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Es kam, was kommen mußte, das Verfassungsleben der Völker. Und gerade dort, wo der Wiener Congreß am schwersten gesündigt hatte, in Deutschland und Italien, erhoben sich, auf Kosten Desterreichs, die zwei neuen nationalen Reiche des XIX. Jahrhunderts.

Nun geschah um die Mitte des Jahrhunderts, daß der Idee der Freiheit, die zum Zenith ihrer Erfolge sich zu heben schien, eine Rivalin entgegentrat. Es erstand eine neue und entgegengesetzte Leitidee, die der socialen Solidarität, welche auf sociale Bindung der individuellen Freiheit gerichtet erscheint. Es vollzog sich dieses auf dem wirthschaftlichen Gebiet. Und zwar prallten gleich die äußersten Gegensäße auf einander: der liberale" Dekonomismus der Manchesterschule und der extreme Socialismus von damals. Die Solidaritätsidee griff aber bald auf das gesammte Culturleben über. Aus dem Gegensaß dieser Windrichtungen ist wohl auch der Gegensaß zu erklären zwischen kosmopolitischem Weltbürgersinn und ihm feindlichen Nationalismus; ferner das Phänomen, daß Altliberale mit dem Absolutismus coquettiren, für „Culturaristokratie" schwärmen, die Demokratie aber mit bösen Scheltworten bedienen, wie „Chaos der Allerweltsgleichheit“, „Zählung des demokratischen Stimmviehs“ u. s. w. Schon ist der Solidaritätsgedanke nicht bloß im öffentlichen, im internationalen Leben eine Macht; 1) wie sehr er Leitidee geworden ist, erhellt aus seinem Einfluß nahezu auf alle Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen. Eifrig forscht man der Vererbung nach und ihrer Tragweite, dem Milieu und seinen Einwirkungen. Diese beiden socialen Faktoren sind aber nichts als die Solidarität im Nacheinander der Generationenfolge und die im Nebeneinander der Zeitgenossen.

War es nun freilich ein merkwürdiger Windumschlag

1) Man erinnere sich an Millerand's Eröffnungsrede der Weltausstellung.

Sprechen wir von leitenden Ideen einer Zeit oder vom Zeitgeist, so meinen wir in der That nicht von ferne luftige Märchenwesen, die mit unsichtbaren Händen in das Getriebe der socialen Entwicklung eingreifen; die der Menschheit zwar den Wahn beließen, sie lebe die Geschichte, sie schaffe die Cultur, während es doch die Ideen wären, die alles und alle am Schnürchen hätten, um das große Theaterstück aufzuführen, das man Geschichte nennt. Ideen sind ja ursprünglich und eigentlich nie etwas anderes als Verstandeserzeugnisse, noch je irgendwo anders als in den Köpfen einzelner Menschen. Auch die „Volksscele“ besteht lediglich in der gleichartigen, psychophysischen Anlage der einzelnen Volksgenossen. Man spricht von „objektivem Geist" und meint damit die papierene Existenz von Ideen in Schriftwerken jeglicher Art. Aber auch diese ist nur ein Uebergangsstadium zwischen dem Verfasser und den Lesern. Es geschieht nun, daß eine Idee gleichzeitig in vielen Köpfen um sich greift und von da durch Wort, Schrift und Bild weiter verbreitet wird, Aufnahme findet; im Widerspruch sich behauptet und in Anfeindungen erstarkt; in alle Gespräche eindringt und in alle Literatur; sogar Geseze gestaltet oder verhindert; sich im Unterricht einnistet und als herrschende Meinung in den Grundlagen der Jugendbildung festseßt. So wird, im Grunde durch Addition, das Individualpsychische Soc alpsychisches. Wir nennen dann eine solche geistige Collektivkraft Leitidee oder Zeitgeist.

Obgleich nun derlei „massenpsychische“ Erscheinungen nichts als eine Summe von Individualpsychischem sind, so haben sie, als Summe, doch etwas Eigenes. Sie erlangen eine eigenthümliche Kraftsteigerung, üben eine wahre Herrschaft aus, weil ihre Verbreitung sich durch eine Art moralischen Zwanges vollzieht, durch den socialpsychischen Druck, der den Bezwungenen gar nicht zum Bewußtsein zu kommen pflegt. Bieten solche Leitideen zugleich irgend einen socialen Vortheil, so sind Massenüberzeugungen vor

handen, ehe man sich dessen versieht. Oft genug verbreiten sie sich lediglich wie die Moden, durch den Nachahmungstrieb derer, welche es nach etwas gelüftet, was von der Menge abhebt. Tritt dann allgemach Massenverbreitung ein, so ist es mit dem distinguirten Charakter vorbei und aus. In den höheren Kreisen gelten sie dann als banal, als „ranzige Majoritätswahrheiten", womit der Boden für eine Gründung in neuen Leitideen vorbereitet ist. Nicht minder oft schaden ihnen die llebertreibungen ihrer Anhänger. Jede leitende Idee unterliegt einer logischen Entwicklung, welche die letzten Consequenzen heraustreibt. Schon diese sind zuweilen eine wahre Teufelsbrut, die man nicht schnell genug verläugnen kann, sie heftet sich trotzdem an die Fersen ihrer Eltern. Die Uebertreibungen vollends fordern den latenten Widerspruchsgeist heraus. Zieht eine Sache, so finden sich nicht bloß Zustimmungen sondern auch Uebertreibungen von selbst und ungebeten ein. Ist nun der Widerspruchsgeist rege geworden, erst in einzelnen, bald in mehreren, endlich in vielen, so frägt sich nur, wer der Katze die Schelle anhängt. Findet sich ein Berufener, so kann er einen Windumschlag im Zeitgeist vorbereiten oder veranlassen und erlebt viele Auflagen.

Sonach wären wechselnde Windrichtungen in der öffentlichen Meinung etwas wohl Begreifliches, normale Erscheinungen, unter Umständen nüßliche Vorgänge, welche llebertreibungen bei Zeiten rückgängig zu machen, den Fortschritt in der richtigen Mitte zu halten vermögen, naturgemäße Regulatoren. Aber sie müssen nicht geradezu in Cyclonen oder Teifune ausarten.

Betrifft eine Leitidee Lebensfragen der Menschheit und ist zugleich stark wie ein Orfan, der Bäume umwirft und Häuser abdeckt, erhebt sich dann ein ebenso starfer, aber in anderer, etwa entgegengesetter Richtung, so wird sich daraus ein Wirbelwind ergeben, der nicht bloß Regenschirme umstülpt und Hüte wegträgt, sondern allgemeinen Nothitars

von der durchaus individualistischen Freiheit zu der durchaus collektivistischen Solidarität, so läßt sich doch wohl denken, daß sich aus beiden eine erträgliche Resultante ergibt, ein Mittelweg beide vereint. Der Freiheitsdrang läßt schon seit längerer Zeit mit sich reden, und der Solidaritätsenthusiasmus ist über die Flegeljahre hinaus. Heinen Mittelweg aber gibt es zwischen dem Fortschritt und seinem Gegner; denn auch ihm ist ein solcher entgegengetreten.

Wie die Freiheit, schien der Fortschritt noch in stolzem Ansteigen begriffen zu sein, als auch da plößlich ein Gegenwind von schneidender Schärfe losfuhr: der Pessimismus. Mag er nun allem Fortschritt, ja selbst der Möglichkeit des Fortschrittes sein Dogma vom Elend als dem Zweck des Lebens entgegenseßen, oder mag er nur die Culturlage der Gegenwart als Niedergang und Entartung bezeichnen, immer steht er in unvereinbarem Gegensatz zu dem Glauben an den Fortschritt, wie dieser als Leitidee das Jahrhundert durchzog Wo der Fortschrittsglaube segnet, flucht der Pessimismus; der Optimist flucht nur Einem, dem Pessimismus; und der Pessimist segnet nur Eines, sein eigenes Fluchen. Zwischen dem gedachten Doppelpaar wechselnder Wind: richtungen, der Freiheit und der Solidarität, dem Fortschritt und dem Pessimismus, gibt es aber noch weitere Unterschiede als diesen, daß Freiheit und Solidarität möglicherweise vereinbar, Fortschritt und Pessimismus unmöglicherweise vereinbar sind. Der Solidaritätsgedanke ist an sich gesund, stark, schön; der Pessimismus franf, matt, wüst. Der Solidaritätsgedanke erhob sich inmitten einer Welt voll Arbeit und die Arbeiterwelt hat ihn zuerst ergriffen. Der Pessimismus ist für abgelebte Harmlose" und Pläsirblasirte. Seiner Herkunft nach ist er eine rein philosophische Luftströmung.

Die wechselnden Windrichtungen auf dem Gebiet der wirthschaftlichen und politischen Zeitideen weisen weniger

schroffe Gegensäße auf, als es innerhalb der Philosophie im verflossenen Jahrhundert der Fall war; sie erscheinen nur als stärkere oder schwächere Passate neben den Cyclonen und Anticyclonen, Hurrikanen, Tornados und Tromben, welche in den erhabenen Regionen, wo die philosophische Weltansicht ihre Hütten baut und ihren Kohl pflanzt, hin und her gerast sind.

Den gemeinsamen Boden aller menschlichen Ueberzeugungen und Grundsäge, die Weltanschauung, haben sie zu einer Wüste und einem Trümmerhaufen gemacht. Aus dem Widerwillen, den die Ursache, und aus dem Mißmuth, den die Wirkung hervorrief, entstand der Pessimismus. Aeolus' Schlauch ist in der Welt der Denker nicht bloß unvorsichtig geöffnet worden, sondern einfach mittendurch geborsten. Paarweise entstiegen ihm Winddämonen, die sich ergänzen wie Ja und Nein, die den Naturtrieb haben, sich gegenseitig und gleichzeitig aufzuheben und umzubringen. Auf allen Gebieten der Philosophie, der Natur- wie der Geistesphilosophie, der Logik, Ethik, Aesthetik, Rechtsphilosophie und Sociologie sind mindestens je ein Paar auf das Aeußerste einander entgegengesetter Leitideen und Ideencomplexe oder Systeme unmittelbar nacheinander oder gleichzeitig herrschende Meinung gewesen und sind es momentan mehr als je.

Die socialpsychische Bedeutung der Philosophie besteht vornehmlich darin, daß diese Wissenschaft sich als zuständige Behörde oder fachwissenschaftliche Autorität in den Fragen ansieht, welche die Weltanschauung betreffen, den Fragen nach dem Ursprung der Welt, dem Zweck des Daseins, dem Sinn des Lebens. Lassen wir die zahlreichen untergeordneten Sonderrichtungen auf sich beruhen und beachten wir nur den Hauptwind, Monismus“ genannt. Während am Anfang des Jahrhunderts Monismus à la Hegel herrschte, in dessen zweiter Hälfte Monismus à la Häckel,verschlungen' wurde, bringt uns die Jahrhundertwende im Berliner „Reich der

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