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Folglich kann das Bestreben, ein Moment des Bildungsprocesses einer Zeit in einem Kunstwerk zur Darstellung zu bringen, nicht nur kein Tadel, sondern es muß vielmehr ein Lob sein. Allein nun kommt es auf die Behandlung der Tendenz an und hier scheiden sich allerdings zwei Kunstarten. Die eine überwindet die Tendenz, die andere geht darin unter. Jene ist die ideale, diese die empirische. Jene verklärt das irdische Moment zu seiner ideellen Wahrheit, diese macht die Kunst nur zur Magd der Richtungen des Zeitgeistes. Sie predigt einen Sag, befördert eine gewisse Gesinnung, sucht eine gewisse Weltansicht zu verbreiten. Weil dieser Dogmatismus ihr vor Allem wichtig und die Kunst nur das Mittel seiner Popularifirung ist, so gewährt sie keinen reinen Kunstgenuß. Die bessern Werke, welche aus dieser Nichtung hervorgehen, können wir interessant nennen. Der heutige Feuilletonroman ist ganz Tendenz, wird im Interesse einer politischen oder socialen Partei geschrieben und ist daher auch nur zu genießen, indem er feucht aus der Preffe kommt. Nach einem Jahr ist er abgestanden. Die ideale Kunstart erreicht nun ganz dasselbe, was die im engern Sinn tendenziöse. Sie stellt eine wichtige Seite der Gegenwart dar. Allein sie weiß dieselbe zugleich von allen Schlacken der Zeitverwirrung zu reinigen, so daß uns die ewige Berechtigung der Tendenz klar wird. Der Künftler erlöst fie von der Einseitigkeit und Befangenheit, mit welcher fie in den Köpfen und Herzen der Menschen gährt. So nur wird er zu ihrem wahrhaften Aufklärer. Wer wollte aus Hermann und Dorothea die Tendenz herausleugnen? Soll diese Idylle uns nicht zeigen, wie der Mensch im Wandel der Geschichte auf sich beruhen und dem Rufe der Natur mit Treue folgen müsse, damit seine Eigenkraft mit dem, was von Außen ohne sein Zuthun an ihn kommt, fich harmonisch ausgleichen könne? Indem aber diese Idee als eine völlig wirkliche erscheint, indem scheinbar ganz gewöhnliche Menschen in ihrem Handeln und Reden sie ungesucht darstellen, so wird gerade durch dies Individuelle das, was man im abstracten, negativen Sinne Tendenz nennt, wieder aufgehoben und die ächte Idealität hervorgebracht. Die Begeis fterung, mit welcher dies Gedicht die Deutschen durchglühete, lag pon der pragmatischen Seite darin, daß dasselbe sie auf sich selbst

zurückführte, fie auf die eigene Kraft hinwies und den heiter überwindenden Muth den drohenden Gefahren entgegenstellte.

Göthe verfuhr in seiner Composition mit plastischem Sinn. Alle Gestalten des Gedichts und das ganze Local, worin sie sich bewegen, erscheinen unserm innern Auge mit vollkommenster Gegenständlichkeit. Sehen wir jedoch näher zu, mit welchen Mitteln der Dichter eine so große finnliche Deutlichkeit erreicht, so erstaunen wir über die Einfachheit derselben. Wir fragen uns verwundert, woher wir doch all' den Stoff zur Ausstattung der Figuren entnommen haben mögen, da wir fie ganz vor uns haben und im Gedicht am Ende gar nicht so viel von ihnen gesagt zu sein scheint. Aber dies ist eben die große Kunst des Dichters, daß er unsere Einbildungskraft in einen Zustand zu verseßen weiß, in welchem sie thätig wird und nach den von ihm gegebenen Anregungen mit Nothwendigkeit fortzudichten genöthigt ist. Weil das Ganze in seiner Einheit dem Dichter selbst vollständig gegenwärtig war, so wirken die wenigen Worte in ihrer anspruchslosen Schlichtheit so nachdrücklich, daß sich unwillkürlich aus den einzelnen Elementen das totale Bild auferbaut. W. von Humboldt macht in diesem Bezug mit Recht darauf aufmerksam, daß Göthe gar nicht in dem Sinne descriptiv verfahre, wie man es nach der Wirkung, die er ausübt, vermuthen sollte und wie epische Künstler, namentlich Romanschriftsteller, in der That oft verfahren, indem sie z. B. mit weitläufiger Genauigkeit die Kleidung oder Bewaffnung schildern. Als Beispiel der Göthe'schen Darstellung führt er das Bild Dorotheens an, welches auf das Lebhafteste in uns durch Hermann's Beschreibung hervorgerufen wird. Hermann soll dem Pfarrer und Apotheker angeben, woran sie wohl das Mädchen aus der Masse herauszuerkennen im Stande sein würden. Er sagt ihnen, daß Dorothea vor den übrigen hervorrage, daß ihre Bildung fie auszeichne. Das ist aber nur etwas ganz Allgemeines. Das Besondere der Unterscheidung legt der Dichter in die Beschreibung des Anzuges, weil derselbe in der That nach Außen hin am Meisten als unterscheidendes Merkmal wirkt. Allein an demselben hebt er auch wieder nur dasjenige hervor, was die Umrisse der Gestalt zu zeichnen dient. Das Haar, mit dem Pfeil durchstochen, das gefältelte saubere

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Oberhemd, welches mit zierlicher Krause den Busen umschließt, die Strümpfe, welche die Knöchel bedecken fiehe da, von Kopf bis zu Fuß steht das Mädchen in unserer Phantasie da! Das ist Dichten, das ist Kunst! Das Geficht wird gar nicht weitläufig beschrieben; nichts erfahren wir von der Nase, den Ohren, den Augen u. f. w. Das,,liebliche Eirund" des Kopfes erscheint uns dennoch in völliger Klarheit.

Hätte Göthe sich der Weise der Alten ganz anschließen wollen, so würde er auf verkehrte Weise ein Homeride geworden sein. Er mußte den modernen Standpunct der Innerlichkeit fest= halten und daher die Vertiefung der Phantasie in sich selbst ihrer exoterischen Manifestation voranstellen. Meisterhaft hat er dies dadurch erreicht, daß er die Gesinnung der Handelnden sich ausführlich entfalten läßt und nun aus dieser heraus die äußere Erscheinung sich durch viele einzelne kleine Züge ganz unmerklich, aber mit der größten Bestimmtheit, entpuppt. Während wir Mann und Frau, Vater und Sohn, Mutter und Sohn, die Freunde, den Jüngling und das Mädchen ihr Inneres aussprechen hören, schiebt sich uns zugleich das lebendigste Bild ihrer ganzen Persönlichkeit unter. Gestalt, Blick, Ton und Geberde vergegenwärtigen sich uns mit plastisch-pittoresker Entschiedenheit.

Mit außerordentlicher Kunst hat der Dichter die Natur in einzelnen Zügen mitspielen lassen. Ihr Parallelismus begleitet die Handlung mit sympathischer Symbolik. Wie schön ist der Moment, als die Liebenden am Brunnen ihr eigen Bild aus dem Spiegel des Waffers sich zurückgegeben erblicken! Wie erhaben wachsen die Gestalten der Liebenden, als sie der Stadt zuschreiten und die Sonne mit ihrem Scheidestrahl die Schatten über die Kornfelder und Weinäcker hin verlängert! Wie wird durch den draußen strömenden Regen die Selbstständigkeit Dorotheens ges hoben, welche durch ihn sich nicht abhalten läßt, die Gastlichkeit des Hauses mit der finstern Nacht, mit der unwirthlichen Landstraße zu vertauschen, um sich in ihrer Freiheit und Ehrenhaftigkeit zu erhalten!

Aber auch das sonstige Nebenwerk versteht der Genius des Künstlers so in das Ganze einzuarbeiten, daß es von Innen her alles Uebrige mitträgt und hebt. Nichts vereinzelt sich, nichts

entfremdet sich dem Mittelpunct. Die Theorie des Epos fordert bekanntlich Episoden; fie müffen aber weder dem besondern Inhalt nach zu heterogen, noch dem Umfange nach zu groß sein. zu eigentlichen Episoden war in diesem kleinen Epos gar keine Gelegenheit, nur zu episodischen Momenten. Dahin rechne ich z. B. die Erinnerung der Eltern an ihre eigene Verlobung, wie dieselbe auf den Trümmern des Hauses, das eine Feuersbrunst verzehrt hatte, ganz plöglich geschlossen ward, denn sie waren Nachbarskinder, hatten längst eine Neigung zu einander gefaßt und begegneten sich am Morgen nach dem Brande auf den rauchenden Ruinen, wo sie zur eigenen Ueberraschung plößlich den Bund ihrer Herzen schlossen. Ist dieser Vorgang nicht als eine symbolische Vorwegnahme des Geschicks von Hermann und Dorothea anzusehen, die auch plöglich sich aneinanderketten und zwar auf den Trümmern, welche der Weltbrand der Revolution umhergeschleudert hat?

Durch solche Gleichmäßigkeit der Ausarbeitung, durch die Allgegenwart gleichsam der Einen Idee in allen Theilen des Gedichts wird in uns die Wirkung hervorgebracht, daß alle übrige Objectivität uns momentan verschwindet, daß sie durch diese im Gedicht sich ausbreitende wie vernichtet erscheint. Und doch wirkt es nicht nur so gewaltig auf unsere Phantasie, sondern auch auf unser Herz. Wir fühlen uns durch seinen Genuß zu allem Schönen und Guten aufgelegter. Wir empfinden reiner für das Wohl der Mitmenschen. Wir sind von heilsamer Rührung durchdrungen und zur freudigen Thathingebung an die ewige Wahrheit hinaufgestimmt. Wie kommt dies? Offenbar durch die Seele der Humanität, die ihren keuschen Athem in jedes Glied des Ganzen aushaucht. Der Dichter scheint uns freilich in eine Ges sellschaft nur völlig unscheinbarer, geringfügiger Menschen zu bringen, allein alle wesentlichen Mächte des Lebens versammeln sich in ihnen. Die Theilung der Arbeit in den verschiedenen Ständen von der für das endlichste Bedürfniß an bis zur götts lichen Erhebung des Geistes, der ächt volksmännisch in der Ge= meinde wirkende Richter, der innige Zusammenhalt des Familienlebens, die unendliche Kraft des freien, reinen Gemüthes, die Wärme des Patriotismus, dies Alles vereinigt sich zu einem

vollständigen Bilde der Welt. Das Kleine wird so zu Ehren gebracht. Die Kleinstädterei, sonst von der Ironie preisgegeben, ist durch die Magie des Poeten zum universellen Reflex des Lebens selber geworden.

Die natürliche Tochter.

In Hermann und Dorothea schloß Göthe gewissermaaßen seinen Frieden mit der Revolution. Er erkannte sie an als eine unvermeidlich gewordene Katastrophe und waffnete sich gegen sie durch die Zuversicht, die er aus der unverwüftlichen Substanz des Menschengeistes herausnahm, der aus allen Verirrungen zum Gehorsam gegen die Geseße der Natur und zur Ausgleichung der Eigenkraft mit den von Außen auf ihn eindringenden Veränderungen sich zurückgewiesen sieht. Doch sollte ihm die Revolution noch nachgehen. Die siegreiche Thätigkeit Schillers im Drama trug auch wohl das Ihrige dazu bei, ihn zu bewegen, noch einmal zur dramatischen Form zurückzukehren. Auch überzeugte er fich, daß seine früheren auf die Revolution sich beziehenden Dramen dem Ernst der Sache nicht genugsam angemessen waren. Die Erzählungen der Ausgewanderten aber so wie Hermann und Dorothea waren mehr ein realer Antagonismus gegen die Folgen der Revolution. So entschloß er sich denn, Alles, was er über das ungeheure Ereigniß seit einer Reihe von Jahren gefühlt und gedacht hatte, in ein einziges Werk zusammenzufassen. Dies Werk sollte eine dramatische Trilogie werden.

Bevor ich näher darauf eingehe, muß ich über die äußere Entstehung desselben etwas erinnern. Es ist sonst ziemlich gleichgültig, woher ein Dichter den sogenannten Stoff nimmt, denn wenn er ihn nicht selbstständig wiederschafft oder umschafft, so ist er doch kein Dichter. Bei den Göthe'schen Dichtungen hat man die reale Grundlage fast überall bis zu den ersten Anfängen hin verfolgt. Das Resultat solcher Forschungen ist gewöhnlich das Anerkenntniß des Dichters, daß er doch aus dem Gegebenen etwas ganz Anderes gemacht habe. So hat man den Stoff für

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