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nennt er die beschwichtigenden Stimmen, welche Heil! Heil! verkündigten, wo doch kein Heil war, sondern unheilbare Krankheit, an welcher nach seiner Ueberzeugung Staat und Stadt zu Grund gehen musste. Mit unbestechlichem Wahrheitsmuth gab er dieser Ueberzeugung Ausdruck, ob auch die wüthende Menge gegen ihn tobte und das eigene Herz ihm dabei blutete vor bitterem Weh um sein Volk. Aber so wenig er auch von voreiligen und leichtfertigen Tröstungen etwas wissen wollte, am letzten Ende des Leidenswegs leuchtete doch auch ihm die Hoffnung auf eine neue Heilszeit, um so herrlicher, je theurer sie durch schwere Prüfungen erkauft ist. Ueber den alten Gesetzesbund, auf den Alle immer pochten und den Alle immer brachen, erhob sich schon sein Blick zu dem neuen Bund der Zukunft, wo das Gesetz Gottes werde in die Herzen geschrieben sein und Alle, Klein und Gross, Jahve kennen werden, ihn, der mit ewiger Liebe, wie ein Vater, Ephraim als seinen erstgeborenen Sohn liebet (31, 3. 9. 31 ff.). Allerdings erwartet Jeremia dann auch die Wiederherstellung der Nation und der heiligen Stadt, des davidischen Königthums und levitischen Priesterthums (33, 14 ff.), aber es ist ihm das doch nur Form und Folge der inneren Erneuerung, wodurch die Religion aus einer nationalen Gesetzes- zu einer individuellen Herzenssache, zu einem neuen Bund der Erkenntniss und Liebe Gottes geworden sein werde. So erhebt sich am Ende des israelitischen Volksthums die Prophetie auf die höchste Höhe, von welcher sie in der Ferne schon den neuen Tag anbrechen sieht, welchen vorzubereiten alle diese dunklen Geschicke ihres Volks bestimmt waren.

Aber solche Lichtblicke, welche die Jahrhunderte überfliegen, werden nur den auserwählten Geistern in der Erregung der gewaltigsten Zeiten zu Theil; wenn der Sturm der Zeit sich legt, tritt auch im Aufschwung der Geister wieder eine Ebbe ein. Auf der Höhe Jeremias hat sich kaum Einer nach ihm erhalten, sehr nahe steht ihm nur der zweite Jesaia, weit unter ihm aber stand Ezechiel, und alle Späteren bis auf den Einen, dessen Herold und Vorbild er war, lassen sich gar nicht mehr mit ihm vergleichen. Auch Ezechiel war ein gewaltiger Bussprediger, aber in anderer Art als Jeremia. Was bei diesem unmittelbar mit packender Gewalt aus glühender Seele kommt, ist bei jenem in den Formen künstlicher Visionen und Allegorien ab

gekühlt; und von dem Herzton der Wehmuth und des erbarmenden Mitleids einer bei allem Ernst doch tiefempfindenden und weichen Seele findet sich in den harten Scheltreden des exilischen Strafpredigers nichts. Und verschieden, wie sie selbst, ist auch das Bild, das beide Männer von Gott sich machten. Während Jeremia durch alle Gerichte der Gegenwart hindurch in das Herz seines Gottes schaut und es erfüllt sieht von ewiger väterlicher Liebe und treuer Huld gegen seinen erstgeborenen Sohn Ephraim, so redet Ezechiel mit Vorliebe von der Heiligkeit Gottes und versteht auch diese nicht sowohl in dem sittlichen Sinn, wie Jesaia, als vielmehr in dem älteren Sinn der erhabenen Majestät, der unvergleichlichen Grösse und furchtbaren Macht; ihm ist der Gegensatz des allmächtigen Schöpfers zum schwachen Geschöpf die Hauptsache, während Jeremia das religiöse Verhältniss mit Vorliebe als die Gemeinschaft des gnadenreichen Gottes mit dem dankbar ihm ergebenen Menschen auffasst. Am augenfälligsten tritt aber die Verschiedenheit beider Propheten in ihren Zukunftsidealen zu Tage. Hat Jeremias Adlerblick das Morgenroth eines neuen Bundes der verinnerlichten Religion am fernen Horizonte tagen gesehen, so hält sich der Priester-Prophet am Ufer des Kebar an beschränktere, aber für die nächste Zukunft desto praktischere Ideale: er entwarf eine neue Kultus- und Gesellschaftsordnung für die wiederherzustellende Volksgemeinde der zurückkehrenden Exulanten. Es werden die Anfänge einer hierarchischen Organisation des Priesterthums, wovon noch das Deuteronomium nichts gewusst hatte, entworfen. Der Kultus wird durch Sühnebräuche und Sühnefeste erweitert, wie das tiefe Schuldgefühl des Exils sie zu fordern schien. Eine neue Landesvertheilung unter die 12 Stämme wird vorgezeichnet in der Art, dass sie sich um den Tempel zu Jerusalem regelrecht gruppiren. Die Architektonik und Einrichtung des Tempels selbst wird genau beschrieben; kurz, es wird das genaue Bild einer theokratischen Gemeinde, die um den Kultus als ihren Mittelpunkt sich dreht, entworfen. Bei allem dem ist die Bekanntschaft des Deuteronomiums ebenso vorausgesetzt, wie die des Priestergesetzes. noch fehlt; zwischen jenem und diesem bilden die gesetzgeberischen Projekte Ezechiels eine mittlere Etappe. Es ist der Geist Esras und des gesetzlichen Judenthums, der sich erstmals in Ezechiel als die neue, den Prophetismus ablösende Macht der Zukunft ankündigt.

Doch vor ihrem Erlöschen trieb die Prophetie noch einmal eine wundervolle Blüthe in dem Werk jenes unbekannten Propheten um die Mitte des 6. Jahrhunderts, dessen Buch im Kanon dem des Propheten Jesaia beigefügt ist (Kpp. 40-66) und der deshalb herkömmlicher Weise als der zweite oder babylonische Jesaia bezeichnet wird. Dem älteren Jesaia und Jeremia ebenbürtig zur Seite tretend, bildet er mit ihnen zusammen das Triumvirat der grossen Propheten, in denen der Geist der israelitischen Religion zum klassischen Ausdruck gekommen ist. Die Busspredigt tritt bei ihm ganz zurück hinter die frohlockende Gewissheit und begeisterte Verkündigung der nahen Erlösung, welche das gestrafte und geläuterte Gottesvolk zurückkehren und einer neuen, allen früheren Glanz weit übertreffenden Herrlichkeit entgegengehen lasse. Sofern das Heil hier schon für die nächste Zukunft verheissen und in erster Linie als triumphirende Rückkehr der Exulanten und glorreiche Wiederherstellung der Nation (was sich in der Geschichte bekanntlich nicht erfüllt hat) vorgestellt wird, insofern ist der Gesichtskreis hier beschränkter im Vergleich zu Jeremias Ausblick auf den neuen Bund der verinnerlichten Religion; aber mit Recht lässt sich sagen, dass jene Vorstellung beim zweiten Jesaia „gleichsam nur der Leib ist, in welchem der Geist der Weissagung sich für den Augenblick verkörpert", der doch hierin sich nicht erschöpft, vielmehr seinen grossen Vorgängern nicht bloss ebenbürtig ist, sondern in einigen Hinsichten sogar über sie hinausgeht. Vor allem ist es die Gottesidee, welche beim zweiten Jesaia dadurch zur höchsten und reichsten Ausbildung kommt, dass die beiden Seiten, in welche Ezechiel und Jeremia sich theilen, hier einheitlich verknüpft und gleichmässig zur Geltung gebracht werden. Mit dem ersteren betont auch Deuterojesaia vor allem die Einzigkeit und unvergleichliche Grösse, Macht und Herrlichkeit Jahves, des Schöpfers Himmels und der Erde, der über dem Kreis der Erde thront, vor dem die Völker der Erde wie Tropfen am Eimer und wie Staub auf der Wage, ja wie ein Nichts geachtet sind, dessen Weisheit uns unbegreiflich ist, der durch Wunder der Macht wie des Wissens (Voraussehen der Zukunft) seine einzige Göttlichkeit der Welt kundthut. Aber derselbe Gott, der als der Heilige" erhaben in der Höhe des Himmels thront, wohnt zugleich bei den Zerschlagenen und Geistgebeugten, um die Herzen der Niedergeschlagenen zu erquicken (57, 15).

Er heisst mit Vorliebe der Erlöser und Heiland Israels, ja sein Vater von Anfang an; mit mehr als mütterlicher Liebe erbarmt er sich seines Volks; ob er es auch einen kleinen Augenblick verlassen, so soll doch jetzt seine Gnade nicht mehr von ihm weichen und der Bund seines Friedens nicht hinfallen (49, 15. 54, 10. 64, 16). So verknüpft sich hier mit Ezechiels Bewusstsein der Erhabenheit des überweltlichen Gottes Jeremias Gefühl der innigen Nähe und Gemeinschaft des liebend sich mittheilenden Gottes: Gesetz und Evangelium verknüpfen sich zur Einheit im Gottesbewusstsein des Deuterojesaia. Auch sein Ideal der Heilszukunft geht insofern über das dieser beiden Vorgänger hinaus, als er seinen Blick auf die Heidenvölker, von welchen sie ganz abgesehen hatten, erweitert. Er nimmt damit den Gedanken, welchen zwei Jahrhunderte vorher Jesaia schon ausgesprochen hatte, wieder auf, giebt ihm aber insofern eine neue vertiefte Wendung, als die Bekehrung der Heiden nicht durch eine unvermittelte Machtwirkung Jahves herbeigeführt, sondern durch die belehrende Thätigkeit Israels vermittelt sein soll, dieses somit als „der Knecht Jahves" erscheint, welcher die weltgeschichtliche Mission hat, ein Licht für die im Dunkel sitzenden Völker, ein Mittler zwischen Jahve und der Menschheit zu werden (42, 1-7. 49, 1-8). Die teleologische Geschichtsbetrachtung der Prophetie ist hier auf dem Sprung, die Schranke des nationalen Partikularismus ganz zu überschreiten; die logische Konsequenz jener Prämissen würde zum Universalismus des Römerbriefes führen; aber sie wurde allerdings vom Propheten. selbst noch nicht gezogen, viel weniger noch vom Judenthum der folgenden Jahrhunderte. Hingegen führte jene Teleologie nach anderer Seite zu einer bedeutsamen Erweiterung der religiösen Einsicht. Indem der Prophet in den Leidensgeschicken seines Volkes das Mittel zur Erfüllung der grossartigen Heilszwecke Gottes erkennt, und indem er hinwiederum in dem hervorragenden Leidenslose, das gerade die Besten in Israel trifft, die Folge der solidarischen Gesammtschuld und das Mittel zum solidarischen Gesammtheil des Volkes erblickt, ergab sich ihm hieraus die tiefsinnige Idee eines sühnenden und heilbringenden Leidens der Gerechten für die sündige Menge. Der „Knecht Jahves", dieses ideale Israel, das in Gestalten wie Jeremia und andern Duldern jener Zeit sich persönlich verkörperte, erschien nun nicht mehr bloss als der geduldige und demüthig-sanftmüthige Lehrer der

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Völker (42, 1 ff.), sondern auch als das willige Opfer, das die Schuld der Gesammtheit büssend gutmacht und Frieden und Heil erkauft und schafft (Kp. 53). Gemeint war dies zwar nicht als eine messianische Weissagung auf Christum der Prophet redet ja von Gegenwärtigem, nicht von Zukünftigem aber faktisch war es darum doch allerdings eine solche insofern, als es eine ewige Wahrheit enthielt, die in der Geschichte sich immer wieder erfüllt, niemals aber grossartiger und folgenreicher sich erfüllt hat, als an dem Dulder auf Golgatha. Um desswillen mag Deuterojesaia mit Recht der Evangelist des alten Bundes heissen.

Die Restauration und priesterliche Organisation der jüdischen Gemeinde. In der unter Josua und Serubabel zurückgekehrten jüdischen Kolonie entsprachen die Zustände keineswegs den hochgespannten Hoffnungen und prophetischen Verheissungen. Im Kampf mit der täglichen Noth und mit feindseligen Nachbarn erlahmte bald die erste Begeisterung. Die Wiederaufrichtung des Tempels wurde zwar mühsam und mit vielfachen Unterbrechungen zu Stande gebracht; aber die Anfänge der kirchlichen Ordnung waren noch wenig befestigt, die Missbräuche nahmen wieder überhand, die Organisation des Priesterthums drohte beim Mangel regelmässiger Einnahmen wieder zu zerfallen und von den gemischten Ehen war für die religiöse Reinheit der neuen Gemeinde wenig Gutes zu erwarten. Auch das Wort einiger Propheten, an sich nur ein matter Nachhall früherer Kraft, wirkte weder tiefgehend noch nachhaltig. Was die Zeit forderte, waren Männer von praktischer Energie und organisatorischem Talent, um die schwankenden Zustände der Kolonie durch Gesetze und Institutionen in feste Ordnung zu bringen. Der Statthalter Nehemia nnd der Priester und Schriftgelehrte Esra haben dieser Aufgabe in einer Weise entsprochen, dass man sie als die Begründer der jüdischen Gemeinde bezeichnen kann.

Vor allem galt es, das Ideal der kirchlichen Gemeinde, wie es den frommen Priestern seit Ezechiel vorschwebte, in eine feste Gesetzesform zu fassen und durch geheiligte Autorität zu sanktioniren. Das deuteronomische Gesetzbuch stand wohl in hohen Ehren; insbesondere war seine kultische Kardinalforderung: Beseitigung des Höhen- und Bilderdienstes und Centralisation des Kultus im jerusalemischen

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