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zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen; wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten." Und der Apostel, der das Neue des Christenthums im Verhältniss zum Judenthum schärfer als die anderen alle erkannt hatte, bekennt doch auch von sich: „Wir schauen durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, unser Wissen ist Stückwerk; nicht, dass ichs schon ergriffen. habe oder vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, dass ichs ergreifen möchte!"

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Erwägen wir nun einerseits, dass alle, auch die höchsten religiösen Erscheinungen an der allgemeinmenschlichen Relativität Theil haben, und andererseits, dass überall auch auf den niedersten Stufen, wo irgend die Menschen über die Sinnenwelt zur Vorstellung einer höheren verbindenden Macht sich erheben, irgend etwas von religiöser Wahrheit offenbar wird: so werden wir keinen specifischen Gegensatz zwischen natürlicher und geoffenbarter Religion zugeben können, vielmehr die gesammte Religionsgeschichte als die überall natürlich vermittelte Offenbarung Gottes in Form des menschlichen Gottesbewusstseins betrachten. Natürlich und geoffenbart" sind also nicht zweierlei Arten von Religion, sondern die zwei Seiten an jeder Reliligion, die eine das göttliche Princip und die andere die menschliche Erscheinung bezeichnend. So erscheint die ganze Religions- und Sittengeschichte (die beide nicht von einander zu trennen sind) als eine göttliche Erziehung der Menschheit, ein Gesichtspunkt, den nicht erst Lessing, sondern schon der Apostel Paulus hinsichtlich des Verhältnisses von Judenthum und Christenthum oder Gesetz und Evangelium geltend gemacht hat. Unter diesem Gesichtspunkt hat zwar jede Stufe der sittlich-religiösen Bildung ein relatives Recht, sofern sie ein an ihrem Ort zweckmässiges Glied in der Reihe der menschlichen Gesammtentwicklung ist; keineswegs aber sind alle Formen gleichberechtigt, sondern es sind zwischen ihnen sehr wesentliche Stufenunterschiede; ist die Wahrheit der höheren Stufe einmal offenbar geworden, so bringt sie die Unvollkommenheit, also die relative. Unwahrheit der niederen Stufen ans Licht, und sind also diese, wie lange sie sich auch äusserlich noch erhalten mögen, principiell zum Untergang oder vielmehr zum Aufgehen in die höhere Stufe verurtheilt. Blicken wir auf die teleologische Form dieser Ordnung in der Religionsgeschichte, so erkennen wir in ihr die Offenbarung der ordnen

O. Pfleiderer, Religionsphilosophie. 3. Aufl.

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den Weisheit Gottes; blicken wir aber auf den Inhalt, der durch so mannigfach verschiedene Stufen hindurch sich allmälig immer reiner entwickelt und im Christenthum zur vollen Offenbarung kommt, so werden wir ihn als die heilige Liebe Gottes bezeichnen dürfen, welche die Menschen verbindet zu einer Familie Gottes, deren Glieder beseelt sind von dem einen Geist ihres Vaters, dem heiligen Geist der Liebe. Schon auf der niedersten Stufe der Gesittung war der religiöse Glaube an die gemeinsame Abstammung von einer göttlichen Lebensquelle das sociale Gemeinschaftsband gewesen. Dieses Band hatte sich dann in den Volksreligionen aus einem physischen in ein rechtliches verwandelt, die Gottheit wurde aus dem Erzeuger zum gebietenden Herrn ihrer Verehrer; damit war die Möglichkeit gegeben, die Gottesidee mit sittlichem Gehalt zu erfüllen: ihr Wille erschien als der heilige Begründer und gerechte Beschirmer der sittlichen Volksgemeinschaft, der Rechtsordnung. Aber die Völker zerfielen und mit ihnen die Volksgötter; es erwachte das persönliche Gewissen mit seinen höheren allgemeinmenschlichen Idealen; damit erhob sich der religiöse Glaube zur Idee des Gottes, der nicht bloss als der heilige Gesetzgeber des Guten über Allen throne, sondern auch als die heilige Kraft des Guten sich allen Menschen als seinen Kindern mittheile, in ihnen wohnen und wirken wolle. Wieder ward also der religiöse Glaube das Band einer göttlich-menschlichen Verwandtschaft, aber nunmehr einer alle Menschen umfassenden geistigen Verwandtschaft, die sich in der sittlichen Gebundenheit Aller an einander in brüderlicher Liebe bethätigt. Der religiöse Glaube an Gottes heilige Liebe und das sittliche Princip der Bruderliebe sind die beiden korrelaten Seiten der christlichen Offenbarung, in der die Erziehung der Menschheit ihre Erfüllung, die sittlich-religiöse Idee des Menschen ihre Verwirklichung findet.

Grenzen der Erkennbarkeit Gottes. Wir haben in der gesammten, natürlichen und sittlich-religiösen Weltordnung die Offenbarung Gottes als der allweisen Allmacht und heiligen Liebe erkannt, Bestimmungen. die cin denkendes und wollendes Wesen als Grund jener Ordnung voraussetzen. Hier erhebt sich nun aber eine Schwierigkeit, die zu wichtig ist, als dass wir sie unbeachtet lassen dürften. Wir kennen Denken und Wollen nur in der Form des menschlichen Bewusstseins.

Das

welchem die Schranken der Endlichkeit wesentlich zukommen. Bewusstsein ist Unterscheidung des wissenden Subjekts vom gewussten Objekt, welchem es gegenübersteht und von welchem es begrenzt wird; es schafft sich seinen Stoff nicht selbst, sondern findet ihn als einen gegebenen vor, verhält sich zu den Eindrücken der Dinge passiv, ist also von einer vorhandenen Welt abhängig. Ebenso der Wille ist ein Begehren, das einen Mangel im Wollenden voraussetzt; es richtet sich auf Objekte, in welchen es das Material und Mittel seiner Thätigkeit und zugleich eine Hemmung derselben, einen zu überwindenden Widerstand findet. Das alles scheint ein begrenztes Einzelwesen vorauszusetzen, welches von Anderem bedingt und beschränkt ist. Wie lassen sich also, kann man fragen, solche Bestimmungen auf Gott übertragen, ohne ihn zu verendlichen, ohne ihn zu einem ins Riesenhafte erweiterten Menschen, d. h. aber zu einem mythischen Phantom zu machen? Gewiss ist das eine ernstlicher Erwägung bedürfende Frage, die uns jedenfalls zu grosser Behutsamkeit in der Uebertragung menschlicher Eigenschaften auf das göttliche Wesen mahnt. Sollen wir nun aber unter dem Gewicht dieser Schwierigkeiten einfach darauf verzichten, von einem Denken und Wollen Gottes zu reden? Sollen wir ihm bewusstes geistiges Leben absprechen und ihn nur als unbewusste Weltseele oder noch unbestimmter als wirkende Kraft bezeichnen? Ich fürchte, dass wir, wenn wir diesem Vorschlag folgten, uns von der Wahrheit noch weiter entfernen und einem in praktischer Hinsicht noch schlimmeren Irrthum verfallen würden, als es bei unkritischem Anthropomorphismus der Fall wäre.

Das selbstbewusste und sichselbstbestimmende Geistesleben des Menschen ist unbestreitbar die höchste Form des Lebens, die wir überhaupt kennen. Zugegeben nun auch, dass sie beim Menschen in die Schranke der Endlichkeit gebannt ist und in dieser menschlichen endlichen Form bei Gott nicht stattfinden kann, so folgt doch daraus noch nicht, dass wir das Höchste, was wir aus unserer Erfahrung kennen, Gott absprechen dürften. Da in der Ursache nicht weniger liegen kann als in der Wirkung, und im Ganzen nicht weniger als im Theil, so muss dem unendlichen Weltprincip, welches mit allem Anderen auch die menschlichen Geister hervorbringt und in sich befasst, die geistige Lebensbethätigung nicht in geringerem,

sondern in viel vollkommenerem Grade zukommen als dem Menschen. Nun ist aber das, was dem selbstbewussten Menschengeist seinen eigenthümlichen Vorzug vor Vorzug vor dem untermenschlichen Leben gibt, nicht die Seite der Endlichkeit, die er mit diesem gemein hat, sondern jene Selbstthätigkeit des Ich, welche sich als die beharrliche und beherrschende Einheit von dem mannigfaltigen und wechselnden Inhalt des Bewusstseins unterscheidet und ebendamit sich über die Abhängigkeit vom gegebenen Stoff erhebt und ihn zum dienenden Mittel ihres freien Selbst herabsetzt. Die gewöhnliche Meinung, dass das Selbstbewusstsein nur die Unterscheidung des Ich vom Nichtich sei, ist nicht richtig; vielmehr ist das Selbstbewusstsein zunächst und wesentlich Unterscheidung seiner selbst von sich selbst, nämlich der beharrenden und verbindenden Einheit des Selbst von der Vielheit und Veränderlichkeit seines Inhalts. So ist auch der Wille nicht zunächst ein auf äussere Dinge gerichtetes Begehren, sondern er ist Selbstbestimmung d. h. Bestimmung der mannigfaltigen getheilten Lebensäusserungen durch die Einheit des denkenden, Zwecke setzenden Selbst. Nun ist es zwar unbestreitbar wahr, dass Bewusstsein und Wille beim Menschen einen gegebenen Stoff voraussetzen, also eine Seite der Bedingtheit von Anderem, der Passivität und Endlichkeit einschliessen; nicht minder gewiss ist es aber andererseits, dass gerade das, was den menschlichen Geist vor dem untermenschlichen Leben auszeichnet, sein Selbstbewusstsein und seine Selbstbestimmung, wesentlich nicht in der Passivität besteht, sondern in der Spontaneität des für sich seienden Ich, das im Wechsel seiner Momente sich als die beharrende und beherrschende Einheit des Vielen und Veränderlichen behauptet. Diese freie Selbstthätigkeit, die ihre innere Einheit in eine Mannigfaltigkeit von Lebensformen und Zuständen entfaltet, in der Selbstunterscheidung bei sich selbst bleibt und sich selbst zu dem actu macht, was sie an sich potentia ist: das ist das Geistsein des Menschen, wodurch er über alles bloss endliche und bedingte Dasein hinausragt und einen gewissen, ob auch noch so schwachen, Antheil hat an dem Unendlich- und Unbedingtsein, welches ursprünglich und vollkommen nur in Gott ist. Was könnte uns denn nun hindern, diese Eigenschaften, die den Vorzug des menschlichen Geistes vor der geistlosen Natur ausmachen, in Gott auf vollkommene Weise, ohne ihre menschliche Schranke, gesetzt zu

denken? Warum sollten wir nicht in Gott etwas dem menschlichen Geist Analoges annehmen, eine Selbstunterscheidung seines einheitlichen und ewig unveränderlichen Selbst von der Vielheit und Veränderlichkeit seiner Wirkungen, welche die Welt der getheilten und zeitlichen Erscheinungen bilden? Ohne diese Annahme dürfte es schwer sein, der pantheistischen Meinung zu entgehen, dass die Einheit Gottes sich in das räumliche Neben- und zeitliche Nacheinander der Erscheinungen auflöse, so dass wir in ihm nicht mehr das finden. könnten, was wir in ihm suchten: die verbindende und beherrschende Macht der Weltordnung. Gibt es einen „ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht" nicht bloss in unserer Vorstellung, sondern in Wahrheit, an sich, so werden wir ihn zu suchen haben in dem. lebendigen Geist Gottes, der sich als der selbständige und beständige Herr der wechselnden Erscheinungen (als „König der Aeonen") dadurch behauptet, dass er sein ewiges inneres Wesen von seinem veränderlichen Wirken in der Welt denkend unterscheidet. Ist die Welt eine Ordnung von gesetz- und zweckmässigem Geschehen, so ist sie die Offenbarung eines ordnenden Geistes, der das Werden der Welt mit seinen ewigen Gedanken beherrscht, der also nicht selbst in ihrem Werden aufgeht, sondern sich als ewig derselbige im Unterschied von den zeitlichen Weltwesen weiss und bethätigt.

Das freilich ist nicht zu leugnen, dass wir uns eine Vorstellung von dem unendlichen Geist, dessen Leben reine Selbstthätigkeit ohne alle Bedingtheit und Abhängigkeit ist, nicht machen können, weil das alle Analogie unserer Erfahrung übersteigt. Aber was folgt daraus? Etwa, dass der Gedanke des unbedingten Geistes, weil nicht vorstellbar, auch nicht wahr sei? Gewiss nicht; denn vorstellbar ist das Weltprincip jedenfalls nicht, unter welchen Kategorien wir es auch versuchen wollten; dem Bedürfniss unseres Denkens aber, im Weltprincip den zureichenden Grund der Weltordnung zu erkennen, entspricht nach dem oben Ausgeführten die Kategorie des denkenden. und wollenden, sich wissenden und sich bestimmenden Geistes am besten; sonach sind wir zu der Annahme berechtigt, dass eben diese Kategorie zur Bezeichnung des göttlichen Wesens die angemessenste, der Wahrheit am nächsten kommende sei. Was aber allerdings aus der Unvorstellbarkeit des unendlichen Geistes folgt, das ist die Warnung, dass wir nicht versuchen sollen, uns vom inneren Leben Gottes

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