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Selbständige Entwicklung der christlichen Kunst.

Die folgenden Hefte von „Kunst und Alterthum" brachten ein buntes Gemengsel von kleinen Aufsägen, Literatur- und Kunstnotizen, Gedichten, Recensionen und Anzeigen wirr durcheinander. Gervinus nennt das Ganze ein „Magazin der Unbedeutendheit“ 1, und höchst zutreffend bemerkt Joseph von Görres zu einer der Recensionen: „Er fängt an zu schreiben wie meine selige Großmutter, die alles beschrieb, was auf ihrem Schreibpulte lag." 2

Einen weit dankbareren Boden, als bei dem weimarischen Kunstheiden, haben Boisserée's hochsinnige, unermüdliche Bestrebungen im katholischen Deutschland gefunden. Hier ist mit dem Interesse an den alten Kunstwerken auch der echte, fromme, Lebenskräftige Volksgeist erwacht. Die Kirche selbst hat sich aus den Trümmern der Revolution verjüngt erhoben und auf allen Gebieten der Kunst einen neuen Blüthenfrühling hervorgezaubert. Als ein hehres Denkmal des Glaubens und Opferfinnes des katholischen Volkes steht der Dom von Köln vollendet da3. Hunderte von andern kirchlichen Bauwerken, Dome, Kathedralen, Kirchen und Kapellen haben das Jammergewand der Zopfzeit abgestreift und sich im Sinn und Geist der alten Kunst erneuert. Und wie die Baukunst, so hat sich auch die Malerei, die Bildnerei, die Musik, die Poesie, die Kleinkunst und das Kunstge= werbe im Sinn und Geist der Kirche an den Ueberlieferungen deutscher Vorzeit neu belebt. Die härtesten Prüfungen vermochten diesem Aufschwung keinen Stillstand zu gebieten. Die echte deutsche Kunst, die Göthe so vornehm seinen heidnischen Idealen unterordnete, ist abermals zum Brautschmuck und Siegeszeichen der katholischen Kirche geworden.

Ganz nulos blieb übrigens auch das freundschaftliche Verhältniß Boisserée's zu Göthe nicht. Das Ansehen des Viel

1 Gervinus, Nationalliteratur. V. 713.

2 Görres, Freundesbriefe. III. 186.

3 Vgl. Dr. A. Reichensperger, Zur neueren Geschichte des Dombaues in Köln. Köln 1881. S. 2 ff. 56 ff. St. Beissel, Der Dom von Köln (Stimmen aus Maria-Laach. XX. 172–174).

Boifferée's Haltung nicht ohne Nußen.

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gefeierten und der Ruf, den Boisserée durch ihn gewann, trug jene Kunstbewegung auch in außerkirchliche Kreise. Von Göthe empfohlen, wurde die Sammlung Boisserée's von aller Welt besucht, erhielt sein Werk über den Dom auch im protestantischen Deutschland Beachtung, fanden seine Bestrebungen um christlichdeutsche Kunst allgemeineres Interesse und gerechtere Würdigung. Zu dem kunstliebenden König Ludwig von Bayern, der die Boifferée'sche Sammlung für München erwarb, gesellte sich Friedrich Wilhelm IV. von Preußen als Gönner und Förderer des Dombaues zu Köln. Nicht in religiöser Gleichgiltigkeit, sondern in wahrer Liebe und Duldung näherten sich Katholiken und Protestanten zeitweilig auch auf dem Gebiete der Kunst. Alle unsere Städte und Museen besigen Denkmale dieser freundlichen Annäherung und Wiederbelebung echt deutschen Geistes, wenn auch in Berlin und anderwärts die Renaissance noch immer ihre Herrschaft behauptete.

Göthe selbst übte gegen die christliche Kunst, sobald er einmal sein Heidenthum gesichert glaubte, eine gewisse Duldsamkeit aus. Er schenkte den Publikationen Boisserée's sehr freundliche Aufmerksamkeit, empfahl sie ein paar Male 3, nahm mit Interesse von altdeutschen Kunstwerken Notiz, redete und schrieb darüber. Für ihn blieben sie aber immer Kunstwerke von untergeordnetem Werth, Reliquien einer entschwundenen Zeit, Gegenstände der Kunstwissenschaft und Kunstarchäologie. Von einer Neubelebung wollte er nichts wissen *.

„So viel darf ich Ihnen gestehen," schrieb er am 10. Mai

1 Für 240 000 Gulden. S. Morgenblatt. 1862. S. 1242. 2 A. von Reumont, Aus König Friedrich Wilhelms gesun= den und kranken Tagen. Leipzig 1885. S. 180 ff. Reichensperger a. a. D. S. 4 ff. 58.

3 Kunst und Alterthum. IV. 1. S. 169; III. 2. S. 106. 121; IV. 2. S. 102 2c. Vgl. Göthe Jahrbuch. VI. 301-305, und

Sulpiz Boisserée passim.

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4 Briefwechsel zwischen Göthe und Schulz. Leipzig 1852. S. 311.

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Göthe bleibt Pantheist und Polytheist.

an den Baumeister Catel in Berlin 1, einen Freund Schinkels, „daß ich völlig Ihrer Meinung bin, man solle jene altdeutsche Bauart zwar höchlich schätzen, ihr Andenken erhalten, ihr historische Untersuchungen widmen, und von ihr, besonders im technischen, manches lernen; neue Gebäude jedoch in diesem Geschmack und Stil aufzuführen, keineswegs unternehmen."

So sollte das Christenthum auch in seinen übrigen Kunsterscheinungen zwar glimpflich behandelt und als ehrwürdige Reliquie in Museen und Sammlungen untergebracht werden, das Heidenthum aber thatsächlich Kunst und Leben beherrschen.

"Ich für mich," schrieb er an Jacobi, „kann, bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens, nicht an einer Denkweise genug haben: als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist dagegen als Naturforscher, und eins so entschieden als das andere; bedarf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt."

1 Göthe-Jahrbuch. IV. 165.

2. Die ideale Weimarerbühne und der Hund

des Aubry.

1805-1817.

„Göthe, dem man so oft vorgeworfen, daß er die Schauspieler wie Papageien und Hunde dressiren wolle, wurde von einem dressirten Pudel aus dem Felde geschlagen." Eduard Devrient.

„Selbst bei jenem berühmten vorübergehenden Zerwürfniß wegen des Hundes auf der Bühne ist der Schein stets gewahrt worden, als sei nicht das mindeste vorgefallen, worauf der Niß sich langsam wieder zuzog." Hermann Grimm.

Noch zwölf Jahre nach Schillers Tod behielt Göthe die Leitung der Weimarer Bühne und suchte ihre künstlerischen Leistungen auf jener Höhe zu erhalten, welche sie durch seine und Schillers vereinte Thätigkeit errungen hatte. So wenig man seine heidnische Weltanschauung und deren leitende Ideen im Leben. wie in der Kunst billigen oder gar anerkennen kann, so liegen doch hier wahre und wirkliche Verdienste vor, welche allgemeine Anerkennung erheischen. Unter treuer Mitwirkung Schillers hat er die Weimarer Bühne zu einem Kunstinstitute erhoben, dessen bildender Einfluß sich über ganz Deutschland erstreckte und nicht nur die Bühne selbst, sondern auch Geschmack, Literatur, Poesie und Sprache wesentlich gefördert hat.

Schillers Wallenstein-Trilogie, Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans, die Braut von Messina, Tell, Göthe's Iphigenie, Tasso und der erste Theil des Faust bilden einen Kranz von Stücken, der sich in künstlerischer Hinsicht mit der besten Dramatik aller Zeiten und Völker vergleichen läßt. Die Räuber,

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Der classische Bühnencyklus von Weimar.

Kabale und Liebe, Fiesko, Don Karlos, Götz von Berlichingen, Egmont und die Natürliche Tochter reihen sich zu einem zweiten Kranz, der, inhaltlich von zweideutigem Werthe, künstlerisch doch bei Weitem alles überragt, was die neuere deutsche Dramatik bis dahin zu Stande gebracht hatte. Als durchaus gelungene Versuche, bedeutende Stücke ausländischer Literatur in gewandter, bühnengerechter Bearbeitung dem deutschen Theater zu gewinnen, sind auch Schillers Macbeth, Turandot, Iphigenie auf Aulis, Phädra, Neffe als Onkel, Parasit eine werthvolle Beigabe zu den eigenen Werken der beiden Dichter; der Form nach auch Göthe's Mahomet und Tancred. Selbst seine kleineren Dramen und Singspiele entbehren in formeller Hinsicht keineswegs großer Vorzüge, und seine Theaterreden und Maskenzüge sind, wie Schillers Prologe und Huldigung der Künste, von echt dichterischem Geiste durchweht und kunstvoll durchgeführt. Zum Ganzen vereint, wie sie denn größtentheils durch gegenseitige Anregung und unter freundschaftlicher Mitwirkung entstanden sind, bezeichnen die sämmtlichen dramatischen Werke der beiden Dichter wirklich den Höhepunkt der deutschen Bühnenkunst. Wenn man Sprache, Form, Gehalt der unmittelbar vorangehenden Dramatik betrachtet, die Klopstock'schen Bardiete, die Singspiele Wielands, die Komö dien Kozebue's, die Rührstücke Ifflands, so kann man nicht umhin, den Genius der Männer dankbar anzuerkennen, welche in drei Jahrzehnten die deutsche Sprache und Literatur, hauptsächlich im Anschluß an das Theater, so vollständig umgestaltet haben. Nur Lessing reicht an sie heran. Doch athmet weder seine Minna von Barnhelm, noch seine Emilia Galotti, noch sein Nathan der Weise jene freudig schöpferische Kraft, welche Göthe's und Schillers Werke an den Tag legen. Das Hauptverdienst fällt allerdings nicht so sehr Göthe zu, als Schiller.

„Durch ihn," sagt Devrient 1, war die Wirkung der Weimar'schen Schule auf ihre Sonnenhöhe geführt worden. Seine

1 Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Leipzig

1848. II. 266.

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