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Materialien zu einer Geschichte der Farbenlehre."

nicht auf eine Controverse, zu der ihm die streng wissenschaftlichen Vorkenntnisse fehlten, sondern auf das, was er als Maler verstand: auf die Mischungen der Farben, auf ihre Affinität, auf ihre Harmonie1. Mag er auch, von der träumerisch-mystischen Naturbetrachtung Schellings, Steffens' und der Romantiker überhaupt angeweht, bisweilen mehr phantastisch als rationell schemati siren und sich zu unhaltbarer Naturmystik versteigen 2, so wird er dem ausübenden Künstler doch weit mehr nüßliche Anregung bieten, als Göthe's unfruchtbare Polemik gegen Newton.

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Während der polemische Theil der Farbenlehre Göthe's lediglich die große Verirrung eines großen Geistes documentirt, ohne sonst für die Wissenschaft weitere Bedeutung zu haben, bietet seine Geschichte der Farbenlehre" eine wirklich ansehnliche Fülle wissenschaftlichen Materials, chronologisch geordnet, kritisch gesichtet, mit geistreichen Bemerkungen versehen, und wenn auch nicht eigentlich bearbeitet, doch so anziehend redigirt, als es die Natur des Stoffes nur immer erlaubt. Freilich verläugnet Göthe auch hier seinen einseitigen polemischen Parteistandpunkt keineswegs, und wo er weitere, allgemeinere Gesichtspunkte zu gewinnen sucht, da mischt er seiner anscheinend harmlosen naturwissenschaftlichen Bibliographie sehr schwerwiegende philosophische und religiöse Irrthümer bei. Sein Buch ist damit zum Vorbilde zahlreicher ähnlicher Fachschriften geworden, welche unter naturwissenschaftlicher Flagge Unglauben und religiöse Flachheit in der Welt Herumcolportiren.

Diese „Materialien“ holen so weit aus über die bedeutendsten Gegenstände, welche je den menschlichen Geist beschäftigten: Vernunft und Offenbarung, Philosophie und Theologie, Bibel und Ueberlieferung, Plato und Aristoteles, ja über die gesammte

1 Vorzüglich in seiner Schrift: „Farbenkugel oder Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zu einander und ihrer vollständigen Affinität; mit angehängtem Versuch einer Ab= leitung der Harmonie in den Zusammenstellungen der Farben" (Hamburg, Perthes, 1810. 4o), dann auch in Briefen, a. a. O. I. 112 ff. 2 A. a. O. I. 162 ff.

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Göthe's wissenschaftliches Hauptwerk.

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Geschichte der geistigen und materiellen Cultur, daß man sie für eines von Göthe's wichtigsten Werken, ja für sein wissenschaftliches Hauptwerk halten darf. Es stellt annähernd das Facit seines ganzen wissenschaftlichen Strebens dar. Es ist seine „Summa“ und legt den Gedanken nahe, eine andere „Summa“, jene des Aquinaten, damit zu vergleichen. Dieses Werk, das Göthe allerdings nicht einmal erwähnt, war das große wissenschaftliche Grundbuch, die systematisch geordnete Encyklopädie des katholischen Mittelalters. Es ging nicht auf die einzelnen, besondern Wissenschaften ein, aber es gab ihnen in einer gemeinsamen Grundwissenschaft, der Philosophie und der mit ihr auf's Innigste verbundenen Theologie, einen festen Halt, eine sichere Grundlage, einen einheitlichen Centralpunkt, eine hierarchische Ordnung. Alles menschliche Wissen war hier mit dem Glauben zu einem einheitlichen System verknüpft, wie es kein Forscher vor und nachher objectiver, wahrer, vollständiger zu gestalten vermocht hat. Plato's hochstrebender Idealismus war hier mit dem nüchternen Realismus des Aristoteles harmonisch ausgesöhnt, die Blüthe vorchristlicher Bildung mit der christlichen Civilisation und Wissenschaft organisch verschmolzen, einem stetigen Fortschritt aller Wissenszweige ein sicherer Ausgangspunkt gegeben.

Wie die Glaubenstrennung des 16. Jahrhunderts das alte christliche Europa des Mittelalters in seinen religiösen und socialen Verhältnissen zerklüftete, so hat sie auch jene hierarchische Ordnung der Wissenschaft zerstört. Von da ab zerbröckelte sie in regellose, unzusammenhängende Einzeldisciplinen, zuletzt in völlige Anarchie. Ihren prägnantesten Ausdruck hat die völlige Zersetzung in der französischen Encyklopädie erhalten. Alles menschliche Wissen ist hier in lauter unzusammenhängende Artikel aufgelöst.

Dem deutschen Geiste war eine solche Encyklopädie denn doch zu flach, zu nichtig. Herder hat in seinen „Ideen" den Versuch gemacht, wieder zu einer systematischen Einheit der Wissenschaft zurückzukehren. Doch der Versuch scheiterte. In der Philosophie fehlte der gesunde Verstand, in der Theologie die Autorität,

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Göthe und die moderne Wissenschaft.

in der Geschichte der einheitliche Strom der Ueberlieferung, in den einzelnen Wissenszweigen die feste philosophische Grundlage. Göthe, der Zuschauer und bis zu gewissem Grade Mitgenosse jenes Schiffbruchs war, in seiner nächsten Nachbarschaft aber die begabtesten Köpfe, Fichte, Schelling, Hegel sich fruchtlos abmühen sah, wenigstens wieder eine philosophische Einheit herzustellen, wandte sich verzweifelnd von der Philosophie ab, kehrte zu der realistischen Weltbetrachtung der französischen Encyklopädisten zurück und schrieb seine Farbenlehre. Alle Bemühungen, aus abgerissenen Briefstellen, Versen und Prosasprüchen einen „Philosophen Göthe“ und eine „Philosophie Göthe's“ zu destilliren, werden darum für immer mit Unfruchtbarkeit geschlagen bleiben 1. Er hat keine Philosophie geschrieben; er hat kein Philosoph sein wollen. Er hat eklektisch von den verschiedensten Systemen genascht, aber weder sich einem derselben angeschlossen, noch sich aus ihnen ein neues gebaut. Er hat von allen benüßt, was ihm gerade für seine künstlerischen oder naturwissenschaftlichen Zwecke dienlich schien. An Stelle einer Philosophie hat er eine Farbenlehre hinterlassen: um sie hat er, so gut es ging, sein übriges Wissen gruppirt, für sie trat er bis zum Tode mit dem größten Eifer ein, sie machte er thatsächlich zu einer der Hauptaufgaben seines Lebens. Sieger über Newton zu werden, ward ihm zur Lebensfrage. Daher jene Gereiztheit, jene Leidenschaftlichkeit, die er sonst in keiner Angelegenheit seines spätern Lebens

1 Für Philosophie im eigentlichen Sinn," gesteht er selbst, „hatte ich kein Organ, nur die fortdauernde Gegenwirkung, womit ich der eindringenden Welt zu widerstehen und sie mir anzueignen genöthigt war, mußte mich auf eine Methode führen, durch die ich die Meinungen der Philosophen eben auch, als wären es Gegen= stände (!), zu fassen und mich daran auszubilden suchte.“ Werke. XXXIV. 93 ff. Ueber Fichte spöttelte er so wegwerfend, daß W. von Humboldt ihn mahnen mußte: „Mit dem Ich scheinen Sie mir nicht glimpflich umzugehen. Die Metaphysik ist einmal die Basis alles eigentlichen Denkens." Bratranet, Göthe-Humboldt Brief= wechsel. S. 153.

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Theologische Allotria in Göthe's Farbenlehre.

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verräth. Der tolle Traum der „freien Wissenschaft“, wie er ihn von Diderot und dessen Freunden herübergenommen, ließ sich indeß nicht einmal auf einem so engen Gebiete, wie jenem der Farbenlehre, aufrecht erhalten. Göthe stieß auf eine unabweisliche, objectiv begründete, wissenschaftliche Autorität, er stieß auf unabänderliche, der Willkür nicht preisgegebene Säße, und indem er blindlings gegen beides ankämpfte, machte er sich selbst ebenso lächerlich als den frivolen Geisteshochmuth, aus dem sein Unternehmen hervorging.

Was diese Geschichte der Farbenlehre", wie andere Schriften Göthe's, für den Unachtsamen oder Oberflächlichen verfänglich machen kann, ist die Mischung tiefgehender religiöser Jrrthümer, seichter Anschauungen, leichtfertiger Ausfälle mit manchen wahren, ernsten, werthvollen Mittheilungen und Gedanken. Während er, um ein Beispiel hiervon zu geben, Plato und Aristoteles, wenn nicht tief, so doch recht geistreich charakterisirt, setzen dagegen seine Ausführung über die Bibel diese göttliche Urkunde mit einem gewissen Schein von Werthschätzung auf den Rang eines höchst merkwürdigen Volksdenkmals herab, zu dessen Verbesserung und Vervollständigung der Dichter der „Römischen Elegien“ und der Braut von Korinth" seine Vorschläge sogar zu machen sich bemüßigt findet:

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„Wenn man dem Alten Testamente einen Auszug aus Josephus beifügte, um die jüdische Geschichte bis zur Zerstörung Jeru salems fortzuführen, wenn man nach der Apostelgeschichte eine gedrängte Darstellung des Christenthums und der Zerstreuung des Judenthums durch die Welt bis auf die leßten treuen Missionsbemühungen apostelähnlicher Männer, bis auf den neuesten Schacher und Wucherbetrieb der Nachkommen Abrahams einschaltete, wenn man vor der Offenbarung Johannis die reine christliche Lehre im Sinne des Neuen Testamentes zusammengefaßt aufstellte, um die verworrene Lehrart der Episteln zu entwirren und aufzuhellen: so verdiente dieses Werk gleich gegenwärtig wieder in seinen alten Rang einzutreten, nicht nur als allgemeines Buch, sondern auch als allgemeine Bibliothek der Völker zu gelten, und

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Mißerfolg der Göthe'schen Farbenlehre.

es würde gewiß, je höher die Jahrhunderte an Bildung steigen, immer mehr zum Theil als Fundament, zum Theil als Werkzeug der Erziehung, freilich nicht von naseweisen, sondern von wahrhaft weisen Menschen genutzt werden können."1

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Wie eine solche Stelle in eine Geschichte der Farbenlehre" gehört, wäre unbegreiflich, wenn nicht zahlreiche andere darauf hinwiesen, daß Göthe mit seinen „Urphänomenen“ zugleich auch seine allgemeinen Anschauungen über Welt, Cultur und Geschichte an den Mann bringen wollte. Er hatte diese Kunst von Voltaire und Diderot gelernt, und stimmt er auch nie mit voller Brust in das Écrasez l'infâme! ein, so spielt er doch mit dem Christenthum wie mit einer Puppe, die Jeder anziehen, umkleiden und zustußen kann, wie er will.

Den eigentlichen Fachmännern, und zwar gerade den größten Autoritäten auf dem Gebiete der Optik, ist Göthe's Farbenlehre so unbedeutend erschienen, daß keiner sie einer eingehenderen Besprechung zu würdigen pflegt. Für die eigentlich wissenschaftliche Optik ist sie längst abgethan, oder vielmehr ist sie nie in dieselbe eingedrungen. Einige optische Versuche, besonders zur Untersuchung der Fluorescenz-Erscheinungen, hat er nach dem Urtheil des Astronomen Klinkerfues gut, „sogar in meisterhafter Darstellung" beschrieben. Das ist aber auch Alles. Die wissenschaftliche Farbenlehre in Deutschland entwickelte sich ruhig weiter auf der soliden Grundlage, die Newton ihr gegeben. Der Dichter fand die zuvorkommendste Aufnahme, aber der Optiker wurde höflichst aus den Lehrsälen wie aus den Lehrbüchern hinauscomplimentirt. Umsonst versuchte es sein Freund Reinhard, ihm die Gunst der Akademie der Wissenschaften in Paris zu gewinnen. „Die Akademie verweigerte, einen Bericht abzufassen. Einer der Commissäre schweigt; Delambre begnügte sich, zu sagen: ‚Beobachtung, Experimente! und vor Allem fangen wir nicht

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1 Göthe's Werke [Hempel]. XXXVI. 95. 2 Gödeke, Göthe's Leben und Schriften. S. 182. 483.

Stuttgart 1877.

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