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Unterwerfung zu nöthigen (,,cogite intrare!"), hat gleichwohl den römischen Weltstaat als das dem Gericht verfallene Erzeugniss sündhafter Selbstsucht hingestellt und dagegen die allgemeine und in den Bischöfen einheitlich verfasste Kirche als den Gottesstaat bezeichnet, der zur siegreichen Weltherrschaft bestimmt sei. Das blieb fortan die Anschauung und Forderung der abendländischen Kirche, und ihrer Verwirklichung war der geschichtliche Gang der Dinge in den nächsten Jahrhunderten äusserst günstig. Als unter dem Ansturm der Germanen das weströmische Reich untergieng, fiel das Erbe des Imperium von selbst den römischen Bischöfen zu, die auf Grund des vorzüglichen Ansehens ihres, durch die Gräber der zwei Apostelhäupter geweihten, Bischofssitzes längst schon den Anspruch auf monarchische Oberhoheit über die ganze Kirche erhoben hatten. Und mehr noch als dieses Ansehen kam den römischen Bischöfen die altrömische Gewohnheit und Kunst des Regierens zn statten; sie wussten die neue Weltlage, nachdem die grosse Völkerbewegung zur Ruhe gekommen war, im Interesse der Herrschaft der römischen Kirche auszunützen. Von hier aus giengen die Missionäre und Mönche in die germanischen Länder und wurden die Erzieher der Barbaren nicht bloss im Christenthum sondern auch in den Elementen weltlicher Kultur; es war ganz natürlich, dass die so entstandenen Tochterkirchen sich fortan an Rom als ihre Mutterkirche gebunden fühlten. Als dann aber die Päpste in Folge der Pipin'schen Schenkung mit der geistlichen auch die weltliche Herrscherwürde verbanden und ebenso die Bischöfe und Aebte durch Belehnung mit Land und Leuten zu weltlichen Herren wurden, da schien es, als ob die Kirche durch ihren irdischen Besitz zu einem weltlichen Gemeinwesen werden und unter die Botmässigkeit der weltlichen Grossen gerathen würde; mit den Gütern der Welt belastet und mit ihren politischen Interessen verflochten, hatte die Kirche nur die Wahl zwischen Abhängigkeit von den Weltreichen oder Beherrschung derselben. Jene abgewehrt und diese begründet zu haben, war das Lebenswerk des grossen Mönchpapstes Gregor VII.; bei seinem Kampf um die Unabhängigkeit der Kirche von den Fürsten leitete ihn die das ganze Mittelalter beherrschende Idee der allgemeinen Weltherrschaft der im Papste zu einem monarchischen Gottesstaat zusammengefassten Kirche. Man kann zwar zugeben, dass diese Idee zu ihrer Zeit ein relatives Recht

hatte als ein unentbehrliches Mittel der Erziehung der Völker zu christlicher Gesittung; aber dass sie im Grunde doch nur ein grosser Irrthum war, das hat sich, je mehr sie ihrer Verwirklichung sich näherte, desto klarer an ihren unheilvollen Folgen erwiesen. Die weltbeherrschende Kirche verdarb ebensosehr die Religion, die sie mechanisirte und zum Mittel für selbstisch-weltliche Zwecke herabsetzte, wie sie zugleich die sittliche Kultur unterdrückte, der sie ihre kirchlichen Gesichtspunkte als Normen aufdrängte. Familie und nationaler Staat, Wissenschaft und Kunst, sociale und individuelle Lebenssitten sollten nicht das Recht haben, sich selbständig nach den in der Natur dieser Lebensgebiete liegenden Normen und Zwecken zu gestalten; auf allen Gebieten griff die Kirche bevormundend, maassregelnd und hemmend ein, und bewirkte dadurch statt echter christlicher Gesittung nur die ärgste Verwirrung und Verwilderung, derart, dass Manche sehnsüchtig auf das klassische Alterthum zurückblickten und dessen humane Kultur dem korrumpirten Kirchenthum ihrer Zeit als beschämendes Muster vorhielten.

Die Kirche im Bunde mit der Gesellschaft. Die Reformation hat die religiöse Persönlichkeit von dem Zwangsgesetz der Kirche befreit, indem sie das Heil eines Jeden unmittelbar in seinem Glauben, d. h. seiner Herzenshingabe an den göttlichen Gnadenwillen begründet fand. Damit war dem Standespriesterthum, das über der Gemeinde stehend deren Beziehung zu Gott vermittelt, wieder das allgemeine Priesterthum aller Gläubigen im Sinn des Urchristenthums entgegengesetzt. Und damit war auch das Wesen der Kirche wieder als die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe erkannt, wie in der urchristlichen Gemeinde. Diese innere und geistliche Gemeinschaft" bezeichnete man auch, im Gegensatz zu der äusseren staatsförmigen Organisation der Priesterkirche, als die unsichtbare Kirche", worunter man eigentlich das Unsichtbare an der Kirche, ihre ideale Innenseite oder die Gesammtheit der göttlichen Geisteswirkungen in den frommen Christen verstand. Diese unsichtbare Kirche ist zwar in der sichtbaren, deckt sich aber keineswegs mit ihr, sondern verhält sich zu ihr, wie die Idee zur Erscheinung, wie das göttlichgeistige Princip zur unvollkommenen menschlichen Wirklichkeit. Wie am einzelnen Christen die erfahrungsmässige Wirklichkeit zufolge der

Schwachheit des Fleisches immer weit zurückbleibt hinter dem ihn beseelenden heiligen Geistestrieb und daher stets nach dessen Norm zu beurtheilen und zu reinigen und zu vervollkommnen ist, so gab die Unterscheidung der unsichtbaren von der sichtbaren Kirche das Recht, die Mängel der letzteren im Lichte der idealen Kirche zu beurtheilen und in der Richtung auf diese hin zu reformiren. Wie nun aber dem Idealismus stets die doppelte Gefahr droht, entweder über der Idee die äussere Wirklichkeit als etwas Gleichgiltiges zu vernachlässigen und damit in unpraktischen Spiritualismus zu verfallen, oder dann die Idee zu unmittelbar, mit Uebergehung der erfahrungsmässigen Bedingungen und Vermittlungen, in die Wirklichkeit umsetzen zu wollen und damit in gewaltthätigen Fanatismus zu verfallen: so hatte auch der Idealismus des reformatorischen Kirchenbegriffs vor diesen beiden Klippen sich zu hüten. Die Wiedertäufer wollten die Idee unmittelbar verwirklicht sehen in einer Gemeinschaft von lauter Wiedergeborenen und Heiligen, für die keine äusseren Ordnungen kirchlicher oder bürgerlicher Art, kein Predigtamt und keine weltliche Obrigkeit und gesetzliche Rechtsordnung mehr nöthig sei, weil alle ihre Glieder als Geisterfüllte von selbst die Wahrheit wissen und das Gute wollen; die Folge war ein heilloser Fanatismus, der Kirche und Gesellschaft gleichsehr zu zerstören drohte. Luther hat diesen „Schwarmgeistern" gegenüber vor allem auf die Unterscheidung des Inneren und Aeusseren gedrungen; das Wesen der Kirche gehöre dem inneren Leben an, da regiere die Freiheit des Geistes, dieses innere Leben müsse unabhängig sein von allem Aeusseren und Leiblichen, nicht bloss von den Satzungen und Ceremonien der Papstkirche, sondern auch von dem Zwang der Neuerer, die durch Aenderung der äusseren Bräuche und Bilderstürmen das erzwingen wollen, was dem freien Wirken des innerlichen Geistes anheimzustellen sei. Dieser hohe Idealismus hatte doch eine starke Neigung zum unpraktischen Spiritualismus, der es zu keinem positiven Organisiren der reformirten Kirche bringen konnte. Während die schweizerische Reformation die einzelnen Kirchengemeinden zut lebendigen religiös-sittlichen Gemeinschaften und thätigen Organen der unsichtbaren Kirche oder des Christusgeistes zu organisiren suchte, hat man in der lutherischen Reformation sich damit begnügt, in den Ortsgemeinden für regelmässige Predigt des Evangeliums und ge

O. Pfleiderer, Religionsphilosophie. 3. Aufl.

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reinigte Sakramentsverwaltung zu sorgen, in der Voraussetzung, dass überall, wo diese Mittel der Geistes wirksamkeit eingerichtet seien, auch ihre Wirkung, die Erzeugung der wahren Geisteskirche, nicht ausbleiben werde. Diese blieb für Luther immer die Hauptsache, daher schien es ihm genug, wenn nur für das Vorhandensein der objektiven Mittel zu ihrer Hervorbringung Sorge getragen werde; er überschätzte die objektive Kraft dieser Mittel, die doch nur da recht wirksam sein können, wo sie getragen sind vom lebendigen Gemeingeist einer selbstthätigen religiös-sittlichen Gemeinschaft. Statt einer solchen kam es hier nur zu den um die Ortskirchen sich gruppirenden Haufen passiver Laienchristen, über denen die Theologenkirche der Predigt- und Sakramentsverwaltung als eine objektive Institution sich erhob. Es wird sich kaum leugnen lassen, dass an diesem Mangel der lutherischen Kirchenbildung Luthers persönliche Eigenart die Hauptschuld hat, nämlich sein abstrakt innerlicher Idealismus auf der einen Seite und auf der anderen seine noch halb katholisirende Ansicht von der objektiven Heilskraft der äusseren Gnadenmittel. Das wahre Bindeglied zwischen dem Aeusseren und Inneren, die gemeinsame Bethätigung des christlichen Geistes in der Gemeinde, die das Geistesleben des einzelnen Christen ebenso erzeugt und nährt, wie sie von ihm wieder erhalten und gestärkt wird, dieses organische Wechselverhältniss zwischen Gemeinschaft und Individuum, das für das religiöse wie sittliche Leben von fundamentaler Bedeutung ist, war von Luthers sprödem Individualismus nicht genügend erkannt worden. Dass dann von den Epigonen die ideale Seite von Luthers Kirchenbegriff immer mehr zurückgestellt wurde und schliesslich die Kirche einfach aufgieng in der Institution des Amtes der Predigtund Sakramentsverwaltung, diesem Seitenstück zur katholischen Institution der Priesterkirche, das ist begreiflich genug*).

Eine natürliche Konsequenz dieser positiven Wendung des reformatorischen Kirchenbegriffs war es ferner, dass auch der bei Luther noch ideale Begriff des Wortes Gottes und des lauteren Evangeliums immer mehr veräusserlicht und verengt wurde. Das Wort Gottes" wurde mit den Worten der inspirirten Schrift identificirt, diese also

*) Vgl. zu Obigem die treffliche Schrift von W. Hönig: Der katholische und protestantische Kirchenbegriff in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1894.

zu einer Sammlung von göttlichen Orakeln gemacht, deren unbedingte Autorität für den Glauben zu einem um so drückenderen Joch wurde, je mehr sie sich unter diesen dogmatischen Voraussetzungen dem eindringenden geschichtlichen Verständniss entzogen. Das „lautere Evangelium" aber, das im Sinn Luthers noch einfach die religiöse Grundwahrheit der neutestamentlichen Heilspredigt war, wurde mit dem theologischen Lehrsystem identificirt, welches von einzelnen Lehrern aus alten und neuen Lehrsätzen zusammengestellt und von den einzelnen Kirchenparteien zum geltenden Lehrgesetz oder „Bekenntniss" erhoben worden war. Gegen den naheliegenden Vorwurf, dass damit aufs neue die Gewissen einer menschlichen Satzung unterworfen werden, suchte man sich nun zwar durch den formalen Vorbehalt zu decken, dass diese Bekenntnisse nur Zeugnisse davon sein wollen, wie die heilige Schrift von den kirchlichen Lehrern einer bestimmten Zeit verstanden und gedeutet worden sei, dass sie sonach nicht eine unbedingte, sondern eine durch die Schriftnorm bedingte Norm des Glaubens seien. Allein dieses theoretische Zugeständniss hatte für die Praxis wenig Belang; man verfuhr doch bei der Geltendmachung und Handhabung der Bekenntnisse in jeder protestantischen Kirchenpartei so, als ob sie mit allen ihren scholastischen Formeln, Definitionen und Distinctionen die reine Wiedergabe des inspirirten Schriftwortes und somit von eben derselben unfehlbaren Autorität wie dieses wären. Damit stand man wieder auf demselben Standpunkt, wie die Lehrer der alten katholischen Kirche, nur dass diese die Autorität der dogmatischen Entscheidungen der Konzilien direkt auf deren Inspiration durch den heiligen Geist zurückführten, die protestantischen Theologen aber die Autorität der von ihnen gemachten Bekenntnisse auf die Inspiration ihrer vorgeblichen Quelle, des Bibelwortes stützten, wobei also zur dogmatischen Fiktion noch eine geschichtliche hinzukam. Die Parallele ist aber noch dahin zu vervollständigen, dass auch die Motive dieses Verfahrens beiderseits wesentlich die gleichen waren: sie lagen in dem jeder Religionsgemeinschaft eigenthümlichen Verlangen, ihren gemeinsamen Glauben gegen abweichende Lehrmeinungen Einzelner möglichst sorgsam zu verwahren und abzuschliessen; diesem Bedürfniss konnte die heilige. Schrift darum nie genügen, weil bei der grossen Mannigfaltigkeit und theilweisen Dunkelheit ihres Inhalts die verschiedensten Lehrmeinungen

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