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hat." Er trat mit seiner Entdeckung sofort hervor. Zweierlei ergab sich daraus, einmal daß die scholastische, dem ganzen wichtigen Pönitenzwesen der Kirche und insbesondre dem Ablaß zur Stüße dienende Bußtheorie gar nicht so fest gegründet war, wie man annahm, daß sie um so leichter bestritten und verlassen werden konnte, daß die evangelischen Begriffe von der Buße Raum gewannen. Sodann folgte, daß es mißlich um die Autoritäten der Schule stand, daß das Ansehen der leztern ein viel weniger verdientes war, als man allgemein glaubte, daß unbefangene Forschung und Kritik von einer Bedeutung sei, an welche damals noch wenig gedacht wurde, die man noch wenig kannte, wiewohl sie im Aufschwunge begriffen war, und die, je mehr sie erkannt wurde, nothwendig anreizte, auf der Bahn der kein Schulanschen achtenden Forschung und Kritik desto eifriger vorzudringen. Das wurde nun auch sogleich von den wittenberger Doktoren erkannt und diese Doktoren hatten sich erst theilweis in Luther's Richtung hineinziehen lassen, sie waren noch Anhänger der Scholastik und vom Anschen der Schule beherrscht, weit mehr als Luther. Beides geht daraus hervor, daß eine gewaltige Bewegung entstand, sobald er seine Entdeckung kund gemacht. Alle gaben heftigen Unwillen zu erkennen. Selbst Karlstadt, der ihm von Allen am nächsten folgte, war unversöhnlich erzürnt, besonders darüber, daß Luther seine Entdeckung nicht verschwiegen", da er doch gewußt, daß Gratian und der Magister der Sentenzen so viel aus der fraglichen Schrift als aus einer augustinischen ent= nommen. Gleichzeitig erhob sich auch Geschrei über seine Vorlefungen, besonders von Seiten der Dominikaner. Karlstadt lehrte schon ganz augustinisch wie Luther über die Unfreiheit des Willens, und gerieth darüber mit Eck in Ingolstadt in Streit. Luther scheint sich seiner eifrigst angenommen zu haben, er war der vornehmste Vertreter des Augustinism in Wittenberg, von ihm gingen die stärksten und häufigsten Angriffe auf die Schultheologie aus, er bestritt namentlich den Ablaß: Gründe genug, daß eben die Dominikaner sich gegen ihn und hauptsächlich gegen ihn erhoben. Allein er fand auch schon Vertheidiger, die hinlänglich mit ihm übereinstimmten und Muth genug besaßen, um für ihn einzutreten, oder an seiner Seite zu kämpfen. Das Alles führte wahrscheinlich in der lehten Hälfte des Septembers

einen

mehrfach wichtigen Vorgang herbei, in welchem man wol gar den Anfang der Reformation hat erblicken wollen').

Die Disputation über die Unfreiheit des Willens, September 1516; Luther's Theologie.

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Einer der eifrigsten Zuhörer Luther's war ein junger Docent, Bartholomäus Bernhardi aus Feldkirchen in Schwaben, der jezt zuerst in Luther's Lebensgeschichte hervortritt; muthig, furchtlos, treu, wie er sich auch späterhin stets zeigte. Er war 1487 geboren, hatte in Erfurt studirt und das Bakkalaureat erlangt und zu Brandenburg, Halberstadt und Chur die Weihe als Subdia= kon, Diakon und Priester erhalten. Wegen des Rufs seiner Gelehrsamkeit war er nach Wittenberg gezogen, wo er zuerst in der philosophischen Fakultät aristotelische Physik lehrte und scit 1512 auch biblische Vorlesungen hielt, mit dem Buche der Weisheit, und der Offenbarung Johannis beginnend. Am 25. September 1516 promovirte er unter Karlstadt's Dekanate zum Sententiarius. Wahrscheinlich hielt er bei dieser Gelegenheit die Disputation, von welcher jezt die Rede sein muß. 2)

Man erkennt den Zusammenhang aus einem Schreiben Luther's an Lange. Luther hatte sich in seinen Vorlesungen mehr und mehr im streng augustinischen Sinne geäußert, den Gegensatz des Augustinism zum scholastischen Pelagianism immer schärfer hervorgehoben und eben von diesem Punkte aus die Theologie der Schule am nachdrücklichsten angegriffen. Bernhardi war ganz in seine Richtung eingegangen, theilte seinen Widerwillen gegen die,, ungeheuerlichen“ Lehren der Scholastiker, seine Ansicht über ihre Autorität in der Schule und Kirche, daß sie im Grunde ungültig, und über die Nothwendigkeit, den

1) Tischreden, Walch XXII, 583. Plochm. XXVII, 344. £öscher I, 327. Balch XVIII, Einleitung 13.

2) Feuftking, das Leben des ersten verehelichten evangelischen Predigers, B. Bernhardi, 48. (Er galt mit Unrecht dafür. Schon vor ihm verehelichte sich Jakob Seydler. Walter, 44. J. G. Kapp Ep. B. Bern. Feldkirchius, Pastorum, qui tempore Reformationis matrimonium inierunt, ut vulgo creditur, primus.) Foerstemann, Lib. Decanor. 14, 19.

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Glauben daran über den Haufen zu werfen. Das Anbellen" der lutherischen Vorlesungen scheint ihm noch unbequemer gewesen zu sein als seinem Meister selbst, oder seinen Unwillen, seine Kampfluft noch mehr gereizt zu haben. Er brachte den Gedanken auf die Bahn, aus Luther's Vorlesungen Thesen über die vornehmsten Streitpunkte aufzusehen und über dieselben öffentlich zu disputiren, damit den Widersachern,,der Mund gestopft" oder auch das Urtheil Andrer vernommen würde. Luther selbst, der in diesem Halbjahre nicht Dekan war, sollte ausnahmsweise den Vorfiz führen. 1)

Gehörte das Disputiren zu den hauptsächlichen Uebungen und Bildungsmitteln der Schulen und der Studirenden, so hatten die öffentlichen Disputationen der Gelehrten an den Universitäten eine noch wichtigere Bedeutung, konnten eine solche wenigstens leicht erhalten. Wie abstrus und kleinlich in der Regel die Fragen sein mochten, die fast immer eben so strohdrescherisch und kleinmeisterlich durchdisputirt wurden, so legte man den Disputationen doch eine große Wichtigkeit bei und sie erhielten eine solche wirklich, wenn die Streitenden und die Streitfragen von Bedeutung, die letteren wissenschaftliche Tagsfragen waren und wenn sie dann obenein Beziehungen auf andre Gebiete als das der Wissenschaft hatten. Die Disputationen wurden dann zu Meinungs- und Parteikämpfen und Schlachten, deren Ausgänge man als Entscheidungen in Meinungssachen und gelehrten Parteikriegen ansah. Nicht selten hatte die Einführung oderNichteinführung wichtiger Einrichtungen, Lehren, Glaubensartikel davon abgehangen, hatte päpstlicher, Schul- oder Ordenseinfluß sich dabei geltend gemacht oder auch zu schwach erwiesen. Da konnte und mußte denn der Mann sich zeigen, was er wissenschaftlich werth war, Mund gegen Mund vermochte; es handelte sich um Sieg oder Verwerfung der mühsam angeeigneten Meinung und Gelehrsamkeit und Ueberzeugung, um Schimpf oder Ehre, um die wichtigsten Gelehrten- und Docentenanliegen. Unterlag eine Ansicht, so war oft Gefahr damit verknüpft, fie noch ferner zu vertreten, ja sie vertreten zu haben. Gefährlich wurde nicht selten eine nur in der Hiße des Streits hinge

1) De Wette 1, 34.

worfene Behauptung oder Acußerung. Auf Kreuz- und Querund Fangfragen und Einreden aller Art mußte man gerüstet sein. So galt es alle Kräfte aufzubieten. Auch aus Gründen, auf welche oben schon (im 3. Hauptstücke des 3. Buchs) hingewiesen ist, wurden die Leidenschaften heftig erregt und doch that Geistesgegenwart, Besonnenheit und Selbstbeherrschung nicht minder noth. Dies Alles um so mehr, da Professoren und Studenten, oft auch hochstehende gebildete Nichtakademiker, namentlich auch reisende Gelehrte, die das Gerücht von dem Vorgegangenen bald nach allen Gegenden verbreiten halfen, zahlreich und eifrig zuzuhören, auch wol Theil zu nehmen pflegten und den Streit in ihren Kreisen um so anhaltender und hißiger fortsetten, je mehr Aufsehen etwa schon die Streitfäße erregt hatten, je bedeutender die Disputanten, je ungewöhnlicher und kühner die Behauptungen oder Beweisführungen, je tüchtiger die Angriffe oder die Vertheidigung gewesen waren.

Und so verhielt es sich mit der von Bernhardi vorgeschlagenen Disputation je nach dem Streitgegenstande, der Veranlassung, dem Absehen dabei, den betheiligten Persönlichkeiten. Die Wahrheit sollte an den Tag, die Lehrneuerung sich erproben in öffentlicher Rede und Gegenrede. Die Fassung der Thesen zeigt, es war auf einen unumwundenen, von mehreren Seiten her geleiteten Angriff auf die Scholastik abgesehen, den Mittelpunkt ihres Systems. Die Macht eingewurzelter und autorisirter Lehren und die Kraft neu gewonnener auf einen höheren, aber noch zweifelhaften Grund sich stüßender Ueberzeugungen, der Eifer, das Hergebrachte zu erhalten, und der Eifer, dem Neuen Eingan zu verschaffen, rüstige, tüchtige Gelehrte und Männer hier und dort sollten sich an einander messen. Luther hatte nichts dawider, daß seine Theologie, seine wissenschaftlichen Grundsäße einmal recht ausdrücklich aus dem Hörsale vor die gesammte gelehrte und sonst Theil nehmende Welt gebracht und jedermanns Angriffe preis gegeben, daß seine Tadler, ja sämmtliche Vertreter der zunftmäßigen Gelehrsamkeit auf diese Weise zur gelehrten Fehde herausgefordert würden. Er lich seine Vorlesungen her, Bernhardi stellte daraus die Disputirsäße zusammen und Luther fügte Anmerkungen und Erläuterungen hinzu, in welchen er die in jenen enthaltenen Behauptungen als die seinigen vertheidigte.

Sein theologischer Standpunkt, den zu erkennen uns hier vor Allem anliegt, ergiebt sich am besten, wenn man die Disputation mit Dem zusammenhält, was von seinen Vorlesungen übrig geblieben ist 1).

Der Grundgedanke ist derselbe, der durch seine Predigten sich hindurchzieht und ausdrücklich in der ersten dargelegt ist, die wir aus diesem Jahre von ihm haben: alle gute Werke sind unzulänglich zur Seligkeit; also der Gegensat der scholastischen Lehre, wonach schon dem in dem Menschen gebliebenen guten Willen, gemäß der göttlichen Billigkeit, ein Verdienst, und den guten Werken nach der göttlichen Gerechtigkeit ein volles Verdienst vor Gott zukommen sollte. Luther erblickt in allem Guten, das der Mensch wollen oder thun mag, nur Pflicht, ja nur Wirkung der göttlichen Gnade. Sogleich an den ersten Satz knüpften sich die damit in genauester Verbindung stehenden, deren Erhärtung den Mittelpunkt bildet, daß der Mensch ohne die Gnade Gottes die göttlichen Gebote nicht halten, ohne den Glauben Vergebung der Sünden nicht erlangen könne. In welchem Verhältniß aber stehen Gnade und Glauben zu dem menschlichen Willen und dessen Kräften? Der Pelagianism hatte die menschliche Willensfreiheit behauptet, und von diesem Punkte aus zum Tugendstolze, zu der herrschenden Meinung vom Verdienst der Werke geführt. Luther trägt kein Bedenken, dem schroffen Gegensage sich zuzuwenden: ohne Gnade und Glauben ist der menschliche Wille nicht frei, sondern im Irdischen, im Sündigen geknechtet.

Es ist Tiefempfundnes, deutet auf seine eigensten innern und äußern Erfahrungen hin, wenn wir da dem Gedanken begegnen: Unruhe und Verzweiflung kommt nicht aus der Menge der Sünden, sondern aus der Vielheit der guten Werke, dem Vertrauen auf die eigne Gerechtigkeit. Es ist dieselbe großartige, in mystischer Färbung auftretende Anschauung, die er dort

1) Die Disputation unter dem Titel: Quaestio subscripta de viribus et voluntate hominis sine gratia, contra doctrinam Sophistarum nebst dem erwähnten Bruchstück aus Luther's Vorlesungen am besten bei Löscher I, 328 ff.; deutsch bei Walch XVIII, 20 ff. Spiker, Anh. 65 f. Walter, Ergänzte u. verbesserte Nach. 42 ff.

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