West-östlicher Divan. Schenkenbuch. · October 1814. Schenke: Welch ein Zustand! Herr, so späte Dichter: Lass mich jetzt, geliebter Knabe! Schenke: Eben das will ich behandeln, Dann will ich auf der Terrasse Dich mit frischen Lüften tränken Wie ich dich ins Auge fasse, Gibst du einen Kuss dem Schenken. Schau! Die Welt ist keine Höhle, Immer reich an Brut und Nestern, Rosenduft und Rosenöle! Bulbul auch, sie singt wie gestern. West-östlicher Divan. Schenkenbuch. October 1814. Schenke: Nennen dich den grossen Dichter, Wenn dich auf dem Markte zeigest Doch ich liebe dich noch lieber, Reim auf Reim will was bedeuten, Und verstumme mit dem Schenken. West-östlicher Divan. 19. November 1814. Wanderers Gemütsruhe. Uebers Niederträchtige Niemand sich beklage, In dem Schlechten waltet es Sich zu Hochgewinne, Und mit Rechtem schaltet es Ganz nach seinem Sinne. Wandrer! Gegen solche Not Wolltest du dich sträuben? Wirbelwind und trocknen Kot, Lass sie drehn und stäuben. West-östlicher Divan. Buch der Parabeln. 1814. Vom om Himmel sank in wilder Meere Schauer Ein Tropfe bangend, grässlich schlug die Flut! Doch lohnte Gott bescheidnen Glaubensmut Und gab dem Tropfen Kraft und Dauer. Ihn schloss die stille Muschel ein. Und nun, zu ewgem Ruhm und Lohne, Die Perle glänzt an unsers Kaisers Krone Mit holdem Blick und mildem Schein. Ja, in der Schenke hab ich auch gesessen, Mir ward wie andern zugemessen, Sie schwatzten, schrieen, händelten von heut, So froh und traurig, wies der Tag gebeut; Ich aber sass, im Innersten erfreut, An meine Liebste dacht ich wie sie liebt? Die alles fassten? Doch so wars! Ja, so! Sitz ich allein, Wo kann ich besser sein? Meinen Wein Trink ich allein Niemand setzt mir Schranken, Ich hab so meine eignen Gedanken. Hartleben, Goethe-Brevier. |