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Die kritische Frage. Kultus.

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ihm aufgezeigten zahllosen Beziehungen zwischen der christlichen und der nordischen Litteratur zum Teil äusserst merkwürdig sind, während andere sich sehr künstlich und willkürlich ausnehmen. Dass in der heute vorliegenden Edda, und zwar der sog. älteren wie der jüngeren sich Dichtungen finden, welche stark vom vordringenden Christentum beeinflusst sind, lässt sich schwerlich leugnen. Solche Partieen, welche diesen Einfluss am ehesten verraten, sind der Weltuntergang und namentlich das Auftauchen einer neuen Erde und neuen Sonne unter der Herrschaft Allvaters, während der böse Wurm (die „alte Schlange" der Bibel?) abgethan wird. Allein damit ist nicht gesagt, dass jener Einfluss ein so durchgängiger und mächtiger war, wie oben dargestellt ist. Die Yggdrasillesche z. B. erklärt sich natürlicher als aus einer Umsetzung des Kreuzes in ein heidnisches Symbol, daraus, dass man oft in der germanischen Welt solchen Schicksalsbäumen begegnet, von deren Gedeihen das eines Hauses, eines Geschlechtes oder Stammes abhängt; wurde diese Idee verallgemeinert, so hatte man diesen Weltbaum. Der Baum, an welchem Odin hing, ist, wie der Name Yggdrasil beweist, kein anderer; aber da diesem Gott von jeher Menschen zum Opfer an Bäume gehängt wurden, so kann jener seltsame dunkle Mythus auch aus der heidnischen Vorstellung geflossen sein. Namentlich aber ist nicht einleuchtend, dass der einfache, naive Baldr-Mythus ein Abklatsch der Kreuzigung Christi sein soll. Das eindrückliche Bild der letztern kann nicht wohl einem Dichter vorgeschwebt haben, der jenes Spiel der Götter mit Baldr ersonnen hätte. Nebensächliche Züge müsste er durch die Sorgfalt lernbegieriger Wikinger aus den gelehrten Quellen überkommen, dagegen die in die Augen fallenderen übersehen oder verschmäht haben. Der Umfang also, in welchem hier eine Einwirkung der christlichen Religion und Entlehnung aus ihrem Überlieferungsstoff stattgefunden hat, ist einstweilen nicht messbar, wenn auch die Anregung von aussen nicht gänzlich abzuweisen ist.

d) Kultus und Brauch bei den nordischen Germanen.

In Bezug auf den Kultus macht sich fühlbar, dass auch von diesen Germanen keine hieratische Litteratur erhalten geblieben ist. Immerhin fliesst die Quelle etwas reichlicher als bei den übrigen Germanen. Der Befund zeigt auch in Bezug auf Kultus und Gebräuche einen Fortschritt gegenüber der S. 707ff. gezeichneten Stufe. Tempel und Bilder sind bei den Nordländern der Edda. ganz allgemein geworden. Was die Tempel anlangt, so führte in Schweden der berühmteste den Namen Upsala, nach der Beschreibung Adams von Bremen ganz von Gold hergerichtet, d. h. damit um und um geschmückt; denn die Tempel waren in der Regel von Holz. Darin befanden sich drei Bilder oder Statuen,

von welchen die des Thor mitten im Saale thronte, während zu beiden Seiten Wodan und Fricco prangten. Nahe bei dem Tempel stand ein mächtiger, seine Zweige weit ausbreitender Baum immer grünend, Sommer und Winter. Dieser Baum wird das ursprüngliche Heiligtum gewesen sein, an welches sich der Tempel anschloss. Dort sei auch eine Quelle, wo man opfere und einen Menschen lebendig zu versenken pflege. Den Tempel umgebe eine goldene Kette, welche vom Giebel des Gebäudes herabhange. Nach gelegentlichen Andeutungen und den auf Island gefundenen Überresten zu schliessen, bestand der Tempel gewöhnlich aus einem doppelten Raum. Der grössere bildete eine rechteckige, langgestreckte Halle, der andere verhielt sich dazu wie das Chor einer Kirche zum Schiff und bildete einen Halbrundbau, der aber keine Öffnung nach der Halle hin hatte1). Die Halle umfasste die festlich beim Opferschmause Vereinigten, welche den Wänden entlang sassen. Zwischen den Hauptsäulen war ein Hochsitz angebracht. Vor den Sitzreihen brannten Feuer auf dem Boden und Kessel mit Fleisch

hingen darüber. Jener Anbau aber war das eigentliche Heiligtum, in welchem ein Altar mit geweihtem Feuer und heiligen Geräten sich befand, wie Blutkessel mit Sprengwedel, einem Ring, auf welchen alle Eide geschworen wurden und welchen der Häuptling bei allen Volksversammlungen in der Hand halten sollte.

Die Bildsäulen der Götter fehlten wohl in keinem Tempel. Oft standen deren mehrere im selben Heiligtum und zwar in natürlicher oder kolossaler Grösse aus Holz geschnitzt. Das Volk scheint recht tief in Idolatrie versunken zu sein und vielfach zwischen Göttern und Bildern nicht mehr unterschieden zu haben, daher von den letztern viel wunderbares erzählt wurde.

Von eigentlichen Gebeten, die natürlich das Opfer begleiteten, ist nicht viel erhalten. Die Hauptsache war das Opfer selbst, namentlich das blutige Opfer. Als das vorzüglichste Sühnopfer galt das Menschenopfer und solche wurden auch auf dieser Kulturstufe bis zum Übertritt zum Christentum verhältnismässig häufig dargebracht. Man wählte dafür gewöhnlich gemeine Leute und Verbrecher; die Todesstrafe selbst war ein Sühnopfer an den beleidigten Gott. Aber in Zeiten ausserordentlicher Not oder Hülfsbedürftigkeit wählte man auch Königssöhne und andere Edle. Bei dem Allding des Jahres 1000, wo über die Religion entschieden werden sollte, gelobten die heidnisch Gesinnten ihren Götzen zwei Menschen aus jedem Landesviertel. Und von dem christlichen norwegischen Könige Olaf Tryggvason wird erzählt, dass er die angesehensten Häuptlinge zu einem Gastmahl einlud und ihnen erklärte, wenn er genötigt würde zur alten Religion zurückzukehren, müsste er ein grosses Menschenopfer zur Versöhnung der beleidigten Götter bringen. Dabei werde er nicht nach sonstigem Brauch Sklaven oder Verbrecher opfern, sondern sechse von ihnen; andern

1) Vgl. Golther, Germ. Myth. S. 601.

Opfer. Priestertum. Orakel. Zauberei.

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falls müssten sie zum Christentum übertreten. Sie zogen das letztere vor. Die in der Schlacht Fallenden sind eine Art Opfer an Odin. An die römische Sitte erinnert der nordische Gebrauch, das feindliche Heer oder einzelne Feinde durch einen über dieselben geworfenen Speer dem Odin zu weihen. Den zweiten Rang nahmen Tieropfer ein, unter welchen Pferde opfer obenan standen. Das Fleisch der geopferten Pferde wurde gegessen. Aber auch Stiere, Kühe, Ferkel, Widder, Ziegenböcke, wurden in Weise dargebracht; dem Freyr und der Freyja ein Eber. Mit dem im Opferkessel gesammelten Blute wurden die Götterbilder bestrichen und die Opfernden besprengt. Auch der Trunk (Meth oder Bier) spielte dabei eine Rolle. Man trank den Becher Odins auf Erlangung von Sieg und Macht, den Becher Freyrs und Njords. auf ein fruchtbares Jahr und Frieden. Jährliche Feste hingen mit dem Sonnenlauf und den Jahreszeiten zusammen. Mitten im Winter feierte man dem Freyr das Julfest; dazu gesellte sich ein Herbst- und ein Frühjahrsfest.

Das Priestertum fehlte auch im skandinavischen Norden nicht. Doch traten die Goden (Priester) auch beim Opfer nicht allzusehr hervor. Bei den öffentlichen Opferfeierlichkeiten nahm. der König oder der Jarl den Ehrensitz ein und stand der hl. Handlung vor, was nicht ausschliesst, dass die Goden oder Priester dabei funktionierten. Aus dem Blute der Opfertiere wurden Orakel entnommen. Vielfach wurde auch das Los befragt, dessen Handhabung in wichtigeren Angelegenheiten dem Priester anvertraut war. Dasselbe gab Auskunft, ob die Gottheit ein Opfer verlange und was für eines, ob eine Volksversammlung ihr genehm, ein Beschluss ihr willkommen sei oder nicht. Sehr stark verbreitet war der Aberglaube, dass man aus begegnenden Tieren oder sonstigen Zufälligkeiten ein Omen entnehmen könne. Glück verheisst es z. B., wenn ein schwarzer Rabe (Odins Tier) einen Helden umschwebt, oder wenn man den grauen Wolf unter Eschen heulen hört; ungünstig ist dagegen, wenn man auf dem Wege zum Kampf strauchelt.

Und wie die Wahrsagerei ging die Zauberei stark im Schwang. Die Zauberkundigen wussten wirksame Zauberlieder und -sprüche und verstanden sich auf das Lesen der Runen oder Zeichen, denen eine besondere Kraft innewohnen sollte. Selbst die Götter verschmähen es nicht, sich wahrsagen zu lassen und zu den Zauberrunen ihre Zuflucht zu nehmen. In ihrem Wissen um diese geheimen Dinge und ihrer Kunst, magische Kräfte zu gebrauchen, beruht vornehmlich ihre Überlegenheit gegenüber den Riesen wie den übrigen Weltwesen.

Was die Totenbestattung betrifft, so herrschte in der Zeit dieser Lieder der Brauch der Leichen verbrennung durchaus vor. Was vom Scheiterhaufen Baldrs erzählt wird, gibt ein Bild des üblichen Ritus. Alle Bekannten, Männer und Frauen, strömten zusammen. Die Leiche wurde feierlich auf den Holzstoss gelegt,

und ihr noch Schmuckgegenstände u. dgl. mitgegeben. Auch Sklaven zur Bedienung sandte man der entfliehenden Seele nach und mochte es gerne sehen, wenn ein Weib nicht länger leben wollte als ihr Gatte, und ihn zu jener Welt begleitete.

VII. Religion der Slaven1).

Östlich von den Germanen sassen schon zur Zeit des Tacitus die slavischen Völkerschaften. Diese bilden eine ebenfalls sehr zahlreiche, viel verzweigte Familie, die sich durch ihre Sprachen als indogermanisch zu erkennen gibt. Dieselbe hatte sich von der Ostsee bis zum schwarzen Meer und zur Donau niedergelassen und ist mit der Zeit bis zum adriatischen Meer und bis nach Griechenland vorgedrungen. Westwärts hatte sie bald die Karpathen erreicht und rückte später noch weiter westlich vor. Stark sind die Slaven den Deutschen beigemischt im heutigen Preussen, Österreich, Sachsen. Von den eigentlichen „Slaven" sind zu unterscheiden die mit ihnen zum selben Stamme (dem letto-slavischen") gehörenden Letten, Litauer und Preussen (im alten Sinn des Worts). Zu den eigentlichen Slaven gehören die Wenden (Sarmaten), Russen, Polen, Böhmen oder Czechen, Mähren, Kroaten, Dalmatiner, Serben, Bulgaren, Bosniaken. Die fünf letztgenannten werden. gewöhnlich als „Südslaven" bezeichnet. Die slavischen Völker sind im allgemeinen später als die Germanen zum Christentum übergetreten, zum Teil von Germanen unterjocht und zum Übertritt gezwungen. Allein da sie damals noch auf einer recht niedrigen Kulturstufe standen, haben sich litterarische Erzeugnisse oder Monumente religiösen Charakters aus ihrer heidnischen Zeit nicht erhalten. Und da auch die ausländischen Quellen in dieser Hinsicht sehr spärlich fliessen, ist das Material hier noch weniger zureichend als bei den Germanen. Einzelne Nachrichten über die Religion der Slaven geben Tacitus), Prokop, Jordanes, Paulus

1) P. J. Schafarik, Slawische Altertümer. Deutsch von Mosig von Ährenfeld. Herausg. von H. Wuttke, 2 Bde., Leipz. 1843. Derselbe, Slawische Ethnographie, 3. Aufl. Prag 1850. W. R. S. Ralston, The songs of the Russian people, London 1872 und in anderen Schriften. L. Léger, manche Mitteilungen in RHR, 1881, Esquisse sommaire de la Mythologie Slave. (Vgl. auch die folgenden Jahrgänge.) H. Usener, Götternamen (Bonn 1896) S. 79 ff. (über die litauischen Götternamen). Vgl. Jul. Lippert, Die Religionen der europ. Kulturvölker, Berl. 1881, S. 68-114. F. S. Krauss, Volksglaube und religiöser Brauch der Südslaven 1890.

2) Germ. c. 46.

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Diakonus, Dithmar von Merseburg 1), Adam von Bremen. u. a. Manches ist aus spätern, zum teil noch lebenden Volksgebräuchen, Märchen u. dgl. mit mehr oder weniger Sicherheit zu erschliessen. Für die Litauer, welche im 13. Jahrhundert nur oberflächlich zum Christentum sich bekehrten und bei welchen daher noch lange die Reste des Heidentums erhalten blieben, kommen noch spätere Quellen in Betracht, so Peters von Dusburg Preussische Chronik (1326) und dann die Beobachtungen und Sammlungen von Nachrichten über das alte Heidentum von Jan Malecki (Pfarrer in Lyck v. 1537 an) und besonders von Jakob Laskowsky, (zwischen 1568 und 1572) dessen Übersicht der Zemaitischen Götter von Jan Lasiczki in seine Schrift De diis Samagitarum (1580)2) aufgenommen ist; endlich Math. Stryikowski in seiner Polnischen Chronik (1582). Dagegen ist Simon Grunau's Preussische Chronik (1517-1521) gänzlich unzuverlässig 3). Für Russland kommt in Betracht die Chronik des Mönches Nestor in Kiew (1056-1114). Als gemeinsames Charakteristikum der slavischen Familie hat man oft einen Dualismus von lichter und dunkler, guter und böser Gottheit bezeichnet, welcher an den Parsismus erinnere. Allein dieser Gegensatz findet sich zwar bei diesen Völkern sehr häufig, herrscht aber doch nicht überall vor und ist namentlich nicht als ein systematisch ausgebildeter zu denken. Neuerdings wird häufig auf die slavische Mythologie hingewiesen als eine früheste Stufe, wo noch die ganze Natur vergöttlicht sei, aber aus der Unzahl von göttlichen und geisterhaften Wesen sich noch kaum wirkliche Götter hervorgebildet hätten. Man beruft sich dafür auf das Zeugnis des Peter von Dusburg, der (1326) von den alten Preussen schrieb: „Sie verehrten irrtümlich alle Kreatur als Gott, nämlich Sonne, Mond und Sterne, Donnerschläge, Geflügel und Vierfüsser bis auf die Kröte. Sie hatten auch heilige Haine, Felder und Gewässer, so dass sie darin nicht Holz zu schneiden, Ackerbau zu treiben und zu fischen wagten." Ein Jesuit zu Anfang des 17. Jahrh. schreibt über die polnischen Livländer: „Diese haben mannigfache Götter, einen für den Himmel, einen andern für die Erde, welchen wieder andere untergeordnet sind, wie die Götter der Fische, der Äcker, der Getreidearten, der Gärten, des Viehes, der Pferde, der Kühe und solche für die einzelnen Lebensbedürfnisse (ac singularium necessitatum proprios)." In der That wuchert hier ein üppiger Geister- und Spezialgötterglaube, welchen Mannhardt und Usener nicht mit Unrecht den römischen Göttern der Indigitamente verglichen haben 1). Allein auch das letztere

1) starb 1018. Vgl. zu den übrigen oben S. 700.

2) Joh. Lasicii, Poloni de diis Samagitarum libellus. Gedruckt Basel 1615; neu herausg. von W. Mannhardt, Riga 1868.

3) Usener, Götternamen S. 82.

4) Usener weist, wie übrigens schon Lasiczki S. 51-53 gethan hat, darauf hin, dass an die Stelle dieser Numina bei den Slaven wie anderwärts die katholischen Heiligen getreten sind.

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