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Plan, W. Meisters Lehrjahre fortzusetzen.

noch seltener aber besißt er jene Fülle dichterischer Gestaltungskraft, welche ein größerer Roman erheischt.

Wie ein wahrhaft vollendetes Epos, läßt auch ein durchaus tüchtiger Roman keine Fortsetzung zu. Einheit und Abgeschlossenheit der Handlung gehören hier zu den Grundbedingungen des Kunstwerks. Der Werther" und noch mehr die „Wahlverwandtschaften" haben diese Vollendung, „Wilhelm Meisters Lehrjahre" dagegen besigen sie nicht. In der kautschukartigen Eindrucksfähigkeit und Bildsamkeit des Helden ist die Möglichkeit von zehn Fortsetzungen gegeben. Er hat keinen Charakter und kann sich deßhalb ewig weiterbilden, bis es dem Dichter beliebt, der Sache durch einen natürlichen oder gewaltsamen Tod ein Ende zu machen. Schiller fühlte das und fragte an, wo eigentlich die Lehrjahre zu Ende wären. Göthe wußte es selbst nicht, und kam durch die Frage auf den Gedanken, den Roman weiter zu spinnen. Er legte nun in den Schluß der Lehrjahre selbst die Anlagen zu einer neuen Verwicklung. Die Freimaurergesellschaft des geheimnißvollen Thurmes sollte sich über die ganze Erde ausbreiten und zum Weltbunde werden. Deßhalb sollte Jarno nach Nordamerika, der Abbé nach Rußland, Wilhelm aber nach Italien1. Der Bildungsproceß der Einzelnen sollte sich zum Weltbildungsproceß erweitern. Der Gedanke ist durchaus großartig, poetisch, Göthe's würdig. Es ist einer der Grundgedanken der Loge - und diese hat ihn keineswegs erfunden; denn es ist lediglich ein Nachbild von der Culturaufgabe der katholischen Kirche, ihr entlehnt und aus ihrer naturgemäßen hierarchischen Sphäre auf eine durch die Revolution atomisirte, von Gott und der göttlichen Ordnung abgetrennte Laiengesellschaft übertragen. Dem Greis kann man es nicht verargen, daß er noch von einer solchen unsichtbaren Laienkirche träumt, nachdem er die Idee davon 50 Jahre mit sich getragen.

Eine Idee ist aber noch kein Werk, kein Roman. Göthe hat das oft genug erfahren. In seinem zerfahrenen Treiben kam

1 Göthe's Werke [Hempel]. XVII. 528 ff.

Novellen für Cotta's Damenkalender.

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er nie so rasch wie Schiller dazu, seiner Idee Leib und Form zu geben. Schiller starb und mit ihm die Kraft entschiedenen Willensentschlusses, die selbst Göthe's Production zeitweilig geleitet und gehoben hatte. Er verkam in Optik und Morphologie. Aus den Novellen eines zweiten kleinen Decamerone, die er spielend hinwerfen wollte, wuchs eine zum selbständigen Roman aus, den „Wahlverwandtschaften“.

Die übrigen, theils entworfenen, theils erst geplanten kleinen Erzählungen boten, obwohl schon im Mai 1807 mit „Wilhelm Meister" verknüpft, kein erquickliches Ganzes mehr. Dann trat der "Divan" dazwischen und lenkte des Dichters Interesse ab. Alle schon druckbaren Novellchen, Die Flucht nach Aegypten", „Die pilgernde Thörin“, „Das nußbraune Mädchen“, „Die neue Melusine" und der „Mann von fünfzig Jahren“, wurden nebst einem ganz unbestimmten Anfang der „Wanderjahre“ in den Jahren 1808, 1809, 1815, 1816-1818 im Taschenbuch für Damen veröffentlicht. Was aus den Wanderjahren" werden. sollte, wußte Göthe selbst nicht. Durch Heinrich Meyer, der 1817 seine Heimath besuchte, zog er Nachrichten über die Verhältnisse der schweizerischen Baumwollenspinner ein, auch interessirte er sich sehr für die Auswanderung nach Amerika, die damals einigen Aufschwung nahm. 1820 schrieb er dann das Geschichtchen: „Wo steckt der Verräther?" und setzte „Das nußbraune Mädchen" fort.

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Unzweifelhaft hätte er bei der nur sporadischen Zeit, welche ihm seine übrigen Thätigkeiten ließen, am besten gethan, sich nach anderen ähnlichen Novellenstoffen umzusehen und sie der Reihe nach auszuführen. Seine Geistesrichtung ging nun einmal auf's Reale, Concrete, auf das Kleinleben; sein Auge hatte die Sehweite des Mikroskops und sah darum im Gewöhnlichsten hundert artige Dinge, welche dem ungeübten Blicke des Prosaikers entgehen. Das Boudoir einer Dame, ein zierliches Landschloß, ein Gärtchen, eine Spinnerei war für ihn ein Universum. Für die Tragik des großen Welt- und Menschenlebens dagegen reichte sein. Objectiv nicht hin. Wenn er in die Sterne sah, so blinzelten

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Verbindung der Novellen zum Roman.

ihm nur verliebte Augen daraus entgegen; wenn er die Weltgeschichte durchstöberte, zogen ihn höchstens Liebesgeschichten und das fleine Culturleben an. Mit seiner Meisterschaft der Form und Sprache konnte er in Miniaturmalerei alle anderen Novellisten weit überflügeln. Doch das Kleine sollte nun einmal zum Großen aufgebauscht, der Novellenkranz ein Roman werden.

„Ich nahm das Manuscript vor,“ so erzählt er1, „aus einzelnen, zum (größeren!) Theil schon abgedruckten kleinen Erzählungen bestehend, welche, durch Wanderungen einer bekannten Gestalt verknüpft, zwar nicht aus einem Stück, aber doch in einem Sinn erscheinen sollten (!). Es war wenig daran zu thun, und selbst der widerstrebende Gehalt gab zu neuen Gedanken Anlaß und ermuthigte zur Ausführung."

Der Druck begann im Januar 1821 und war im Mai schon vollendet. Göthe hatte selbst das Gefühl, daß er dem Publikum ungemünztes Metall und verschwommene Gedanken vorlege, daß der geplante Roman eigentlich nicht gerathen sei. Er war auch offen genug, es zu sagen, und sette dem Ganzen die Verse vor: Und so heb' ich alte Schäße

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Wunderlichst in diesem Falle.

Wenn sie nicht zum Golde seße,

Sind's doch immerhin Metalle.

Man kann schmelzen, man kann scheiden,

Wird gediegen, läßt sich wägen;

Möge mancher Freund mit Freuden
Sich's nach seinem Bilde prägen !

Wüßte kaum genau zu sagen,
Ob ich es noch selber bin;

Will man mich im Ganzen fragen,
Sag' ich: „Ja, so ist mein Sinn.‘
Ist ein Sinn, der uns zuweilen
Bald beängstet, bald ergeht,
Und in so viel tausend Zeilen
Wieder sich in's Gleiche setzt."

#2

1 Ebds. XXVII. 271.

2 Ebds. III. 260. 261.

Erste Ausgabe der Wanderjahre.

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Vereinzelten Lesern entging die Schwäche dieser poetischen Entschuldigung nicht.

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„Man lasse sich aber nicht betrügen," so ließ sich einer der selben vernehmen 1. „Alte Schäße sind es nicht, die hier feilgeboten werden, sondern alter Schutt ist es, den er aus Cotta's Taschenkalender zusammengetragen hat, um wo möglich auf einmal in Bausch und Bogen los zu werden, was einzeln niemand kaufen wollte. Wir sehn hier weiter nichts, als eine gemeine Finanzspekulation; längst gedruckte, höchst mittelmäßige und triviale Produktionen die Flucht nach Aegypten, das nussbraune Mädchen, der Mann von fünfzig Jahren, und mehrere ähnliche Sächelchen sollten unter einem trüglichen Aushängeschild aufs neue in Kurs gesezt werden. An mehr als einem Orte gesteht der Verfasser sehr naiv, dass er seine alten Schäße zu einem geordneten Ganzen zu verarbeiten nicht vermögend sei'; und dennoch fordert er nicht nur in der vorhin angezogenen Strophe, sondern auch in mehreren sogenannten Zwischenreden' den Leser auf, sich nach seiner eigenen Dichtergabe das Ganze selbst auszubilden. Bequemer hat es sich noch nie ein Schriftsteller gemacht; den Leser, welcher berechtigt ist, ein poetisches Kunstwerk zu erwarten, will er zu seinem Handlanger machen. Was er aber selbst nicht vermochte, das wird schwerlich auch irgend einer seiner Leser vermögen. Denn wie wär' es wohl möglich, aus den ganz heterogenen Materialien der Wanderjahre eine zusammenhängende Dichtung zu schaffen, die nur einigermaßen die Ansprüche befriedigte, welche die Poetik an jede Produktion, als ein in sich abgeschlossenes Ganze, zu machen hat. Schon der Anfang der Wanderjahre, die Flucht nach Aegypten, hat keinen Zusammenhang mit dem Schlusse von Wilhelm Meister's Lehrjahren. Während man in den Lehrjahren gar nicht erfährt, ob der Held der Geschichte jemals reisen werde, findet man ihn im ersten Kapitel der Wanderjahre schon wirklich auf der Reise. Ebensowenig hat

1 Friedr. Glover, Göthe als Mensch und Schriftsteller.

2. Aufl. Halberstadt 1824. S. 175 ff.

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Stimmen der Zeitgenossen. Pustkuchen. Schüß.

das nussbraune Mädchen einen Zusammenhang mit dem Gange des Romans; und dasselbe gilt nicht nur von dem darauf folgenden Fragmente der Mann von fünfzig Jahren, sondern auch von allen übrigen Märchen, aus welchen das Opus konsarzinirt ist.

„Das Merkwürdigste im Buche ist eine Philosophie über Pädagogik, Religion und Kunst. Sie seht das Höchste der menschlichen Bildung in das Beschränken auf ein Handwerk'; gründet die Erklärung des Mysteriums der Dreieinigkeit auf die vier Ehrfurchten vor uns selbst, und dem was unter uns, über uns und uns gleich ist; beleuchtet das Wesen der schönen Künste meist nur von der Seite des Technischen und Mechanischen, und erklärt die dramatische Poesie für absolut unwerth. Wer Lust hat, diesen Unsinn näher kennen zu lernen, der nehme das Opus zur Hand."

Gleichzeitig mit Göthe's „Wanderjahren“ erschien zu Quedlinburg anonym ein Werk mit dem gleichen Titel: „Wilhelm Meisters Wanderjahre". Es war der protestantische Prediger Friedrich Wilhelm Pustkuchen-Glanzow, der sich diesen Spaß erlaubte. Wie Göthe's Vertheidiger, Professor Schüß (junior) in Halle, sagt, hat er Titel und Inhalt, ja sogar den Stil dieses Romans, für seine Dichtung (auf eine unläugbar geniale [?] Weise) nur ergriffen, um in ihr nicht bloß über den,Wilhelm Meister“, sondern über die Poesie Göthe's überhaupt den Stab der Kritik zu brechen, und in einer in Kunst und Wissenschaft nicht minder als in politischer Beziehung revolutionären Zeit die Fackel der Empörung wider den größten unserer vaterländischen Dichter, der seit einem halben Jahrhundert der Stolz seiner Nation ist, zu schwingen“ 1.

Schütz schrieb gegen Pustkuchen ein ganzes Buch von 460 Seiten, breitspurig, ungenießbar über die Maßen. Mit überschwänglicher Begeisterung trat ihm Varnhagen van Ense zur Seite, spürte in literarischen Briefen den Geheimnissen der Göthe'schen

1 Schüß, Göthe und Pustkuchen, oder: über die beiden Wanderjahre Wilhelm Meisters und ihre Verfasser. Halle 1823.

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