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lebnisse ein neuer Inhalt eingetragen wurde, ein gefügiger Stoff für die gestaltende Hand der Dichter der homerischen Sängerschule. Die alten väterlichen Götter, von dem Boden und den Schranken ihrer ursprünglichen Kulte losgelöst, schwebten in der Luft als zerfliessende Schatten und schwankende Gestalten, bis sie aufs neue zu religiöser Realität und bestimmter Individualität gelangten, indem der Dichter sie mit dem Lebensblut der ästhetisch verklärten Wirklichkeit sättigte. So zu Idealgestalten geworden, konnten sie dann nicht wieder an einzelne engbegrenzte Oertlichkeiten gefesselt werden, der abstrakten Allgemeinheit ihres neuen Wesens entsprach nur noch das Wohnen auf der Höhe des Olymp, der für die dichterische Anschauung auch nicht mehr ein bestimmter Berg, sondern eine abstrakte Höhe, über allen irdischen Räumen erhaben, war.

Die Götterwelt Homers ist sonach das von der Dichtung in feste Form gegossene Produkt der tiefgehenden religiösen Umwälzung, die aus der geschichtlichen Umwälzung aller Lebensverhältnisse der hellenischen Stämme in Folge der dorischen Wanderungen und Eroberungen sich ergeben hatte. Die homerische Dichtung hat also ihre Götter nicht aus dem Nichts geschaffen, sondern aus dem Ueberfluss der mannigfachen Stamm- und Gaukulte entnommen; aber sie hat dieses bunte Götter- und Geisterchaos gelichtet und vereinfacht, indem sie nur einige wenige Götter daraus hervorhob, und zwar natürlich die Hauptgötter der Hauptstämme, die in der politischen Welt die führende Rolle spielten; die Masse der anderen hat sie theils fallen gelassen, theils zu Heroen herabgedrückt, worauf wir später noch zu sprechen kommen. Sodann hat sie den so ausgewählten Göttern einen für die damaligen Kulturzustände passenden Charakter aufgedrückt, indem sie den einzelnen ihre besondere. Stellung und Function im Weltregiment, das will heissen in der Lenkung der Angelegenheiten der hellenischen Völkerschaften zuwies, mit dichterischer Freiheit natürlich, doch nicht mit grundloser Willkür, sondern anknüpfend an die vorherrschende Bedeutung, die der einzelne Gott im Kreis seiner maassgebendsten Kultgemeinden zu jener Zeit erlangt hatte wobei die ursprüngliche Bedeutung desselben überhaupt nicht mehr in Frage kam, wie wir vorhin am Beispiel Athenes sahen und sogleich noch öfter sehen werden. Endlich

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O. Pfleiderer, Religionsphilosophie. 3. Aufl.

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zum dritten hat die Dichtung die so ausgewählten und charakterisirten Götter unter einander in eine bestimmte Ordnung und Verbindung gebracht, hat Gott und Göttin gepaart, die einen von den anderen abstammen lassen und ein Verhältniss der Herrschaft und Unterordnung unter allen hergestellt, das ein genaues Abbild der feudalen Zustände an den Herrensitzen des hellenischen Mittelalters war, ein patriarchalisches Regiment mit viel Freiheit und gelegentlichen Revolten des unbotmässigen Adels gegen den „König", der hier doch immer nur der Erste unter Gleichen blieb, daher zu eigentlicher monarchischer Oherhoheit der himmlische König sowenig wie seine irdischen Vorbilder gelangte.

An der Spitze der homerischen Götterwelt steht bekanntlich Zeus. Wie kam er zu dieser auszeichnenden Würde? Mit der Beantwortung dieser Frage pflegt man sich's allzu bequem zu machen, indem man ihn einfach für den uranfänglichen indogermanischen Himmelsgott hält, der seine natürlich-sinnliche Superiorität über allen anderen Göttern behauptet habe. So einfach war die Sache doch wohl nicht. Gesetzt auch, die allgemein angenommene Gleichung: Zeus Dyaus Himmel sei richtig (was ich dahingestellt sein lasse), so musste doch jedenfalls diese ursprüngliche Bedeutung des Wortes bei den vorhomerischen Hellenen in Vergessenheit gerathen sein; denn wie wäre es denkbar, dass der „Himmelsgott" auch der Gott der Unterwelt (als Zeus chthonios) und der Gott des Meeres (als Zeus enalios) wäre? dass er als Zeus Trophonios und Zeus Amphiaraos in Böotien in Höhlen seinen Sitz hätte und aus der Erdtiefe Orakel heraufsendete? dass man eine Höhle in Kreta sogar für sein Grab hielt? dass man in Sparta einen Zeus Agamemnon und Zeus Lykurgos als verschiedene Götter neben einander verehrte? dass jeder Herrensitz einen Altar für seinen besonderen Zeus herkeios, den Schirmherrn seiner Umfriedigung, hatte, und jede Phratrie ihren besonderen Schutzgott als Zeus verehrte? Dies alles erklärt sich doch wohl nur daraus, dass Zeus den Hellenen der Name für Gott oder Herr überhaupt war*), wobei die (übrigens völlig ungewisse) etymologische Ableitung des Namens durchaus gleichgiltig ist. Da nun in

*) Vgl. Rohde, Psyche, S. 191: Diesen generellen Sinn der Bezeichnung des „Gottes“ überhaupt hat, in Verbindung mit näher bestimmenden Beiwörtern, der Name Zeus" in vielen Lokalkulten bewahrt.

Gebirgslandschaften die Bevölkerung gewöhnlich im Berggeist ihren Genius loci verehrte, so begreift es sich leicht, dass man in Thessalien den Zeus vom Olymp, in Kreta und Troja den vom Ida, in Arkadien den vom Lykaion als den besonderen Lokalgott verehrte, der um seinen Berg die Wolken sammelte und von da aus seine Blitze sendete. Ebensogut hat man aber auch im Thal zu Dodona den Genius loci des dortigen Eichenhaines als Zeus verehrt; ein Beweis, dass Zeus nicht etwa aus dem Himmelsgott zum Berggott geworden. ist, sondern als der Gott überhaupt für die Bergbewohner zum Berggott und für die Thalbewohner zum Thalgott wurde. Eben der Umstand nun, dass Zeus die generelle Bezeichnung war, mit welcher jede Landschaft, jeder Stamm, ja jeder eingefriedete Hof ihren besonderen Schutzgeist zu benennen pflegten, führte dahin, dass die Homeriden bei der Systematisirung der verschiedenen Sondergötter an die Spitze des Göttersystems den Namen stellten, der allen Stämmen und Landschaften der Hellenen längst als Gottesname gemeinsam war. Ganz ähnlich also, wie beim arabischen Allah oder iranischen Ahura (S. 101 und 161), wurde auch hier aus der generellen Gottbezeichnung Zeus", unter der sich vorher jeder Stamm- und Lokalkult seinen besonderen Gott gedacht hatte, durch Abstraction und Hypostasirung ein höchster, über allen Sondergöttern stehender Gott, der allen Hellenen fortan gemeinsam als die erhabene Idealgestalt galt, in der sie die vollkommenste Ausprägung des göttlichen Wesens und die letzte Ursache alles göttlichen und menschlichen Lebens, den Vater der Götter und Menschen" erkannten. So erklärt sich nun auch der eigenthümliche Zug der Sage, dass derselbe Gott, der „Vater der Götter und Menschen" heisst, doch zugleich als der jüngste der Kroniden dargestellt ist, der die frühere Götterdynastie gestürzt habe; in der That ist ja auch Zeus der jüngste der hellenischen Götter insofern, als er aus der Vielheit der vorhomerischen Sondergötter erst durch die abstrahirende und die Abstraction wieder plastisch gestaltende Kraft der homerischen Dichtung geschaffen worden ist; im Mythus von der Usurpation des Zeus hat die Dichtung im Grunde nur das versinnbildlicht, was sie selbst vollbracht hat: den Sturz der früheren rohen und chaotischen Götterwelt und die Erhebung einer neuen, unter einem anerkannten monarchischen Haupte staatsförmig geordneten Götterdynastie.

Unter den alten Gottheiten standen die Erdgöttinnen am höchsten an altehrwürdigem Ansehen; es gieng daher nicht an, sie dem neuen Herrscher des Olymp als Töchter unterzuordnen, man musste sie ihm als Gattinnen an die Seite stellen. Einer aber nur konnte die Würde der rechtmässigen Gemahlin und Himmelskönigin zu Theil werden; diesen Vorzug verdankte Hera nicht etwa ihrer Naturbedeutung, denn sie war ursprünglich dasselbe, was alle anderen Erdgöttinnen auch waren, sondern dem geschichtlichen Umstand, dass sie die Landesgöttin von Argos war, des mächtigen Staates, der in der mykenischen Epoche die führende Stellung im Peloponnes einnahm. Neben ihr konnten dann die anderen Erdgöttinnen nur als Kebsweiber des Zeus figuriren, ein Verhältniss, das der Sitte an den Herrensitzen jener Zeit so genau entsprach, dass daran die Zeitgenossen der Dichter kaum Anstoss genommen haben werden. Die ehelichen Zwistigkeiten des obersten Götterpaares spiegelten theils die Sitten der Kreise, wo man sich mit solchen Anekdoten gerne unterhalten liess, theils vielleicht auch den Widerstand, den die alte Religion der chthonischen Gottheiten ihrer Unterordnung unter die jüngere Zeusreligion entgegensetzte. Dass die altehrwürdige Demeter in der homerischen Götterwelt eine untergeordnete Rolle spielt, ist begreiflich: die Bauerngottheit war in den aristokratischen Kreisen nicht hoffähig; dafür sollte sie in der späteren Wiederbelebung der volksthümlichen Religion eine um so höhere Bedeutung erlangen.

An das oberste Götterpaar des Olymp reihten sich als die nächsten an Würde Athene und Apollon. Von der Vorgeschichte der Athene war schon oben die Rede; bei Homer erscheint sie, mit gänzlichem Absehen von ihrem lokalen Ursprung, überall nur als die personificirte Weisheit und Besonnenheit, die ihren Schützlingen kluge Gedanken eingibt und sie von Thorheiten abhält. Apollon war ursprünglich der Gott der Hürde und der Hirten, gefürchtet vor allem als der Vich und Menschen dahinraffende Verderber, wozu seine Wolfsgestalt passt; aber doch zugleich auch kundig der heilenden Kräuter und des zeitvertreibenden Gesangs und Flötenspiels, wie es Hirten zu sein pflegen; man erzählte von seinen Spielen mit den Musen, den Quellnymphen des Parnasses, und von seiner Heldenthat zu Delphi, wo er den in Drachengestalt hausenden Erdgeist Python besiegte und sich in den Besitz seines Orakels setzte. Mit dem Hirten

gott konnte nun zwar die aristokratische Dichtung nichts anfangen, um so besser aber wusste sie den liederkundigen Sänger, heilkundigen Arzt und Orakelspender als den Patron der engverwandten Zünfte der Sänger, Wahrsager, Aerzte und Priester zu verwerthen, und auch der todsendende Schütze blieb unvergessen. Durch diese vielfachen Functionen bekam Apollon eine hervorragende Stellung im homerischen Pantheon, die später durch den praktischen Einfluss der apollinischen Priesterschaft zu Delphi sich noch erhöhte; wir werden darauf zurückkommen. Hinter Apollon blieb der ihm ursprünglich sehr nahestehende Hermes, der Gott der Viehtrifte und Feldwege, an Würde zwar weit zurück, doch fand auch er ein Unterkommen im Götterhimmel als der wegekundige Geleitsmann der Reisenden auf Erden und der Seelen im Jenseits, als Patron der Kaufleute und Diebe, insbesondere als der flinke Götterbote, der mit der Schnelligkeit des Windes ihre Befehle ausrichtet. Poseidon war ursprünglich in Thessalien und Arkadien der selbst in Rossgestalt gedachte Rossgott, dann Patron der ritterlichen Künste; als aber seine Verehrer in Folge der Völkerschiebungen und Koloniengründungen zu Küstenbewohnern und Seefahrern wurden, da verwandelte sich auch ihr heimischer Gott aus einem Rosseherrn in den Gebieter des Meeres, der auf den Wogen einherfährt und mit dem Dreizack die Erde erschüttert; in dieser Eigenschaft hat die homerische Dichtung ihn verewigt. Hephästos war der Genius loci der vulkanischen Insel Lemnos und wurde daher der Gott der Schmiede-Esse und der künstlichen Metallarbeit; in der Dichtung spielt er die etwas burleske Rolle des hinkenden und drolligen Handwerksmannes. Ares ist ein thrakischer Kriegsgott, dessen rohes Wüthen in der verfeinerten Kultur der homerischen Welt immer ein wenig geachteter Fremdling blieb. Artemis war ursprünglich die in Gestalt einer Hirschkuh oder Bärin vorgestellte (totemistische) Ahnfrau der Arkadier, als solche auch Erd- und Todesgöttin, und dieser Zug blieb ihr auch nach ihrer Vermenschlichung zur walddurchschreitenden Jägerin, deren Pfeile ebenso todbringend sind für die Frauen wie die Apollons für die Männer; mit dem Mond dagegen hat Artemis ursprünglich sowenig etwas zu thun, wie Apollon mit der Sonne. Vielmehr wie dieser mit Hermes, so berührt sie sich nahe mit der nichthomerischen, aber uralten (vgl. Hesiod) Hekate, der thessalischen Erd- und Todesgöttin, die später zur Zauberhexe

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