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Bedingungen des menschlichen Erkennens zu untersuchen und andrerseits aus der gewonnenen Welt- und Selbsterkenntnis wissenschaftlich verarbeitete Folgerungen für das praktische, sittliche Leben zu ziehen. Ihrer Naturphilosophie fehlt, um es kurz zu sagen, die Ergänzung durch eine Erkenntnislehre und eine Ethik.

Allerdings haben sie diese wichtigsten Seiten aller Philosophie nicht gänzlich übersehen. So klagt schon Herakleitos, dafs die Menschen,, den Augen mehr trauen als der Vernunft *), obschon jene nicht fähig seien, die gegenständliche Welt zu beurteilen." Und scharf genug unterscheidet auch Parmenides die sinnliche Wahrnehmung, welche den trügerischen Schein des Vielen und des Werdens erzeuge, von der Vernunfterkenntnis, die allein fähig sei, das Seiende zu begreifen. Allein dieser Zweifel an der Wahrheit der Sinneswahrnehmung, der mehr oder weniger alle Philosophen vor Sokrates beherrscht, hat doch keinen dieser Männer abgehalten, diese Erkenntnisquelle thatsächlich mit grofsem Vertrauen zu behandeln, und umgekehrt hat ihre Einsicht, dafs nur das aus der Vernunft geschöpfte Wissen glaubwürdig sei, sie nirgends zu einer kritischen Erörterung über das Wesen dieser Erkenntnisform geführt. Was sie in dieser Hinsicht geben, sind gelegentliche Äufserungen, die nur als Ausdruck ihrer zufälligen Beobachtung und Erfahrung, nirgends als das Ergebnis einer zu diesem

Nach Pseudo-Hippokrates: Von der Diät I. 4.

Zwecke unternommenen ernsten wissenschaftlichen Forschung uns entgegentreten.

Und ähnlich verhält es sich auch mit ihren ethischen Vorstellungen. Pythagoras stiftete zu Kroton in Unteritalien einen Geheimbund, der sich ethischpolitischen Bestrebungen hingab und infolge der ernsten sittlichen Haltung, die er von seinen Mitgliedern verlangte, eines weit verbreiteten Rufes genofs. Indes ist die pythagoreische Ethik nur eine Summe zufälliger Lebensregeln, die neben den wissenschaftlichen Sätzen der Schule hergehen, ohne deren notwendige Folge zu sein. Herakleitos seinerseits spricht der grofsen Masse wie das vernünftige Erkennen so auch alles vernünftige Handeln ab. Er tadelt ihren Übermut und fordert Unterwerfung unter das Gesetz des Ganzen, wodurch allein der Mensch zur wahren Zufriedenheit gelange. In dieser Zufriedenheit nun könnte, um in der Sprache der Späteren zu reden, die Idee eines höchsten Gutes erblickt werden und in der Hingabe an das Allgemeine das Mittel, dieses Gut zu erreichen. Allein er bewegt sich bezüglich des Verhältnisses der einzelnen zum Ganzen so sehr nur in allgemeinen, wenig fruchtbaren Redensarten und bietet. der hart getadelten Mehrheit der Menschen so wenig positive Anhaltspunkte zum richtigen Handeln, dass auch bei ihm nur von schwachen Keimen zu einer Ethik, nicht von einer Ethik selbst gesprochen werden kann. Wenn ihm trotzdem Neuere *) in dieser Hin

*) Th. Ziegler, Gesch. d. Ethik I. 33.

sicht Verdienste beizumessen geneigt sind, so sollte schon der Umstand abmahnen, dass auch die spätere Philosophie der Griechen nur mit dem Physiker Herakleitos etwas anzufangen wusste, aber so gut wie nichts mit dem Ethiker. Viel höher scheint Demokritos zu stehen, der die Gefühle der Lust und Unlust zum Mafsstab des Nützlichen und Schädlichen macht, also die Glückseligkeit ausdrücklich in das Innere des Menschen verlegt und zur Erreichung derselben durch eine Unsumme praktischer Winke anleitet. Allein einerseits ist die reichste Sammlung von Lebensregeln als solche noch lange keine wissenschaftliche Ethik, andrerseits fällt die Blüte des,,lachenden " Sonderlings von Abdera ja schon ganz in die Zeit, welche im Gegensatz zur älteren Naturphilosophie nicht die äufsere Welt, sondern den Menschen selbst in seiner doppelten Eigenschaft als erkennendes und als wollendes Wesen zum vornehmsten Gegenstand der Forschung gemacht hatte.

Der Mann, der diese Reform vollzog, war Sokrates von Athen.

Ihmzufolge fragt es sich in erster Linie nicht: ,,Wie ist das Weltgebäude mit seinen Gesetzen zu erklären?" sondern:,,Wie mufs unser Denken zuwerke gehen, damit seine Ergebnisse Anspruch auf objektive Wahrheit erheben können?" Und wichtigster Gegenstand der philosophischen Untersuchung ist ihm überhaupt gar nicht das Weltgebäude, sondern der Mensch mit seinen praktisch-sittlichen Aufgaben. Die Wendung, die Sokrates einleitete, wird deshalb von

Cicero *) zutreffend gekennzeichnet, wenn er sagt: ,,Er zuerst hat die Philosophie vom Himmel herabgerufen, in die Städte verpflanzt und in die Häuser eingeführt und genötigt, über das Leben und die Sitten, die Güter und Übel nachzuforschen."

Fragen wir zunächst nach dem Zustandekommen unserer Erkenntnisse, so hatten sich seine Vorgänger, wie schon erwähnt, trotz ihrer instinktiven Abneigung gegen die Aussagen unserer Sinne doch fast nur auf dieses wankende Fundament gestützt und es war ihnen nicht eingefallen, zunächst die Berechtigung und Tragfähigkeit dieses Fundamentes gründlich zu prüfen. Ihr Standpunkt war, kurz gesagt, der philosophische Dogmatismus, der selbstverständlich auf die Dauer nicht genügen konnte und thatsächlich auch den durch die Sophisten wachgerufenen Bedenken sehr rasch erlag. Gegenüber ihren nur scheinbaren Einsichten strebte nun Sokrates nach einem Wissen, das nicht auf geistreichen Vermutungen, sondern auf klaren, adäquaten Begriffen beruht und deshalb auch schlechterdings wahr sein mufs. Er untersuchte zu diesem Zwecke seinen Gegenstand nach allen Seiten, wog alle Für und Wider sorgfältig und mit kritischer Umsicht gegen einander ab und gelangte dadurch zu Vorstellungen, die nicht in der Luft standen, sondern das Wesen der Dinge scharf wiedergaben. Die Forderung einer solchen allseitig kritischen Erörterung, die heutzutage selbstverständlich erscheint, damals

*) Tusc. V. 4.

aber völlig neu war, bezeichnet in der Geschichte der Philosophie den Beginn einer Umwälzung, wie sie nicht grösser gedacht werden kann. Allen unerwiesenen Voraussetzungen, aller Unklarheit und Halbheit war durch diese scharfe Begriffsbestimmung der Glaube gekündigt, und das vorurteilsfreie und rücksichtslos nach Wahrheit forschende Denken war erst jetzt in seine unveräusserlichen Rechte eingesetzt gegenüber der philosophischen Dichtung und den Wahnvorstellungen, die sich von jeher dem Menschen als fertige Wahrheit aufzudrängen pflegten. Sokrates wurde der Reformator der wissenschaftlichen Methode und damit der Begründer einer neuen philosophischen Ära, die schon bald nach ihm Denker allerersten Ranges, einen Platon und einen Aristoteles, hervorbrachte. Mochte auch der spätere Verlauf der philosophischen Entwicklung noch viele Beispiele einer seichten Hypothesenmacherei liefern, ja mochten ganze Zeitalter unter dem Banne kritiklos hingenommener, aller Begründung entbehrender Gedankenreihen stehen, die sokratische Forderung des klaren begrifflichen Wissens ist der Menschheit unverloren geblieben. Sie ist der Anstofs auch zu der induktiven Methode geworden, der gerade unser Jahrhundert so hohe wissenschaftliche Triumphe verdankt.

Fragen wir andrerseits nach dem Gegenstande der sokratischen Forschung, so war es nicht die Natur, deren Betrachtung er vielmehr für wertlos gehalten haben soll, sondern der Mensch mit seinen sittlichen Zwecken und praktischen Aufgaben. ,, Er sprach

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