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derei. Sedesmal wenn er sprach, ward mir flau zu Muthe und zitterte meine Seele. Aus Verzweiflung warf ich mich in ein Gespräch mit meinem Tischnachbar, und indem ich dem Schrecklichen recht ängstlich den Rücken zukehrte, sprach ich auch so selbstbetäubend laut, dass ich die Stimme desselben endlich nicht mehr hörte. Mein Nachbar war ein liebenswürdiger Mann, von dem vornehmsten Anstand, von den feinsten Manieren, und seine wohlwollende Unterhaltung linderte die peinliche Stimmung, worin ich mich befand. Er war die Bescheidenheit selbst. Die Rede floss milde von seinen sanftgewölbten Lippen, seine Augen waren klar und freundlich, und als er hörte, dass ich an einem kranken Zahne litt, erröthete er und bot mir seine Dienste an. Um Gotteswillen, rief ich, wer sind Sie denn? Ich bin der Zahnarzt Meier aus Sankt Petersburg," antwortete er. Ich rückte fast unartig schnell mit meinem Stuhle von ihm weg, und stotterte in großer Verlegenheit: Wer ist denn dort oben an der Tafel der Mann im aschgrauen Rock mit blizenden Spiegelknöpfen? „Ich weiß nicht,“ erwiderte mein Nachbar, indem er mich befremdet ansah. Doch der Kellner, welcher meine Frage vernommen, flüsterte mir mit großer Wichtigkeit ins Ohr: „Es ist der Herr Theaterdichter Raupach.“

Zweiter Brief.

Oder ist es wahr, dass wir Deutschen ..wirklich kein gutes Lustspiel producieren können und auf ewig verdammt sind, dergleichen Dichtungen von den Franzosen zu borgen?

Ich höre, dass ihr euch in Stuttgart mit dieser Frage so lange herumgequält, bis ihr aus Verzweiflung auf den Kopf des besten Lustspieldichters einen Preis gesezt habt. Wie ich vernehme, gehörten Sie selber, lieber Lewald, zu den Männern der Jury, und die. I. G. Cotta'sche Buchhandlung hat euch so lange ohne Bier und Taback eingesperrt gehalten, bis ihr euer dramaturgisches Verdikt ausgesprochen. Wenigstens habt ihr dadurch den Stoff zu einem guten Lustspiel gewonnen.

Nichts ist haltloser als die Gründe, womit man die Bejahung der oben aufgeworfenen Frage

zu unterstüten pflegt. Man behauptet z. B., die Deutschen besäßen kein gutes Lustspiel, weil sie ein ernstes Volk seien, die Franzosen hingegen wären ein heiteres Volk und desshalb begabter für das Lustspiel. Dieser Satz ist grundfalsch. Die Franzosen sind keineswegs ein heiteres Volk. Im Gegentheil, ich fange an zu glauben, dass Lorenz Sterne Recht hatte, wenn er behauptete, sie seien viel zu ernsthaft. Und damals, als Yorick seine sentimentale Reise nach Frankreich schrieb, blühte dort noch die ganze Leichtfüßigkeit und parfümierte Fadaise des alten Regimes, und die Franzosen hatten im Nachdenken noch nicht durch die Guillotine und Napoleon die gehörigen Lektionen bekommen. Und gar jetzt, seit der Juliusrevolution, wie haben sie in der Ernsthaftigkeit, oder wenigstens in der Spaßlosigkeit die langweiligsten Fortschritte gemacht! Ihre Gesichter find länger geworden, ihre Mundwinkel sind tiefsinniger herabgezogen; sie lernten von uns Philo= sophie und Tabackrauchen. Eine große Umwandlung hat sich seitdem mit den Franzosen begeben, sie sehen sich selber nicht mehr ähnlich. Nichts ist kläglicher als das Geschwätze unserer Tentomanen, die, wenn sie gegen die Franzosen losziehen, doch noch immer die Franzosen des Empires, die sie in Deutschland gesehen, vor Augen haben. Sie denken nicht dran,

Heine's Werke. Bd. XI.

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dass dieses veränderungslustige Volk, ob dessen Unbeständigkeit sie selber immer eifern, seit zwanzig Jahren nicht in Denkungsart und Gefühlsweise stabil bleiben konnte!

Nein, sie sind nicht heiterer als wir; wir Deutsche haben für das Komische vielleicht mehr Sinn und Empfänglichkeit als die Franzosen, wir, das Volk des Humors. Dabei findet man in Deutschland für die Lachlust ergiebigere Stoffe, mehr wahrhaft lächerliche Charaktere, als in Frankreich, wo die Perfifflage der Gesellschaft jede außerordentliche Lächerlichkeit im Keime erstickt, wo kein Originalnarr sich ungehindert entwickeln und ausbilden kann. Mit Stolz darf ein Deutscher behaupten, dass nur auf deutschem Boden die Narren zu jener titanenhaften Höhe emporblühen können, wovon ein verflachter, früh unterdrückter französischer Narr keine Ahnung hat. Nur Deutschland erzeugt jene kolossalen Thoren, deren Schellenkappe bis in den Himmel reicht und mit ihrem Geflingel die Sterne ergött! Lasst uns nicht die Verdienste der Landsleute verkennen und ausländischer Narrheit huldigen; lasst uns nicht ungerecht sein gegen das eigne Vaterland!

Es ist ebenfalls ein Irrthum, wenn man die Unfruchtbarkeit der deutschen Thalia dem Mangel an freier Luft oder, erlauben Sie mir das leicht

sinnige Wort, dem Mangel an politischer Freiheit zuschreibt. Das, was man politische Freiheit zu nennen pflegt, ist für das Gedeihen des Lustspiels durchaus nicht nöthig. Man denke nur an Venedig, wo, trotz der Bleikammern und geheimen Erfäufungsanstalten, dennoch Goldoni und Gozzi ihre Meisterwerke schufen, an Spanien, wo, troß dem absoluten Beil und dem orthodoxen Feuer, die köstlichen Mantel- und Degenstücke gedichtet wurden, man denke an Molière, welcher unter Ludwig XIV. schrieb; sogar China besigt vortreffliche Lustspiele . . . Nein, nicht der politische Zustand bedingt die Entwicklung des Lustspiels bei einem Volke, und ich würde Dieses ausführlich beweisen, geriethe ich nicht dadurch in ein Gebiet, von welchem ich mich gern entfernt halte. Ja, liebster Freund, ich hege eine wahre Scheu vor der Politik, und jedem politischen Gedanken gehe ich auf zehn Schritte aus dem Wege, wie einem tollen Hunde. Wenn mir in meinem Ideengange unversehens ein politischer Gedanke begegnet, bete ich schnell den Spruch

Kennen Sie, liebster Freund, den Spruch, den man schnell vor sich hinspricht, wenn man einem tollen Hunde begegnet? Ich erinnere mich desselben noch aus meinen Knabenjahren, und ich lernte ihn damals von dem alten Kaplan Asthöver. Wenn wir

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