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Fortschritte der socialen Einrichtungen. Während wir so heute mit gerechtem Stolze auf die gewaltigen Fortschritte des 19. Jahrhunderts in der Natur-Erkenntniß und deren praktischer Verwerthung zurückblicken, so bietet sich uns leider ein ganz anderes und wenig erfreuliches Bild, wenn wir nun andere, nicht minder wichtige Gebiete dieses modernen Kultur-Lebens in's Auge fassen. Zu unserem Bedauern müssen wir da den Sat von Alfred Wallace unterschreiben: „Verglichen mit unseren erstaunlichen Fortschritten in den physikalischen Wissenschaften und in ihrer praktischen Anwendung, bleibt unser System der Regierung, der administrativen Justiz, der National-Erziehung und unsere ganze sociale und moralische Organisation in einem Zustande der Barbarei." Um uns von der Wahrheit dieser schweren Vorwürfe zu überzeugen, brauchen wir nur einen unbefangenen Blick mitten in unser öffentliches Leben hinein zu werfen oder in den Spiegel zu blicken, den uns täglich unsere Zeitung, als das Organ der öffentlichen Meinung, vorhält.

Unsere Rechtspflege. Beginnen wir unsere Rundschau mit der Justiz, dem „Fundamentum regnorum". Niemand wird behaupten können, daß deren heutiger Zustand mit unserer fortgeschrittenen Erkenntniß des Menschen und der Welt in Einklang sei. Keine Woche vergeht, in der wir nicht von richterlichen Urtheilen lesen, über welche der „gesunde Menschen-Verstand" bedenklich das Haupt schüttelt; viele Entscheidungen unserer höheren und niederen Gerichtshöfe erscheinen geradezu unbegreiflich. Wir sehen bei Behandlung dieses Welträthsels“ ganz davon ab, daß in vielen modernen Staaten

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troß der

auf Papier gedruckten Verfassung noch thatsächlich der Absolutismus herrscht, und daß viele Männer des Rechts" nicht nach ehrlicher Ueberzeugung urtheilen, sondern entsprechend dem höheren Wunsche von maßgebender Stelle". Wir nehmen vielmehr an, daß die meisten Richter und Staatsanwälte nach

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Zustand der modernen Staatsordnung.

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bestem Gewissen urtheilen und nur menschlich irren. Dann erklären sich wohl die meisten Irrthümer durch mangelhafte Vorbildung. Freilich herrscht vielfach die Ansicht, daß gerade die Juristen die höchste Bildung besißen; werden sie ja doch gerade deßhalb bei der Besetzung der verschiedensten Aemter vorgezogen. Allein diese vielgerühmte juristische Bildung" ist größtentheils eine reine formale, keine reale. Das eigentliche Haupt-Objekt ihrer Thätigkeit, den menschlichen Organismus, und seine wichtigste Funktion, die Seele, lernen unsere Juristen nur oberflächlich kennen; das beweisen z. B. die wunderlichen Ansichten von „Willensfreiheit, Verantwortung" u. f. w., denen wir täglich begegnen. Als ich einmal einem bedeutenden Juristen versicherte, daß die winzige kugelige Eizelle, aus der sich jeder Mensch entwickelt. lebendig sei, ebenso mit Leben begabt, wie der Embryo von zwei oder sieben oder neun Monaten, fand ich nur ungläubiges Lächeln. Den meisten Studirenden der Jurisprudenz fällt es gar nicht ein, Anthropologie, Psychologie und Entwickelungsgeschichte zu treiben, die ersten Vorbedingungen für richtige Beurtheilung des Menschen-Wesens. Freilich bleibt dazu auch „keine Zeit“; diese wird leider nur zu sehr durch das gründliche Studium von Bier und Wein in Anspruch genommen, sowie das veredelnde" Mensuren-Wesen; der Rest der kostbaren Studien-Zeit aber ist nothwendig, um die Hunderte von Paragraphen der Gesezbücher zu erlernen, deren Kenntniß den Juristen zu allen möglichen Stellungen im heutigen KulturStaate befähigt.

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Unsere Staatsordnung. Das leidige Gebiet der Politik wollen wir hier nur ganz flüchtig streifen, da die unerfreulichen Zustände des modernen Staatslebens allbekannt und Jedermann täglich fühlbar sind. Zum großen Theile erklären sich deren Mängel daraus, daß die meisten Staatsbeamten eben Juristen sind, Männer von ausgezeichneter formaler Bildung, aber ohne

jene gründliche Kenntniß der Menschen-Natur, die nur durch vergleichende Anthropologie und monistische Psychologie erworben werden kann, ohne jene Kenntniß der socialen Verhältnisse, deren organische Vorbilder uns die vergleichende Zoologie und Entwickelungsgeschichte, die Zellen-Theorie und die Protistenkunde liefert. Bau und Leben des socialen Körpers," d. h. des Staates, lernen wir nur dann richtig verstehen, wenn wir naturwissenschaftliche Kenntniß von „Bau und Leben“ der Personen besigen, welche den Staat zusammenseßen, und der Zellen, welche jene Personen zusammenseßen *). Wenn diese unschäßbaren biologischen und anthropologischen Vorkenntnisse unsere Staatslenker" besäßen, und unsere „Volksvertreter“, die mit ihnen zusammenwirken, so würde unmöglich in den Zeitungen täglich jene entseßliche Fülle von sociologischen Irrthümern und von politischer Kannegießerei zu lesen sein, welche unsere Parlaments-Berichte und auch viele Regierungs- Erlasse nicht gerade erfreulich auszeichnen. Das Schlimmste freilich ist, wenn der moderne Kulturstaat sich der kulturfeindlichen Kirche in die Arme wirft, und wenn der bornirte Egoismus der Parteien, die Verblendung der kurzsichtigen Parteiführer die Hierarchie unterstüßt. Dann entstehen so traurige Bilder, wie sie uns leider jezt am Schlusse des 19. Jahrhunderts der deutsche Reichstag vor Augen führt: die Geschicke des gebildeten deutschen Volkes in der Hand des ultramontanen Centrums, unter der Leitung des römischen Papismus, der sein ärgster und gefährlichster Feind ist. Statt Recht und Vernunft regiert dann Aberglaube und Verdummung. Unsere Staatsordnung kann nur dann besser werden, wenn sie sich von den Fesseln der Kirche befreit, und wenn sie durch allgemeine naturwissenschaftliche Bildung die Welt- und Menschen

*) Vergl. A. Schäffle, Bau und Leben des socialen Körpers. 1875.

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Zustand der modernen Schule.

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Kenntniß der Staatsbürger auf eine bessere Stufe hebt. Dabei kommt es gar nicht auf die besondere Staatsform an. Ob Monarchie oder Republik, ob aristokratische oder demokratische Verfassung, das sind untergeordnete Fragen gegenüber der großen Hauptfrage: Soll der moderne Kulturstaat geistlich oder weltlich sein? soll er theokratisch durch unvernünftige Glaubensfäße und klerikale Willkür, oder soll er nomokratisch durch vernünftige Geseze und bürgerliches Recht geleitet werden? Die Hauptaufgabe ist, unsere Jugend zu vernünftigen, vom Aberglauben befreiten Staatsbürgern heranzuziehen, und das kann nur durch eine zeitgemäße Schul-Reform geschehen.

Unsere Schule. Ebenso wie unsere Rechtspflege und Staatsordnung, entspricht auch unsere Jugenderziehung durchaus nicht den Anforderungen, welche die wissenschaftlichen Fortschritte des 19. Jahrhunderts an die moderne Bildung stellen. Die Naturwissenschaft, die alle anderen Wissenschaften so weit überflügelt und welche, bei Licht betrachtet, auch alle sogenannten Geisteswissenschaften in sich aufgenommen hat, wird in unseren Schulen immer noch als Nebensache behandelt oder als Aschenbrödel in die Ecke gestellt. Dagegen erscheint unseren meisten Lehrern immer noch als Hauptaufgabe jene todte Gelehrsamkeit, die aus den Klosterschulen des Mittelalters übernommen ist; im Vordergrunde steht der grammatikalische Sport und die zeitraubende gründliche Kenntniß" der klassischen Sprachen, sowie der äußerlichen Völkergeschichte. Die Sittenlehre, der wichtigste Gegenstand der praktischen Philosophie, wird vernachlässigt und an ihre Stelle die kirchliche Konfession gesezt. Der Glaube foll dem Wissen vorangehen; nicht jener wissenschaftliche Glaube, welcher uns zu einer monistischen Religion führt, sondern jener unvernünftige Aberglaube, der die Grundlage eines verunstalteten Christenthums bildet. Während die großartigen Erkenntnisse der modernen Kosmologie und Anthropologie, der heutigen Biologie

und Entwickelungslehre auf unseren höheren Schulen gar keine oder nur ganz ungenügende Verwerthung finden, wird das Gedächtniß mit einer Unmasse von philologischen und historischen Thatsachen überladen, die weder für die theoretische Bildung noch für das praktische Leben von Nußen sind. Aber auch die veralteten Einrichtungen und Fakultäts-Verhältnisse der Universitäten entsprechen der heutigen Entwickelungsstufe der monistischen Weltanschauung ebenso wenig, als die Unterrichts-Leitung in den Gymnasien und in den niederen Schulen.

Unsere Kirche. Den Gipfel des Gegensaßes gegen die moderne Bildung und gegen deren Grundlage, die vorgeschrittene Natur-Erkenntniß, erreicht unstreitig die Kirche. Wir wollen hier gar nicht vom ultramontanen Papismus sprechen, oder von den orthodoren evangelischen Richtungen, welche diesem in Bezug auf Unkenntniß der Wirklichkeit und Lehre des krassesten Aberglaubens nichts nachgeben. Vielmehr versehen wir uns in die Predigt eines liberalen protestantischen Pfarrers, der gute Durchschnittsbildung besißt und der Vernunft neben dem Glauben ihr gutes Recht einräumt. Da hören wir neben vortrefflichen Sittenlehren, die mit unserer monistischen Ethik (im 19. Kapitel) vollkommen harmoniren, und neben humanistischen Erörterungen, die wir durchaus billigen, Vorstellungen über das Wesen von Gott und Welt, von Mensch und Leben, welche allen Erfahrungen der Naturforschung direkt widersprechen. Es ist kein Wunder, wenn Techniker und Chemiker, Aerzte und Philosophen, die gründlich über die Natur beobachtet und nachgedacht haben, solchen Predigten kein Gehör schenken wollen. Es fehlt eben unseren Theologen ebenso wie unseren Philologen, unseren Politikern ebenso wie unseren Juristen an jener unentbehrlichen Naturkenntniß, welche sich auf die monistische Entwickelungslehre gründet, und welche bereits in den festen Besitzstand unserer modernen Wissenschaft übergegangen ist.

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