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Man wird, besonders wenn man beim Lesen der Abhandlung selbst gewahrt, mit welchem Reichtum von Beispielen diese Aufstellungen erläutert werden, dem Verdienste dieser Arbeit gern seinen Tribut entrichten. Bei Gegenständen, über die noch so viel Unsicherheit herscht, wie dies hier der Fall ist, ist man denen Dank schuldig, die den Mut haben, das Zögern zu überwinden, wodurch die meisten von jedem Versuch zu systematisiren zurückgehalten werden, und die mit ihrem organisirenden Talente, unterstützt durch hinreichendes Wissen, eine Skizze entwerfen, gegen welche die Kritik später vielleicht viel einzuwenden haben mag, die aber doch bei Fortsetzung der Untersuchung zum Leitfaden dienen kann. Diesen Dienst hat Tiele's Reihe von Gesetzen der Religionswissenschaft sicherlich erwiesen. Ich glaube auch, dass er an den sechs Formeln, die er uns gab, keine nennenswerte Aenderung vorzunehmen hätte, um sie noch heute mit gutem Erfolg verteidigen zu können. Man würde vielleicht nur das fragen können, ob er nicht lieber, statt allgemeine und besondere Gesetze zu unterscheiden und ihnen ein Grundgesetz nachzustellen, Ein Gesetz hätte aufstellen und alles übrige als fünf verschiedene Anwendungen davon hätte aufzeigen sollen. Dies Eine Gesetz ist das zuerst genannte, das von der Einheit des menschlichen Geistes. Damit soll doch nicht nur gemeint sein, dass die geistigen Vermögen des Menschen nicht abgesondert und unabhängig von einander in ihm vorhanden sind, sondern gewis auch dies, dass im Geist ein Gesetz herscht, welches eine dauernde Disharmonie in der Entwicklung verbietet. Und wenn man nun den andern sogenannten Gesetzen bis auf den Grund nachgeht, dann wird man sehen, dass man immer wieder auf dies Eine grosse Gesetz zurückkommt. Der Grundgedanke ist allezeit: dass, was zu dem im Geist bereits vorhandenen hinzukommt, sich daran muss anschliessen können, und dass, wo dies nicht möglich ist, Störung oder Behinderung in der Entwicklung entsteht. Darum muss das historisch Gegebene zum Ausgangspunkt für den Fortschritt dienen. Darum kann keine Reform durch Anpassung neuer Formen ohne ihnen entsprechende Entwicklung bewirkt werden. Darum überleben die alten Vorstellungen und Gebräuche die officielle Abschaffung der Lehre, mit der sie ursprünglich zusammenhingen. Darum reagirt in jeder neuen Periode der Geist gegen die Einseitigkeit, die in der vorangehenden herschte. Darum endlich triumphirt auf die Dauer das Vernünftig-sittliche in der Religion über alles, was der vernünftig-sittlichen Anlage des Menschen keine dauernde Befriedigung geben kann.

Immer dasselbige Gesetz, auf verschiedene Verhältnisse angewandt. Und ist dies das Gesetz für die Entwicklung der Religion? Ohne Zweifel. Denn und das ist, wie mir scheint, die Schwäche an Tiele's Aufstellung es ist das allgemeine Gesetz des menschlichen

Geistes, und deshalb auch der Religion, die mit zum Geistesleben des Menschen gehört. Man kann die Probe machen, ob nicht, wenn man diese Aufstellungen über Entwicklung der Religion auf die Cultur im Allgemeinen anwendet, oder, will man ein beschränkteres Object, auf die Entwicklung der Sittlichkeit, alles sich davon ebenso gut sagen lässt, wie es hier von der Religion gesagt ist. Wir haben, genau besehen, in diesen Gesetzen der religiösen Entwicklung nichts anderes als eine Anwendung des allgemeinen Entwicklungsgesetzes auf die Religion. Es ist, als ob der Autor selbst dieses Bedenken fühlt, wenn er beim Uebergange zu den beiden letzten der besondern Gesetze (S. 253) sagt: „zwei andere Gesetze der Entwicklung der Religion, eigentlich Gesetze der allgemeinen Entwicklung, die auch für die Religion gelten, sind schon von anderen nachgewiesen und müssen hier nur noch in Kürze vorgeführt werden." Oder ist das kein Bedenken? Natürlich nicht, wenn nach der Wahrheit seiner Behauptungen gefragt wird. Je bestimmter es sich zeigt, dass irgend etwas als allgemeines Gesetz für den menschlichen Geist gilt, um so sicherer kann man annehmen, dass auch das religiöse Leben des Menschen dem untergeordnet sein muss. Aber die Frage war hier nicht die nach diesem allgemein Geltenden, sondern nach der Weise, auf welche es sich auf dem besondern Gebiet der Religion besonders gestaltet. Das ganze Object der Abhandlung über die Gesetze der Entwicklung der Religion" beruht auf der Voraussetzung, dass, während der Mensch auch als religiöses Wesen an das Gesetz seiner Veranlagung z. B. an das Gesetz der Einheit des menschlichen Geistes gebunden bleibt, doch für die verschiedenen Formen des Geisteslebens auch eigene Entwicklungsgesetze da sein sollen, die aus der Eigenartigkeit einer jeden besondern Function des Geistes hervorgehen; dass, wie es Regeln geben soll, die unsere ästhetische Entwicklung beherschen, auch für die religiöse Entwicklung besondere Gesetze da sein sollen, die aus dem Entwicklungsgang der Religion müssen erschlossen werden können. Wenn man dann nun, wie in dieser Abhandlung, eigentlich nichts anderes findet als die Nachweisung, wie das allgemeine Entwicklungsgesetz auch auf religiösem Gebiete seine Kraft behält, dann macht man sich wol keiner Undankbarkeit schuldig, wenn man, bei aller Würdigung der talentvollen Weise, in welcher diese unleugbare Wahrheit hier ausgeführt ist, noch nach etwas mehr fragt, und zwar nach demjenigen, um welches es hier gerade zu tun war.

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Diese Kritik ist, glaube ich, nicht unbillig, aber ich will sofort hinzufügen sie ist leicht im Vergleich mit der Aufgabe, deren Erfüllung sie verhütet haben würde; und ebensowenig wie ich andere als Beispiele. nennen könnte, wie diese Aufgabe angefasst und gelöst werden müsste, fühle ich mich selber imstande, sie auf mich zu nehmen. Zum wenigsten, wenn sie rein systematisch, so wie Tiele es probirte, ausgeführt werden.

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soll. Pfleiderer widmet seinen ersten Hauptteil der „Entwicklung des religiösen Bewusstseins", und v. Hartmann nennt sein ganzes Werk,,das religiöse Bewusstsein der Menschheit im Stufengang seiner Entwicklung", aber beide folgen der Methode, die Geschichte bezeugen. zu lassen, auf welchen Wegen die verschiedenen Religionen zu höherer Entwicklung gekommen sind. Tiele hätte sich seine Arbeit viel bequemer machen können, wenn er auf die Weise, wie sie u. a. auch von ihm in seiner Geschichte der Religion" angewandt worden ist, die Religionen, nach ihren Arten geordnet, eine nach der andern vorgenommen und aus der Geschichte einer jeden gezeigt hätte, wie dort die Entwicklung stattgehabt hat. Aber er strebte nach Höherem. Er wollte erproben, ob die Resultate dieser historischen Untersuchung sich schon in allgemeine Regeln zusammenfassen liessen, deren Allgemeingültigkeit wieder historisch bestätigt werden könnte. Wäre das von jemandem mit einer weniger ausgebreiteten Kenntnis der Religionsgeschichte gewagt worden, dann würde man dem Unbefriedigenden dest Resultates keine grosse Bedeutung beilegen können. Aber wenn solch ein Versuch von seiner Hand noch so wenig von dem liefert, was man wünschen möchte, dann liegt darin, wie es mir vorkommt, eine Warnung, mit dem Systematisiren nicht zu eilig zu sein. Das Aufstellen von Gesetzen ist doch das Letzte, wozu die Wissenschaft kommt. Und sehen wir, wie die Naturwissenschaft, die bei ihrer Untersuchung sich in so viel günstigerer Lage befindet, nun schon Jahrhunderte lang mit ihren Experimenten und darauf gebauten Hypothesen an der Arbeit ist, und wie sie doch noch nicht mehr als erst einen Anfang der Sicherheit hinsichtlich der in dem Causalzusammenhange wirkenden Gesetze hat erlangen können, dann kann es uns nicht verwundern, dass wir, bei den so verwickelten Problemen des Seelenlebens und bei den erst nur seit kurzer Zeit methodisch behandelten Fragen über Ursprung und Entwicklung der Religion, uns vorläufig mit einer sorgfältigen Sammlung der Daten zufrieden stellen müssen, aus denen später das System wird aufgebaut werden können.

Während, wie sich von selbst versteht, die allgemeinen Gesetze des menschlichen Geistes immer als die alles beherschenden Mächte anerkannt bleiben, muss unsere Aufmerksamkeit sich vor allem auf die Erscheinungen richten, worin das eigenartig Religiöse sich am schärfsten ausdrückt. Können wir doch hoffen, darin die besondern Gesetze für die Entwicklung der Religion am deutlichsten ans Licht kommen zu sehen. Als Hülfsmittel kann dabei die Vergleichung mit irgend einem andern an das Religiöse grenzenden Gebiete, wie Philosophie, Sittlichkeit, Kunst dienen. Denn es ist nicht anders möglich, als dass man dann einen Unterschied sowol in der Richtung wie in der Kraft des Fortschrittes bemerken muss, und dieser Unterschied kann

eine Hinweisung auf das besondere Gesetz, wodurch er verursacht ist, geben.

Ein Beispiel. Etwas Charakteristisches bei aller Religion ist, dass die religiösen Verpflichtungen und die Religionslehre als mit höherer Autorität denn der menschlichen ausgestattet angesehen werden. Bei den sogenannten positiven Religionen ist dies unbestreitbar, aber auch in den Naturreligionen gehört das, was als Wille der Gottheit erkannt oder für von der Gottheit gelehrte Wahrheit gehalten wird, immer zu einer andern Art als alles, was menschlichem Gutdünken oder Nachdenken entstammt. Das kommt auf keinem andern Gebiete vor. Wenn im Staate die Gesetze und in der Gesellschaft die Gewohnheiten von der Gottheit abgeleitet und unter ihren Schutz gestellt werden, so geschieht dies, weil die religiöse Anschauung auf den Staat und die Gesellschaft ausgedehnt wird, nicht weil im staatlichen oder gesellschaftlichen Leben selbst eine Veranlassung dazu läge. Die Theokratie ist keine politische, sondern eine theologische Schöpfung. Rein sociale oder politische Motive führen niemals zur Anerkennung einer übermenschlichen Autorität. Wo diese Anerkennung vorkommt, da stammt sie aus der Religion her und ist von dort auf die gewöhnlichen menschlichen Verhältnisse übertragen. Aber in der Religion gehört sie zu dem Ursprünglichsten. Ja, wenn das Göttliche gerade das Nicht-Menschliche ist (und das ist es von Anfang an), dann folgt mit Notwendigkeit daraus, dass alles was für göttlichen Ursprungs gehalten wird, auch eine Autorität hat, der der Mensch das eigene Urteil und den eigenen Willen unterwerfen muss. Nun ist leicht zu sehen, welchen Einfluss dies auf die religiöse Entwicklung haben muss. Wie hoch in der Kunst die unübertrefflichen Muster der grossen Meister auch gestellt werden mögen, kein heiliges Verbot hindert den Künstler, der nach ihnen kommt, der eigenen Auffassung zu folgen, neue Formen zu schaffen, oder selbst nach höheren als den von jenen erreichten zu streben. Alle Ehrerbietung, welche die alten Schulen der Philosophie verdienten und genossen, hat niemals verhindert, dass der menschliche Geist nach neuen Lösungen der grossen Weltfragen suchte, und niemals ist dem Denken, auf rein philosophischem Gebiete, das Recht streitig gemacht, die früher herschenden Systeme zu bestreiten und durch bessere zu ersetzen. Auch die Sittlichkeit konnte, insoweit sie nicht an religiöse Gesetze gebunden war, ihrem eigenen Entwicklungsgange folgen, ohne eines Frevels schuldig erachtet zu werden, wofern sie alte, aber durch den allgemeinen Fortschritt veraltete, Lebensregeln verwarf. In der Religion ist es ganz anders. Da hat die Entwicklung niemals ungehindert fortgehen können, weil sie immer an göttliches Gesetz und Wahrheit gebunden blieb. Auf der einen Seite war das eine Behinderung für den freien Flügelschlag des Geistes, auf der andern eine Veranlassung zum Streit, sobald die all

gemeine Entwicklung zu mächtig wurde, um sie gänzlich vom religiösen Gebiete ausschliessen zu können. Man denke, um nur eins der bekanntesten Beispiele zu nennen, daran, wie der Entwicklungsgang des Protestantismus durch den Glauben an die göttliche Autorität der heil. Schrift beherscht ward. Auf welchem andern Gebiete findet man etwas, das dem gleichgestellt werden könnte? Und ist es dann nicht richtig, dass bei der Untersuchung nach den Entwicklungsgesetzen der Religion der Einfluss des Glaubens an göttliche Autorität eines gewissen Gesetzes oder einer gewissen Lehre besonders in Betracht gezogen werden muss?

Als ein zweites Beispiel wird man die besondere Bedeutung anführen können, welche die menschliche Persönlichkeit im Entwicklungsgange der Religion zu erhalten pflegt. Dies bildet keinen völligen Gegensatz mit dem, was auf anderen Gebieten wahrzunehmen ist. Ueberall wo das Leben sich aus den sinnlichen zu geistigen Daseinsformen erhebt, wird, und zwar in zunehmendem Masse, die Persönlichkeit die grosse Macht für alle Entwicklung. Solange man im pflanzenartigen und tierischen Leben bleibt, findet man das Individuelle nur als durch natürliches Wachstum gewordenes Exemplar einer bestimmten Art. Besondere Gunst der Umstände kann das eine Exemplar wol besser für den Kampf ums Dasein ausrüsten als das andere, und diese Vorrechte können durch Vererbung in der Art eine reicher begabte Gruppe bilden, aber das ist doch immer Naturprocess, in dem Sinne, dass der Fortschritt durch das entsteht, was mit dem Individuum geschieht, nicht durch das, was es selbst tut. Kommt man dahingegen in die höhere Sphäre des bewussten geistigen Lebens, dann behalten die Gesetze des natürlichen Wachstums und Fortschrittes, die schon auf dem niedrigeren Gebiete herschen, zwar alle ihre Kraft, aber es kommt noch etwas anderes hinzu: das Vermögen der Selbstentwicklung der Persönlichkeit durch bewusste und gewollte Anspannung der intellectuellen und moralischen Kraft. Dann zeigt sich die dort noch unbekannte Erscheinung, dass das Individuum, indem es alles, was von Entwicklung in seiner Art schon vorhanden war, in sich aufnimmt, dies in sich selbst zu persönlichem Charakter, persönlichem Geistesleben umbildet, und es dadurch zu einer neuen, ursprünglichen Quelle der Entwicklung für seine Umgebung macht. Man kann jedes Stück der allgemeinen Bildung, welches man will, vornehmen, wenn man seiner Geschichte nachgeht, wird man immer finden, dass die Entwicklung durch nichts mehr befördert, geleitet, beherscht worden ist als durch die, niemals ganz zu erklärende Macht der Persönlichkeit. Das ist darum nicht etwas besonderes für die Religion, das man anderwärts nicht fände. Es ist ein allgemeines Entwicklungsgesetz, das auch für die Religion gilt. Aber in der Religion stellt es sich auf eine ganz besondere Weise dar.

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