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dann sucht er der Zweifel sich wieder kurzer Hand zu entschlagen durch die Reflexion auf die Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft und sucht Ruhe und Frieden beim frommen Glauben der Väter, den kein Vernünfteln umstossen könne, an dem aber doch immer wieder Kritik zu üben seine Vernunft nicht lassen kann. So ist er der rechte Repräsentant einer Zeit, die am alten Glauben irre geworden, nach einem neuen ringt und ihn noch nicht zu finden vermag.

Die philosophischen Vertreter dieser Zeitstimmung waren die Sophisten des fünften Jahrhunderts. Das erstarkte Selbstbewusstsein der an mancherlei neuem Wissen gebildeten Geister und der mächtige Selbständigkeitsdrang der Bürger des demokratischen Gemeinwesens äusserte sich in den Meistern der Redekunst als jugendlicher Uebermuth einer Dialektik, die mit allem Ueberlieferten in Religion und Recht ihr zersetzendes Spiel trieb. Ueber die Götter sagten die Einen (Protagoras), dass man nichts von ihnen wissen könne, weder dass sie seien, noch dass sie nicht seien; die Sache sei zu schwierig und das Leben zu kurz, um zu einer Erkenntniss darüber zu gelangen. Andere (Kritias) blieben bei diesem Agnosticismus nicht stehen, sondern erklärten dogmatisch, die Götter seien eine blosse Erfindung der klugen Staatsmänner, ebenso wie auch Recht und Gesetz nur positive Satzungen der Gesellschaft seien, die veränderlich und willkürlich, wie sie in der Erfahrung sich darstellen überall keinen tieferen Grund in der Natur der Dinge oder der Gottheit, sondern ihren Ursprung bloss in der Macht, diesem Recht des Stärkeren, haben. Wie immer unter ähnlichen Verhältnissen, fand dieser seichte Radikalismus bei der aufgeklärten Halbbildung der Menge grossen Beifall und weite Verbreitung. Die Staatsgewalt glaubte daher dem drohenden Verfall von Religion und Sitte durch Gewaltmassregeln gegen die Neuerer Einhalt thun zu müssen; aber, wie so oft in derartiger Lage geschieht, sie verschlimmerte nur das Uebel, indem sie sich gerade an denen vergriff, welche am ehesten im Stande gewesen wären, ihm wirksam und nachhaltig entgegenzutreten, einem Anaxagoras, Perikles, Phidias und vor allem an dem ebenso frommen wie tiefsinnigen und originellen Denker Sokrates. Auch er wollte zwar, wie die Sophisten, vom Menschen aus die Welt verstehen; aber statt das oberflächliche Meinen zum Maass der Dinge zu machen, verlangte

er vielmehr, dass der Mensch vor Allem sich selber erkenne, seine wahren vernünftigen Zwecke begreifen lerne, um durch die Selbsterkenntniss zur sittlichen Bildung, zur Tugend, Frömmigkeit und Glückseligkeit zu gelangen. Das Wissen, das den Sophisten Mittel der Zersetzung von Glauben und Sitte war, sollte also nach Sokrates dadurch, dass es sich in sichselber vertiefte, gerade das Mittel zur Begründung einer festen praktischen Ueberzeugung vom Wahren und Guten werden. Wie er in sichselbst eine göttliche Stimme vernahm, die ihm als untrüglicher Warner und Berather, als innerliches Orakel diente, so fand er dann auch in der Welt überall die Spuren einer allweisen und allwissenden, allmächtigen und allgütigen Vernunft, welche die unserige ebenso viel übertreffe, als die Grösse der Welt die unseres Leibes. Dabei war er übrigens soweit entfernt von Angriffen auf die Volksreligion, dass er seiner Pietät gegen Glauben und Sitte der Väter stets unzweideutigen Ausdruck gab. Aber allerdings hat er die vielen Götter, ähnlich wie ein Pindar oder Sophokles, als die untergeordneten Gehülfen des Einen Bildners und Erhalters des Weltganzen gedacht, sodass sie für die praktische Frömmigkeit, für Anerkennung einer einheitlichen Ordnung und Regierung der Welt nach bestem Plan, nicht mehr hinderlich waren. Wäre irgend eine Denkweise im Stande gewesen, den väterlichen Glauben mit den Bedürfnissen einer fortgeschrittenen Zeit zu vermitteln, so war es gewiss die des Sokrates. Indem das griechische Volk ihn verwarf, hat es über die Zukunft seiner Religion und seines Staats das Urtheil ge sprochen, wie das jüdische Volk dasselbe that in der Verurtheilung Jesu.

Aber konnte Sokrates nicht der Reformator der Religion seines Volkes werden, so gieng doch aus seiner Saat eine zukunftsreiche Frucht hervor: die idealistische Weltanschauung Platos. Indem der Grösste unter Sokrates' Schülern des Meisters Princip der Selbsterkenntniss erweiterte zur Erkenntniss der übersinnlichen Welt der reinen Formen, der urbildlichen Ideen und Gesetze des Daseins, löste sich das Band, welches im klassischen Griechenthum Natur und Geist zur ununterscheidbaren Einheit verknüpft hatte: der Geist hielt Einkehr in sich selbst und fand in der Welt der Gedanken die Wahrheit der Dinge, welche der Sinne Schein nicht enthielt, das höchste Gut, welches der Sinne Lust nicht bot, die bleibende Heimath, für welche

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in der Welt der flüchtigen Erscheinung keine Stätte war. Die schöne Welt der Sinne, in welcher der Grieche sonst des Lebens Lust mit vollen Zügen geschlürft hatte, sie sinkt jetzt zum wesenlosen Schein, zum trügerischen Schattenbild herab, dessen Bande für die von oben stammende Seele des Menschen zur peinlichen Fessel, zum düsteren Kerker werden, aus dem sie nicht rasch genug entfliehen kann, um ihrem göttlichen Urbild ähnlich zu werden. Nicht mehr bloss Mässigung im natürlichen Geniessen, nicht mehr bloss Gleichgewicht und Einklang der Natur mit dem Geist ist jetzt die Loosung, sondern Losreissung von der Natur, Flucht aus der Sinne Schranken in die übersinnliche Welt der Gedanken! Mit dieser Umwandlung der theoretischen und moralischen Denkart gestaltete sich auch das Gottesbewusstsein neu: die platonische Gottheit, welche eins ist mit der höchsten Idee des reinen Seins und Wissens oder des Vollkommenen, des höchsten Gutes, sie ist endlich ganz losgelöst von allem Naturgrund, ist zum rein übernatürlichen geistigen Princip geworden, dessen Wesen Plato als lautere Weisheit und Güte beschreibt; aber freilich ist sie damit zugleich auch in eine Jenseitigkeit entrückt, von der keine Brücke zur Welt mehr zu führen scheint, in eine nebelhafte Ferne entschwunden, wo das sehnende Auge des Menschen sie kaum mehr zu finden vermag. Darum sieht es sich nach Mitteln und Mittlern um, die ihm helfen sollen, die Kluft zu überbrücken zwischen Diesseits und Jenseits. Plato zeigt sie ihm in der Weltseele, in welcher die Gottheit zur lebendigen schaffenden Kraft wird; er zeigt sie auch in der Person des Weisen, der in vollkommener Tugend die Idee des Guten urbildlich darstellen würde: beides Keime, in welchen eine Welt von Gedanken schlummerte, deren Entwicklung die letzten griechischen Schulen noch vorbereiteten.

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Der Weltseele" haben die Stoiker sich bemächtigt und haben sie als schaffende Weltvernunft zum Princip ihres Pantheismus gemacht, in welchem die alten Volksgötter als Manifestationsformen des Einen göttlichen Wesens eine künstliche Restauration erlebten, die natürlich den inneren Verfall der alten Religion nicht aufhalten. konnte. Aber auf ägyptischen Boden verpflanzt und auf jüdischen Stamm gepfropft, sollte diese platonisch-stoische Weltseele, der göttliche Logos, zur reichsten Entwicklung für die Zukunft der Religion. kommen. Was aber das Tugendideal des „Weisen" betrifft, so

O. Pfleiderer, Religionsphilosophie. 3. Aufl.

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haben zwar Stoiker, Platoniker und Neupythagoräer um die Wette sich bemüht, es nicht bloss begrifflich zu umschreiben, sondern auch praktisch zu verwirklichen: es war natürlich umsonst, da Ideale sich ja nie machen lassen. Aber auch dieses Saatkorn sollte sich auf ägyptischem Boden zur reichen Frucht entfalten, als das philosophische Ideal auf die realen Gestalten der Geschichte Israels übertragen und so zur lebensvollen Persönlichkeit verkörpert wurde.

4. Capitel.

Die Religionsmischung im römischen Reich.

Die altrömische Religion. Solange man die römische Religion nur so, wie sie in den Zeugnissen der lateinischen Klassiker vorliegt, kannte, hat man sie für wesentlich identisch gehalten mit der hellenischen, nur dass sie sich durch reicheres Ceremoniell von dieser unterscheide. Seit aber die kritische Geschichtsforschung in die Anfänge Roms gründlicher eingedrungen ist, hat sich auch von der altrömischen Religion ein sehr viel anderes Bild ergeben; es hat sich gezeigt, dass die Aehnlichkeit mit der hellenischen Religion erst in Folge des Eindringens fremder Elemente während der Jahrhunderte der Republik geworden ist, dass hingegen die altrömische Religion vor dieser Hellenisirung die primitiven Grundzüge der indogermanischen Urreligion viel reiner als die Hellenen, ja am reinsten unter allen zu selbständiger Kultur gelangten indogermanischen Völkern bewahrt hat.

Man kann die Gegenstände des altrömischen Glaubens und Kultus theilen in 1) Haus- und Feldgeister, 2) Schutzgeister bestimmter Ge schäfte und Vorkommnisse des alltäglichen oder staatlichen Lebens und 3) öffentliche Götter des Staats. Durch alle Epochen seiner Geschichte hindurch war dem römischen Volk der Kultus der Schutzgeister des Hauses und der Familie am innigsten ans Herz gewachsen: wie er gewiss der älteste war, so hat er auch den Verfall des öffent lichen Kultus am längsten überdauert. Obenan steht die Göttin des

Herdfeuers Vesta, diese einzige zweifellos gemeinsame indogermanische Urgottheit, die Vertreterin der häuslichen Gemeinschaft und damit aller geselligen Gesittung; ihr Aufsteigen von der häuslichen Göttin zu der der Geschlechtsgemeinschaft oder Kurie und zuletzt zu der des römischen Staats versinnbildlicht den Werdegang dieses Gemeinwesens. An Vesta, in der die Einheit des Hauswesens sich verkörpert, schliessen sich an die Lares und Penates, d. h. die Ahnengeister der Familie, die als solche zugleich die Schutzgeister derselben und ihres Haushaltes sind; auf den in den Kammern bewahrten Sachbesitz der Familie beziehen sich die Penates, auf den Schutz ihrer lebenden Glieder sind die Lares bedacht, die Ahnherren und Ahnfrauen, denen. regelmässig von der Familienmahlzeit ihr Antheil gegeben wurde und vor deren (im Atrium aufgestellten) Schrein der heimkehrende Hausvater noch zu des älteren Cato Zeit seine Andacht zu verrichten pflegte. An die Lares ist auch die älteste uns erhaltene Kulthymne der Römer, das Neujahrslied der Arvalbrüder*), gerichtet, in dem sie nebst Mars um Schutz gegen Sterben und Verderben angerufen werden. - natürlich, denn die Ahnengeister sind es vor allen, denen die Erhaltung der Familien obliegt. Während die Lares die Ahnengeister je einer bestimmten Familie und also Kultobjekte dieser engsten Kultgemeinde sind, sind die Genii und Junones Geister der einzelnen Männer und Frauen und die Manes Seelen Verstorbener überhaupt. Da genius (mit gignere verwandt) das lebenzeugende Princip, die Lebenskraft überhaupt bezeichnet, so kann es nicht bloss von Geistern verstorbener, sondern auch noch lebender Männer (für die Frauen wird dafür immer "Juno" in gleichem Sinn gesagt) gebraucht werden, und bei dieser Unterscheidung des Menschen von seinem „Genius“ bekommt dieser die Nebenbedeutungen bald des besseren, vernünftigen Ich, bald des bewachenden Schutzgeistes ähnlich wie die iranischen Fravashis aus einfachen Seelen zu Schutzgeistern wurden. Liegt hierin eine Erhebung des Genius als des verklärten oder besseren Geistes, so sinkt der Begriff andererseits herab durch seine Erweiterung zum Geistwesen überhaupt, wie er auch in allem Leben der Natur als genius loci" besonders waltet. Während die Larven und Lemuren unheimliche Spukgeister sind, von denen der Mensch nichts

*) Uebersetzt bei Mommsen, Römische Geschichte, 1, 223. (7. Aufl.)

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