16. Der Vogt der Normannen hörte Herwigs Wort: Ich bin geheißen Ludwig, von Normandie mit Namen; ich stritt zu allen Zeiten gern mit allen, die da vor mich kamen." 17.,,Ich bin geheißen Herwig, du nahmest mir mein Weib! Das must du wiedergeben oder einer muß den Leib mit manchen guten Recken lassen diese Stunde !" ,,Du drohst mir," sprach der König,,,gar zu sehr auf meinem eignen Grunde." 18. Nach demselben Worte liefen sie einander an, die reichen Könige beide. Wer jetzo Gut gewann, der must es hart erstreiten von ihren Jünglingen. Man sah von beiden Seiten gute Recken zu den Herren springen. 19. Herwig, der war bieder und auch kühn genug; doch Hartmutes Vater den jungen König schlug von Ludwigs Händen sank er strauchelnd nieder. Da war sein Leib verloren, und seine Heimat sah er niemals wieder. (Gudrun in Simrock's Uebersetzung.) II. Das Kunstepos. §. 315. „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen und haben sich, eh man es denkt, gefunden." Diese Worte Göthe's dürften sich auch auf die Volksepopöe und das Kunstepos anwenden lassen. Beide scheinen reine Gegensätze zu sein, und doch ist das Kunstepos nur eine Nachdichtung der Volksepopöe. Auch es strebt nach volkstümlichem Gehalt, wie jenes ihn besitzt, und, wenn gleich der Gegenstand des Kunstepos eine ganz andere Culturwelt ist, als jene, die den Stoff der Volksepopöe gibt, so ist doch eines wie das andere eben ein Culturgemälde. Das Kunstepos bemächtigt sich eines historischen oder traditionellen Stoffes, der nicht dem ganzen Volke, sondern nur bestimmten Lebenskreisen angehört und befruchtet ihn mit willkürlicher, dichterischer Erfindung. Sein Styl ist denselben Gesetzen unterworfen, denen überhaupt die epische Gattung gehorcht, und auch eine, wie es im §. 310 heißt, der religiösen Bildungsstufe des Volkes anbequemte Göttermaschinerie wird mehr oder weniger sich in ihm vorfinden. Das Kunstepos zerfällt in vier Arten, welche man mit den Namen historisch, romantisch, religiös und komisch belegen kann. 1. Das historische Epos. §. 316. Das historische Epos schildert die Sitten, die Weltanschauung, die Verfassung, die Häuslichkeit, den Kunstzustand, kurz den ganzen Culturstandpunkt des Volkes zu einer gewissen Zeit. Es thut dies auf eine ungezwungene Art, aber es bewegt sich dabei in schöner, harmonischer Freiheit. Die Haupthandlung ist in demselben sehr einfach, wenig verwickelt, so daß, wenn auch die Episoden, die stets spannend sein sollen und ein Culturbild geben müssen, noch so reichhaltig wären, das Ganze immer leicht zu übersehen bleibt. Der Styl des historischen Epos ist reine, plastische Objectivität. Beispiele: Rudolph von Habsburg. (Aus dem 10. Gesange.) Laut erbrauset der Sturm und jagr tiefhängende Wolken über die finsteren Berge hinaus. Der laubige Hochwald glänzt ihm der Heldenmuth, aus den bläulichen Augen die Wahrheit, hin die Himmelskost zu dem sterbenden Manne zu tragen. Aber er schaute mit Angst umher, denn siehe, der Gießbach schwemmte den Steg aus dem Grund! - Ach, da drüben aufjammert die Hausfrau; hörbar pocht der Tod an die Thür, und es lechzet der Gatte heiß nach dem Engelbrot, das ihn stärke zur ewigen Reise. Alsbald streifte der Priester am Strand die Schuh' von den Füssen, dort den rauschenden Bach hinüberzuwaten entschlossen. Solches gewahrte der Ritter kaum, so kam er und bot ihm erst anbetend den Heiland der Welt das gesattelte Streitroß an zu dem heiligen Dienst und kehrte vergnügt zu den Seinen. Als der Abend sank und die Welt in rosigen Schimmer hüllete, sieh', da führte der Priester das Roß an dem Zügel über den Burghof her und sagt es dem Ritter mit Dank heim. Aber er sprach:,,Was dünkt dich? Nein, nicht diene dies Reitpferd denn nun sei es der Kirche des Herrn mit dem Feld an dem Weiher sei dies Geheimnis dir in den Tiefen des Herzens bewahrt: dir zieret die Scheitel würdig dereinst die Krone des heiligen römischen Reiches! Herschen wird dein Geschlecht auf dem herrlichsten Thron in die Zukunft endlos hin, dein dauernder Ruhm erfüllet den Erdkreis!" (L. Pyrker.) Schlusz der Tunisias. (Befreiung der Christensclaven durch Karl V.) Doch welch dunkler Strom ergeußt sich vom Felsengebirg her? netzten mit glühenden Thränen sein Kleid! nur Stöhnen und Schluchzen tönte noch rings umher aus der angsterregenden Stille. Jezt ein Weinen und Heulen erscholl und jetzo mit einmal, furchtbar, hallte Geschrei:,,0 Vater, Retter, Befreier !" Wie die Meeresflut, vom nahenden Sturme gehoben, erst nur leis' aufrauscht, doch bald im schrecklichen Aufruhr heulet in Wolkenhöh'n und braust in des gähnenden Abgrunds Tiefen, daß, schaudernd vor Angst, ihr die Erd' und der Himmel erdröhnet: also ertönte der Schrei der Glücklichen rings um den Kaiser. Tausender Händ', empor zu dem Vater im Himmel gehoben, zeigten die Bahn, auf welcher des tieferschütterten Herzens Dank aufflog und des Segens Füll' erflehte dem Retter. Lauter ward das Getös' und bewegter die wimmelnde Schar dort. ,,ich die liebende Mutter umfahn die holde Geliebt' ich, ,,liebend und treu, und ich den Freund, die Kinder und Gattin ?" stürzte die Thrän'), und, als er nun senkte das Haupt und voll Dankes ,,Stürb' ich doch jezt: denn, ach, mir wurde die Wonne des Himmels!" 2. Das romantische Epos. (L. Pyrker.) §. 317. Das romantische Epos romantisch ist aus romanisch entstanden und bezeichnete anfangs nichts anderes, als den in romanischen Sprachen zur Darstellung gekommenen künstlerischen Stoff unterscheidet sich von den früher behandelten Epengattungen dadurch, daß es nicht, wie die Volksepopöe, die Volkssage zum Gegenstand seiner Darstellung macht, sondern an deren Stelle eine fremde, sogar erfundene Sagenwelt setzt, auch nicht, wie das historische Epos, Geschichtliches künstlerisch gestaltet, sondern an dessen statt die frei spielende Phantasie walten läst. Nicht Welt- und Völkergeschicke, sondern die einzelner Individuen bilden den Inhalt des romantischen Epos. Der Dichter entfaltet die ganze Zauberkraft seiner Phantasie, für die es keine Schranken gibt und die alles ursächlichen Zusammenhanges in den Erscheinungen spottet; und so prägt er dem Stoffe wie dem Helden den Character des Abenteuerlichen auf, der uns die Darstellung nicht selten ironisch erscheinen läst. Daher der Tropus der Hyperbel, der so häufig in romantischen Epen sich findet. Beispiele: Aus Wieland's Oberon. 1. Drauf geht es mit verhängtem Zügel auf Bagdad los. Stets denkt er, kommt es bald? Allein da lag noch mancher steile Hügel und manche Wüstenei und mancher dicke Wald „Ist dies der nächste Weg nach Bagdad?" fragt er zwar 2. Einst traf der Weg, der eben vor ihm lag, auf einen Wald. Er ritt bei Sturm und Regen, Weh' ihm der Wald scheint sich von allen Seiten, 3. Was ganz natürlich war, däucht' ihm ein Zauberspiel. woraus kaum möglich war, bei Tage sich zu finden, Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel. Kein Sternchen glimmt durch die verwachsnen Wipfel! er führt sein Pferd, so gut er kann, am Zaum 4. Die dichte, rabenschwarze Hülle, die um den Himmel liegt, ein unbekannter Wald, tief aus den Bergen her, das, durch die Todesstille 5. Auch unser Held, wiewohl kein Weibessohn |