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X. Die Sahbildung und der Gedanke.

Die Sazbildung ist das gestaltete Leben des Gedankens, seine Gliederfülle selbst. Die deutschen Schriftsteller haben sich mit ihren Perioden viel zu große Mühe in äußerer, und viel zu wenig in innerlicher Beziehung gegeben. Stände ein höheres gesellschaftliches Element in Wechselwirkung mit unserer Schreibart, so hätte sie nie zu klagen gegeben über die meilenlangen Perioden, die man kaum auf dem Papier mit dem Auge, geschweige denn mit dem geistigeren Organ, dem Ohr, übersichtlich auffassen kann. Denn der menschliche Gehörsumfang, auf den bei der Sahbildung Rücksicht genommen werden sollte, ist beschränkt. Das Ohr kann bekanntlich in einer Secunde nicht mehr als neun Töne von einander unterscheiden, und verlangt folglich, daß ihm Das, was es klar aufnehmen und zu geistigen Eindrücken verarbeiten soll, in bestimmt und gedankengemäß abgetheilten Pausen überliefert werde. Dies ist das innerliche Element von Musik, die Musik des Gedankens, worauf jede ächte Sazbildung sich stüßen muß. Die Perioden, die Pausen des Gedankens, dürfen diesem musikalischen Geseß nicht zuwider han

deln, ohne auch des Gedankens Harmonie und Wirksamkeit zu zerstören.

Die innere Tonart einer jeden Darstellung, die aus der melodiegebenden Seele des Inhalts entspringt, muß vornehmlich die Sagbildung als das Nothwendige bedingen. Es giebt langsame und schnelle Tonarten des Gedankens. Im ersten Falle finden sich gehaltene, künstlichere und verschlungene Periodenreihen ein, das Epische und Pathetische herrscht vor; im andern kürzere, gedrängte, schlagfertige mit wenigstem Zwischensaß, ein drastischer Effect wird erstrebt. Beiderlei Tonarten werden sich fast in jeder Darstellung neben einander geltend machen, obwohl von der organischen Verschiedenheit der Sprachen abhängig und bedingt. Der gesellschaftliche Charakter der französischen Sprache, ihre praktische Lebendigkeit, haben darin vornehmlich die kürzere, im raschen Moment wirkende Sazbildung begünstigt, weitaussehende Periodenverwickelung duldet der gesprochene Ausdruck der ganzen Darstellung nicht. Die deutsche Sprache, weil sie mehr eine geschriebene ist, neigt schon dadurch zu einer größeren Verschlungenheit, einer überlegten und planmäßigen Periodisirung hin. Ist der französische Sag ein leichtgebildeter Weltmann, so ist der deutsche Periodenbau ein geistreicher

Sonderling, dem auf seinem Gesicht ein einsames und vielfältiges Brüten steht. In demjenigen Stil aber, der nur vom Gedanken beherrscht wird, kann die allzucomplizirte und gelehrte Periodenlagerung, der auch auf der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache viel organisch Hinderliches entgegensteht, fortan fein gültiger Schematismus mehr sein, eben weil sie nichts ist als ein Schematismus. Einige Worte des Grafen Schlabrendorf, in seinen Bemerkungen über die Sprache, bezeichnen den allgemeinen Unterschied zwischen französischer und deutscher Sahbildung fehr treffend auf folgende Weise:,,Die Kürze der französischen Perioden hat den Vortheil, daß sie die Aufmerksamkeit des Lesers oder Hörers, ohne ihn lange warten zu lassen, fast ebenso schnell befriedigt als erregt. Der Franzose fordert Klarheit. Da sich ihm ein größeres Ganzes nicht überschaulich darbietet, ein zu mächtiger Bissen seine Ungeduld reizt, hilft ihm die Sprache und giebt ihm die Sache theelöffelweis. Die längern deutschen Perioden fügen sich der Wißbegier des Hörers nicht so gefällig; aber sie haben den Vortheil, indem sie die Aufmerksamkeit festhalten, das Nachdenken zu vers größern, und im gleichzeitigen Zusammenfall mehrer Gedanken einen Gesammtgedanken zu erzeugen, def

sen der Franzose entbehrt. Ich möchte sagen, im Genius der deutschen Sprache waltet, um ein Bild von der Musik zu entlehnen, mehr die Harmonie vorwaltend; im Genius der französischen, die Melodie."

Die Harmonie, welche in der Musik eine Totalwirkung mehrerer einzelner Reihen von Sägen und Gegensäßen, eine Combination der Accorde und Intervalle ist, dürfte jedoch, in aller Ausdehnung ihres Begriffs auf die deutsche Periodenbildung angewandt, meistentheils nur ein mißlautendes und verworrenes Concert abgeben. Wie große und imposante Wirkungen auch in manchen Tonarten der Darstellung durch weitumfassende Sazgebilde erreicht werden können, so hat doch unsere Sprache in ihren grammatischen Formen die Fähigkeit eingebüßt, etwas Vollendetes und Kunstgemäßes darin zu leisten. Die absoluten Genitive, die im Altdeutschen entschieden vorhanden waren, sind ein Verlust für unsere heutige Syntar, der nicht genug beklagt werden kann, denn ohne absolute Constructionen läßt sich kein freieres Saßgefüge aus vielverschlungenen Perioden bilden. Radlof schrieb im Jahre 1812 eine „Aufforderung an alle denkende Schriftsteller, die Wiedereinführung der absoluten Genitive aus dem Altdeutschen betref

fend,"*) doch wie soll man eine dem Leben der Sprache entwichene Form durch Verabredung oder Vorsaz wieder bannen? Viele An- und Nachklänge von jenem absoluten Genitiv finden sich noch heut in unserm modernen Sprachgebrauch, z. B. unverrichteter Sache abziehen, stehenden Fußes, stante pede, ein Zeichen, daß es in der Natur unserer Sprache liegt, bei absoluten Constructionen den Genitiv`zu wählen', obwohl der urkräftigen Biegungsfülle des Gothischen auch absolute Dative eigen sind. Von Beispielen absoluter Genitive, die Radlof aus älteren Schriften, bis zur Zeit des dreißigjährigen Krieges', und auch noch aus neuern Ueberbleibseln des Kanzleistils, gesammelt hat, mögen hier einige stehen: ,,Der Sündfluß Noä, da die ganze Welt ersäuft ward, ausgeschloffen Noä mit seinen drei Söhnen," Luther; unangesehen desselben Vertrags, unterstund sich der Kunig," im Wiß Kunig; ,, abgerechnet der Offiziere und Unter-Offizieren, werden die Gemeinen dem 13. Regiment zugewiesen," bayerische Verordn. vom Jahre 1805

*) Zuerst im Literarischen Verkündiger, München 1812. Nr. 49 51. und dann in seinen Teutschkundlichen Forschun

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gen und Erheiterungen, Bd. I. S. 41 fy.

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