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Göthe's gesellige Behäbigkeit.

Am 10. April starb seine Mutter, die Herzogin Anna Amalia, die Gründerin des Musenhofes, die Gönnerin Wielands und Göthe's. Ihr folgte schon im September ihre treue Hofdame Luise v. Göchhausen in's Grab nach; ihr Bibliothekar Jagemann war schon früher gestorben. Von der lustigen Weimarer Zeit waren. nur etliche ältere Leute übrig: Wieland, Göthe, Knebel, Charlotte von Stein und die Wittwen Herders und Schillers. Die Erbprinzessin hatte die Pässe nicht annehmen dürfen, welche ihr Napoleon für ihre Rückreise zugestellt hatte, und blieb noch bis im September in Schleswig.

Nach einer Kur in Karlsbad suchte der Herzog endlich doch den französischen Imperator auf, gerade am Tage seines glänzenden Einzuges in Dresden, am 17. Juli. Er erhielt auf den folgenden Tag Audienz, verspätete dieselbe jedoch und erweckte dadurch bei Napoleon neue Verstimmung. Eher noch mehr gedrückt als ermuthigt, kam er wieder nach Hause.

Göthe war von dem allgemeinen Unglück im Grunde sehr wenig mitbetroffen. Die Franzosen hatten wohl seinen Weinkeller stark geleert; doch der ließ sich wieder füllen. Geld und Credit waren noch da. Er war längst gewohnt, mitten im unruhigsten Wirrwarr organische Formen zu studiren und optische Erscheinungen zu beobachten, an angefangenen Versen weiterzudichten und in seinen alten Schriften herumzukramen. In Jena fand er sogar seine große botanische Karte unversehrt in dem Zimmer wieder, das dem Fürsten Hohenlohe zum Aufenthalt gedient. In Weimar hielt die neuangekommene Johanna Schopenhauer fröhliche Abendkränzchen 1. Am Vorabend vor Weihnachten 1806

1 Jhr stellte Göthe zuerst seine Christiane als Geheimräthin vor. Ich empfing fie,“ erzählt diese, „als ob ich nicht wüßte, wer fie bisher gewesen. Ich sah deutlich, wie sehr mein Benehmen ihn freute; es waren noch einige Damen bei mir, die erst formell und steif waren und hernach meinem Beispiel folgten. Göthe blieb fast zwei Stunden und war so gesprächig und freundlich, wie man ihn seit zwei Jahren nicht gesehen hat. Er hat sie noch zu Niemand als zu mir in Person geführt. Als Fremder und Groß

Die angebliche Brandrede bei Falk.

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wurde das Theater wieder eröffnet, und so setzte sich bald des Dichters gewohntes buntes Allerlei wieder fort.

Die Politik überließ Göthe völlig andern Händen, die äußere. dem klugen und thätigen Müller, die innere dem umsichtigen und haushälterischen Voigt, den letzten Entscheid dem Herzog. J. Fall hat eine lange Rede aufgezeichnet, die Göthe um jene Zeit bei Anlaß einer französischen Beschwerdeschrift ihm allein vertraulich gehalten haben soll, voll von deutsch-preußischer Nationalbegeisterung und überspanntem Franzosenhaß.

„Ich will ums Brod singen!" heißt es darin, „Ich will ein Bänkelsänger werden und unser Unglück in Liedern verfassen! Ich will in alle Dörfer und in alle Schulen ziehen, wo der Name Göthe bekannt ist. Die Schande der Deutschen will ich besingen und die Kinder sollen mein Schandlied auswendig lernen, bis sie Männer werden und damit meinen Herrn wieder auf den Thron herauf- und euch von dem euern heruntersingen.“

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städterin traute er mir zu, daß ich die Frau so nehmen werde, als fie genommen werden muß; sie war in der That sehr verlegen, aber ich half ihr bald durch." Göthe fand an der sechsunddreißigjährigen Bankierswittwe eine ganz unbegrenzte Verehrerin. „Er ist," sagt fie, „das vollkommenste Wesen, das ich kenne, auch im Aeußern. Eine hohe, schöne Gestalt, die sich sehr gerade hält, sehr sorgsam gekleidet, immer schwarz oder ganz dunkelblau, die Haare recht ge= schmackvoll frisirt und gepudert, wie es seinem Alter ziemt, und ein gar prächtiges Gesicht mit zwei klaren, braunen Augen, die mild und durchdringend zugleich find.“ S. Dünger, Göthe's Leben. G. 545. 546.

1 Johannes Falk, Göthe aus näherem persönlichem Umgange dargestellt. Leipzig 1836. S. 114-120. Abgedruckt bei R. u. R. Keil, Göthe, Weimar und Jena. S. 157–159. Oratorisch verwerthet von Dr. Gustav Zeiß, Karl August. Rede zur Feier des Geburtstags Sr. K. Hoheit des Großherzogs Alexander. Weimar, Kühn, 1857. S. 26 ff. Nach Riemer (Mittheilungen über Göthe. 1841. I. 21) war Falk „ein unerträglicher Schwäßer“ und find auch seine Relationen (S. 22) nicht alle aus persönlichem Umgang mit Göthe geschöpft.

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Napoleon die höchste geschichtliche Erscheinung.

Das hat Göthe wohl kaum gesagt oder nur gedacht 1.

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Wenn er aber je so bramarbasirt haben sollte, so war es eine Faust in der Tasche. Er hat weder seinen Herzog in Noth und Gefahr begleitet, noch solch ein Schandlied" gedichtet, noch viel weniger irgend etwas dergleichen veröffentlicht; er hat weder französische Beschwerdeschriften verbrannt, noch die Jugend gegen Napoleon aufgereizt. Für preußische Ueberlieferungen und preußische Politik hatte er nie geschwärmt, wie sollte er jetzt das für schwärmen, wo sein Herr selbst den preußischen Dienst aufgeben und die preußische Freundschaft, wenigstens officiell, verläugnen mußte? Am alten deutschen Reich hatte er niemals gehangen; dagegen erweckte Napoleons Genie und Energie seine vollste Bewunderung:

„Es giebt einem gar nicht Wunder, daß die Weiber dieser Nation (den Franzosen) nicht feind seyn können, da sich das männliche Geschlecht kaum ihrer erwehren kann. Wenn man den Regierungsrath Müller erzählen hört, der von Berlin mit dem Friedens-Document gekommen ist, so begreift man recht gut, wie sie die Welt überwunden haben und überwinden werden. Wenn man in der Welt etwas voraussähe, so hätte man voraussehen müssen, daß die höchste Erscheinung, die in der Geschichte möglich war, auf dem Gipfel dieser so hoch, ja übercultivirten Nation hervortreten mußte. Man verleugnet sich das Ungeheuere so lange man kann und verwehrt sich eine richtige Einsicht des Einzelnen woraus es zusammengesett ist. Wenn man aber diesen Kaiser und seine Umgebungen mit Naivetät beschreiben hört, da sieht man freilich, daß nichts dergleichen war und vielleicht auch nicht sein wird." 2

1 Ad. Stern (Lex. der deutschen Nationalliteratur S. 89) nennt das Buch Falks mit Recht 3 weideutig und unzuverlässig", was aber die Götheverehrer nicht abhält, ihn auszuschreiben, wo seine Mittheilungen ihnen behagen. Falk (geb. 1768) war ein mißglückter Theologe, der sich als Privatier in Weimar niederließ, Satiren schrieb und dafür zum Legationsrath ernannt wurde. Er starb 1826.

2 Guhrauer, Briefwechsel zwischen Göthe und Knebel. I. 288.

Müllers Lobrede auf Friedrich II.

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So dachte und fühlte der wirkliche Göthe, so schrieb er vertraulich an seinen alten Freund Knebel. Kriegerische und politische Vaterlandsliebe Römerpatriotismus — stand ihm, dem Frankfurter Parvenu, jezt noch ebenso fern, als in früheren Jahren. Sehr viel lag ihm aber, nach Fernows Zeugniß, daran, „das bis jezt noch unangetastete Palladium unserer Literatur auf's Eifersüchtigste zu bewahren“. Die Schriftsteller sollten, mit Hintansetzung aller persönlichen Nergeleien, jezt mehr als je zusammenhalten, da Dresden, Leipzig, Jena und Weimar künftig leicht der Hauptsiz der germanischen Cultur im nördlichen Deutschland bleiben dürften" 1.

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Er soll sogar im October 1808 beabsichtigt haben, im nächsten Winter einen Congreß ausgezeichneter deutscher Männer“ in Weimar zu halten, „um über Gegenstände der deutschen Cultur gemeinschaftlich zu berathen" 2. Aber dabei hielt er es doch auch nicht unter seiner Würde, dem Geschichtschreiber Johannes v. Müller den Hof zu machen, der damals aus einem ,,deutschen“ Patrioten ein begeisterter Verehrer und Augendiener Napoleons geworden war und eine französische Vorlesung über Friedrich II. in Berlin am 29. Januar 1807 dazu benügt hatte, in dem franzosenliebenden und halbfranzösischen Preußenkönig den neuen französischen Alherrscher zu feiern. Göthe überseßte höchst devot die fein augendienerische Rede, welche mit dem allerliebsten Rococogebete schließt:

„Und Du, unsterblicher Friedrich! wenn von dem ewigen Aufenthalt, wo Du unter den Scipionen, den Trajanen, den Gustaven wandelst, Dein Geist, nunmehr von vorübergehenden Verhältnissen befreit, sich einen Augenblick herablassen mag auf das, was wir auf der Erde große Angelegenheiten zu nennen pflegen, so wirst Du sehen, daß der Sieg, die Größe, die Macht immer Dem folgt, der Dir am ähnlichsten ist. Du wirst sehen,

1 Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen. II. 279. 280. 2 Brief von Woltmann an Smidt in Bremen. Göthe-Jahrbuch.

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Patriotismus im Schlafrock.

daß die unveränderliche Verehrung Deines Namens jene Franzosen, die Du immer sehr liebtest, mit den Preußen, deren Ruhm Du bist, in der Feier so ausgezeichneter Tugenden, wie sie Dein Andenken zurückruft, vereinigen mußte." 1

Wie Göthe für sich selbst den „Patriotismus“ auffaßte, hat er übrigens ganz deutlich und klar in dem „Vorspiel“ ausgedrückt, das er im September bei der Rückkehr der Großfürstin-Erbprinzessin aufführen ließ. Die „Majestät“ sagt darin:

„Dieses Thun, das einzig schätzenswerthe,

Das hervordringt aus dem eig❜nen Busen,
Das sich selbst bewegt und seines Kreises
Holden Spielraum wiederkehrend ausfüllt,
Lob' ich höchstens; denn es zu belohnen,
Bin ich selbst nicht mächtig g'nug, es lohnt sich
Jeder selbst, der sich im stillen Hausraum
Wohl befleißigt übernomm'nen Tagwerks,
Freudig das begonnene vollendet.

Gern und ehrenhaft mag er zu Andern
Oeffentlich sich fügen, nüßlich werden,
Nun dem Allgemeinen weislich rathend,
Wie er sich berieth und seine Liebsten.
Also, wer dem Hause trefflich vorsteht,
Bildet sich und macht sich werth, mit Andern
Dem gemeinen Wesen vorzusteh'n.

Er ist Patriot, und seine Tugend

Dringt hervor und bildet Ihresgleichen,
Schließt sich an die Reihen Gleichgesinnter.

Jeder fühlt es, Jeder hat's erfahren :

Was dem Einen frommt, das frommet Allen.“ 2

1 Göthe's Werke [Hempel]. XXIX. 853. 854. Auf den Ueberseher Göthe paßt entschieden, was Häusser (III. 36) von dem Lobredner Müller sagt: „Zum Kampfe gegen Bonaparte bedurfte es mehr, als dieser rhetorischen Salbung und der selbstgefälligen Autoreneitelkeit, wie sie bei Müller von den literarischen Camera= derien, den Salons und den Weibern großgehätschelt worden war." 2 Göthe's Werke [Hempel]. XI. 96.

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