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Das sind wir, und bleiben doch der wichtigste, denn wir erblicken ja die Natur erst durch unsere Augen. Also, meine ich wohl, ist der Mensch das Erste. Zu dieser Überzeugung haben mich Jahre geführt, und ich habe ja Zeit genug gehabt."

Ich fragte unwillkürlich: „Herr Doktor, wie alt sind Sie eigentlich? Wenn ich mir die Frage erlauben darf.“

Er nahm seine Brille ab, wischte sich mit seinem seidenen Taschentuch die Augen und blickte mich mit dem verschleierten Ausdruck der Kurzsichtigen an: „Nun raten Sie einmal.“

Ich schwankte: „Ich muß gestehen, ich bin jezt erst recht unsicher geworden, so ohne Brille, die ich doch an Ihnen gewöhnt bin.“

,,Sehen Sie, darum habe ich sie eben abgenommen. So ein Glasdeckel verändert unglaublich. Klemmen Sie einer Intelligenz ein Monokel ins Auge, und man denkt: ein alberner Laffe! Nehmen Sie einem, der klug aussieht, den Kneifer, plötzlich wird er dumm. Haben Sie einmal bemerkt, daß irgendeine bekannte Persönlichkeit, die Sie nur mit Augenglas gesehen haben, einem ganz fremd vorkam, wenn sie als Büste ohne Brille gebildet ist? Ich erinnere mich eines Freundes

ich war damals im Kaukasus der dort arbeitete als Geograph, Zoologe, Botaniker. Wir haben manchen Berg zusammen bestiegen ich bin nicht Bergsteiger, und es ist mir auch höllisch

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sauer geworden, aber er brauchte mich zu seinen Aufnahmen. Wir haben monatelang unter einem Zelte geschlafen. Den sah ich später in Alge= rien er hatte eine Expedition in den Atlas machen wollen als Toten wieder. Ich habe ihn nicht erkannt. Ich hatte ihn nie ohne Brille gesehen, ja lachen Sie nur er schlief mit der Brille. Aber ich bin abgeschweift: sagen Sie mir, wie alt ich bin.“

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Ich versuchte, zu schäßen. Das Haar war nicht ergraut, die Zeit hatte wohl Runen eingegraben, aber ich meinte doch nicht allzusehr zu irren, indem ich sagte:,,Zweiundfünfzig!"

Er setzte die Brille langsam wieder auf, die er mit seinem Taschentuch gepußt hatte: „Danke, sehr schmeichelhaft! Ich bin fünfundsechzig!“

In diesem Augenblick kam die Frau des Hauses. Während sie Gäste hatte, merkte man niemals, daß sie sich um ihre Häuslichkeit kümmerte. Jezt aber schien sie das Abräumen überwacht zu haben. Sie setzte sich zu uns: „So, nun hat die Hausfrau ihre Pflicht getan!"

Der kleine Mann blickte sie freundlich an: „Ja, wenn du nicht wärst!" Und es klang daraus solch junge Zärtlichkeit, daß ich wohl ein erstauntes Gesicht gemacht haben muß, denn der Doktor suchte nach der Hand seiner Frau: „Ja, ja, Sie wissen nicht, was ich an der da besize; das weiß überhaupt niemand!" Dann murmelte er in sich hin

ein: Und ich werde es auch den Leuten nicht sagen."

Ich antwortete: „Warum sollten Sie es den Leuten nicht sagen ?"

Er schüttelte den Kopf: „Allzuviel Glüď nehmen die Menschlein übel! Aber der Hauptgrund ist wohl der: ich fühle nicht das Bedürfnis, es auszusprechen. Über die Jahre der Eitelkeit bin ich hinaus."

Ich lachte: „Also, Sie sind einmal eitel gewesen ?"

„Oh, gewiß! Ich habe alle Eigenschaften und Leidenschaften der Menschen besessen. Das heißt, verstehen Sie recht: die schlechten und die mittle= ren! Die großen, dazu reichte nicht mein Wuchs.“ Er lächelte wieder vor sich hin: „Ich stehe hier sozusagen als fertiger Mensch vor Ihnen, obgleich natürlich keiner fertig ist, auch in meinem Alter nicht. Aber so bin ich nicht immer gewesen. Das ist nur eine Epoche meines Lebens. Ich habe mich immer für irgend etwas erwärmt, habe darin diese und jene Erkenntnis gewonnen, dann interessierte es mich nicht mehr, ich ging zu anderem über. Einmal dauerte das fünf, einmal zehn Jahre. So habe ich eine Menge Stufen durchlaufen; na, und jezt bin ich gerade bei der Periode ..."

Er wandte sich zu seiner Frau: „Nun, Marie, wie nennen wir das ?"

"

‚Altersruhe, Philosoph sein, Müdigkeit.“ ,Sind Sie schon lange in dieser Periode, Herr Doktor?“

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Er lehnte sich zurück, schlug ein Bein über das andere und blies den Rauch seiner Zigarre von sich:,,Seitdem wir wieder in Berlin sind; das ist nun schon eine Reihe von Jahren her. Ich bin neugierig, wie es enden wird.“

Seine Frau machte eine abwehrende Bewegung: „Gar nicht wird es enden.“

Doch er ereiferte sich: „Das wäre gegen den Weltlauf. Alles währet seine Zeit. Wir haben jezt hier einen angenehmen Kreis um uns, die Möglichkeit, über alles zu reden, einen weiten Verkehr. Es wäre nun denkbar, daß aus irgendeinem Grunde dieser Kreis sich auflöste: die Leute kommen nicht mehr oder einer von uns beiden wird krank, stirbt. Man kann nicht wissen!“

Ich stand auf. Wie es hier Sitte war, wurde ich nicht einen Augenblic gebeten, zu bleiben, und ich ging mit dem Gefühl, eine Entdeckung gemacht zu haben.

*

Als ich ein paar Tage darauf wieder nach der Bellevuestraße kam, seßte ich mich allein in eine Ecke mit der Frau des Hauses, und auch sie gewann Form, Gestalt, Charakter. Sie blieb nicht mehr die mystische geborene Gräfin Degen, die Gäste hin und her zu schieben verstand und selbst

dabei verschwand. Ich sah alles mögliche: das unbestimmte Alter, das über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren hin und her schwankte, ward enger umgrenzt: sie mußte gegen Fünfzig zählen. Dann entdeckte ich, daß diese Frau gut angezogen war, teuer sogar, doch so, daß es einem nicht auf den ersten Blick auffiel.

Und ich fand noch mehr. Sie hatte eine hübsche Gestalt. Es war noch etwas Mädchenhaftes an ihr, wie es manche Frauen bewahren, denen Kinder versagt gewesen sind. Nun gewahrte ich auch, daß sie reiches, schönes Haar hatte und daß sie, die hübsch offenbar nie gewesen, doch ein paar warme, wundervolle Augen besaß.

Längere Zeit blieben wir, ohne daß sie sich um ihre Gäste kümmerte, in der Ede sizen. Mir war, als hätte ich durch den Abend, wo ich allein bei dem Ehepaar geblieben war, die Berechtigung erworben, herzlicher zu sprechen. So sagte ich angesichts der gewinnenden Freundlichkeit meiner Wirtin:,,Gnädige Frau, ich wollte Sie längst einmal etwas fragen.“

Sie sah mich lächelnd an: „Nun, bitte?“

Aber mir wurde klar, daß ich doch nicht fragen konnte, was ich wollte, nämlich:,Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, den Doktor Kulm zu heiraten? Ich umging es also: „Gnädige Frau, Sie sind doch eine geborene Gräfin Degen ?"

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