Schriften Ostern 1789 bei Göschen herauswie man gab, war er Geheimrat und heute sagen würde zielbewusster Classiker. Während er die Gedichte »möglichst ins Vollkommene << redigirt, schreibt er im Februar 1788 aus Rom an Herder: er >>hoffe zur Verbindung so disparater Dinge gute Mittel gefunden, wie auch eine Art, die allzu individuellen und momentanen Stücke einigermassen geniessbar zu machen. << Ich kann mich, wenn ich solche und ähnliche Wendungen bei Goethe lese, niemals eines gewissen Grausens erwehren. Das Gespenst der Antike war in den Saal getreten. Der Empirestil bereitete sich vor. Wie die Theoretiker der grossen Revolution von den allgemeinen Menschenrechten redeten so schwelgten die deutschen Classicisten derselben Zeit in jenem wie es der kluge Herder so fein bezeichnet : >> bittersüssen Geschwätz vom allgemeinen Schönen«<. Die Winkelmannsche Bornirtheit, der blöde Glaube dass die Kunst ein für allemal griechisch und und nicht deutsch geschrieben sei; dass durch die griechische Kunst und Kultur ein absolutes Schönheitsideal geschaffen sei, das man nunmehr nur nachzubilden und nachzuahmen habe; dieser »erbärmliche Wahn« wie derselbe kluge Herder ihn nennt : >zu einer anderen Zeit, unter einem anderen Volk und Himmelsstrich leben zu wollen <; derselbe Wahn, den Goethe in seiner Jugend sehr wohl als solchen erkannt hatte, besass ihn jetzt mit Haut und Haaren! Und so war er in jener Zeit unter allen Schöngeistern des ablaufenden Jahrhunderts derjenige, der am wenigsten dazu befähigt war, die Jugendgedichte Johann Wolfgang Goethes zu würdigen und herauszugeben. Er stand diesen Gedichten etwa so gegenüber, wie in jener berühmten Audienz desselben >> Revolutionsjahres< dem »populairen<< Gottfried August Bürger: die Sache war ihm peinlich. >>Der Dichter muss (!) sich von der Gegenwart loslösen und frei und kühn in die Welt der Ideale emporschweben, << schrieb bald darauf Schiller in seiner Mordskritik über Bürger das war schon damals die Herzensmeinung des in Schönheit wandelnden Geheimraths. Und so brachte er das schwere Kunststück zuwege, die eigene Lyrik durch die Art seiner Herausgabe unzugänglich und nahezu ungeniessbar zu machen. —— Und die bureaukratisch-ästhetische Vergewaltigung des warmen Lebens, die mit der ersten >> Sammlung « von 1789 ihren Anfang nahm, wurde von dem alternden Goethe schicklichst weiter betrieben und durch die Ausgabe letzter Hand endgiltig sanktionirt. Es wird einem schon ganz kalt, wenn man nur die Titel der einzelnen Abtheilungen recht auf sich wirken lässt: >> Antiker Form sich nähernd << >> Parabolisch << schriften, Denk- und Sendeblätter<< . -- ... >> In Eins der frischesten kleinen Lieder an Friederike ist gewiss das: > Jetzt fühlt der Engel, was ich fühle, Und wo findet man das? Im sechsten Bande der sämmtlichen Werke unter dem fürchterlichen Rubrum: >>Alles an Personen und zu festlichen Gelegenheiten Gedichtete enthaltend.<<< Und zwar steht es da mitten unter dem allerödesten Wortgeklapper. -- Die für unser modernes Empfinden einzig mögliche Anordnung der Goetheschen Lyrik ist die chronologische. Die Herren Philologen haben soviel aufopfernden Fleiss darauf verwendet, das Datum der einzelnen Gedichte zu eruiren, dass eine solche Anordnung heute Man könnte sich bereits wohl möglich ist. nun wundern, dass die Herren nach all ihren sauren Vorarbeiten nicht selber darauf gekommen sind, eine solche chronologisch geordnete Ausgabe zu veranstalten: aber, du lieber Gott! -: worauf kommen Philologen alles nicht! Als ich in diesem Frühjahr die Festtage der Goethe-Gesellschaft in Weimar mitfeierte, war ich in dem zarten Alter von dreissig Jahren stehend der jüngste unter den Jubelnden - die erdrückende Majorität der Theilnehmer bewegte sich zierlich um die Wende des sechzigsten Lebensjahres. Diese Greisenhaftigkeit in der heutigen Goethe-Verehrung ist ein recht bedenkliches und trauriges Zeichen: und da ich Johann Wolfgang Goethe von ganzem Herzen liebe, fasste ich den Entschluss, nach meinen Kräften etwas dafür zu thun, dass er für meine Generation lebendig bliebe. Und ich kam zu der Ueberzeugung, dass mehr als zwanzig gelehrte Goethe-Jahrbücher, voll des spitzigsten Scharfsinns, eine einzige Ausgabe der Gedichte leisten könne, die dem naiven Geniessenwollen ohne Prätentionen entgegenkommt. Für solch ein Buch gab es nur eine Richtschnur: den eigenen Geschmack. Ich musste ein Buch schaffen ganz für mich: je willkürlicher und individueller, desto besser : desto frischer wird es wirken! Ich möchte nicht aus der Schule plaudern, aber ich weiss es nur zu gut : auch unter meinen Freunden, auch unter Euch, meine Lieben, ist so mancher, für den dieses Buch den Reiz der Neuheit haben dürfte und ich hege die stille, süsse Hoffnung, dass gerade jetzt, wo der Grössenwahn des Naturalismus in so erfreulichem Abdampfen begriffen ist, Euch dieses schlichte Goethe-Brevier eine liebe und erfrischende Gabe sein wird. Denn nichts anderem als dem Genuss dem lebendigen Genuss ewig herrlicher Verse soll dieses Buch dienen. Und das wird es: denn es gibt klarer und plastischer, als ich selber es vorher ahnte, ein tagebuchartiges Bild von dem Leben eines grossen Dichters, von dem Wesen einer grossen Persönlichkeit ! Zürich, August 1894. |