankbarer für das, was er uns war. Sein Tod ist für uns alle ein Verlust, eine schmerzliche Lücke, die schwer auszufüllen ist.

Diese herzliche Verbindung der zwei wichtigsten Lebensmächte erzeugte schließlich das liebenswürdige und lautere Bild seiner Persönlichkeit. Er war eine maßvolle, ver

söhnliche und ausgleichende Natur, und doch dabei ein charakterfester Mann, der seine Ueberzeugung nicht gewechselt oder verleugnet hat und ihr treu blieb in dem Sturm bewegter Zeiten, wie in den Tagen ruhiger Entwickelung; ein abgesagter Feind alles Gemeinen und Falschen, und doch dabei persönlich voller Milde und Güte. So ist es ein schönes und glückliches Leben, das sich nach allen Seiten harmonisch entwickeln und ausleben durfte, das nun in Gott sein Ende gefunden hat, ein Leben in dem sich bewahrheitet hat: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein."

Ja, er war uns ein Segen, und sehen wir hinzu — er wird uns ein Segen bleiben, und zwar nicht seiner Familie allein, von der es heißen wird: „des Vaters Segen baut den Kindern Häuser“, nein uns allen, und darum befehlen wir nun den erlösten Geist der Gnade unseres Gottes in dem frommen Glauben, daß von ihm gilt des Herrn Wort: Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“, und mit der Bitte, daß er sein Gedächtnis in unserer Stadt und unserer Gemeinde. sehen wolle zu bleibendem Segen! Amen.

Allg. evangelisch-protestantischer Missionsverein.
Jahresfest in Glarus.

In der Generalversammlung am 18. August wird Prof. D. D. Pfleiderer aus Berlin Vortrag halten über: Die apologetische Aufgabe der Missionspredigt. In der Begrüßungsversammlung am Abend des 17. Aug. werden Pfarrer Trüb aus Ennenda und Kirchenrat Prof. D. Bassermann aus Heidelberg sprechen; in der volkstümlichen Versammlung am Abend des 18. Aug. Vertreter der kantonalen Kirchencommission und des schweizerischen Landes-Missionsvereins, ferner Kirchenrat D. Spinner aus Weimar und der Japaner Munio Kubo.

Prof. D. H. Lüdemann's Studie über Erkenntnistheorie und Theologie wird in einem der nächsten Hefte fortgesetzt.

Für die Redaction verantwortlich: D. Websky in Berlin W. Lutherstraße 51.
Druck und Verlag von Georg Reimer in Berlin S.W. Anhaltstraße 12.

Ueber das Verhältnis des Sittlichen zu dem Oeconomischen und des Rechts zur Wirtschaft mit Rücksicht auf Stammler's Werk über Wirtschaft und Recht.

Von

D. Aug. Dorner,

Professor der Theologie in Königsberg.

Während auf der einen Seite der Versuch gemacht wird, das gesamte Recht, ja alle Culturerscheinungen nur als die Folge wirtschaftlicher Verhältnisse zu betrachten, versuchen Andere beides auseinanderzuhalten. Eine eigentümlich vermittelnde Stellung nimmt Stammler ein, wenn er das sociale Leben als das geregelte Zusammenwirken zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse definirt. Gegenstand der Nationalöconomie soll nicht die Wirtschaft, nicht die Güterproduction an sich, sondern das social geregelte Verhalten zur Befriedigung menschlischer Bedürfnisse sein. Ihm sind wirtschaftliches und rechtliches Leben eine Einheit und sie sollen sich nur wie Inhalt und Form unterscheiden. Dabei legt er ein großes Gewicht auf die Einheit des socialen Lebens, ohne freilich diese Einheit zu beweisen, wie er denn auch auf die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse gar nicht weiter eingeht und geistige wie leibliche Bedürfnisse als Einheit zusammenfaßt. Stammler hat sich nun zwar bemüht, den technischen, den formaljuristischen und den ethischen Gesichtspunkt auseinanderzuhalten. Aber sie in ein flares Verhältnis zu sehen, ist ihm nicht gelungen.

Zunächst wird als berechtigt an der materialistischen Geschichtsauffassung anerkannt, daß sie sich bemühe, den historischen Proceß caufal zu fassen. Auch Stammler eignet sich für die Geschichte diese Betrachtungsweise an, wenn er auch häufig darauf aufmerksam macht, daß ein lückenloses Verständnis der Geschichte auf causalem Wege nicht gewonnen werden könne. Wenn die sociale Regelung der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dient, wenn sie ihren Zweck in der Befriedigung der Bedürfnisse hat, so ist schwer zu sehen, wie man die Form dieser Regelung, das Recht von diesem Zwecke unabhängig stellen kann. Es müßte vielmehr die Begründung des Rechts darauf hinaus

Protestantische Monatshefte. 1. Jahrg. Heft 8.

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