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wahrhaft rührend, mit welchem Ernste der treffliche Mann die ihm unentbehrlich scheinenden Sätze der stoischen Ethik und Theologie zu einem schlichten Systeme praktischer Lebensweisheit vereinigt und sie in fast ermüdender Wiederholung sich immer und immer wieder einschärft. Die Stoa war ihm aufrichtigste Herzenssache, ihre Philosophie seine Religion. Ohne sie wäre er vielleicht ein weltklügerer, kräftigerer Herrscher geworden, schwerlich aber ein edlerer. Er war ein glänzendes Meteor am Abendhimmel seiner Schule, die bald nach seinem Erlöschen, wie alle übrigen Philosophenschulen, der Auflösung entgegenging. Aber dem Geiste dieser Schule verdankt er es auch, dass sein Gedächtnis in der Geschichte der Humanität mit unverlöschlichen Zügen eingeschrieben ist.

,,Es wird sein Name durch die Zeiten glänzen
,,Und Lorbeer unverwelklich ihn umfah'n.
,,Geschlechter kommen, Völker flieh'n dahin,
,,Und unaufhaltsam eilt der Menschheit Strom;
,,Doch wenn Jahrtausende hinabgesunken:
,,Noch wird man reden von den goldnen Tagen,
,,Da auf dem höchsten Thron ein Weiser safs,
,,Der, ungeblendet durch des Purpurs Glanz,
,,Der lichten Göttin treuer Priester blieb,
,,Und all' die Völker seines weiten Reichs
,,Nach ihrem Wink auf Friedens Pfaden lenkte." *)

*) Gg. Längin: Marc. Aurel; Trauerspiel 58.

XV. Stoicismus und Christentum.

Die Stoiker konnten auf das Jahrhundert zwischen 65 und 165 n. Chr. mit gröfster Befriedigung zurückblicken. Damals waren sie für die massgebenden Kreise Gegenstand der Furcht, der Abneigung, der Verfolgung; jetzt safs der Ihrigen einer auf dem Throne der Cäsaren. Damals war ,, schon der Name der Philosophie verhafst genug" *) und Seneca musste seine Glaubensgenossen im Interesse ihrer persönlichen Sicherheit wie der Sache selbst ausdrücklich warnen, alles Auffällige in Kleidung und Lebensweise doch ja zu vermeiden; jetzt gehörte es zu den Liebhabereien des Beherrschers der Welt, sich in den stoischen Philosophenmantel zu hüllen. Der Stoicismus war zum Bekenntnisse des Mächtigsten auf Erden geworden. Er sah sich jetzt nicht blofs geduldet, sondern als weitaus vornehmste und einflussreichste Philosophie hochgeehrt. Die hervorragenden unter seinen Vertretern wurden mit Ehren und Würden überhäuft. Tausende und abertausende scharten sich aus lauteren, vielfach auch aus unlauteren Beweggründen unter sein Panier. Allein der Höhepunkt seines Glanzes war auch der Abschlufs seiner Entwicklung. Mit einer letzten berauschenden Scene hatte er seine Rolle ausgespielt. Er versank rasch in Bedeutungslosigkeit und

Seneca, 5. Brief.

Weygoldt, Philosophie der Stoa.

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erlag dann, wie alle übrigen Philosophien, dem siegreichen Vordringen des Christentums.

Leider hat er sich noch auf dem Gipfel seines Glückes in der Leidensgeschichte der jungen Kirche dadurch ein unvorteilhaftes Denkmal gesetzt, dass Marcus Aurelius eine blutige Verfolgung über die Bekenner Jesu verhängte. Ums Jahr 166 wurde Justinus, der in seiner Jugend bei den Philosophen Befriedigung gesucht, aber erst im Christentum gefunden hatte, in Rom gegeisselt und enthauptet. Im folgenden Jahre wurde in Smyrna der greise Bischof Polykarpos, der letzte aus dem apostolischen Zeitalter, auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er Christo, dem er ein langes Leben hindurch gedient hatte, nicht fluchen wollte. Noch blutiger waren die Verfolgungen in Lyon und Vienne, wo im Jahre 177 ebenfalls ein hochangesehener Bischof hingerichtet wurde und wo die Leiber der Erschlagenen haufenweise in den Strafsen lagen, bis man sie verbrannte und ihre Asche in die Rhone streute. Doch wäre es thöricht, den Stoicismus.. als solchen für diese Greuel verantwortlich zu machen. Die christlichen Gemeinden wurden seit Trajanus zu den Verbindungen gezählt, die durch ein Reichsgesetz als staatsgefährlich verboten waren. Indem Marcus Aurelius gegen die Anhänger der neuen Lehre vorging, handelte er also in Gemässheit einer Staatsräson, die der altrömisch gesinnte Monarch gegenüber der,,Widersetzlichkeit" *) der die Staatsreligion verneinenden

*) Selbstgespräche XI. 3.

Christen für durchaus berechtigt halten durfte und die gerade die besseren Kaiser wie aufser ihm Trajanus, Decius, Diocletianus mit aller Strenge glaubten durchführen zu müssen. Gleichwohl bleibt es ein dunkler Fleck im Charakterbild des sonst so edlen Mannes, dafs der politische Eifer des Kaisers nicht auch in diesem Falle, wie ja sonst überall, durch die Milde des alles begreifenden und verzeihenden Philosophen menschlich eingegrenzt worden ist.

Diese Milde wäre ja schon durch den Umstand angezeigt gewesen, dass, abgesehen vom späteren Platonismus, keines der verschiedenen philosophischen Systeme dem Christentum so nahe stand als das stoische.

Stoicismus und Christentum ähneln sich schon äufserlich darin, dass ihre Stifter in räumlich nahe gerückten Orten aufwuchsen, dafs die nächsten Nachfolger derselben sich weder durch Reichtum und hohe Abkunft noch durch geistige Bedeutung auszeichneten, dafs die Durchbildung und Ausbreitung der ursprünglichen Lehre erst durch Männer erfolgte, die beide - ich spreche von Chrysippos und Paulus kaum einige Meilen von einander geboren sind, beide den persönlichen Unterricht ihrer Meister nicht mehr genossen haben und beide sich ebenso in wissenschaftlicher Ausrüstung, in dialektischer Schärfe des Gedankens und im Feuereifer für ihre Sache gleichen wie in ihrer einfachen Lebensweise und in der Schwächlichkeit ihres Körpers.

Belangreicher sind die Übereinstimmungen in Lehre

und Leben. Hätte Marcus Aurelius den Wandel der Christen eingehend beobachtet und zugleich ihren Glaubensinhalt so genau gekannt, wie er uns heute geläufig ist, so hätte er,. nachdem er doch einmal ein Freund der Selbstgespräche war, vor Veröffentlichung seines Blutbefehls vermutlich etwa folgendes,, Selbstgespräch" gehalten: ,,Diese Leute", hätte er sich als Stoiker und Römer gesagt,,,gingen allerdings aus jenem hassenswerten Volke der Juden hervor, dem, wie unser trefflicher Tacitus *) bemerkt hat, alles gemein ist, was bei uns als heilig gilt, und umgekehrt alles erlaubt, was wir als unrein verabscheuen. Sie leugnen und bekämpfen ferner die Götter des römischen Staates und würden dadurch, wenn sie den Sieg behielten, die fast tausendjährige Ordnung des Weltreiches in ihren Grundfesten erschüttern. Aber sie haben doch auch manches, was dir als Stoiker gefallen muss. Sie glauben, wie im Grunde ja auch du, an Einen Gott, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, und dieser Gott ist wie der deinige allwissend und allgütig; er ist zugleich die Vorsehung, die alles nach vernünftigen Gesetzen lenkt und regiert. Sie glauben wie du auch an einen zeitlichen Anfang der Welt und wenn sie von der Vergänglichkeit der Erde sprechen und von einem Gerichtstage, der eine neue Ordnung der Dinge heraufführen werde, so hat das eine unverkennbare Ähnlichkeit mit deiner Annahme eines Weltbrandes und einer darauffolgenden Wiederbringung

*) Historien V. 4.

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