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Unheil mit tiefem Eingehen in das Gewebe seiner Beziehungen, in die in seiner Perspective ruhenden Consequenzen nachgefühlt werden kann. Wer wahrhaft tief und warm für das Menschenwohl fühlt, strömt seinen sympathischen Mitklang über die Grenzen des persönlich Gegenwärtigen und persönlich Erlebten weit hinaus, nach allen Fernen, von denen ein Laut der Klage zu ihm dringt. Hier vikarirt die Phantasie für die sinnliche Gegenwart, und so wie die Phantasie dem Künstler Bilder und Situationen vorführt, die er nie in der Wirklichkeit geschaut, so vergegenwärtigt die Phantasie dem gefühlvollen Menschen auch persönlich ungekanntes und der persönlichen Torturenreihe fern gebliebenes Leid. Leider kann man in solchen Fällen nicht immer und fast nie in ausreichendem Grade das Mitleid in die That umsetzen. Wohl kommen auch in der sinnlichen Gegenwart Fälle vor, wo man sich bis in's innerste Geäder der Seele ergriffen fühlt und wo das Wehgefühl mit finsterer Ruhelosigkeit zuckt und wühlt und man dabei doch nicht hülfebringend eintreten kann, denn der Schlag, den die grausame Schicksalshand geführt, lässt sich in seinen Wirkungen und Folgen nicht aufheben. Solche Fälle sind z. B. die gewaltige Tragik eines Familienunterganges, herbeigeführt durch frühes und plötzliches Dahinscheiden ihres Hauptes; oder auch anhaltende Krankheit und damit verbundener Verlust des Amtes. Allerdings ermahnt Spinoza, dessen ethisches Prinzip die Selbsterhaltung ist, dass man sich keinem fruchtlosen Mitleid hingebe, weil man sich selbst schade, ohne dem Andern zu nützen; allein eine solche Ermahnung verhallt am Ohr des Edlen, der seine Gefühle nicht mit dem Dämpfer der Selbstsucht abstumpft und der im Andern aufgehend das Wohl desselben höher als das eigene stellt. Er sagt mit Goethe's Faust· Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,

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Will ich in meinem innern Selbst geniessen,

Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,

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Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen etc. etc.

Nun kommt noch eine Reihe getrübter Formen des Mitleids vor, deren Erscheinungsweisen von dem Colorit persön

licher Rückbeziehung getränkt sind. In erster Stelle gehört hierher jenes Mitgefühl, das auf Unglücksarten reagirt, vor denen man sich selbst in seiner eigenen Lebensconstellation nicht geborgen fühlt, gegen welche die Flanken des eigenen Schicksals nicht geschützt sind. So wird z. B. ein Börsenspeculant, den das Schicksal eines seiner freien Gesinnung wegen vom Amt entsetzten Docenten ungerührt lässt, sich theilnehmend bewegt fühlen beim Sturz eines Börsen collegen. In das Bedauern über das, was diesen getroffen, tönt es dann hinein: das könnte auch dir passiren!*) Durch diesen Gedanken wird man zur Werkthätigkeit getrieben, wodurch man aber auch im Stillen das Schicksal für sich zu gewinnen und das Verhängniss abzuwenden hofft, ähnlich wie dies Polykrates mit dem geopferten Ringe vermeinte; es ist dies ein in den dunklen Regionen des Innern verborgener Sühnungswahn.

Sonderbar! während man dem Ungemach eines Berufsgenossen einen lebhaften Grad von Theilnahme zuwenden kann, fühlt man selten mehr als nur eine geringe Anwandlung derselben für einen Leidensgenossen. Gleichzeitiges Leiden schwächt das Mitgefühl ab, weil die auf verschiedene Punkte gerichteten Einwirkungen desselben den innern Blick umfloren, die Feinheit der Auffassung beeinträchtigen. Wenn mehrere Touristen von der entfesselten Wuth eines Orkans überrascht werden, wird bei jedem Einzelnen die Theilnahme für den Andern geringer sein, als sie es sein würde, wenn er selbst geborgen wäre. Vollends erstirbt das Mitleid in der Verwilderung einer allgemeinen Calamität. Andererseits freilich gibt dies einzelnen besonders hochsinnigen Personen Gelegenheit, sich zu einer idealen Erhabenheit zu entfalten, in der man über der allgemeinen Situation steht, man denke nur an die Haltung des Königs von Italien bei der Cholera - Epidemie. Eine andere Art von im Bann der Selbstsucht ausklingender Mitleidsrührung, als die vorige, ist die, welche man beim Vernehmen

*) Dass wir an Andern bemitleiden, was wir selbst befürchten, sprach schon Aristoteles in seiner Theorie der Affecte aus.

eines über einen Menschen hereingebrochenen Unglücks mit augenscheinlich wirklicher Gutmüthigkeit kund giebt, und wobei man sich gleich an die Frage schickt: wie abgeholfen werden kann. Die Pläne werden wohl mit Samaritereifer gefasst, aber da jeder Tag seinen Turnus von Obliegenheiten bringt, so wird die Ausführung immer auf den nächsten verschoben. Wohl heisst es,,,wer zur rechten Zeit gibt, der gibt doppelt," aber die täglichen Gewohnheiten sind auch für Menschen süss, wie es für Egmont die Gewohnheit des Daseins überhaupt ist, und es hält eben nicht schwer, das bequeme Beharren in denselben mit Gründen von Rücksichten und Pflichten zu beschönigen. Und überdies steht es ja auch bei Lessing geschrieben, dass nicht die Gabe, sondern der Wille den Geber ausmacht, und den Willen hat man ja gehabt. Zuletzt, warum hat denn jener Unglückliche das gethan, warum hat er z. B. sein Feld in einem Jahre bestellt, wo Dürre gekommen ist, damit hat er nur selbst sein Unglück verschuldet. Wäre er nur halb so vernünftig wie unser Eins, dann würde es ihm auch gewiss anders gehen. Eine eigene Art von Mitleid ist. das Mitleid mit sich selbst, jenes unmotivirte Mitleid das eben nicht gross angelegte Naturen gerne über sich spielen lassen, um sich damit in den Schein einer allerdings nicht schwer erkauften Märtyrertugend zu setzen. Man glaubt sich dadurch den Weiheduft der Duldung und Pflichtenüberlastung beimessen zu können, dass man sich theils wirklich Mühen, Entsagungen und Lebensplackereien auferlegt, die das Schicksal von dem Betreffenden nicht erheischt und wodurch Niemanden etwas zu Gute kommt; theils aber legt man sich nicht einmal derlei auf und steigert nur sein nichtiges Treiben.

Wendet man sich von diesen Afterarten wieder zum echten Mitleid des grossen edlen Herzens, so steht auch hier noch die missliche Entdeckung bevor, dass es von der Unvollkommenheit nicht frei ist, die allem anhaftet, und dass es trotz seines objectiven Stigmas eben so gut den Schwankungen und wechselnden Intensitätsgraden unterworfen ist, wie jedes andere Gefühl. Wenn die Sturmfluth persönlicher Affecte im Innern

wühlt und das Herz von einer Besatzung eigner Sorgen bedrängt ist, dann bricht sich jeder Eindruck von aussen schwer Bahn. Bittere Erfahrungen und skeptische Verdüsterung stumpft ebenfalls ab und wendet den Sinn von dem äussern realen Treiben nach innen, in die Urstätte des individuellen Daseins. Hingegen ist der Gemüthszustand auf einer weitern und höhern Stufe der Entäusserung für den sympatischen Mitklang geläutert und verfeinert. Das ist dieser Zustand der Windstille, in dem man für sich nichts mehr erstrebt und nichts mehr erhofft; diese Grundstimmung einer weltüberwundenen Wehmuth, zu der lange und schwere Leidensstationen hinan führen. Ein solcher Zustand innerer Selbstentsagung hat schon manches zarte weibliche Wesen dazu getrieben, sich dem opfervollen und traurigen Dienst der Krankenpflege zu weihen. Dass Frauen weit mehr als Männer von mitleidigen Gefühlen beherrscht werden, und auch weit mehr mitleidige Werkthätigkeit üben, dafür sprechen nicht allein statistische Daten, das wird ihnen selbst von einem Philosophen zuerkannt, der sich sonst nicht zu einer übermässigen Galanterie für sie hinreissen lässt, nämlich von Schopenhauer. Man kann aber nicht nur bemerken dass der Mann schwerer zum Mitleid bewegt wird, dass er einen viel stärkern secousse dazu braucht, sondern dass er seinerseits auch viel schwerer Mitleidsbezeugungen erträgt, obgleich der Grund davon nicht einer und derselbe ist; er wird schwerer zum Mitgefühl gebracht wegen geringerer Gefühlsweichheit, und erträgt es schwerer, wegen stärkern Selbstbewusstseins. Von einer Form des Mitleids jedoch, die mehr hoheitsvoller als theilnehmender Art ist, möchte man sagen, dass man sie eher beim Mann als beim Weib antrifft, das ist das Mitleid mit dem Neide, den man einflösst. Das Weib ist schon deshalb mitfühlender, weil ihr innerer Blick bei der Einzelerscheinung verweilt, während der des Mannes in der Allgemeinheit untertaucht. Sie percipirt daher eingehender und sorglicher alle Einzelmerkmale der Erscheinung. Ausserdem besitzt sie in ihrem empfindsamen nervösen Substrat feinere Conductoren für die Eindrücke, die noch im beweglichen Hintergrund des Gemeingefühls

eine lebhafte Resonanz finden. Je sensibler und perceptionsfähiger der nervöse Apparat geartet ist, desto reicher, geweckter und bewegter ist das Gefühlsleben. Hochmüthige Tyrannen besitzen einen stumpfen und empfindungslosen Nervenmechanismus; sie suchen sich daher durch gewaltige und widerwärtig crasse Attaken zu excitiren, wie dies z. B. das Bild ,,Les Borgias s'amusent" zeigt,*) das vor wenigen Jahren im Pariser Salon Aufsehen erregte. Allerdings mag beim Tyrannen dic grausame Lust, seine Macht fühlen zu lassen, ein weiterer Stachel zur Unmenschlichkeit sein.

Bei dem durch sinnliche Wahrnehmung geweckten Mitgefühl spielen die zwei Hauptconductoren der äussern Eindrücke, Gesicht und Gehör, ganz ungleichwerthige Rollen. Das Gesicht führt uns wohl die räumlich ausgedehntesten, das Gehör aber die innerlich tiefsten Eindrücke zu. Der Anblick der Wunde erschüttert bei weitem nicht so, wie das Stöhnen des Verwundeten. Und in der Kunst wirkt ein Schlachtengemälde lange nicht so opfertrunken zündend als eine kriegerische Musik. Gemeiniglich wird unter den somatischen Faktoren das Herz als Repräsentant der Gefühlswelt angesehen. Man lokalisirt das Gefühl in das Herz wie das Denken in das Haupt. Das darf natürlich nicht in dem Sinne genommen werden, als handle es sich um das ideelle Product eines materiellen Organs. Der Antheil des Herzens am Gefühl wie der des Hirns am Denken ist organischer Art. Die Bedeutung des Herzens für das Gefühls- oder Gemüthsleben liegt darin, dass seine treibende Kraft die Gefühlsstimmung beeinflusst, wie auch vice versa von dieser beeinflusst wird. Die mechanischen Leiter der Herzthätigkeit sind die in der Herzmuskelsubstanz eingebetteten kleinen sympathischen Ganglien, die nach ihrem Entdecker die Remarkschen Herzganglien heissen.

Während beim Gefühl des Mitleids unsere Schicksalswage

*) Pabst Alexander VI. mit seinem Sohne Cäsar und seiner Tochter Lucrezia bereiten sich das Vergnügen, sechs unbekleidete junge Mädchen im Reigen um eine Flamme und auf ihnen von Pagen gestreuten Kirschen tanzen zu lassen, mit dem Gebot, diese nicht zu zertreten.

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