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LVI.

Der moderne Unglaube in den unteren Ständen.

Goethe bezeichnet als das tiefste Thema der Weltgeschichte den Kampf des Glaubens mit dem Unglauben und nennt die Zeiten groß, in denen lebendiger Glaube die Menschen beherrscht, und jene unbedeutend und flach, in denen seichter Unglaube sich breit macht. Damit hat der große Atheist den unvergänglichen Werth des Glaubens für den Einzelnen und ganze Völker in ewig giltiger Weise anerkannt. Und K. E. von Baer, ebenso groß als Naturforscher wie als Denker, kleidet die hohe Werthschäßung, welche er für die Religion hat, in die schönen Worte: „Unbedenklich wollen wir die Wissenschaft oder jede Art der Cultur als verderbliches Geschenk betrachten, wenn sie uns den Frieden der Seele raubt oder die heiligen Interessen der Religion untergräbt".1) Es ist daher etwas Großes und Bedeutsames um die Erhaltung der Religion für die Menschheit und eine unsagbar frevelhafte That, dem Menschen, sei er hoch oder niedrig, den Glauben an die religiösen Ideale der Menschheit zu rauben. Wo das Lettere geschicht, da geht ein Volk früher oder später der Auflösung entgegen. Das Schwinden der religiösen und sittlichen Ideale eröffnet

1) Vgl. mein Buch: K. E. von Baer und seine Weltanschauung. 1897. p. 499.

trübe Aussichten in die Zukunft. Jeder muß dem schon genannten Forscher K. E. von Baer zustimmen, wenn er im Hinblick auf den Kampf um die Religion an Professor Huber schrieb: Freilich erscheint auch mir die Zukunft dunkel, wenn ich höre, wie jubelnd man jezt häufig alle Religion, alles Sittengesetz und überhaupt alles Ideale als antiquirten Aberglauben verspottet... Daß aber das Menschengeschlecht glücklicher wird, wenn es sich von allen Idealen ablöst, muß ich sehr entschieden bezweifeln. Der Mensch ist ja das einzige Wesen, das Sinn für das Ideale hat. Es dem Menschen zu rauben, heißt ihn zum Thiere machen“. 1)

Damals vor bald dreißig Jahren, als Baer seinen Kassandraruf ertönen ließ, war der Unglaube und Zweifel noch mehr auf die Klassen der Gebildeten beschränkt. Heut zutage ist das wesentlich anders geworden. Nicht bloß in den Kreisen der Gelehrten und sogenannten Gebildeten wird alles, was die theistisch-christliche Weltanschauung an Idealen besigt, als Anachronismus, als mythologisch belächelt oder verspottet, sondern auch die breiten Volksmassen, welche mit Recht den sogenannten „besseren" Leuten kein Privilegium des Atheismus zugestehen wollen, verbreiten die neuen Lehren, den neuen Glauben in ihr Deutsch übersetzt. Wir können heute mit Recht von einem Unglauben in den unteren Ständen reden. Das bedeutet eine große Gefahr für die Zukunft des Volkes. Es ist daher ohne Zweifel ein Verdienst, dieser Frage nach dem religiösen Zustande der unteren Volksmassen etwas näher nachzugehen. Das hat schon Rade gethan in einem Vortrage auf dem neunten evangelisch-socialen Congreß über die religiös-sitt lichen Anschauungen unserer Industriearbeiter, und nun saßt das Problem noch näher ins Auge Wilhelm Studemund, Pastor zu Wittenburg in Mecklenburg, in dem Buche: „Der

1) Vgl. mein Buch: K. E. von Baer und seine Weltanschauung 1897. p. 674.

moderne Unglaube in den unteren Ständen“.1) Wir reproduciren in Kürze die Resultate der Schrift und ziehen einige Nuzanwendungen daraus.

I.

Der Verfasser verhehlt sich nicht die Schwierigkeit, den modernen Unglauben in den unteren Ständen zu schildern. Woher soll er seine Kenntnisse über Anschauungen haben, die man gewöhnlich nicht jedermann ohne Weiteres mits theilt? Und wenn er über die religiösen Anschauungen des Volkes schreiben will, so kann er immer nur über einen beschränkten Erfahrungskreis berichten. Liegt da nicht die Gefahr ungerechter Verallgemeinerung nahe? Gleichwohl muß der Versuch gemacht werden. Denn es ist mindestens ebenso wichtig, von den religiösen oder irreligiösen Anschauungen des eigenen Volkes Kenntniß zu haben, als von den religiösen Anschauungen der Pharisäer oder des Mittelalters. Die literarischen Quellen über diese Frage sind nicht zahlreich, und es ist hier noch viel zu thun. Besonders sind die religiösen Anschauungen zur Darstellung zu bringen, wie sie in den verschiedenen Gegenden Deutschlands in den unteren Ständen herrschen. Der Verfasser schöpft hauptsächlich aus dem Vortrage von Rade, dem Herausgeber der „Christlichen Welt", der an eine Reihe von Industriearbeitern einen Fragebogen geschickt hatte, worin er die Ansichten der Arbeiter über Kirche und Geistlichkeit der verschiedenen Confeffionen, über den Werth der Predigt, über die kirchlichen Feste (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) und ihren religiösen Werth, über den Werth von Taufe, Trauung, Begräbniß, Confirmation, über Bibel und Christus, über Luther und die Reformation, über Gott, Weltschöpfung und Wunder, über den Tod und das Leben nach dem Tode, über Ehe und Familienleben, über christliche Wohlthätigkeit, über

1) Schwerin in M. 1901. 8 + 109 S. Preis M. 1.60.

Hiktor polit Blätter CXXVII. 8 (1901).

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die Eigenschaften eines tüchtigen Menschen erforschte. Außerdem benüßte der Verfasser das bekannte Buch von Göhre: „Drei Monate Fabrikarbeiter", Gebhardt: „Zur bürgerlichen Glaubens- und Sittenlehre". Geringere Ausbeute fand er in den socialistischen Schriften, die weniger den religiöjen und sittlichen Zustand der Arbeiter als die Bekämpfung der christlichen Kirche zum Gegenstand haben. Der Verfasser unterschäßt hier die socialistische Literatur etwas, insbesondere scheint er auch die viel verbreiteten socialistischen Liederbücher, Kalender und Jugendschriften zu wenig zu berücksichtigen. Denn auch aus dem, was gelesen und in vieleu Auflagen gelesen wird, können wir einen Schluß ziehen auf die Gesinnungen der Leser. Endlich sind es persönliche Erfahrungen, die der Pastor mit den unteren Ständen gemacht hat. Und da Mecklenburg, der Wirkungskreis des Verfassers, durch die Nähe der Großstädte Berlin und besonders Hamburg von der modernen Arbeiterbewegung sehr beeinflußt ist, so erhalten diese Erfahrungen einen mehr als lokalen Charakter. Eine solche Charakteristik wird die religiösen und sittlichen Anschauungen der unteren Stände noch mehr verstehen lassen und den Weg zeigen, um den modernen Unglauben in der Arbeiterwelt zu bekämpfen. Nach diesen einleitenden Bemerkungen entledigt sich der Verfasser seiner Aufgabe in vier Abschnitten.

1. Er prüft zuerst das Recht, von einem modernen Unglauben in den unteren Ständen zu sprechen. Die religiösen und sittlichen Anschauungen der unteren Stände haben nach vielfältiger Beobachtung des Verfassers und Anderer nie mit dem Katechismus in völliger Uebereinstimmung gestanden. Am größten noch sei die Ueber: einstimmung hinsichtlich des ersten Glaubensartikels. Anders stehe es schon beim zweiten Artikel. Daß Christus Gottes Sohn sei, und daß er für unsere Sünden gestorben sei, das jei mehr äußerlich angelernt; bei der weit verbreiteten Selbstgerechtigkeit erkenne das Volk meistens nicht, warum

Christi Leiden und Sterben nöthig war. Die Bedeutung der Erlösungsthatsache sei unserem Volke zu einem großen Theil fremd geblieben. Noch viel ferner stehe den unteren Ständen der dritte Artikel und die Persönlichkeit des heil. Geistes. Ueber den Weg, der zu Christo führe, habe man meist ganz andere Auffassungen als unsere Kirchenlehre, es seien dem Volke fremde Gedanken, daß man nicht aus eigener Vernunft und Kraft zum Glauben kommen könne, sondern daß dazu die Berufung, die Erleuchtung und die Heiligung des heiligen Geistes nöthig sei. Ebenso wie die Dogmatik unterscheide sich die Ethik in vielen Stücken von der des Katechismus. Zahllose sehen in der Unkeuschheit, wenn sie nicht zu arg betrieben werde, und in der Lüge, durch die man sich vor Schaden bewahre, etwas Selbstverständliches. Zwar habe es immer auch im Volke einzelne gegeben, welche ungläubig waren, aber heute finde sich weithin in den unteren Ständen ein bewußter Gegensatz gegen die Kirche und das Christenthum. Dieser Widerspruch sei erst eine moderne Erscheinung. Denn während der alte Rationalismus noch an Gott und Unsterblichkeit festhielt, sei dieser Glaube heute geschwunden oder in bedenkliches Schwanken gerathen. In den Arbeiterkreisen greifen widerchristliche Anschauungen immer weiter um sich und verbreiten sich in Folge der vielen Beziehungen zwischen Stadt und Land, der rührigen Agitation der Socialdemokratie in Wort und Schrift, der persönlichen Bearbeitung der Arbeiter in den Werkstätten in immer weitere Kreise.

2. Spricht man vom Unglauben in den unteren Ständen, so muß man auch von der Socialdemokratie reden. Darum handelt der Verfasser in einem zweiten Abschnitt von Socialdemokratie und Christenthum. Christenthum und Socialdemokratie werden richtig als unvereinbare Gegensätze bezeichnet. Heute sei zwar äußerlich die Socialdemofratie religiösen Fragen gegenüber zurückhaltender geworden und offenbare ihre Religionsfeindschaft nicht mehr so

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