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wachsen ist, auch noch auf der Stufe seines Verfalls als eine Gunst für sich, und scheint immer einer natürlicheren und freieren Wirkung dadurch gewiß zu sein, während die Prosa, bei aller ihrer Ausdehnungsfähigkeit, doch von den Verhältnissen des bestehenden Gesellschaftsgeistes eingeschlossen und bedingt wird.

Im Allgemeinen aber muß man sagen, daß die dynamische Verschiedenheit von Poesie und Prosa sich in der Literatur ausgeglichen, und die alten Vorurtheile gegen das Prosaische der Prosa erinnern uns nur noch an Hippel's scherzhafte Theorie von Poesie und Prosa, die er einmal in seinem Buch über die Ehe giebt, und die wir, als eine gute Ironie auf ästhetische Definitionen, hieher sehen wollen: „Ehrsamer Freund, willst Du wissen, ob Dein fähiger Sohn in Prosa oder in Versen Palmen brechen wird? Recipe: ein Glas Medizin, davon alle Stunden sechszig Tropfen in beliebigem Getränk zu nehmen. Laß ihn selbst dieses auspunctirte Maaß messen; tröpfelt er, so ist er ein flügellahmer Prosaist; läßt er laufen und zählt während dieses Plagregens eins, zwei, drei bis sechszig, so ist er ein Poet; kann er mit diesem Löffel, dem er sechszig zugezählt hat, gleich essen, so könnte. er, wenn es sein Verleger und er wollten, methodo mathematica schreiben; kann er aber in vierundzwan

zig Stunden diesen Löffel nicht sehen, so ist er ein Liederdichter; kann er in sechs Tagen ohne kalten Schauder keinen solchen Löffel brauchen

zieh' ihn

danach, und wenn das Glück gut ist, wird er Homer!"

VIII. Allgemeiner Charakter der deutschen Profa.

Die Emancipation der Prosa, wofür man ihre innere Gleichstellung mit der Poesie oder vielmehr ihre bloß dem Gedanken folgende Darstellungsfreiheit ansehen könnte, ist in der deutschen Literatur noch nicht seit lange erreicht, keineswegs aber schon zu einer allgemeineren Durchbildung, selbst bei den Schriftstellern, vorgeschritten. Unter deutscher Profa hatte man sich sonst ein schwerlöthiges, vierundzwanzigpfündiges Geschüß vom gröbsten Kaliber zu denken, das mit einem Langgespann von sechs Pferden rumpelnd in die Schlacht gezogen wurde; oder einen in tiefen Sandspuren langsam fortkeuchenden, uckermärkischen Frachtwagen, der mit Säcken, Kisten und Fässern aller Art so vollbepackt dahintrollt, daß man den Muth verliert, ihn anzuhalten, und das, was

man von ihm haben möchte, aus seiner Ladung her. auszuframen. Die deutsche Prosa war in ihrer Entstehung etwas Wissenschaftliches, eine Production der Gelehrsamkeit, eine Abstraction aus den Alten, sie wurde nicht durch die Bedürfnisse des öffentlichen Lebens, noch durch gesellschaftliche Reize und Anlässe, hervorgerufen und gefärbt. Ihre Grundbildung fällt in die Wiederherstellung der Wissenschaften in Deutschland, und diese Elemente eines gelehrten, besonders aber latinisirenden Saßgefüges, das einen durchgängig wissenschaftlichen Anflug und keinen einzigen gesellschaftlichen hat, sind sehr lange an ihr haften geblieben, auch in die Schreibweise des Privatlebens, in den Stil des Volkes, unbewußt übergegangen. Man kann annehmen, daß die meisten Schreibenden ihren Stil aus dem Schulunterricht in den antiken Sprachen, namentlich aus den Lehrstunden im Cicero, eingesogen haben. Daher ein deutscher Stil,, der eigentlich auf den Periodenbau einer fremden Sprache gegründet ist, ohne die vielen hülfreichen Constructionen derselben, die absoluten Säße, die von schleppenden Artikeln unbeschwerte Flerion, für die Saßbildung nußen zu können. So ist jenes ins Unendliche sich verlaufende Einschachtelungssystem in unsere Schreibart gekommen, das dem grammatischen Or

ganismus der deutschen Sprache völlig widerstrebt, und nur in den antiken, welche für die Periodistrung so viele Vortheile befizen, den Zweck einer imposanten Schönheit zu erreichen vermag. Im Allgemei nen ist dem Deutschen sein Stil eine schon fertige Form, ein gemauertes Gefäß, in das er irgend einen Inhalt hineingießt, keine Sinnpflanze, die mit dem Gedanken aufwächst und abblüht. Die Deutschen sind eine schreibende Nation genannt worden, und doch war bei keinem andern Volk die schöne Kunst zu schreiben von so zäher Barbarei so lange zurückgehalten. Eine Sprache, die viel gehört wird, gelangt jedoch weit eher dazu, auch gut geschrieben zu werden, und eine bloß geschriebene, wie die deutsche, welche sich ganz dem Ohr entzieht und der freieren öffentlichen Gelegenheiten entbehrt, fällt von selbst dem Studirstubencharakter, dem Kanzlei- und Predigerstil, dem altfränkischen Menuettschritt steifverschlungener Säße, anheim. Der Deutsche schreibt nicht, um zu sprechen, sondern man sieht immer, daß er sich eigens dazu an den Tisch seßt, um zu schreiben, wie ein Drechsler an die Hobelbank; man sieht ihn an seinen Säßen zimmern im Schweiß seines Angesichtes, alles mögliche Bauholz herbeischleppen und ein Perioden - Magazin aufführen, in dem vicle

Ideen hausen können, das aber selber keine gestaltete Idee ist und wird. Am schlimmsten steht es jedoch mit der Schreibsprache des gemeinen Mannes in Deutschland, dem gänzlich eine öffentliche Norm guter Rede, woran er den Ausdruck seiner Bedürfnisse erheben und veredeln könnte, abgeht, mit Ausnahme etwa der Eindrücke, die er aus der Kirche und von der Kanzel empfängt. Deshalb stimmen auch Leute aus der niedern Volksklasse, wenn sie Briefe schreiben, so häufig einen erbaulichen Ton darin an, und bedienen sich salbungsvoller Redensarten, die ihnen vielleicht im wirklichen Leben völlig fremd find; aber es scheint ihnen einmal mit dazu zu gehören, wenn sie sich in die absonderliche Positur des Schreibens feßen. Noch häufiger trifft man, daß sie der Gegenstände ihrer Gedanken, mögen sie auch noch so lebhaft davon erfüllt sein, im Schreiben durchaus nicht Herr werden können, weil ihnen die Mittel des Schreibens etwas zu getrennt Liegendes von der Vorstellungswelt sind, und die nationelle Sitte nichts Verbindendes und Gewöhnendes an die Hand giebt, um die Kluft zwischen den Vorstellungen und ihrem geregelten Ausdruck dem Volke überspringen zu helfen. So möchten die Deutschen vielleicht die einzige Nation sein, die einen Brieffteller für Liebende"

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