Noch ein Fehler endlich, in den Dichter, wenn sie die Natur ihrer Begabung misverstehen, verfallen können, ist die Anwendung der Bilder insofern, als sie Verstösse sind gegen die Dichtungsgattungen, in denen sie auftreten. Das Heldengedicht fordert ausgeführte Gleichnisse, das Drama, das keinen Stillstand der Handlung verträgt, schlagende Metaphern, kurz ausgesprochene Allegorien, das höhere Lied schwunghafte Sprache; wie nun, wenn der Dichter im Epos kurze Metaphern, im Trauerspiel breit ausgesponnene Allegorien, in der Ode Trivialitäten in Anwendung bringt? Zum Schlusse dieser Abhandlung über den Gebrauch der Bilder stehe hier ein meisterhaftes Gedicht von Lenau, in welchem Bild auf Bild sich drängt, ohne daß der Dichter das einzige Gesetz der Phantasie, das schöne Maß, irgendwie verletzt hätte: §. 275. Der Gleichklang von Lauten, Silben, Wörtern und Sätzen als freie Eigenschaft der Sprache, als blosse Figur betrachtet, fand schon seine einläßliche Behandlung in den §§. 179 -182. Hier aber soll von ihm in so fern die Rede sein, als durch seine an bestimmten Stellen regelmässige Wiederkehr in der dichterischen Sprache der Versbau zu Stande kommt. Der eigentliche deutsche Reim ist heutzutage der Endreim, so genannt, weil man unter demselben den vollen Gleichklang der Wörter, vom Selbstlaut in der Hauptsilbe angefangen bis zu Ende, also den Gleichklang bei verschiedenen Anlauten versteht (§. 180). Er ist aus der Alliteration und Assonanz hervorgegangen, ja der männliche Reim ist geradezu eine Verbindung von Assonanz und Alliteration, vorausgesetzt, daß die Annahme, auch der Auslautreim sei Alliteration, eine richtige ist (§. 179). In der Gleichheit aller Laute bei Verschiedenheit des Anlautes besteht das Wesen des Reimes; er verlangt außer dem Reiz der Wiederholung, wenn auch nur leise angedeutet, noch den Reiz des Contrastes: gleiche Klänge, verschiedenen Sinn. In Bezug auf die Zahl der gleichklingenden Silben kennt man 1. männliche oder stumpfe (einsilbige) Reime, wenn nur die eine betonte Silbe reimt: Reim, Keim, Sein, Schein; 2. weibliche oder klingende (zweisilbige) Reime, wenn außer der betonten noch die darauf folgende unbetonte Silbe vollkommen gleichklingt : Reime, Keime, Lieder, Glieder. Ist die darauf folgende Silbe ebenfalls betont, so ergeben sich die schwebenden Reime: ehrlos, wehrlos, Wehmuth, Demuth; 3. gleitende (dactylische) Reime, wenn nach der betonten noch zwei unbetonte Silben vollkommen gleich klingen: klingendes, singendes, heiliges, eiliges; 4. reiche Reime, wie sie vorzugsweise in den Ghaselen vorkommen, sind entweder Verbindungen von männlichen und weiblichen Reimen untereinander oder von einem oder dem andern mit identischen Reimen. Unter diesen versteht man aber die Wiederholung desselben Wortes. Reich sind also folgende Reime: Runde nichts, Stunde nichts; der Schmerz sticht, das Herz bricht; Schmerzensbild, Herzensschild. Was die Stelle anbelangt, die der Reim im Gedicht einnimmt, ohne daß man seine Eigenschaft als Versschließer im Auge hat, so unterscheidet man Anfangsreime, wenn die Anfangswörter zweier Verse reimen (§. 293. Ghasel); stimmen die Schlußwörter zusammen, so heißen die Reime Endreime im engeren Sinn. Mittelreime nennt man sie dann, wenn die Mitte zweier Verse in ihren Wörtern den Reim hat. Binnenreime, wenn sie innerhalb desselben Verses vorkommen, und endlich Kettenreime, wenn das Ende des einen Verses mit der Mitte des folgenden reimend sich findet. Die Endreime im engern Sinn können in der verschiedensten Aufeinanderfolge sich finden. Reimpaare oder ungetrennte Reime heißen sie in dem Falle, wenn die unmittelbar auf einander folgenden Verszeilen zusammenreimen: aabbcc. Gekreuzte Reime finden sich, wenn die erste Verszeile mit der dritten, die zweite mit der vierten u. s. f. zusammenklingen: ababcded. Verschränkte Reime weist folgendes Reimbild: abcabc; verschlungene Reime dieses: ababab; umarmende: abba; Schlag reime endlich entstehen, wenn mehr als zwei Zeilen hintereinander denselben Reim aufweisen: aaaa. Der Reim ist nur dann schön, wenn der Zusammenklang der Laute vollkommen, d. h. rein ist. Diese Reinheit des Reimes wird erreicht 1. durch die völlige Gleichartigkeit der Vocale und Consonanten. Reime, wie höhlt, fehlt, heim, rein, freuen, Laien, sind fehlerhaft. Daß ein, den Umlaut ä vertretendes e mit diesem ä vollkommen zusammenklingt, also senden, Wänden gut reimt, ist unzweifelhaft. Bach und Tag, eigen und Eichen, Gestalt und malt sind unreine und fehlerhafte Reime, weil nicht die gleichen Lautnuancen gewählt sind; denn ch und 9 sind wohl derselbe Laut, aber ch ist der gehauchte, das g der weiche Gaumenlaut; andrerseits ist auch a in Gestalt und a in malt derselbe Laut, aber das leztere ist gedehnt, das erste geschärft; 2. durch die Gleichartigkeit des Accents; man kann nur Silben reimen, die gleiche Betonung haben, also nicht sterblich und erblich, hingegen wohl sterblich und erblich. Durch diese Reinheit des Reims wird seine Klangschönheit erzielt, durch die volle Bedeutsamkeit des reimenden Wortes hingegen sein geistiger Wert betont. Zu diesen nothwendigen Erfordernissen des Reims, nämlich der Reinheit und Bedeutsamkeit desselben, tritt noch die Forderung, daß er nicht trivial, sondern e del und neu sei. Jede der nach der Zahl der Reimsilben oben unterschiedenen Reimarten hat ihren eigenen Character. Der männliche Reim gibt dem Vers Ernst, Würde, Festigkeit und Energie; der weibliche bewirkt Weichheit und Milde, kann aber durch die häufigen Endungen in e und en leicht eintönig werden; der gleitende Reim verleiht dem Vers muntere Beweglichkeit, während der schwebende durch sein Gewicht eine Hemmung und dadurch Besinnung hervorbringt. Zum weiteren Verständnis über den Gebrauch des Reims folgen hier mehrere Beispiele: Aufwärts. Vom Himmel tönt herab ein süsses Singen (J. Sturm.) Reimbild: abab; baba; cdc, ede. Reime: weiblich. Unrein: erreichen, steigen. Wann? Heil'ge Wahrheit, wann wird sich um die Seelen feierlich dein lichtweißer Teppich legen, daß darauf sich präge klar, wie im Herzen unsichtbar die Gedanken sich bewegen? (A. Stöber.) Reimbild: aabccb. Reime: männlich und weiblich. Wenig bedeutsam sich, feierlich, unsichtbar. : Das Mutterauge. 1. Mutteraug'! in deine Bläue 2. Mutteraug'! an meiner Wiegen |