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gerade dadurch herbeigeführt sein, daß sich „die Wissenschaft“ eben schon zu lange vornehm zurückgehalten, ihren Einfluß geltend zu machen ängstlich gemieden, zu sehr die Dinge hat laufen lassen, wie sie liefen? Wir meinen, es wäre in der Welt nicht ohne Eindruck geblieben, wenn ihre Vertreter das Gewicht ihrer Autorität in den öffentlichen Fragen kräftiger in die Wagschale gelegt hätten; es wäre nicht soweit gekommen, wenn die deutsche Wissenschaft, statt zu schweigen oder zu laviren oder gar mitzutun, einen Protest eingelegt hätte gegen eine Entwicklung, die zum Obscurantismus führt. Ber noulli meint zwar (S. 226), es sei in der Kirche schon viel friedlicher geworden als vor 20 Jahren, wo die Wissenschaft noch viel mehr in die Kirche hineinregirte; es scheint uns aber wahrhaftig nicht, daß die Zustände besser geworden find. Der Unterschied zwischen heute und damals ist nur, daß damals die Orthodoxie noch einen liberalen Widerstand fand, heute nicht mehr, daß sie heute die herrschende, ihre Lage reichlich aus. beutende Partei ist. Seitdem packt sie nicht mehr den Liberalismus an, sondern die Wissenschaft selbst, die früher 3. B. zu Baur's Zeiten noch ruhig ihr Katheder behaupten konnte.

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Das Uebergewicht der Orthodoxie in der gegenwärtigen Kirche scheint uns gerade zusammenzuhängen mit einer abnehmenden Kraft der Wissenschaft, sich im kirchlichen Leben zur Geltung zu bringen. Liegt das an den Personen oder an der Wissenschaft selbst? Der Verf. sieht die wahre Wissenschaft erst in derjenigen Theologie, die mit Ueberwindung aller Philosophie Geschichte geworden ist; dieser geschichtlichen Wissenschaft traut er auch erst die wahre Selbständigkeit zu. Indertat ist die Verdrängung der Philosophie durch die Geschichte ein Charakteristicum der Gegenwart. Ob aber nicht vielleicht daran die Tatsache hängt, daß der Einfluß der Wissenschaft eine geringere Energie inbezug auf die Entwickelung des kirchlichen Lebens ausübt? Der Verf. selbst macht darauf aufmerksam mit einem Citat von Duhm, in dem geradeaus gesagt ist, daß es eine wissenschaftliche Ueberzeugung eigentlich nicht gibt. Die wissenschaftliche Ueberzeugung ist nur „eine Begleiterscheinung von anscheinend geglückten Forschungen, sie ist niemals der Rechtsboden für weitere Aufstellungen, für die noch kein objectiv gefundenes Material vorliegt, fie ist verpflichtet und bereit jeden Augenblick abzudanken. Von dem wissenschaftlichen Theologen soll man kein Eintreten für die conservative oder liberale Sache verlangen, denn man würdigt damit sowol die Wissenschaft als die Religion herab, die erstere, weil man ihr unsolide Ausbeutung von unsicheren Werten zumutet, die lettere, weil man sie von menschlichen Erkenntnissen und Agitationen abhängig glaubt" (E. 96). Wenn es aller dings so ist, daß der Mann der Wissenschaft so skeptisch den Resultaten seiner Wissenschaft gegenübersteht, wenn die wissenschaftliche Ueberzeugung eine so matte geistige Potenz geworden ist, „eine Begleiterscheinung anscheinend geglückter Forschungen“, daß man kein Eintreten für sie verlangen kann, dann begreifen wir, daß sie für die Kirche bald nichts ist als Luft, daß die Kirche einfach an die Stelle der ohnedies innere Hindernisse bereitenden persönlichen Ueberzeugung ihre Ordnungen setzt. Was Duhm sagt, das kann meinetwegen von den Einzelresultaten der Wissenschaft gelten, aber gibt es denn keine

Zusammenfassung der Einzelerkenntnisse? keine Anschauungen im Großen über das Wesen der Religion, über Gott, Christus, Erlösung, über die Kirche und ihre Aufgabe und ähnliche Fragen, die sich als Gesamtertrag aus den wissenschaftlichen Forschungen ergibt? gibt es nur noch Meinungen über einzelne Fragen, aber keine religiöse Weltanschauung mehr? Das war freilich in der philosophischen Zeit anders, damals hatte Ueberzeugung noch eine Bedeutung, damals war sie etwas, was Widerstandskraft hat, Kraft zur Propaganda besaß, und in dem practischen Eingreifen in die Lebensfragen der Kirche keine Herabwürdigung sah. Es scheint also indertat eine Wirkung des einseitig geschichtlichen Charakters der Theologie zu sein, daß die Ueberzeugungskraft geringer geworden, daß die Wahrheitsfrage zugunsten einer immer massiver werdenden Orthodoxie in den Hintergrund gedrängt wird. Soll das nun zum Princip, zur Methode werden? Wir können darin kein Heilmittel, sondern nur ein Mittel zur Vergrößerung der vorhandenen Misstände erblicken. Wir müssen von der Wissenschaft verlangen, daß sie nicht nur Einzelerkenntnisse erzeuge, sondern auch zusammenfassende Anschauungen, Neberzeugungen, die für das Leben brauchbar sind, geradeso wie jede andere Wissenschaft auch; sonst ist sie jedenfalls unfähig, Menschen und Diener der Kirche zu erziehen. Wir müssen um der wichtigsten Güter des religiösen und des Culturlebens willen verlangen, daß die Wissenschaft an der Seite der Kirche stehen bleibe - wenn auch einstweilen wie zwei schlecht harmonirende Eheleute, denen das Zusammenleben schwer wird, daß sie ihre Einwirkungen auf das kirchliche Leben nicht schwächt, sondern verstärkt, und nicht als solche, die ihre geradlinige Richtung zur Wahrheit opfert, sondern gerade als solche, die keine andere Rücksicht hat. Denn einer solchen Theologie gerade bedarf die Kirche.

Bernoulli macht den Vorschlag einer doppelten Theologie: einer wissenschaftlichen und einer kirchlichen; zwischen beiden zieht er einen Graben. Das Grabenziehen ist das moderne Heilmittel für die Misstände unseres Culturlebens. Früher galt als ein wesentliches Erfordernis für brauchbares theologisches Denken die Harmonie mit den außerkirchlich vorhandenen philosophischen Anschauungen, mit den Hülfsmitteln der philosophischen Erkenntnis suchte man die Fragen, die aus dem religiösen Gebiete kamen, wissenschaftlich zu beantworten. Als diese Harmonie aber mit dem steigenden Einfluß der Naturwissenschaften schwieriger wurde, zog man den ersten Graben; man ließ jenseits desselben alle Vernunfterkenntnis, diesseits stellte man sich auf den Standpunkt der religiösen Tatsache, ließ drüben Wahrheit und hüben Wahrheit sein und glaubte so die Schwierigkeiten überwunden zu haben. Jezt geht aber das Bedürfnis noch weiter. Auch durch die Theologie selbst muß ein Graben gezogen werden: es muß eine doppelte Theologie geben: eine wissenschaftliche und eine kirchliche, es muß auch innerhalb der Theologie zweierlei Wahrheit geben: eine wissenschaftliche und eine kirchliche. Der Verf. lehnt zwar diese Ausdehnung seiner Teilung ab (S. 221), er nennt diese nur einen doppelten Zugang zur Wahrheit den Weg der Landstraße und des Saumpfads. Aber dann müßten die Wege convergirend laufen, nicht aber parallel nebeneinander, wie sie der Verf. schildert, nicht divergirend, wie sie tatsächlich laufen würden. Hier handelt es

fich nicht blos um zwei verschiedene Methoden in der Theologie, wie der Titel sagt, sondern um zweierlei Art, das Object der Forschung aufzufassen. Wenn die Wissenschaft Erkenntnisse zur Verfügung hat, die die Kirche vernichten könnten (S. 3), wenn die Wissenschaft schon derart der Kirche entfremdet ist, daß sich ihre Vertreter gänzlich von ihr zurückziehen und außerhalb ihres Schattens leben, wenn sie nur aus Liebe zum Volke noch Liebe zur Kirche hegen (218) — und wenn andrerseits die kirchliche Theologie nur lehren soll, was der Frömmigkeit dienlich ist, wenn sie nicht sagen darf, was „gegen die in dieser Kirche officiellen Ansichten verstößt“ (S. 219), wenn sie sogar von ihren Geistlichen unter Umständen „eine Einschränkung ihrer Bildungsinteressen" verlangt (S. 220), so ist der Gegensatz sichtbar ein unendlich viel größerer, als ihn der Verf. gelten lassen will. Es kommt eben und das ist eine längst erfahrene Tatsache eine andere ,,Wahrheit" heraus, wenn man nichts sucht als die Wahrheit und wenn kirchliche Interessen die Forschung leiten. Wenn die wissenschaftliche Theologie die Bibel als „zu Gemeindezwecken erstellte Schriftensammlung" definirt, die kirchliche aber als Wort Gottes, so kann dies in Praxis verschiedener Sprachgebrauch sein für ein und dieselbe Sache; aber die Kirche wird von ihrer Theologie eben doch eine genauere Definition ihres Sprach. gebrauchs verlangen, und sie wird kaum befriedigt sein, wenn es sich herausstellt, daß das „Wort Gottes" nur eine Scheinphrase ist für dasselbe, was die echte Wissenschaft darunter versteht. Das Gleiche wird in noch höherem Grade der Fall sein bei der historischen Auffassung Christi und dem Dogma von seiner Gottheit.

Der Verf. entwirft ein bloßes Phantasiebild, wenn er sich als die „kirchliche Theologie" eine Vermittlungstheologie denkt. Wird die Wissenschaft bewußt und grundsäßlich unkirchlich, dann begnügt sich die Kirche gewiß nicht mit einer Theologie, die imgrunde mit der Wissenschaft unter einer Decke steckt, dann will sie eine auf dem Grunde der kirchlichen Vergangenheit feststehende Theologie; das ist heute schon so, um wievielmehr, wenn der große Graben gezogen sein wird! Eine Vermittlungstheologie derart wird aber auch an sich geradezu unmöglich werden; denn was jezt möglich und wirklich ist, eine Theologie, die Wissenschaft sein will, aber tatsächlich von kirchlichen Interessen beeinflußt ist, wird unmöglich, sobald man diesen Widerspruch zum Bewußtsein erhebt und zum Princip macht. Wer wird sich denn zu einer Wissenschaft einschäßen wollen (der Verf. verlangt eine solche Selbsteinschätzung in die eine oder andere Theologie), die principiell den Charakter der Wissenschaft verleugnet, die ausdrücklich erklärt: für mich ist die Kirche wichtiger als die Wahrheit! Wenn die grundsäßliche Zweiteilung des Verfassers möglich wäre an ihre tatsächliche Ausführung ist nicht zu denken, so könnte die eine Seite nur die freie Theologie sein, die andere die Orthodoxie, denn diese allein ist eine wirklich kirchliche Theologie; ihre Wissenschaft allein Scholastik; ihr Wesen allein Priestertum. An die Personen, die von der ihm vorgeschlagenen Organisation der theologischen Wissenschaft betroffen werden, scheint der Verf. gar nicht zu denken. Die armen Candidaten des Pfarramts, die erst die unkirchliche Wissenschaft, dann die kirchliche durchwandern müssen, was soll aus ihnen werden? Es wird nichts übrig bleiben, als eine Häutung,

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die mit dem Abschluß der wissenschaftlichen Theologie beginnt, eine mit Hülfe von Seminarien u. s. w. vollzogene Desinficirung, die die Garantie für Entfernung aller wissenschaftlichen Bacillen bietet, die im Studentenrock stecken geblieben sind. Was da aus der Kirche wird? Wir haben leider schon soviel unwissenschaftliche Kirchlichkeit und persönliche Neberzeugungslosigkeit, Häutungsprocesse und dogmatische Dressur. Das alles soll die Kirche künftig aus Princip haben; ob diese Kirche uns hilft?

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Wir können als practisches Ergebnis aus den Vorschlägen Bernoulli's nichts erwarten, als eine principielle Anerkennung einer orthodoxen Kirche mit dem vergeblichen Anspruch, daß nun auch die Wissenschaft ihrerseits ihre Wege gehen darf. Wir erblicken darin aber zugleich auch ein starkes Symptom für die Richtigkeit der Beobachtung, daß in unserer Zeit das Wahrheitsgefühl geschwächt ist. Vor zwei Jahrzehnten noch hätten solche Vorschläge großen Anstoß erregt. Heute ist das Spielen mit doppelter Wahrheit etwas Gewöhnliches; statt zu fragen: was ist Wahrheit? fragt man: was brauchen wir für eine Wahrheit? Wenn die Kirche für ihre Existenz Lehren braucht, so muß sie sie eben haben, ob sie wissenschaftlich wahr sind oder nicht. Wir hoffen, daß solche Erwägungen bald außer Gebrauch kommen, sonst möchte es uns um den Protestantismus bange werden. Wahrheit und Kirche zusammen. - das ist und bleibt Protestantismus. Werden sie einmal zum Entweder Oder, dann hat eben der Kirche die Stunde geschlagen, denn die Wahrheit ist mehr denn sie. Aber so steht es einstweilen noch nicht. Solange die Wissenschaft die innere Tatsache des religiösen Lebens und die geschichtliche Tatsache des Christentums als der vollkommensten Erscheinung des ersteren anerkennt, solange ist die Möglichkeit einer Versöhnung zwischen beiden Culturmächten vorhanden. Wenn wir aber diese Versöhnung wollen, so bleibt kein anderer Weg übrig, als der bekannte, immer wieder betretene und nur von allzu Vornehmen immer wieder verworfene - der Weg der Propaganda für die großen Resultate der Wissenschaft und der Weg der Stellungnahme der freien wissenschaftlichen Ueberzeugung auch in der Kirche; es bleibt keine andere Stimmung die richtige, als die in einem Citat von Overbeck (Bernoulli S. 86) ausgedrückte: „Wollen Obscuranten keine Vernunft annehmen und droht ihr Treiben der Wahrheit das Lebenslicht auszublasen, so soll man sie sehen lassen, was die Wissenschaft kann, ohne Scheu und Hülle, und mag, auch wenn man sich als Ungläubiger bekennt, zu diesem Kampfe aus einer Lebensbetrachtung, wie die des Christen. tums ist, immer noch am besten den nötigen Mut schöpfen."

Literatur.

Einleitung in die evangelische Dogmatik von Prof. D. P. Lobstein. Aus dem Französischen übersetzt von Pfarrer a. D. Maas. Freiburg i. B. 1897, Verlag von J. C. B. Mohr; X u. 292 .

Im diesjährigen Theol. Jahresbericht bedauert Troeltsch troß einiger gewichtiger Ausstellungen an Lobstein's „Essai d'une introduction à la dogmatique protestante" (Paris 1896), daß das für Studenten vortrefflich geeignete" Buch nicht gleichzeitig deutsch veröffentlicht worden sei. Soeben nun hat der Straßburger Systematiker seine Schrift deutsch herausgegeben, die Hermann Schulz zu Jahresanfang in der Theol. Lit.-Ztg. ohne jede Kritik als „einen neuen wertvollen Beitrag zur Verbreitung und Verteidigung der Bestrebungen und Gesichtspunkte der neueren deutschen Theologie unter den Protestanten französischer Zunge" freundlichst begrüßt hatte. Die deutsche Ausgabe ist vom Verf. selbst durchgesehen und - hauptsächlich in den Anmerkungen - nicht unbedeutend erweitert worden.

Der Hauptwert des Lobstein'schen Buches liegt wol in der eingehenden Berück sichtigung und Verwertung der protestantischen Theologie Frankreichs und der wälschen Schweiz. Die Arbeiten von A. Vinet, Edm. Schérer, A. Réville, J. F. Astié, A. Bouvier, F. A. Lichtenberger, L. A. Sabatier, L. E. Ménégoz, J. Bovon u. s. w., auf die der Verf. verweist und aus denen er unter dem Tert noch reichlichere Proben gibt, als aus den Werken deutscher und deutsch-schweizerischer Theologen, find ja bei uns in Deutschland leider recht wenig bekannt.

Die frische Anschaulichkeit und lebendige Wärme der Darstellung D. Lobstein's ist von der selbst einem Thikötter'),,oft kalt klingenden" Ausdrucksweise Ritschl's sehr verschieden. In der Sache freilich bekennt sich der Verf. im wesentlichen zu Ritschl, der mit der von Schleiermacher begründeten Bewußtseinstheologie gebrochen habe, Herr mann und Reischle. Aber z. B. die Schwankungen" Ritschl's in der Erkenntnistheorie und „das Unfertige der hierauf bezüglichen Gedanken des Göttinger Meisters“ gibt er unbefangen zu, wie Kattenbusch die Gewalttätigkeit der Exegese Ritschl's zu

1) In einem Empfehlungswort der Deutsch-evang. Blätter (Nov. 1897) für Gustav Ecke's Buch „Die theologische Schule Albrecht Ritschl's und die evangelische Kirche der Gegenwart". Ueber die Verhütung des Parteifanatismus bei theologischen Schuldifferenzen hat ein Gesinnungsgenosse D. Thifötter's, der jeßige Berner Professor D. K. Marti, schon Besseres gesagt in seiner Antwort auf die Frage: Welches ist der richtige evangelisch - protestantische Standpunkt, von dem aus abweichende theologische Anschauungen der Vergangenheit oder Gegenwart beurteilt werden sollen?" (Theol. Zeitschr. aus der Schweiz 1890 S. 1-26.)

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