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"Dichtung und Wahrheit" bleibt Fragment.

brenner zum Schneider, Schulmeister und endlich Mediciner sich entwickelt, geht es im obern Stock lustig zu, da wird zu Nuß und Frommen der deutschen Literatur beständig getanzt und geküßt und geliebelt; auf das Frankfurter Gretchen folgt Käthchen Schönkopf, Friederike Oeser, Friederike Brion, die Tanzmeisterstöchter von Straßburg, Lotte Buff, Maximiliane Laroche und Sibylle Münch; das Leipziger Liederbuch und die Lyrik von Sessenheim erklären sich hier als Blüthen der artigsten Novellen, und zwar nicht erfundener, sondern erlebter; die mühsame Literaturarbeit eines halben Jahrhunderts verwandelt sich in ein fröhliches Mariage-Spiel. Der folgenden Generation von Dichtern war in diesem Vorbild der Pfad der Kunst bedeutend erleichtert. Erst „lieben“! Das war die Hauptsache; das Dichten gab sich dann von selbst.

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Mit dem Mariage-Spiel in Frankfurt und mit „Clavigo“ schloß vorläufig die Selbstbiographie. Den Lili-Roman schrieb Göthe zwar theilweise auch schon nieder, aber da Lili's Gemahl, Baron von Türckheim, noch lebte und sogar badischer Finanzminister war, der Roman selbst aber schon in die wunderbare" erste Weimarer Periode einmündete, hielt es Göthe für gerathener, mit dem vierten Buch seiner Bekenntnisse vorläufig zurückzuhalten. Dasselbe ist erst nach seinem Tode 1833 im achten Band seiner nachgelassenen Werke veröffentlicht worden. Es ist nicht, wie die ersten drei Bücher, in Einem Zug geschrieben, daher ungleich, fragmentarisch. Nur in einigen Umrissen ist darin, aus dem Portefeuille des Malers Kraus, der Hof von Weimar mit seinen Hauptpersonen skizzirt1. Weiter wagte Göthe nicht zu gehen. Die Ercellenz" fand es nicht statthaft, die Jugendthorheiten der Durchlaucht“, die als Großherzog zur „königlichen Hoheit" emporgestiegen war, auch nur in poetisch verblümtem Gewande in seinem biographischen Lebensroman aufspazieren zu lassen. Ohne eine Schilderung des Weimarer Hofes ließ sich aber der Roman nicht weiterführen, und so ist auch „Dichtung und Wahrheit" unvollendet geblieben.

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1 Göthe's Werke [Hempel]. XXIII. 99 ff.

Die Italienische Reise.

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Dagegen hat Göthe seiner Jugendgeschichte später noch drei andere Bruchstücke seiner Lebensbeschreibung folgen lassen, 1816 und 1817 die „Italienische Reise", 1822 die „Campagne, in Frankreich" und die „Belagerung von Mainz“. Das Hauptsächliche zur Beurtheilung dieser drei Schriften ist früher schon gefagt. Doch mag zur Italienischen Reise" eine Bemerkung hier noch beigefügt werden.

Was Göthe in Italien selbst gesehen, gehört, empfunden, erlebt, erforscht, genossen, das hat er, soweit er es mittheilen wollte, mit unübertroffener Lebendigkeit, Klarheit, Schönheit dargestellt. Er macht keine Phrasen, er holt nicht in fremde Zeiten und Welten aus, er hält sich an den augenblicklichen Moment, an das Thatsächliche, faßt es stets lebendig und geistreich auf, skizzirt es in kurzen, lebensvollen Zügen und gestaltet den Eindruck mit künstlerischer Hand zum schönen, gewinnenden Vilde. Auch wo er eigene Erlebnisse novellistisch behandelt und poetisch verklärt, wie es in der Episode mit der schönen Mailänderin" der Fall ist, hat die Darstellung jene sonnighelle Klarheit und Abrundung, und der ausschmückenden oder mildernden Fiction liegt wahre Empfindung zu Grunde. Die katholische Kirche hat er im Ganzen. etwas anständiger behandelt, als manche deutsche und englische Reisebeschreiber nach ihm, indem er zwar ihr ganzes Walten und Wirken als einen ungeheuern frommen Betrug hinstellt, aber es dann genug sein läßt, nicht auf jeder Seite an ihr herumnergelt und herumzankt, sondern mit skeptisch-spielerischem Lächeln sich auch einen Philippus Neri und eine hl. Rosalia gefallen läßt. Als seine Reise, als biographisches Bruchstück seiner Lebensund seiner Bildungsgeschichte mag man denn die „Italienische Reise" so gut wie die vier Bücher von „Dichtung und Wahrheit" classisch nennen. Sie hat in ihrer Art, nach Form und Inhalt jene künstlerisch maßvolle Abrundung, wie wir sie an den Erzählungen eines Xenophon oder Plato als classisch bewundern. Form und Inhalt stehen in gefälligem Ebenmaß, Stil und Sprache sind von hoher Schönheit. Nur wo dann und wann eine spätere Redaction die früher an Ort und Stelle

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Göthe's italienische Reise längst überholt.

geschriebenen Reiseberichte verbindet, ist jene steifere und förmlichere Redeweise bemerkbar, zu welcher der alternde Dichter sich imyner mehr hinneigte und welche zur Kraftsprache der sogenannten Genieperiode in einem oft geradezu komischen Gegensatz steht.

Als objective Beschreibung des wirklichen Italiens ist Göthe's Reisebericht aber nichts weniger als classisch. Als Knebel sich im Herbst 1789 für seinen Bruder Mar, der nach Italien reisen wollte, bei Göthe Rath erholte, wies ihn dieser zunächst an Dr. Johann Wilhelm Volkmanns „Historisch-kritische Nachrichten aus Italien" und empfahl dann, in jeder Stadt an Ort und Stelle sich nach einem besondern Führer" umzusehen1. Er selbst führte auf der Reise Volkmann mit sich, verzeichnete darin, was er gesehen, um zu wissen, was noch zu sehen war, bereitete sich daraus vor und fand das Buch, wenn er es auch an ein paar Stellen corrigirte, grundehrlich, wacker und brauchbar. Wer das Italien jener Zeit genauer kennen lernen will, muß auf Volkmann und dessen italienische Quellen zurückgehen. Heute aber ist er als Reiseführer längst überholt: mit Gsell-Fels, Bädeker, Förster oder Lossow bewaffnet, ziehen die Germanen unserer Tage über die Alpen, um sich in der apenninischen Halbinsel zurechtzufinden. Göthe's Briefe mögen ihnen allenfalls helfen, eine poetische Reisestimmung herbeizuzaubern; aber das ist auch Alles; diese Stimmung wird zudem weder dem modernen Italien, noch dem katholischen, noch dem antiken eigentlich entsprechen. Es hat sich seither zu Vieles verändert.

Obwohl es, nach dem Spotte der „Xenien“ über Stolbergs Reise in Italien 2, Manchem wie eine Keßerei oder Tollheit erscheinen mag, diese anspruchlose, heute fast verschollene Reisebeschreibung mit derjenigen Göthe's zu vergleichen, aus welcher Tausende noch immer ihre ersten Ideen über Italien schöpfen:

1 Göthe's Werke [Hempel]. XXIV. S. IX.

2 Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien. Stolberg, Gesammelte Werke. Hamburg, Perthes. 1822. Bd. VI-IX.

Stolbergs Reise nach Italien.

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so mag doch die Behauptung gewagt werden, daß eine solche Vergleichung, vorurtheilsfrei angestellt, in vielen Punkten zu Stolbergs Gunsten ausfallen würde. Er hat sich allerdings nicht so lange in Italien aufgehalten wie Göthe er traf am 24. October 1791 in Turin ein und verließ Venedig am 26. November des folgenden Jahres —; aber er hat eine weit ausgedehntere Strecke von Italien bereist als dieser, war nicht von schriftstellerischen Projecten, Arbeiten und Zerstreuungen in Anspruch genommen, sondern widmete sich ganz dem Studium von Land und Leuten. Seine ganze Beschreibung ist wahrer, objectiver, gerechter gegen die Kirche und das italienische Volk1, weit inhaltreicher an Beobachtungen der italienischen Zustände, weit belehrender in Bezug auf Geschichte, Literatur und Kunst 2. Man stelle nur genau zusammen, was die beiden Reisenden. 3. B. über Raphael, über Michel Angelo, über die antiken Statuen der römischen Sammlungen berichten, und man wird bald erkennen, daß der tiefreligiöse, christliche Stolberg über christliche wie über heidnische Kunst mehr positive Kenntnisse und mehr richtiges Kunsturtheil besaß, als der anmaßende, heidnische Göthe3. Stolberg gab seine Beschreibung fast unmittelbar nach der Reise schon 1794 heraus, Göthe wartete wohlweislich noch volle einundzwanzig Jahre, während welcher er

1 Stolberg, Werke VII. 86 ff. 92 ff. 143 ff.; VIII. 84 ff. 159 ff. 208 ff. 288 ff.; IX. 296 ff.

2 „Er war einer der ersten, die in Deutschland ein unbefangenes und richtiges Urtheil über Italien vermittelten." Joh. Janssen, Stolberg. Freiburg 1877. I. 281. Vgl. S. 265–307.

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3 Stolberg, Werke VII. 183 ff. 205 ff. 210 ff. 217 ff. 242 ff. 257 ff. 281 ff. „Hätte Lessing," so schreibt er recht treffend (VII. 249), mehr Werke der alten Kunst gesehen, so würde er nie be= hauptet haben, daß die Griechen nur das Schöne dargestellt hätten.“ Dasselbe gilt von Göthe. Hätte er mehr von der alten und von der christlichen Kunst wirklich gesehen und vorurtheilsfrei studirt, so würde er, wie Stolberg, zu einer mäßigeren und richtigeren Werthschätzung der antiken Kunst gelangt sein.

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Gelegenheit hatte, noch viel über Italien und dessen Kunstschäße zu lesen. Und doch kann sich Stolbergs Werk auch jetzt noch getrost neben dem seinigen sehen lassen. Nur in Gewandtheit der Form und Sprache ist er Stolberg voraus; aber schließlich wiegt der Gehalt, nach Göthe's eigenem Geständniß1, doch schwerer als die schöne Form:

Denn der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst. Man wird zwar nicht läugnen, daß das Genie, das ausgebildete Kunsttalent durch Behandlung aus Allem Alles machen und den widerspänstigen Stoff bezwingen könne. Genau besehen entsteht aber alsdann immer mehr ein Kunststück, als ein Kunstwerk, welches auf einem würdigen Gegenstande ruhen soll, damit uns zuletzt die Behandlung durch Geschick, Mühe und Fleiß die Würde des Stoffes nur desto glücklicher und herrlicher entgegenbringe."

1 Göthe's Werke [Hempel]. XXI. 63.

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