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Primärer Thanatismus (ursprünglicher Mangel der Unsterblichkeits-Idee). In vielen philosophischen und besonders theologischen Schriften lesen wir noch heute die Behauptung, daß der Glaube an die persönliche Unsterblichkeit der menschlichen Seele allen Menschen oder doch allen „vernünftigen Menschen“ — ursprünglich gemeinsam sei. Das ist falsch. Dieses Dogma ist weder eine ursprüngliche Vorstellung der menschlichen Vernunft, noch hat es jemals allgemeine Verbreitung gehabt. In dieser Beziehung ist vor Allem wichtig die sichere, erst neuerdings durch die vergleichende Ethnologie festgestellte Thatsache, daß mehrere Naturvölker der ältesten und primitivsten Stufe ebenso wenig von einer Unsterblichkeit als von einem Gotte irgend eine Vorstellung haben. Das gilt namentlich von den Weddas auf Ceylon, jenen primitiven Pygmäen, die wir auf Grund der ausgezeichneten Forschungen der Herren Sarasin für einen Ueberrest der ältesten indischen „Urmenschen“ halten *); ferner von mehreren ältesten Stämmen der nächstverwandten Dravidas, von den indischen Seelongs und einigen Stämmen der Australneger. Ebenso kennen mehrere der primitivsten Urvölker der amerikanischen Rasse, im inneren Brasilien, am oberen AmazonenStrom u. f. w., weder Götter noch Unsterblichkeit. Dieser primäre Mangel des Unsterblichkeits- und Gottes-Glaubens ist eine höchst wichtige Thatsache; er ist selbstverständlich wohl zu unterscheiden von dem sekundären Mangel desselben, welchen erst der höchstentwickelte Kultur-Mensch auf Grund kritisch-philosophischer Studien spät und mühsam gewonnen hat.

Sekundärer Thanatismus (erworbener Mangel der Unsterblichkeits-Idee). Im Gegensaße zu dem primären Thanatismus, der sicher bei den ältesten Urmenschen ursprünglich bestand und immer eine weite Verbreitung besaß, ist der sekundäre

*) E. Haeckel, Indische Reisebriefe. Dritte Auflage 1893. S. 384.

Mangel des Immortalitäts-Glaubens erst spät entstanden; er ist erst die reife Frucht eingehenden Nachdenkens über „Leben und Tod", also ein Produkt echter und unabhängiger philosophischer Reflexion. Als solcher tritt er uns schon im sechsten Jahrhundert vor Chr. bei einem Theile der ionischen Naturphilosophen entgegen, später bei den Gründern der alten materialistischen Philosophie, bei Demokritos und Empedokles, aber auch bei Simonides und Epikur, bei Seneca und Plinius, am meisten durchgebildet bei Lucretius Carus. Als dann nach dem Untergange des klassischen Alterthums das Christenthum sich ausbreitete und mit ihm der Athanismus, als einer seiner wichtigsten Glaubens-Artikel, die Weltherrschaft gewann, erlangte mit anderen Formen des Aberglaubens auch derjenige an die persönliche Unsterblichkeit die höchste Bedeutung.

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Während der langen Geistesnacht des christlichen Mittelalters wagte begreiflicher Weise nur selten ein kühner Freidenker seine abweichende Ueberzeugung zu äußern; die Beispiele von Galilei, von Giordano Bruno und anderen unabhängigen Philosophen, welche von den Nachfolgern Christi" der Tortur und dem Scheiterhaufen überliefert wurden, schreckten genügend jedes freie Bekenntniß ab. Dieses wurde erst wieder möglich, nachdem die Reformation und die Renaissance die Almacht des Papismus gebrochen hatten. Die Geschichte der neueren Philosophie zeigt die mannichfaltigen Wege, auf denen die gereifte menschliche Vernunft dem Aberglauben der Unsterblichkeit zu entrinnen versuchte. Immerhin verlieh demselben troßdem die enge Verknüpfung mit dem christlichen Dogma auch in den freieren protestantischen Kreisen solche Macht, daß selbst die meisten überzeugten Freidenker ihre Meinung still für sich behielten. Nur selten wagten einzelne hervorragende Männer ihre Ueberzeugung von der Unmöglichkeit der Seelen-Fortdauer nach dem Tode frei zu bekennen. Besonders geschah dies in der zweiten Hälfte des

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Athanismus und Religion.

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achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich von Voltaire, Danton, Mirabeau u. A., ferner von den Hauptvertretern des damaligen Materialismus, Holbach, Lamettrie u. A. Dieselbe Ueberzeugung vertrat auch der geistreiche Freund der Lepteren, der größte der Hohenzollern-Fürsten, der monistische „Philosoph von Sans Souci". Was würde Friedrich der Große, dieser gekrönte Thanat ist und Atheist", sagen, wenn er heute seine monistischen Ueberzeugungen mit denjenigen seiner Nachfolger vergleichen könnte!

Unter den denkenden Aerzten ist die Ueberzeugung, daß mit dem Tode des Menschen auch die Existenz seiner Seele aufhöre, wohl seit Jahrhunderten sehr verbreitet gewesen; aber auch sie hüteten sich meistens wohl, dieselbe auszusprechen. Auch blieb immerhin noch im vorigen Jahrhundert die empirische Kenntniß des Gehirns so unvollkommen, daß die „Seele“ als ein räthselhafter Bewohner desselben ihre selbstständige Eristenz fortfristen konnte. Endgültig beseitigt wurde dieselbe erst durch die Riesenfortschritte der Biologie in unserem Jahrhundert und besonders in dessen zweiter Hälfte. Die Begründung der Descendenz-Theorie und der Zellen - Theorie, die überraschenden Entdeckungen der Ontogenie und der Experimental-Physiologie, vor Allem aber die bewundernswürdigen Fortschritte der mikroskopischen GehirnAnatomie entzogen dem Athanismus allmählich jeden Boden, so daß jezt nur selten ein sachkundiger und ehrlicher Biologe noch für die Unsterblichkeit der Seele eintritt. Die monistischen Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts (Strauß, Feuerbach, Büchner, Spencer u. s. w.) sind sämmtlich Thanatisten.

Athanismus und Religion. Die weiteste Verbreitung und die höchste Bedeutung hat das Dogma der persönlichen Unsterblichkeit erst durch seine innige Verbindung mit den Glaubenslehren des Christenthums gefunden; und diese hat auch zu der irrthümlichen, heute noch sehr verbreiteten Ansicht geführt,

Haedel, Welträthsel.

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daß dasselbe überhaupt einen wesentlichen Grundbestandtheil jeder geläuterten Religion bilde. Das ist durchaus nicht der Fall! Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele fehlt vollständig den meisten höher entwickelten orientalischen Religionen; er fehlt dem Buddhismus, der noch heute über 30 Procent der gesammten menschlichen Bevölkerung der Erde beherrscht; er fehlt ebenso der alten Volks - Religion der Chinesen wie der reformirten, später an deren Stelle getretenen Religion des Confucius; und, was das Wichtigste ist, er fehlt der älteren und reineren jüdischen Religion; weder in den fünf Büchern Moses noch in jenen älteren Schriften des Alten Testamentes, welche vor dem babylonischen Eril geschrieben wurden, ist die Lehre von der individuellen Fortdauer nach dem Tode zu finden.

Entstehung des Unsterblichkeits-Glaubens. Die mystische Vorstellung, daß die Seele des Menschen nach seinem Tode fortdauere und unsterblich weiterlebe, ist sicher polyphyletisch entstanden; sie fehlte dem ältesten, schon mit Sprache begabten Urmenschen (dem hypothetischen Homo primigenius Asiens) gewiß ebenso wie seinen Vorfahren, dem Pithecanthropus und Prothylobates, und wie seinen modernen, wenigst entwickelten Nachkommen, den Weddas von Ceylon, den Seelongs von Indien und anderen, weit entfernt wohnenden Natur-Völkern. Erst bei zunehmender Vernunft, bei eingehenderem Nachdenken über Leben und Tod, über Schlaf und Traum entwickelten sich bei verschiedenen älteren Menschen-Rassen - unabhängig von einander mystische Vorstellungen über die dualistische Komposition unseres Organismus. Sehr verschiedene Motive werden bei diesem polyphyletischen Vorgange zusammengewirkt haben: Ahnen-Kultus, Verwandten-Liebe, Lebenslust und Wunsch der Lebens-Verlängerung, Hoffnung auf bessere Lebens- Verhältnisse im Jenseits, Hoffnung auf Belohnung der guten und Bestrafung der schlechten Thaten u. s. w. Die vergleichende Psychologie hat uns neuer

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dings eine große Anzahl von sehr verschiedenen derartigen Glaubens-Dichtungen kennen gelehrt *); großentheils hängen dieselben eng zusammen mit den ältesten Formen des Gottesglaubens und der Religion überhaupt. In den meisten modernen Religionen ist der Athanismus eng verknüpft mit dem Theismus, und die materialistische Vorstellung, welche sich die meisten Gläubigen von ihrem persönlichen Gott" bilden, übertragen sie auf ihre unsterbliche Seele". Das gilt vor Allem von der herrschenden Weltreligion der modernen Kulturvölker, vom Christenthum.

Christlicher Unsterblichkeits-Glaube. Wie allgemein bekannt, hat das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele in der christlichen Religion schon lange diejenige feste Form angenommen, welche sich in dem Glaubens-Artikel ausspricht: „Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben." Wie am Osterfest Christus selbst von den Todten auferstanden ist und nun in Ewigkeit als „Gottes Sohn, sißend zur rechten Hand Gottes", gedacht wird, versinnlichen uns unzählige Bilder und Legenden. In gleicher Weise wird auch der Mensch „am jüngsten Tage auferstehen“ und seinen Lohn für die Führung seines einstigen Erdenlebens empfangen. Dieser ganze christliche Vorstellungskreis ist durch und durch materialistisch und anthropistisch; er erhebt sich nicht viel über die entsprechenden rohen Vorstellungen vieler niederen Naturvölker. Daß die Auferstehung des Fleisches" unmöglich ist, weiß eigentlich Jeder, der einige Kenntnisse in Anatomie und Physiologie besitzt. Die Auferstehung Christi, welche von Millionen gläubiger Christen an jedem Osterfeste gefeiert wird, ist ebenso ein reiner Mythus wie die „Auferweckung von den Todten", welche derselbe mehrfach ausgeführt haben soll. Für die reine Vernunft sind diese mystischen Glaubens

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*) Vergl. Adalbert Svoboda, Gestalten des Glaubens. 1897.

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