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Divinity School

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Borwort.

Was hier dem Leser geboten wird, ist nicht blos das, was gewöhnlich die Blätter eines Commentars ausfüllt: eine Erklärung dunkler Redeformen und Säße, verbunden mit einigen erbaulichen oder wissenschaftlichen Anmerkungen. Es ist eine Erklärung des ganzen Tertes in seinem logischen Zusammenhang und eine kritische Prüfung seines ganzen Inhalts, der darin gegebenen Erzählungen sowohl, als der Reden und Aussprüche Jesu. In den Erzählungen soll überall das Geschichtliche, so weit es vorhanden ist, von dem Ungeschichtlichen, Erdichteten; in den Worten Jesu, das Aechte vom Unächten; in beiden Bestandtheilen, das Schöne vom Unschönen, das Gute vom Schlechten, das Bleibende vom Veralteten getrennt und geschieden werden. Eine möglichst genaue Kenntniß des geschichtlichen Christus ist und bleibt der Hauptzweck, den wir beim Lesen unsrer Evangelien zu verfolgen haben. Wie jene Hellenen, von denen Johannes erzählt, so sprechen auch wir zu den Evangelisten, wenn wir ihre Büchlein lesen, und zu Jedem, der uns diese Büchlein erklären will: »Herr, wir wollen Jesus sehen!« Jesus aber wollen wir schließlich doch nur sehen, um durch ihn der befreienden, beseligenden Wahrheit näher zu kommen. Sie ist

uns noch lieber als Jesus, und Jesus ist uns nur um ihret

Willen lieb.

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Wer heutzutage und schon seit 1500 Jahren ist es so Jesus in den heiligen Schriften der christlichen Kirche sucht, dem bietet sich als Führer zuerst Matthäus, dann Marcus, dann Lucas, schließlich Johannes. In dieser gegebenen, gewohnten Reihenfolge wollte auch der Verfasser dieses Commentars die vier Evangelisten dem Leser vorführen. Bald aber erkannte er diese Ordnung als sachlich unbegründet und unzweckmäßig. Nach seiner Ueberzeugung nämlich ist von unseren vier Evangelien wahrscheinlich das des Matthäus das erste, das des Lucas das zweite, und von diesen beiden hat Marcus nur eine mit einigen Zierrathen ausgeschmückte und mit ein paar Zusäßen bereicherte Abkürzung gegeben. Es ist ja wohl möglich, daß seinem Büchlein und auch den Evangelien des Matthäus und des Lucas, eine für uns verlorne Urschrift zu Grunde lag. Doch auf und zwischen den Zeilen des kleinen jeßigen Marcus, den Ur- und den Ur-Ur-Marcus aufzusuchen, aus seinen Trümmern zu reconstruiren, dazu fehlte dem Verfasser dieses Commentars, er gesteht es unumwunden, der Beruf. Auch fürchtete er sich sehr, seine, wie er zu glauben wagt, ziemlich gesunden, wenn auch nicht übermäßig scharfen Augen durch eine zu gefährlichen Illusionen führende Mikroskopie zu verderben.

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Doch, wie man sich auch das Verhältniß der drei ersten Evangelisten zu einander denken mag - und alle mathematisch möglichen Combinationen hat man darauf angewandt, sicher und auch unbestritten bleibt, daß sie alle drei den auf dem theologischen Sprachgebiet ihnen gegebenen Namen Synoptiker reichlich verdienen. Denn sie haben uns drei überall synoptische, auf Deutsch: »überfichtliche«, zu fortwährenden Vergleichungen veranlassende Darstellungen des Lebens Jesu gegeben. Indem wir aber diese drei Dar

stellungen, eine Seite nach der andern, vergleichen, zeigt sich uns meistens, sast in allen erheblichen Punkten, eine sehr große Aehnlichkeit, manchmal auch eine bedeutsame, gelegentlich bis zum Gegensaß sich steigernde Verschiedenheit. Doch erscheint uns auch dieser Gegensaß überall, im Vergleich zu dem viel größeren, in welchem der vierte Evangelist zu den drei ersten, Johannes zu den Synoptikern steht, sehr geringfügig und unbedeutend. Bei aller Verschiedenheit im Einzelnen geben uns die drei Synoptiker doch überall das Bild des im Lichte des altchristlichen Glaubens und Hoffens geschauten, mit erdichteten Wundern geschmückten » Menschensohnes «, d. h. des Messias. Der vierte Evangelist aber, obgleich auch er gelegentlich Jesus als Messias bezeichnet oder bezeichnen läßt, schildert ihn doch thatsächlich als etwas durchaus Größeres: als das Fleisch gewordene Wort, als das in Menschengestalt sich offenbarende gottselige, ewige Leben. In einer Menschengestalt offenbart sich hier die wahre Religion. Darin liegt das Anziehende, der Zauber, manchmal aber auch das Abstoßende, das Empörende dieser durchaus ungeschichtlichen, und oft idealistisch ungeschickten Darstellung. Für uns, wie für Augustin, Luther, Schleiermacher und Fichte, ist das vierte Evangelium, im Ganzen und Großen, »das einige zarte rechte Haupt-Evangelium, und den andren dreien<< -in ästhetischer, philosophischer und gewissermaßen auch in religiöser Beziehung >>weit, weit vorzuziehen und höher zu heben.<< Doch, wenn wir es unbefangen lesen, finden wir Manches darin so widernatürlich und unwahr, daß es unsren Widerwillen, unfre Entrüstung hervorruft. Diesem zwiefachen Gefühl hat der Verfaffer, in seiner Erklärung des Johannes-Evangeliums, sich bemüht überall einen freien, durch den Gegensaß der Empfindung ungetrübten Ausdruck zu geben. Vieles hat er bei Johannes bewundert, geliebt und gelobt; vieles gering geschäßt, gehaßt und getadelt.

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Die herkömmlichen Namen der Evangelisten: Matthäus, Marcus, Lucas, Johannes, gebraucht der Verfasser überall, doch nur um der Kürze willen. Daß diese Namen nur pseudonyme Bezeich= nungen der ursprünglich als anonyme Schriften veröffentlichten Evangelien sind, das glaubt er fast auf jeder Seite dieses Buches für jeden unbefangenen Leser genügend bewiesen zu haben. So wie unsre Evangelisten Jesus dargestellt haben, konnte kein Apostel, also weder Matthäus noch Johannes, und auch kein Freund der Apostel, also weder Marcus noch Lucas, so konnte überhaupt kein Augenzeuge, und auch Niemand, der den Berichten eines Augenzeugen treu gefolgt wäre, ihn darstellen, ohne durch seine Darstellung selbst den Beweis entweder eines sehr wunderlichen Wahnfinns, oder einer erschrecklichen Verlogenheit zu liefern. Nur weil unsre vier Evangelisten weder Jesus, noch einen seiner Apostel ge= sehen oder gehört hatten, konnten sie mit frommem Herzen und gesundem Geiste alles das von ihm erzählen, was sie erzählt haben, um so mehr als es ihnen, bei der Abfassung ihrer Büchlein nicht um geschichtliche Wahrheit, sondern um die Erbauung und religiöse Belehrung ihrer Leser, manchmal auch, wie wir sagen würden, um die Erreichung kirchenpolitischer Zwecke zu thun war. Nicht Rabbi Jeschuah, wie er geleibt und gelebt hat, wollen sie ihren Lesern zur Anschauung bringen, sondern den Herrn Jesus, den verklärten Messias, den von Tag zu Tag immer noch erwarteten Gründer des Gottesreiches, den Heiland der Seelen, die verkörperte Religion, das Fleisch gewordene Gotteswort.

Wenn aber auch ihre Darstellungen des Ungeschichtlichen unvergleichlich mehr enthalten als des Geschichtlichen, so sind sie doch zum Theil aus geschichtlichem Material gebildet, namentlich sind die Worte Jesu, wie sie in den drei ersten Evangelien überliefert werden, wesentlich ächt, wenn auch nirgends mit protokollarisch

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