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welche wirklich etwas eingehender von der Person und den Schriften Rothe's Kenntnis genommen haben, werden bei vergleichendem Blick auf die Theologen des nun zu Ende gehenden Jahrhunderts das weitere Wort des Nachrufs in den Zeitstimmen bestätigt finden:

Tiefe des freien Gedankens und Frömmigkeit lieben einander.
Wahrlich, in schönerem Bund sah ich sie nie, als bei Dir.

Auch wird man bei näherem Studium seiner Werke vielleicht Manches, was seitdem als neue Errungenschaft der theologischen und kirchlichen Welt dargeboten ist, hier bereits, oft nur tiefer und reicher begründet, ausgesprochen finden, sowie Manches, was in überraschender Weise Schlaglichter auf die Gegenwart wirft und die Aufgaben bezeichnet, welche die gegenwärtige und kommende Zeit der Theologie und Kirche nicht allein, sondern der christlichen Menschheit stellt.

Rothe war den Eindruck wird jeder gewinnen, welcher seinen Lebens- und Entwickelungsgang überblickt, wie ihn Nippold wesentlich an der Hand seiner eigenen Briefe uns geschildert hat1) — eine hervorragend eigenartige Natur. Ihm war es entschiedenes Bedürfnis, namentlich in seinen Gedanken seinen eigenen Weg zu gehen und die verschiedenen Eindrücke und Anforderungen des Lebens selbständig in sich zu verarbeiten. Und doch lag in ihm zugleich eine außerordentlich große Empfänglichkeit für die Einwirkungen Anderer, und man kann sagen: kaum eine bedeutende Bewegung und Richtung des geistigen Lebens unsres Volks während seiner Lebenszeit ist ohne tiefer gehenden Einfluß auf ihn geblieben. So doch immer, daß verwandte Elemente in seinem Inneren dadurch angeregt wurden und er sie sich selber nach seiner Weise aneignen konnte. Darum finden wir die mannigfachsten Anklänge bei ihm und namentlich auch die größten Gegensäße, wie sie wenigstens uns als solche erscheinen: eine innig warme kindliche Frömmigkeit, welche im Supranaturalismus im strengsten und ernstlichsten Sinn des Worts sich heimisch wußte und im Wunder des Glaubens liebstes Kind pflegte, und ein scharfes, rücksichtslos seinen Weg gehendes Denken, ein geschlossenes Gedankensystem, welches auch in der Construction des Wirkens Gottes nirgends einen Sprung, eine Lücke zuließ; die Zurückgezogenheit einer, wie er selbst sie bezeichnet hat, mönchischen Natur, und eine liebevolle Weltoffenheit und leutselige Zugänglichkeit für Jedermann; eine typisch zu nennende Demut, und ein sehr lebhaftes Bewußtsein um das Eigentümliche, das ihm gegeben war und das er sich berufen wußte, mitzuteilen und vor der Welt zu vertreten; wie denn der oft auch nur scheinbaren Weichheit und Biegsamkeit des äußeren Verhaltens eine unerschrockene Festigkeit der inneren Ueberzeugung und ihrer Geltendmachung gegenüberstand. Das Alles ging bei ihm Hand in Hand, nicht etwa fünstlich dialectisch vermittelt, sondern in der Tiefe seiner Persönlichkeit zu einer wunderbaren Harmonie vereinigt, die Alles in ihm, Leben und Denken, stets aus Einem Guß

1) Richard Rothe. Ein christliches Lebensbild aufgrund der Briefe Rothe's ent« worfen von Fried. Nippold. 2 Bände. Wittenberg 1873/74.

erscheinen ließ. Fanden sich doch auch in seiner Naturanlage schon neben und in einander ein klarer, scharfer, allerdings weniger kritisch als dialectisch veranlagter Verstand, und eine lebhafte und reiche Phantasie, ein innig warmes und frommes Gemüt.

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In der Kindheit und Jugend entwickelten sich natürlich zuerst die letzteren. Sein Vater, der Königl. Preußische Geh. Ober-Regierungsrat Rothe, wurde bald nach der Geburt seines Sohnes von Posen nach Breslau versetzt. Mit Recht hat man schon den weitgehenden Einfluß des Elternhauses auf Rothe geltend gemacht. Daß er aus einem feinen Hause stammte, merkte man an der Accuratesse seiner Erscheinung und häuslichen Umgebung sowie an der durchgehenden herzlichen Höflichkeit seines Auftretens, welche dem kleinen. unscheinbaren Manne schon auf der Universität bei seinen Commilitonen den Spißnamen Prinzchen" eintrug. Die mannigfachsten Bildungselemente traten ihm früh nahe. Daß er nicht aus einem Pfarrhause hervorging, bewahrte ihn von vornherein vor einer einseitig theologischen oder gar clericalen Auffassung der Dinge, gegen die er später so energisch Front gemacht hat, wie denn auch das große Gewicht, das er als Mann auf den Staat gelegt hat, in seinem ersten Ursprung darauf zurückzuführen sein möchte, daß er in demjenigen deutschen Gemeinwesen aufwuchs, in welchem der Staatsgedanke zuerst Wurzel geschlagen hatte, und daß an dem Vater und dem Kreise seines Verkehrs ihm die Bedeutung dieses Staatswesens in dem pflichttreuen Wirken des höheren preußischen Beamten entgegentrat. Doch zunächst blieb, was er hier, halb noch unbewußt, in sich aufgenommen, auch mehr latent. Als einziges Kind war er auf sich allein angewiesen, und so entwickelte sich die mönchische Anlage in ihm früh, im Gegensatz zu seiner Umgebung. Gegen die nüchterne Verständigkeit des frommen Rationalismus, wie er auch im Elternhause herrschte, regte sich in ihm die romantische Reaction, welche damals überall sich ankündigte. Er vertiefte sich in sein Innenleben und in die Wunderwelt der Bibel. Novalis ward sein Lieblingsdichter. Und dieser supranaturale Zug zum Wunderbaren, der tief in seiner Natur angelegt war, ist ihm auch eigen geblieben, in allen Phasen seiner späteren Entwickelung ist er nie an ihm irre geworden '), wie denn überhaupt diese Entwickelung durchaus harmonisch vor sich ging. Von Zweifeln an der Realität des Göttlichen im Christentum ist er seiner eigenen Erklärung nach niemals angefochten worden. Herbe Kämpfe, die Andere in dieser Beziehung vonseiten des Verstandes durchzukämpfen haben, sind ihm mit den Wunden und Narben, den Härten und Schroffheiten, welche diese Kämpfe wol zurücklassen, erspart geblieben. Auch als er später entschieden heterodor wurde, geschah das, wie er versichert, auf durchaus friedlichem Wege, „durch die sanfteste Euthanasie“ der naiv kirchlich-gläubigen Frömmigkeit; er fühlte

1) Noch in seinen letzten Lebensjahren urteilte er, daß die christliche Frömmigkeit ihre volle Kindlichkeit, Wärme und Jnnigkeit, die ihr eigentümliche demutsvolle Weichheit und Zartheit, ihre nicht zu brechende stählerne Festigkeit und ihre ganze Kräftigkeit, Frische und Freudigkeit" nebenbei eine sprechende Charakteristik seiner eigenen Frömmigkeit - „nur bei der supranaturalistischen Weltansicht finden könne". Gesammelte Vorträge und Abhandlungen, herausgegeben von Nippold. Elberfeld 1886. S. 113.

fich innerlich von seinen bisherigen Gesinnungsgenossen seinerseits nicht geschieden, und der Gegenstand seines Glaubens, der Herr Christus, ward ihm dadurch nicht kleiner, sondern nur immer größer und herrlicher (a. a. D. S. 103f.).

Bezeichnend für seine damalige geistige Verfassung ist, daß die große vaterländische Erhebung, welche ja doch in Breslau ihren Mittelpunkt hatte, den zum Jüngling her anwachsenden Knaben kaum tiefer berührt zu haben scheint; es fehlt uns die Spur davon, wie er denn auf der zuerst von ihm bezogenen Universität Heidelberg zwar der Burschenschaft sich anschloß, aber gegen ihre politifirende Richtung, wie sie insbesondere von Jena ausging, für sich immer entschieden Front machte. In mondbeglänzter Zaubernacht auf der Heidelberger Burgruine sog er die Liebe zu jener Stadt und zum ganzen badischen Lande in sich ein, die er bis zuleßt bewahrte, die ihn hernach freudig dem Rufe als Professor dorthin folgen ließ und ihn, als er als solcher von dort geschieden war, bald zum zweitenmal dorthin zurückgezogen hat. Als Student fand er dort Daub und Hegel, aber so sehr er auch des Ersteren Persönlichkeit verehrte und von seinem Judas Ischarioth den Eindruck des decidirt Bösen empfangen haben mag, dem er nachmals in seiner Dämonologie Ausdruck gegeben hat: auf seine religiöse und theologische Weiterentwickelung waren damals weniger diese beiden Koryphäen unter den Docenten von Einfluß, als vielmehr der Historiker Schlosser und insbesondere der practische Theolog Abegg, dem er fast drei Jahrzehnte später als College eine tief und warm empfundene Leichenrede gehalten hat. Sein Denken bewegte sich immer mehr in den kirchlich orthodoren Geleisen, und so hörte er in Berlin, wohin er dem von Heidelberg dorthin berufenen Hegel folgte, zwar neben diesem auch Schleiermacher, aber ohne von ihm angezogen zu werden. Von beiden hat er später ja Vieles, ja mehr als von Andern, in sein wissenschaftliches Denken aufgenommen. An Hegel erinnert seine dialectische Methode und die Schleiermacher'sche Einteilung der sittlichen Functionen und Gemeinschaften hat er gradezu mit den Kepler'schen Gesetzen verglichen, deren Gültigkeit sich fortan niemand werde entziehen können. Aber damals stieß dessen kritische Behandlung der theologischen Dinge ihn ab, und mit dem Anschluß an Neander und den Baron Kottwiß bereitete sich sein lebergang zum Pietismus vor, dem er, nach anfänglichem Widerstreben seiner gesunden Natur und auch der Tradition des Elternhauses, auf dem Wittenberger Predigerseminar unter dem Einfluß seines nachmaligen Schwagers Heubner und besonders Tholuck's doch anheim fiel.

Man kann indes diese pietistische Episode Rothe's, glaube ich, keine Verirrung von seiner Seite nennen. Wie er selbst dem Pietismus seine Berechtigung in der christlichen Welt an seinem Orte zusprach und sein Aufkommen in damaliger Zeit in den ungefunden öffentlichen Zuständen nach den Befreiungskriegen begründet fand1), so lag er doch auch in seiner Natur und in der Richtung seiner Entwickelung als ein notwen

1) Vorträge und Abhandlungen. S. 34. Vergl. Theologische Ethik 2. Auflage Band V. S. 423 f.

diger Durchgangspunkt, von dem nicht unwesentliche Elemente ihm denn auch lebenslang geblieben find. Die Exclusivität freilich und das Absprechen über Alles, was nicht seiner Farbe ist, was die häßlichste Seite dieser Richtung ist, war ein fremder Tropfen in seinem Blut und wurde hernach gründlich ausgeschieden. Geblieben ist ihm statt dessen die ihn. auszeichnende Demut, in der er allezeit von sich selbst aufrichtig gering hielt und von Anderen hoch - erklärte er doch noch in seinen letzten Lebensjahren, er bringe es nicht fertig, irgend Jemanden für einen schlechteren Christen zu halten, als sich selbst —; und die Wärme, ja, wir möchten sagen, die Glut der Liebe zu seinem Herrn Christus“, mit der er sich ganz in sein Wesen und Herz einlebte; und die kindliche Innigkeit und Zartheit seines Herzensverkehrs mit ihm tritt uns auch in seinen pietistischen Herzensergießungen, wie er fie besonders an Heubner richtete, in durchaus lauterer, ungemachter und ungekünftelter Weise entgegen. Wir müssen doch sagen: hier hat er die Gemeinschaft mit seinem Gott und seinem Heiland gewonnen, die — das war der entschiedene und ständige Eindruck, den man von ihm empfing seinem Herzen und Gewissen niemals wieder entschwunden ist; hier ward der Grund zu dem christlichen Charakter fest gelegt, auf dem dieser sich durch Erweiterung seines Blicks und seiner Interessen immer reicher entfaltete und immer herrlicher ausprägte. Andererseits läßt sich der Nachdruck, mit welchem Rothe hernach die Berechtigung des einzig auf das Heil der eigenen Seele gerichteten rein religiösen Innenlebens bestritt, die Emphase, mit der er die Religion nur als die belebende Seele der Sittlichkeit gelten lassen wollte - welche vielleicht auch wieder ihre Einseitigkeiten hatte, als energische Reaction gegen diese, wie Alles, mit innerlicher Energie von ihm ergriffene pietistische Einseitigkeit begreifen.

Er streifte sie ab in Rom, wohin er im Herbst 1823 als preußischer Gesandtschaftsprediger berufen ward und als Neuvermälter Anfang 1824 mit seiner jungen Frau es hatte das anfangs mit Rücksicht auf seine dortige Stellung noch Schwierig. feit gemacht - übersiedelte. Zuerst noch mit wenig Gefühl für das, was sich einem jungen Manne dort an Lebens- und Bildungselementen bot: er ging nach Rom, bekennt er selbst, wie er nach jedem beliebigen preußischen Dorf sich hätte verseßen lassen. Aber bald ging ihm bei Allem, was er hier sah und hörte, im Verkehr mit den Künstlern, die gern in der Kirche und in kirchengeschichtlichen Abenden um ihn sich sammelten, eine neue Welt auf, und besonders auch der Verkehr mit Bunsen, den er dort bei der Gesandtschaft traf und zu dem er bald in ein lebenslänglich dauerndes inniges und vertrautes Freundschaftsverhältnis trat, war ihm in dieser Richtung förderlich. Im Anschauen des Katholicismus am Mittelpunkt seiner Herrschaft verlor er, wie das gar Manchem schon so gegangen ist, jede Vorliebe für ihn, wie er sie einst mit der Romantik jener Tage geteilt hatte, ja die geringe Schäßung der Kirche für das Christentum überhaupt, mit deren Bekenntnis er in den folgenden Jahren die Welt in Erstaunen setzte, mag hier ihren erfahrungsmäßigen Ursprung haben. Vor allem aber befann er sich hier auf sich selbst, und die von ihm selbst hervorgehobene Frucht seines Römischen Aufenthaltes war, daß er selbständig wurde. Ihm ging der Sinn für die Welt auf, daß sie ihm nicht

mehr Welt" im pietistischen Sinne war, gottentfremdet und darum zu fliehen und zu verdammen, sondern daß er die Welt und namentlich die Menschenwelt als Offenbarungs. stätte Gottes, vor allem als Wirkungsstätte seines Herrn Christus und das sittliche Arbeitsfeld der Seinen anschauen und schäßen lernte. So eifrig er sein Amt angefaßt hatte und so gesegnet und geachtet sein Wirken war, er kam doch zu der Einsicht, daß er nicht zum practischen Geistlichen berufen war. Er empfand, wie er bekennt'), ein inneres Widerstreben gegen alles unmittelbar Erbauliche, gegen alles Wortemachen über Empfindungen, zumal wenn sie prämeditirt oder gar präconcipirt sein sollen, gegen alles Breittreten der Dinge, die ihrer Natur nach nur Geist und Wahrheit sind. Er ward fich klar über seinen wissenschaftlichen Beruf, den in Berlin schon Schleiermacher erkannt hatte. Bewegte sich sein Denken auch wesentlich noch in biblischen Bahnen, so empfand er doch das entschiedene Bedürfnis einer systematischen Verknüpfung der biblisch-religiösen Wahrheiten, der Erfassung des sie alle beseelenden Princips, um hinter den eigentlichen Sinn der biblischen Worte zu kommen, den die bisherige Eregese ihm nicht aufzuschließen schien. So begann der große Systematiker in ihm sich zu regen und zu entwickeln.

So kehrte er im Herbst 1828, als Professor an das Predigerseminar in Wittenberg berufen, dem er auch als Zögling angehört hatte, in das Vaterland zurück, indertat ein Anderer, als er gegangen war; glücklich, wie er schon damals es aussprach, sich wieder als Laie fühlen zu können, wobei er mit einer ähnlichen Empfindung aufatmen werde, wie ein Kranker, den endlich der Stickkrampf verlassen habe, und entschlossen, allem Parteitreiben gegenüber seine Freiheit zu wahren („keine Uniformjacke anzuziehen“). „Es denkt und spricht", schreibt er an Bunsen nach seiner Rückkehr, „Alles, was sich zu Christo hält, so gar über Einen Leisten und in Einer Terminologie, daß ich immer besorgen muß, mich, der ich nun einmal diese besondere Sprache nicht reden kann oder richtiger nicht reden darf, werde keiner verstehen, und auch die scharfe Kluft, die nach der öffentlichen Meinung zwischen den Gläubigen und den sogenannten Rationalisten befestigt ist, gemahnt mich bis jezt immer noch als ein bloßes Gespenst, da in meinem individuellen Gesichtskreise alles von Mittelgliedern zwischen diesen beiden Seiten wimmelt." Charakteristisch ist, daß ihm bei diesem Parteitreiben insbesondere die Bedürfnislosigkeit nach Erkenntnis und Besitz der ganzen Wahrheit“ auffällt. Seine Grundanschauung ist deia пávra xai dvdpóпiva návra, und er ist sich bewußt, so allerlei Keßereien gegen die in Kirche und Wissenschaft symbolisch gewordene Ansicht gefaßt zu haben, exegetische so gut als dogmatische 2).

Dies ist schon ganz der spätere Rothe, und wir begreifen, daß Tholuck, als er zum erstenmal nach seiner Rückkehr mit ihm zusammentraf, ausrief: du bist ein ganz moderner Christ! Dies ist indertat ein bezeichnendes Wort. Wenn Rothe selbst wol seinen Zuhörern mit rührender Eindringlichkeit versichern konnte, daß er bei

1) Nippold, Richard Rothe. I. S. 459.

2) Nippold, Richard Rothe. II. S. 6. 7,

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