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oder die Sünde nur zu, ohne sie zu veranlassen. Wenn nun Gott, wirft sich hier Karlstadt ein, wirklich Alles thut, was geschieht, wenn er auch die Sünde geschaffen hat, so kann fle ja nicht böse sein? Außerdem könnte man ohne Sünde die Wahrheit und das Gute ja nicht erkennen. Dagegen erwiedert er: Sünde hat Gott nicht geschaffen oder gut geheißen. Er gibt zwar die Sünde zu, und demnach ist er die wirkende Kraft derselben, dennoch ist sie wider den ewigen göttlichen Willen. Es sind nämlich in Gott zwei Willen, ein ewiger und ein verhänglicher (zugebender) Wille. Jener macht gut, erleuchtet und zieht zu Christo. Dieser macht, böse und hart, kommt mit den Lüsten und Begierden uns seres eigenen Herzens überein. Der Unterschied zwischen diesen beiden Willen in Bezug auf unsere Erkenntniß bes steht darin, daß der ewige beständige uns hart vorkommt, der verhängliche süß und weich. Wer den ewigen Wils len hat, hat keinen Willen mehr, ist willlos und will nur, was Gott will.

Es gehört aber große Kunst und viele Uebung dazu, daß Einer seinen eigenen Willen prüfe und lerne. Wenn ein Mensch den ganzen Tag auf seinen eigenen Willen achten, denselben alle Augenblicke studieren würde, er thäte recht und wohl. Und er würde verstehen, wie uns ́ser Wille allezeit übel will. Aber es ist unmöglich, daß Einer sein Herz in einem Jahre auslerne und wisse, was es bösen Willens in einem Tage vollbringt. Darum find Gottes ewiger Will und unser eigener Will auseinander.

Es ist ferner ein Unterschied zwischen dem ewigen Willen Gottes und zwischen dem zeitlichen Willen. So hat Gott früher die Beschneidung zugelassen, später hat

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er sie aufgehoben. Dergleichen äussere Zeichen, wie auch die Laufe, find keineswegs der wahre ewige Wille Gottes. Wo bei der Laufe nicht die Erkenntniß Gottes und der wahre Glaube ist, hilft sie nichts, und man kann diese Dinge wohl entbehren, wenn nur der innere Glaube nicht fehlt.,, Der ewige Wille Gottes steht in keiner äusserlichen Uebung oder leiblicher Andacht. Denn das kann Alles falsch und lügenhaftig sein. Auch ist es Alles zeitlich und vergänglich und kleinschäßig, das Gott äusserlich fordert, gebeut und will. Man kann auch seis nen wohlgefälligen Willen ohne alle Aeusserlichkeit vollbringen. Man gewinnt auch nichts mit sinnlicher oder äusserlicher Anzeich. Ja, man erzürnt Gott mehr, wenn Aeusserlichkeit den innerlichen Geist Gottes anzeigt, der nicht vorhanden ist, denn sie lügt. Aber was sein muß und unveränderlich ist und ewig soll bleiben, das schuf Gott inwendig in der bloßen Seele. Denn Gott ist ein Geist, derhalben muß sich die geschaffene Creatur mit und durch den Geist mit Gottes ungeschaffenen Geist vereis nen. Demnach mag und soll ein Jeder den Geist des Buchstabens und nicht die Rinden oder Schalen des Buch stabens ergründen, so er Gott behäglich will dienen. Dem Geist der Schrift d. h. dem ewigen Gotteswillen mußt du nachsuchen und darnach thun oder lassen, was der Buchstab gebeut oder verbeut, nicht nach dem Buch, staben, sondern nach dem beschlossenen oder erdeckten Geist."

In der Schrift über die Gelassenheit ') spricht er

1) Was gesagt ist, sich gelassen und was das Wort Gelaffenheit be

deute, und wa es in heiliger Schrift begriffen. Andreas Bodenstein von Karlstadt, ein neuer Lacy. 1523. 20. April.

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fast dieselben Ansichten aus. Er verlangt hier, daß der Mensch alle Creaturen verlassen soll, um nur Gott zu dienen: selbst seine Weisheit, die doch weiter nichts, als Thorheit seit, soll er verlassen, um ein rechter Schüler Christi werden zu können. Und hat es Einer so weit ges bracht, daß er alles andere verlassen hat und gering schäßt, so ist ferner nöthig, daß er gelassen in der Gelassenheit ist, d. h. daß er sich nichts darauf einbildet. Wenn der Mensch sich selbst verläßt, so hat er Alles gethan, was zur Gelassenheit gehört. Denn der Mensch begreift in sich alle Creaturen, wie er denn auch die kleine Welt heißt. Der Mensch hat in sich das Wesen, welches allen Elementen, Stein und Holz, gemein ist, das ist ein gemein wesentlich Selbständigkeit. Darnach hat der Mensch ein lebendig Wesen, welches er gemein hat mit Gras, Laub, Bäumen u. dgl., welche ein wachsendes und lebendiges Wesen haben: das für das ander. Für das Dritt hat der Mensch ein befindliches Leben, welches fühlet und empfindet, das hat er mit Thieren und Vieh gemein, als Kuh, Ochsen, Schafe, Ziegen, Böcke, Hirsche 2c. haben. Für das Vierte hat er ein sonderlich vernünftig Leben: er ist vernünftig, fürsichtig und weise, er will und begehret, er unterscheidet und erwählet. In dem Grade niedertritt er alle niedersten Creaturen: er wäre auch ihr Herr gewesen und geblies ben, wenn er seinen Oberherrn, Gott, erkannt und ewigen Gehorsam geleistet hätte. Aber als er von der Ordnung fiel, da fielen auch die anderen Thiere aus ihrem Gehorsam und eingeseßter Furcht. Für das Fünfte ist der Mensch auch eine abgesonderte Person von allen anderen Menschen, hat auch seine eigenen Pfund und

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Gaben Gottes, ein Jeder so viel ihm Gott gibt und verleiht." Habe nun der Mensch ganz sich selbst verlassen und ausgezogen, dann ist er fähig, zu Gott zu gelangen, `und ihn zu lieben. Der Mensch gebe dann seine Sichheit auf, um in dem göttlichen Willen vollständig aufzu gehen. Dann entstehe ein christliches, göttliches Leben. Dann wirke Christus und Gott in dem Menschen: dann thue dieser weiter nichts, als was Gott wolle.

Die Möglichkeit einer solchen in Gott ergebenen Gesinnung erkennt Karlstadt allerdings der menschlichen Kraft allein nicht zu. Auch er nimmt so gut, wie Lus ther, eine göttliche Mitwirkung an: alles Gute, das wir thun, sagt er am Schlusse, thue Gott in uns, nicht wir. Wir könnten so wenig dazu, als wir zu unserer Erschaf, fung gekonnt haben: und das gehöre auch zur Gelassen, heit, daß man sich des Guten nicht rühmt, was man thue, da es Gott in uns schaffe. Eine Ansicht, die er auch in seiner Schrift über die christliche Liebe ') weiter ausführt. Doch ist seine Theorie von der lutherischen verschieden: oder modificirte sich wenigstens später, namentlich insoferne, sie sich auf den Glauben bezieht.

› Karlstadt nämlich verwarf zwar auch die menschliche Vernunft, als unfähig, durch sich allein zu Gott zu gelangen 2). Aber er nahm dafür eine göttliche Stimme an, welche der Mensch innerlich in seinem Herzen ems pfinde, welche die Wahrheit, der ächte Glaube sei, im Gegensaße zu dem äusserlichen Glauben an den Buchstas

1) Von den zweien höchsten Geboten der Lieb Gottes und des Nächs ften. 1524. 1. März.

2) In der Schrift von der Gelaffenheit. B. 3.

ben. Diese göttliche Stimme zeige sich in verschiedener Weise und habe dann verschiedene Namen, wie Weisheit, Stärke, Heiligkeit, Gerechtigkeit1). Diese innere Stimme oder der Geist Gottes in uns mache uns erst zu rechten christlichen Priestern, d. h. erwecke in uns jenes innerliche Priesterthum, von welchem allein das Christenthum spricht, und wohin alle streben sollen 2).

Schon in den angeführten Schriften hatte er, obwohl er keinen Namen nannte, manchen Seitenhieb auf die Wittenberger geführt. Namentlich kämpfte er häufig gegen die todte Auffassung der Schrift, nur nach dem Buchstaben, wobei der Geist ganz verloren ginge: er schilt auf gewisse hohe Schulen, die auch nur ihre Ehre, nicht die Gottes suchen: er eifert gegen den Glauben ohne Liebe, welcher nur ein todter, papierner wäre: die Liebe sei vielmehr die Wurzel unseres Glaubens: er eis fert ferner gegen die Leute, welche an ihren Glauben. den Lohn des Himmels binden: Glaube wie Liebe müsse vielmehr lohnlos sein: nicht aus Furcht vor der Strafe

1) Wie sich der Gelaub und Unglaub gegen dem Licht und Finsterniß, gegen Wahrheit und Lügen, gegen Gott und den Teufel halten. Was der frei Will vermöge. Ob man alsbald glaubt, als man Gottes Wahrheit gehört. Von dem Einsprechen Gottes. Wer Augen hat, der wird merken, was die Sünd in den heiligen Geist. Item, wenn man taufen. Item, wie ein erleuchtetes und hohes Leben der Christen ist. Die rauhen Christen seind in dem Kleinen ungetreu und ungelassen, wie möchten fie in dem Großen gelassen und getreu sein? 1524.

2) Von dem Priesterthum und Opfer Chrifti. Andreas Karlstadt. #. 1, e. a.

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