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Er hatte Rom gesehen, die Koncilien in Pisa, im Lateran hatten sich vor seinen Augen versammelt, da war und wurde doch wieder viel von einer Reformation der Kirche hin und her geredet. Wir haben ihn noch nicht ein einziges Mal davon sprechen hören, nur Anzeichen sind uns begegnet, daß er entrüstet ist, gebessert sehen möchte: die mehren deuten darauf hin, daß er mistraut und den Schmerz über den Zustand der Kirche empfindet, der aus dem Gedanken der Vergeblichkeit der Reformhoffnungen hervorgeht. Hegt er noch eine günstige, eine hohe Meinung von der Persönlichkeit, dem Geiste, dem Wohlmeinen Papst Leo's, feiner Absicht, seiner Fähigkeit zu helfen: seiner Kirchenversammlung traut er nicht mehr, er ist der Meinung, daß sie sich auf einem grundfalschen Wege befinde. Er hat inzwischen die Besserung in seinem Kreise nach seinem Sinne angegriffen, und nun, da sich eine äußere Veranlassung darbietet, spricht er seine reformatorische Grundansicht bewußt und entschieden aus, stellt sie der falschen entgegen, die am versammelten Koncile herrscht, sucht ihr in Rom selbst Eingang zu verschaffen. Er schlägt damit den Ton seines Ordensgenerals, Aegydius von Viterbo, wieder an, ebenso vergeblich. Seine Stimme, wenn sie ins Koncil gedrungen, ist jedenfalls ohne Erfolg verhallt. Dennoch mögen wir fie eine goldene Vorbotin der Reformation" nennen, die von ihm ausgehen sollte. Er befestigt sich in der Grundansicht, wie die Rede sie enthält, von jest an mehr und mehr, schreitet, auf sie gestüßt und von ihr befeuert, immer rascher, eifriger vor, macht immer bestimmter und erfolgreicher die Aufgabe, welche durch sie gestellt wird, zum Mittelpunkte seines gesammten Strebens. Wir werden diesen Gang noch eine Zeitlang beobachten, und indem wir folgen, noch mehr als einmal auf die hier erörterten Punkte zurückgeführt und die Erörterung von andern Seiten wieder aufzunehmen veranlaßt werden.

Die Rede bietet noch ein paar merkwürdige Seiten dar. Daß sie ein kostbares Zeichen edeln männlichen Freimuths ist, braucht kaum bemerkt zu werden. Auch das liegt klar vor, wenn man sie liest, mit welch einem eindringenden und umfassenden Blicke er jetzt den Gesammtzustand der Kirche ins Auge gefaßt hat, wobei darauf hingewiesen werden mag, wie aus der gelegentlichen Aeußerung über die Deutschen auch das hervorgeht,

daß er auch die vaterländischen Angelegenheiten im Auge hatte, sie wenigstens aus der Ferne beobachtete, und daß er darüber ebenso dachte und denselben Unwillen und Schmerz empfand wie alle Patrioten der Zeit eine Stimmung, welche bald in seinem Gedankengange, seiner Richtung und Wirksamkeit bedeutenden Einfluß erhalten sollte und von welcher wir hier gleichfalls das erste bestimmte Zeichen haben.

Grundsähe über das Ansehen der heil. Schrift.

Weiter ist noch Folgendes zu sagen. Seine reformatorische Grundansicht erhielt erst dadurch ihren wahren Inhalt und ihre große praktische Bestimmtheit, daß es die unverfälschte Schriftlehre war, die er im Sinn hatte, die besser als bisher zu ergründende durch größern Fleiß, der daran gewendet werde, durch Herbeischaffung und Benußung mehrer und besserer Hülfsmittel, eine bessere Methode, eine größere Unbefangenheit von Schulmeinungen, überhaupt von Autorität. Aus der Richtung, welche - er schon im erfurter Kloster auf das Schriftstudium nahm und in welcher er sich damit abgab, entwickelte sich mehr und mehr, daß er der Schrift ein immer höheres Ansehen beilegte und end. lich den folgenreichen Grundsaß aufstellte, wonach sie als alleinige Quelle der christlichen Erkenntniß über die Lehre zu entscheiden haben,,,nur sie und sonst Niemand, ja auch kein Engel", wie er es in den schmalkaldischen Artikeln ausdrückte, einen Glaubensartikel sollte begründen können, an ihr als Richtschnur jede Lehrentwickelung sollte geprüft werden müssen, ihre Auslegung aber von keinerlei Autorität abhängig zu machen und Jedermann anheimzustellen sei. Es war dadurch zugleich die stärkste Anregung zum allgemeinen freien Denken und eignen Bethätigen des religiösen Lebens, zu allgemeiner Theilnahme an der Erforschung des Schriftinhalts gegeben; Alle wurden dadurch an die Quelle, aus welcher sie über den Glauben selbst frei gewiß werden könnten, gewiesen und auf einen festen Grund zum Kampfe für denselben hingestellt. Jenen Grundsatz von dem Ansehen der Schrift hatten vor ihm sein Staupit in mystischer Weise und schon die Goch, Wesel und Wessel, und zwar zum Theil bestimmter und entschiedener ausgesprochen, als er es jekt

thut. Er sollte sie überholen und damit durchdringen, was sie nicht vermocht hatten. Jezt ist er jedoch noch weit entfernt, das Schriftansehen als ein unbedingtes zu verstehen, er hat seinen Begriff noch nicht schärfer ausgeprägt als seit seiner Annahme der Doktorwürde, wo er in den Vorlesungen und Disputationen nur ganz allgemein zu behaupten anfing, daß der christliche Glaube nur aus der heilgen Schrift gelernt werden könne. Wie er aber in den Schulkämpfen sein kühnes und durchschlagendes: Man muß beweisen, nicht supponiren! den Widersachern_entgegenwarf, so überbot er jeßt seine damalige Kühnheit noch weit. Es war doch in der That sehr viel, man könnte sagen verwegen, daß er in einer Schrift, die er sicher nicht verleugnet haben würde und von welcher der Propst zu Leikkau vielleicht eben wegen ihres Inhalts sich hütete, Gebrauch zu machen, von den Prälaten und Vertretern der auf Menschenlehre gebauten Kirche geradezu foderte, die Hand dazu zu bieten, daß die Priester fortan alle menschliche Lehre fahren ließen und das reine Evangelium trieben." Welch ein schwerer Vorwurf war erst noch gegen Reuchlin daraus erhoben, daß er bei seiner Schriftauslegung die Zeugnisse der Väter vernachlässigt, d. h. die menschliche Lehre habe fahren lassen. Wie wir aber seine Auslegungsgrundsäge und Mittel noch unzulänglich sahen zu einer befriedigenden Ergründung und Feststellung der Schriftlehre, müssen wir auch wahrnehmen, daß seine Ansichten über das der Schrift und über das der Autorität der Kirche, den Auslegern zuzuerkennende Ansehen noch unentschieden sind. Er verwirft das Ansehen der heiligen Ausleger" das reine Evangelium und die heiligen Ausleger sollen die Priester treiben - noch nicht. Die Lehtern sollen alle menschliche Lehre fahren lassen, aber dennoch die heiligen Ausleger gebrauchen; freilich nur nebenher und unter Weglassung der Gedichte, die keinen Grund haben," aber es bleibt ganz unbestimmt, wer oder was hierüber entscheiden soll. 1)

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Dies ist nun eine Frage ähnlich den weitern über die wahren Grundsätze der Schriftauslegung ob allgemein gültige und zum Ziele führende Regeln der Ergründung der wahren

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1) Ullmann, Reformatoren, I, 35, 59, 288; II, 344.

Schriftlehre gefunden werden können oder gefunden find; ob und wiefern über die lettere die Einzelnen, die Lehrer, die Wissenschaft, die Kirche zu entscheiden haben; ob Alcs verworfen werden dürfe oder müsse, was nicht unmittelbar aus der Schrift begründet werden könne; wie das Verhältniß zwischen Schrift und Vernunft festzusehen sei u. s. w., indem das Recht der leztern mit der Freigebung der Schriftauslegung anerkannt und der Vernunft doch wieder in theologischen Dingen so viel abgesprochen wurde, wie wir im vorigen Abschnitte hörten. Alle diese Fragen haben in der ganzen Reformationszeit große Noth gemacht, man hat sie innerhalb der protestantischen Welt noch jest nicht zu einer allgemein anerkannten Entscheidung bringen können, nachdem sich die Kräfte daran mit neuer Beslissenheit im 17. Jahrhundert seit den Thomasius, Spinoza, Leibniß und im achtzehnten seit Kant und Leffing versucht. Wir dürfen sie hier nicht erörtern wollen. Es kam bei unserm Zwecke nur darauf an, weil ihre Auffassung in Luther's Entwickelung und Wirksamkeit eine so wichtige Stelle einnimmt, eben auf diesen Umstand, sodann auf die Punkte, wo er sie aufzufassen begann, und endlich darauf hinzuweisen, wie weit er eben jezt in ihrer Auffassung gelangt war. Ohnehin werden wir bald wieder darauf zurückkommen müssen.

Noch einiges Licht darüber gibt ein Bruchstück einer Predigt am Martinstage diefes funfzehnhundertsechzehnten Jahrs. Liegen die ersten Predigten, die wir von ihm haben, im frühesten Abdrucke nur lateinisch vor, so ist dies Bruchstück größtentheils deutsch und vielleicht haben wir darin die ersten deutschen Worte, die uns von ihm erhalten sind. Der Inhalt, sofern er Belang für uns hat, ist folgender. Luther sagt sogleich im Anfange:,,Welcher die Bibel lesen will, der muß eben darauf schauen, daß er nicht irre, denn die Geschrifft läßt sich wol dehnen und leiten, aber Keiner leite sie nach seinem Affect, sondern er führe sie zu dem Brunnen, das ist, zu dem Creuß Christi, so wird er's gewißlich treffen und nicht fehlen." Das Bedenken, das nothwendig bei seinem Streben, allein oder doch vorzugsweise die Schrift über die Lehre entscheiden zu lassen, eintreten mußte, scheint also jezt schon bei ihm entstanden zu sein, allein er kömmt zur Befriedigung nicht darüber hinaus. Er ist auf dem

rechten Wege, sofern er verbietet, daß der Auslegende das Seine in die Schrift hineinlege, ist aber in der Selbsttäuschung befangen, nicht zu sehen, daß er nach seinen eignen bis dahin ihm gewordenen religiösen und theologischen Begriffen, seinen besondern geistlichen Erfahrungen und den Eindrücken, welche durch dieselben herrschend in ihm geworden, auslegt, die Schrift also doch mehr oder minder nach seinem „Affekt“ leitet, so sehr er sich bemüht, sie zu dem Brunnen zu führen und ihren Sinn grammatisch - historisch zu ermitteln. Es bringt nicht weiter, wenn er hinzusezt, man solle das Eine predigen, die Weisheit des Kreuzes, an sich selbst verzagen und auf Chriftus hoffen, der dann den fleischlichen Menschen in den Geist hinausrücken werde: der heilige Geist führe den Menschen durch das Fleisch in den Geist. Ja noch mehr, dem Affekt, der individuellen Anschauung und Willkür wird nun eben wieder der völligste Raum gegeben, gerade wie bei der allegorischen Auslegung, von welcher er jezt hinwegrang, zu dem Grundsaße hin, daß in der historischen Autorität der Schrift die einzig sichere Entscheidung über die christliche Wahrheit und Erkenntniß zu finden sei. Wir haben hier die Andeutung, die Keime eines ganz andern Grundfakes als jener ist, den er späterhin auf Tod und Leben gegen Karlstadt, gegen die Schwärmgeister," gegen den Papst" verfocht, den er wol den größesten Schwärmer nennt, weil man auf katholischer Seite auf den die Kirche, die Kirchenversammlungen, den Papst bei der Schriftauslegung leitenden heiligen Geist sich be-= rief, wobei zulegt der über das göttliche Wort sich stellenden und wider Gott sich sehenden päpstlichen oder KirchenlehrerSubjektivität und Autorität die Entscheidung zufiel. Der Grundsak aber, den wir hier keimen sehen, ist der, dem zufolge er die Schrift nach seiner Anschauung vom innern Christus auslegte, und nicht weiter gelten lassen wollte, als sie den leßtern verkünde; dem zufolge er es für gleichgültig erklärte, ob Moses die Genesis geschrieben habe oder nicht; rücksichtslos wider mehre neuwie alttestamentliche Bücher sich ausließ; das Johannesevangelium und Paulus und Petrus Briefe weit über die drei ersten Evangelien erhob, als die viele Werke, wenig Worte Christi beschrieben; den Jakobusbrief eine stroherne Epistel nannte, aussprach, daß der Prüfftein der biblischen Bücher der sei, ob sie

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