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als Mirakel und vor allem in der hochpatriotischen Deutung. Und obendrein beansprucht diese Deutung eine sofort abgegebene Prophezeiung des Dikaios zu sein. Eine Prophezeiung bedarf nun einmal eines Anlasses, eines für tatsächlich ausgegebenen Vorganges als Unterlage; aber nicht das bißchen tatsächliche Unterlage, sondern die Prophezeiung selbst ist der Kern der Erzählung. Trautweins Irrtum beruht wieder auf seiner grundsätzlichen Vorstellung von einem Memoirenwerk des Dikaios, als dessen Inhalt er sich nun einmal Tatsächliches zu denken genötigt ist. Eine ähnliche Tendenz nun tragen alle Demaratosstücke bei Herodot. Diese Besonderheit ist auch Trautwein nicht entgangen (S. 563), aber er hat sie längst nicht ausreichend in seine Rechnung eingesetzt. Ihm ist des Dikaios Schrift ganz vorzugsweise eine Quelle des Tatsächlichen, er denkt sie sich nur in unbedeutenderen Teilen leicht gefärbt durch den erklärlichen Wunsch des Verfassers, sich und Demaratos in das beste Licht zu stellen. Das erscheint ihm als ein „Nebenzweck" der „Memoiren", der ihren historischen Wert" zwar vielfach beeinträchtigt", aber doch ihre Eignung, Tatsachenquelle zu sein, nicht in Frage stellt. Man muß nach ihm nur zwischen Tatsächlichem und Tendenziösem zu scheiden wissen: in den meisten Fällen wird die Entscheidung leicht zu treffen sein“. Wie das zu machen wäre, kann die Trautweinsche Kritik des Wunders auf der thriasischen Ebene zeigen: man streift (wie es nun einmal der Brauch ist) alles Wunderbare, Unglaubliche, Tendenziöse ab und reserviert für die Geschichte nur die splitternackte „Tatsache". Das heißt allerdings: den Kern der Nuß wegwerfen und die Schale verspeisen.

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Ich bin auf Trautweins Ausführungen ausführlich eingegangen, weil sie es ihrer konsequenten Logik und Durchdachtheit wegen verdienen, und gehe nun dazu über, den Charakter der Schrift des Dikaios positiv zu bestimmen. Mit Sicherheit lassen sich auf sie nur die Demaratosstücke bei Herodot zurückführen; aber diese dafür auch mit völliger Sicherheit. Die gemeinsame Tendenz all dieser Stücke gilt es zu erfassen und daraus den Charakter und Inhalt der Schrift zu erschließen. Eine kurze Prüfung der einschlägigen Stücke nach dieser Richtung hin wird die erforderlichen Unterlagen liefern.

1. VIII, 65. Es ist selbstverständlich, daß Dikaios ebenso wie Demaratos zu den griechischen Exulanten gehört, die im Gefolge der Perser als deren Führer, Ratgeber und Unterhändler den Zug gegen Griechenland mitmachten. Über die moralische Seite der Sache habe ich hier nicht zu urteilen; nur soviel sei gesagt, daß der Begriff Vaterlands- oder Hochverrat die Sache nicht trifft. Mederfreundliche Parteien gab es gewiß in allen Städten und Staaten Griechenlands; sie siegten z. B. in Delphi und Theben, sie unterlagen in Sparta und Athen. Die siegende Partei ist eben durch ihren Sieg die "patriotische"; die Häupter

der Gegenpartei werden exiliert und begeben sich in das Lager, dem ihre Sympathien schon vorher galten. Im umgekehrten Falle würden es ihre Gegner ähnlich machen; Patriotismus kommt dabei gewöhnlich überhaupt nicht in Frage. Auch haben die Exilierten in der Heimat noch mancherlei Anhang: vorsichtigere und deshalb weniger kompromittierte Leute: dazu kommen die Unparteiischen. die Lauen. Gleichgültigen und Wetterwendischen. Der politische Wind schlägt schnell um. die Verbannten und Flüchtigen von heute können morgen wieder Herren der Situation in ihrer Heimat sein. Demaratos und Dikaios sind ohne alle Frage medisch gesinnt mit allen Herzensfasern: von dem siegreichen Perserkönig erwarten sie ihre Restitution, Vermögen und Ehre, Rache an den Feinden, wohl gar Herrschaft in der Heimat. Als sie im Gefolge des siegreichen Perserheeres die thriasische Ebene durchzogen, waren sie wenn man ihren Aberglauben auch noch so hoch anschlägt gewiß weitentfernt, ein so neutrales Geschehnis. wie die Wahrnehmung einer Staubwolke und eines fernen Klingens es gewesen sein würde, ihren damaligen Wünschen so widersprechend zu deuten. Wenn Dikaios etwa ein Seher und sein Geist auf die Auffindung prophetisch deutbarer Ereignisse gerichtet war, so konnte er aus seiner damaligen Stimmung heraus die Wahrnehmung nur auf die Richtung deuten, die das Kriegswetter nehmen würde, selbstverständlich mit der Voraussetzung eines persischen Erfolges. Die Deutung auf einen bevorstehenden Sieg der Griechen kann demnach wie ja von vornherein wahrscheinlich ist nur eine nachträgliche sein. Sie gehört einer Zeit an, in welcher die Restitution der Exulanten durch persische Macht längst außer Betracht gekommen war, wo nur noch Transaktion mit der siegreichen Partei und möglichste Rechtfertigung des eigenen Verhaltens vor ihr Erfolg verhieß. So beteuerte denn nachträglich Dikaios für Demaratos und sich ihren schweigenden, duldenden Patriotismus während der Exilzeit: jene Prophezeiung erklärt die Wahrheit für trügerischen Schein und konstruiert ein stilles Denken und Trachten des Herzens im Gegensatz zu dem offenbaren Handeln. Das feindselige Handeln kommt so auf das Konto der äußeren Umstände, der bitteren Not: es wird entschuldigt und ausgeglichen durch das freundliche Wollen. Dikaios betont diesen Punkt möglichst nachdrücklich: er schreibt dem Demaratos sogar einen frommen Stoßseufzer für die Erfüllung der griechenfreundlichen Prophezeiung zu (περὶ δὲ στρατιῆς τῆσδε θεοῖσι μελήσει). Auch gegen den naheliegenden Einwand, warum denn Dikaios für die Verbreitung jener patriotischen Prophezeiung nicht früher, nicht vor der Entscheidung Sorge getragen habe. deckt sich der Erzähler durch Berufung auf die damit verbundene Gefahr (ήν γάρ τοι ἐς βασιλέα ἀνενειχθῇ τὰ ἔπει ταῦτα ἀποβαλέεις τὴν κεφαλήν κ. τ. λ.). So wird durch diese Geschichte dem Dikaios und Demaratos der Kranz des echten,

unter Leiden und Todesgefahr erprobten Patriotismus gereicht. Auch die Götter erkennen das an, indem sie ihnen den heißerflehten Sieg der Griechen durch ein prophetisches Zeichen zu erkennen geben; durch die fromme Annahme dieses Götterzeichens haben dann die beiden Patrioten ihren Teil zu dem Erfolge beigetragen.

Nach diesem Stücke kann man zweifelhaft sein, ob Dikaios für sich oder für Demaratos das Wort führt, ob er auf dessen Restitution oder seine eigene hinarbeitet. Der letztere erscheint hier mehr im Hintergrunde als der einflußreiche und edelmütige Beschützer gesinnungstüchtiger exilierter Landslente (και σε οὔτε ἐγὼ δυνήσομαι ρύσασθαι οὔτ ̓ ἄλλος ἀνθρώπων ovde is sagt Demarat), aber da von Dikaios nirgends sonst die Rede ist, die Apologie des Demaratos an verschiedenen anderen Stellen ganz in derselben Art geführt wird, so ergibt sich, daß es sich um diesen in der Rechtfertigungsschrift des Dikaios ganz eigentlich handelte. Auch ist eine Prodigiendeutung wie die des Dikaios glaubwürdiger, wirksamer, wenn sie sich auf die Person eines anderen Größeren als auf die des Propheten selbst bezieht.

Um Demaratos also handelte es sich in der Schrift des Dikaios, und zu ihrer Tendenz gehört sichtlich die nachträgliche Beschönigung des notorischen undouós dieses Mannes. Seine Teilnahme am Zuge gegen sein Vaterland im Gefolge des Großkönigs kann an seiner wirklichen Gesinnung keinen Zweifel lassen 1). Aber in Sparta hatte man ihm gewiß noch mehr vorzuwerfen, als das bloße Zusammensein mit den Landesfeinden, als bloße üble Gesinnung. Nicht um seiner Unterhaltungsgabe willen oder wegen seiner Eigenschaft, unbequeme Wahrheiten zu sagen, führte ihn wie überhaupt seinesgleichen der Perserkönig mit sich, sondern zu höchst realen politischen Zwecken: militärischer und diplomatischer Ratgeber und Agent zu sein. Welcher Art die Dienste waren, welche die Perser von ihrem Schützling erwarteten und die dieser ohne Zweifel leistete, bedarf keiner Erörterung; auch die Spartaner werden über die Rolle, welche Demaratos zu spielen hatte und spielte, schwerlich im Unklaren gewesen sein.

So stellt sich also der Versicherung des Dikaios, sein Mandant habe trotz des gegen ihn sprechenden Scheines niemals aufgehört, mit der Sache seines Vaterlandes zu sympathisieren, von selbst der Einwand entgegen, daß gegen diese Behauptung gewisse Tatsachen, nämlich die unbestreitbar dem Perserkönig zum Nachteile seines Vaterlandes von Demaratos gegebenen Ratschläge, sprächen. Hiergegen wendet sich deshalb Dikaios und gibt von der Ratgebertätigkeit des Demaratos ein nach Möglichkeit schön gefärbtes Bild. So wahrscheinlich es ist, daß zur Zeit der größten Spannung und Aufregung in Sparta unkontrollierbare Gerüchte und Vorstellungen von

1) Das verkennt auch Herodot selbst nicht (vgl. u. S. 51).

den Plänen und Machenschaften des Demaratos geherrscht haben liebt das Volk es doch, Mißerfolge dem Verrat aufzubürden — so falsch ist es doch auch, sich die Rolle dieses Mannes als Ratgeber so harmlos-naiv vorzustellen, wie das Herodot unter dem Einflusse des Dikaios tut.

2. In Betracht kommt zunächst VII, 101 ff. Hier tritt Demaratrs als Ratgeber in Funktion, zeigt sich aber in allem als freimütiger Patriot. So groß ist sein Freimut, daß er durch die beabsichtigte Antwort auf die Frage des Königs in Ungnade zu fallen fürchtet. Er ergeht sich denn auch wirklich in einer Lobrede auf die Lacedämonier, in der die Farbe wahrhaftig nicht gespart wird; ihre Armut, Disziplin, Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit begeistert ihn zu einem förmlichen Hymnus. Es ist keine aktuelle Einzelfrage, bei welcher der Perserkönig die praktischen Kenntnisse und Beziehungen seines Parteigängers in Anspruch nimmt, er veranlaßt ihn vielmehr nur zu einem allgemeinen Raisonnement über die Hellenen, insbesondere die Spartaner, die auch in deren Augen nichts Verfängliches haben kann. Die Erzählung beansprucht typisch für das Verhalten des Demaratos als Ratgeber des Perserkönigs zu sein. Sein Mandant, gibt Dikaios zu verstehen, habe trotz seiner Vertrauensstellung am persischen Hofe niemals konspiriert, er sei immer ein Lobredner seines geliebten Vaterlandes geblieben, in dem Maße, daß er durch seinen Freimut selbst die Gnade seines Schutzherrn einzubüßen Gefahr gelaufen wäre. Seine dem Perserkönig geleisteten Dienste gingen über die Grenze einer gutgemeinten, übrigens auch im spartanischen Interesse erteilten Warnung nicht hinaus. Das völlige Zurücktreten der Athener hinter den Spartanern, ja hinter den Doriern überhaupt, das der besonderen Tendenz des herodoteischen Geschichtswerkes strikt zuwiderläuft, weist dies Stück deutlich einer Quelle zu, die auf Sparta und Spartaner zu wirken sucht. 3. VII, 3 wird die Ankunft des flüchtigen Spartanerfürsten am Königshofe in Susa erzählt und dem Ankömmling ohne weiteres eine entscheidende Rolle bei einem allerbedeutsamsten Ereignis interner Reichsgeschichte, bei der Festsetzung der Thronfolge in Persien, zugesprochen. Die Geschichte ist tatsächlich völlig unmöglich; sie ist eben frei erfunden in einer ganz bestimmten Tendenz. Allerdings liegt diese nicht oben auf, ist auch durch die landläufige Methode der Quellenanalyse nicht zu erschließen. Zunächst irrt fundamental. wer in unserem Kapitel ein reales Stück persischer Verfassungsgeschichte zu halten meint. Herodot selbst, welcher dem Dikaios die Sache nacherzählt, desavouiert sie mit vollstem Rechte, freilich in seiner vermittelnden, den Erzählungsstoff erhaltenden Manier. Nach ihm ist zweifellos richtig die Thronfolge des Xerxes gegründet auf seiner Abstammung von Atossa, des Kyros Tochter. Das zweifellose Anrecht schließt einen wirklichen, rechtlichen Thronstreit ganz und gar aus: trotzdem behält Herodot diese Angabe des Dikaios bei,

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jedoch so, daß er den von diesem berichteten Hauptentscheidungsgrund für Xerxes zur Nebensache herabdrückt. Mit dieser Korrektur fällt nun jedenfalls eins: das große Verdienst des Demaratos um Xerxes. Eben in dieser Behauptung aber wird der eigentliche Zweck der Erfindung des Dikaios gelegen haben. Warum das? Welchen Nutzen hatte es für Demaratos, seinen Landsleuten als Wohltäter des Großkönigs vorgestellt zu werden?

Wie oben gezeigt, verteidigt Dikaios seinen Mandanten gegen den Vorwurf, den Landesfeinden durch Rat und Tat Unterstützung geliehen zu haben. Es wird die Sache so dargestellt, als habe der verbannte König nie aufgehört, mit seinem Vaterlande zu sympathisieren; seine landesverräterischen Ratschläge werden in harmlose, ihres Freimuts wegen sogar für den Erteiler gefährliche Warnungen umgedeutet. Diesen lügnerischen Beschönigungen des pfiffigen Verteidigers stand die ebenso unbequeme wie notorische Tatsache gegenüber, daß Demaratos sich höchst positiver Gunstbeweise des Perserkönigs zu erfreuen hatte1). Diese galt es auf ein unschuldiges, möglichst neutrales Motiv zurückzuführen. Zu diesem Zwecke nun erfindet Dikaios wichtige Dienstleistungen seines Freundes in einer ganz intern persischen, mit der äußeren Politik in gar keiner Verbindung stehenden Frage.

4. VII, 213 ff. Es ist von vornherein nicht wahrscheinlich, daß Dikaios den Vorwurf landesverräterischen Verhaltens bloß im allgemeinen. abzuwehren gehabt haben sollte, vielmehr wird sich die Anklage gegen seinen Freund zu ganz bestimmten Behauptungen verdichtet haben. Es ist nur allzu menschlich, daß die furchtbare Katastrophe in den Thermopylen niederträchtigem Verrat zur Last gelegt wurde, und an wen hätte der lakonische Patriot dabei eher denken sollen als an seinen ehemaligen König im Gefolge des Großkönigs)? Die Darstellung bei Herodot zeigt zwar den Demaratos in keiner Verbindung mit den beiden einander widersprechenden Verratsversionen, deren Glaubwürdigkeit der Erzähler gegeneinander abwägt. Hier ist jedoch eine Stelle, in welcher er die eine der beiden ihm bekannten Versionen mit ganz ungewöhnlicher Entschiedenheit, fast mit Entrüstung verwirft in einer ganz subjektiv gehaltenen Wendung (VII, 214 Schluß): ἀλλ' Ἐπιάλτης γάρ ἐστι ὁ περιηγησάμενος . . . Tortor ditior poάgo. Man sieht: die andere Version, welche als Verräter den Onetes und Korydallos nennt, hat ausgesprochen die Tendenz, den Ephialtes zu entlasten. Die Schuld der Genannten würde die des 1) Z. B. der Übertragung eines Fürstentums in Mysien cf. Xenoph. Hellen. 3, I. 6.

2) Die Sache spitzt sich dadurch zu, daß nach Lage der Dinge Demaratos als Todfeind des Leonidas gelten muß. Die Beschimpfung des Leichnams des Leonidas (Herod. VII, 238) ist deshalb nicht unmöglich.

Klio, Beiträge zur alten Geschichte XIII 1.

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