Distichon aus Griechenland. 1. Fleißig blättr' ich die Alten mir durch, dann sinn' ich auf Lieder, blättre wieder, und so flieh'n mir die Stunden dahin. Glücklicher Doppelgenuß! Kaum weiß ich, ist das Empfangen süsser, ist's das Gefühl, selber ein Dichter zu sein. Aber ich flehe zu euch, ihr Götter, erhaltet mir gnädig jenen beweglichen Sinn, der sich auf beides versteht. Lasst wie die Biene mich sein, die bald an der Rose sich festsaugt, bald den gewonnenen Saft emsig in Honig verkehrt. 2. Jubeln am Morgen die Lerchen und dehnt in heiterer Bläue Doch wenn spät in der Nacht durch dämmernde Nebel der Mond scheint (E. Geibel.) Anmerkung. Die alkäische Strophe ist wegen der schönen Symmetrie ihrer Verse eine der vollendetsten Strophen des Altertums; in ibr können uns die schwunghaftesten Gedanken über die höchsten Interessen der Menschheit zugeführt werden. Die sapphische Strophe ist die Strophe für innige, sei es heitere oder schmerzensvolle, Gefühlsergüsse. Die asklepiadäische Strophe dient gleichen Zwecken wie die alkäische; nur herscht weniger erhabene Ruhe über ihren Stoffen, wie über denen der alkäischen Versform. Die Stoffe des Distichons sind theils, wie sein Beiname andeutet, elegisch, theils sind sie sinnig, einfach naiv. 2. Neue Strophen. §. 291. Man kann die neuen fremden Strophen eintheilen in solche, welche nur durch ihre Wiederholung ein Gedicht zum vollständigen Ausbau bringen, und in solche, welche durch ihr einmaliges Setzen auch das Gedicht schon vollständig umrahmen, also in Strophen im Gedichte und in Gedichtstrophen. Man kann sie aber auch nach den Nationen, in welchen die eine oder andere Strophe ihren Ursprung nahm, eintheilen und erhält sodann vorzugsweise italienische, aber auch französische, englische, spanische und Strophen anderer Nationen. Die am meisten cultivirten sind folgende: die Decime, Terzine, Ottave, Sestine, Canzone, das Ritornell, Sonett, Madrigal, Triolet, Rondeau, die Glosse und das Ghasel. §. 292. (Strophen im Gedicht.) 1. Die Decime ist spanischen Ursprungs und besteht aus zehn vierfüssigen Trochäen. Die Reimstellung ist eine solche, daß nach ihr die Decime in zwei gleiche Hälften auseinanderfiele, wenn nicht der Gedanke oder die Empfindung aus den ersten fünf in die nächsten Zeilen hinübergesponnen und so durch den Sinn die Verszeilen zusammengehalten würden. Reimbild: abbaaccddc. Ermahnung. Immer gehn des Menschen Tritte auf der harten Erd' umher, und nicht einen wandelt er, 2. Die Terzine, eine italienische Strophe, bestehend aus drei fünffüssigen, gereimten Jamben, beobachtet in ihren mehrmaligen Wiederholungen eine solche Reimstellung, daß die erste und dritte Zeile der folgenden Strophe mit der zweiten der vorhergehenden reimt. Auf diese Weise bliebe die vorlezte Zeile des Gedichtes ungereimt, wenn nicht eine Schlußzeile der Reimabrundung halber der lezten Terzine angehängt würde. Reimbild: aba, bcb, cdc, ded, efe, fgfg. Resignation eines Weltverlassenen. 1. Es hat der Sturm im Herzen ausgetobt, 2. Laß, Herr, durch den ich selber mich bezwungen, 3. Laß klanglos mich und friedsam hier erbleichen! 4. Sie schlummern in der Erde kühlem Grunde, 5. Ich habe, Herr, gelitten und gebüsst; doch fremd zu wallen in der Heimat? Nein, 6. Laß weltverlassen sterben mich allein und nur auf deine Gnade noch vertrauen; (Chamisso: Salas y Gomez.) 3. Die Ottave hat als italienische Strophe ebenfalls den fünffüssigen gereimten Jambus, besteht aus acht Zeilen, in denen drei Reime nach dem Reimbilde: abababcc mit einander abwechseln. Ottaven mit zwei Reimen nennt man auch wohl Sicilianen. Siciliane. Hier ist's an dieser Statt, wo jedes Jahr dann führt er nordwärts seine Blumenschar, (Rückert.) Platen's Vermächtnis. (Ottaven.) 1. Noch schweift der kräft'ge Geist auf fernen Bahnen, 2. Sei's immer. Ich erfüllte meine Sendung, cin Fackelträger, nach dem Reich des Schönen; umwallt vom Königsmantel der Vollendung und, was vordem den Griechen nur gelungen, verzagt ihr auch, von Kleinmuth noch befangen, 5. Dann wird der deutsche Wald von Liedern schallen, (Geibel.) 4. Die Sestine ist keine Reimstrophe, sondern es werden nur sechs aus einer dreizeiligen Strophe entlehnte Wörter in sechs sechszeiligen Strophen jedesmal in einer andern Zeile als Schlußwörter angewendet. Diese Wörter sind die Caesur- und Schlußwörter einer dreizeiligen Strophe, die am Ende der sechs Sestinen steht und sie zum Abschluß bringt. Diese Strophe wird wegen ihrer zu grossen Verkünstelung immer nur wenig Dichter finden, die anders als zu blosser sinnreicher Spielerei sie benützen möchten. 5. Die Canzone ist eine italienische Strophe, die in der Regel fünf- bis siebenmal wiederholt wird, bis das Gedicht, wie bei der Sestine, durch eine kleinere Strophe zum Abschluß kommt. vor. Die Verszeilen sind eilf- und siebensylbig, also entweder fünfoder dreifüssige hypercatalectische gereimte Jamben Die kürzere Zeile kommt aber oft nur einmal und stets als ungerade Zeile Die Anzahl der Zeilen ist unbestimmt, die Strophe selbst in drei Abtheilungen gebracht, von denen zwei, die Stollen, dem Sinne nach inniger mit einander verbunden sind, als die dritte, der Abgesang, mit den vorausgehenden. Die Reime sind verschränkt. Reimbild: abcbaccdeedff. Herzog von Friedland! Ja, er ist vergangen, so rief ich, sollt Unsterblichkeit er finden; ward die entstellte, zweifelhafte Kunde; doppelt gerühmt wird nicht sein Ruhm verschwinden! (Zedlitz.) §. 293. (Gedichtstrophen.) 1. Das Ritornell ist eine selbständig sich geberdende Terzine, deren zweiter Vers mit dem ersten und dritten entweder assonirt oder alliterirt (§. 179). Die erste Zeile ist häufig kürzer als jede der beiden andern. Sinnende Fichte! Noch sah ich dich, so lang ich dich betrachte, nie anders, als mit ernstem Angesichte! (Rückert.) 2. Das Sonett. Der Nationalvers der Italiener, der fünffüssige gereimte Jambus, erscheint in dem Sonett vierzehnmal mit weiblichem Schluß. Vier Abtheilungen, zwei zu vier und zwei zu drei Zeilen, und vier, bisweilen fünf Reime helfen das Sonett aufbauen. Die ersten acht und die lezten sechs Zeilen werden unter einander durch den Reim und alle vierzehn durch den sie durchziehenden einheitlichen Gedanken, durch die sie beseelende eine Empfindung, zusammengehalten. |