West-östlicher Divan. Heidelberg, 26. Sept. 1815. Volk und Knecht und Ueberwinder, Sie gestehn zu jeder Zeit: Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit. Jedes Leben sei zu führen, Wenn man sich nicht selbst vermisst; Alles könne man verlieren, Wenn man bliebe, was man ist. Marianne von Willemer. West-östlicher Divan, 1815. Westwind. Rückkehr von Heidelberg. 26. September 1815. Ach, um deine feuchten Schwingen, West, wie sehr ich dich beneide: Die Bewegung deiner Flügel Weckt im Busen stilles Sehnen! Blumen, Augen, Wald und Hügel Stehn bei deinem Hauch in Thränen. Doch dein mildes, sanftes Wehen Kühlt die wunden Augenlider Ach, für Leid müsst ich vergehen, Eile denn zu meinem Lieben, Sag ihm, aber sags bescheiden: Von Marianne v. Willemer. Marianne von Willemer. West-östlicher Divan, 1815. Locken, haltet mich gefangen In dem Kreise des Gesichts! Nur dies Herz, es ist von Dauer, Du beschämst wie Morgenröte Jener Gipfel ernste Wand, Und noch einmal fühlet Goethe Schenke, her! Noch eine Flasche! Diesen Becher bring ich ihr! Suleika: Nimmer will ich dich verlieren! Liebe gibt der Liebe Kraft. Magst du meine Liebe zieren Mit gewaltiger Leidenschaft. Ach, wie schmeichelts meinem Triebe, Wenn man meinen Dichter preist. Denn das Leben ist die Liebe, Und des Lebens Leben Geist: Marianne von Willemer. West-östlicher Divan, 1815. Lasst mich weinen! Umschränkt von Nacht In unendlicher Wüste. Kamele ruhn, die Treiber desgleichen, Ich aber neben ihm berechne die Meilen, mungen. Lasst mich weinen! Das ist keine Schande. Weinende Männer sind gut. Weinte doch Achill um seine Briseïs! Alexander weinte. Lasst mich weinen! Thränen beleben den Schon grunelts. Staub. Weimar, 24. December 1815. Lust und Qual. Knabe sass ich, Fischerknabe, Auf dem schwarzen Fels im Meer Sang ich, lauschend rings umher. Und das Fischlein war ertappt. Ach, am Ufer, durch die Fluren, Ins Geklüfte tief zum Hain Folgt ich einer Sohle Spuren, Und das Bübchen war ertappt. Weiss doch Gott, mit welchem Hirten Sie aufs neue sich ergeht! Muss ich in das Meer mich gürten, Wie es sauset, wie es weht! Wenn mich oft im Netze jammert |