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Schlußetappe der religiösen Wandlungen.

sie ist, wird begriffen und in sich eingelebt haben, so wird man sich als Mensch groß und frei fühlen und auf ein bischen so oder so im äußern Cultus nicht mehr sonderlichen Werth legen. -Auch werden wir alle nach und nach aus einem Christenthum des Wortes und Glaubens immer mehr zu einem Christenthum der Gesinnung und That kommen.“

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So steht er denn zu Luther und zum alten Protestantismus, um. alle päpstliche Autorität und kirchliche Hierarchie für immer zu beseitigen; dann stellt er sich aber mit Voltaire und den Encyklopädisten zugleich gegen Katholicismus und Protestantismus, um die vollständige Gleichgiltigkeit der Lehre und des Cultus zu proclamiren; doch hier hält er inne, wie Herder und die deutsche Aufklärung. Die seichte französische Revolutionsphilosophie genügt ihm ebenso wenig, als die verworrenen Lehrgebäude des deutschen Pantheismus. Er verlangt das Christenthum zurück, aber bloß ein natürliches, freies, dogmenloses, unkirchliches, unverbindliches Christenthum die Lehren, Sprüche und Parabeln Christi, die ihm gerade gefallen, ohne festen Glauben an seine Gottheit und seinen Erlösungstod, ohne die Heilmittel, die er eingesetzt, ohne die sichtbare Kirche, die er gestiftet hat. Es ist ein bloßes Heidenthum mit christlichem Anstrich ein antifer Tempel mit Fresken aus der biblischen Geschichte, aber ohne christlichen Gottesdienst. Weder Christus und seine Heiligen, noch Luther und dessen Genossen haben die eigentliche Liebe und Begeisterung des Dichters; weder die Encyklopädisten noch die deutschen Philosophen sind seine Leitsterne mehr; die ihm liebste Offenbarung Gottes ist jene in der menschlichen Kunst, und merkwürdiger Weise nennt er hier drei katholische Namen: Mozart, Raphael und Shakespeare. In solchen und ähnlichen Künstlern will er vor Allem „das tägliche, unsichtbare Anhauchen Gottes" an= erkannt wissen.

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"In religiösen und moralischen Dingen gibt man noch allenfalls eine göttliche Einwirkung zu, allein in Dingen der Wissenschaft und Künste glaubt man, es sei lauter Jrdisches und nichts weiter als ein Product rein menschlicher Kräfte.

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„Versuche es aber doch nur einer und bringe mit menschlichem Wollen und menschlichen Kräften etwas hervor, das den Schöpfungen, die den Namen Mozart, Raphael oder Shakespeare tragen, sich an die Seite sehen lasse. Ich weiß recht wohl, daß diese drei Edeln keineswegs die einzigen sind, und daß in allen Gebieten der Kunst eine Unzahl trefflicher Geister gewirkt hat, die vollkommen so Gutes hervorgebracht als jene Genannten. Allein, waren sie so groß als jene, so überragten sie die gewöhnliche Menschennatur in eben dem Verhältniß und waren ebenso gottbegabt als jene." 1

An die Stelle des christlichen Gottesdienstes tritt hiermit der Genie-Cultus, an die Stelle der Religion die Kunst und an die Stelle des christlichen Gottesbegriffes die verschwommene Vorstellung eines höchsten Wesens, dem ein schönes Gedicht oder Gemälde mehr gilt, als Himmel und Hölle.

An jedem Donnerstag pflegte die Großherzogin Maria Paulowna den greisen Dichter zu besuchen. An einem solchen Donnerstag, den 15. März 1832, war Göthe ungewöhnlich heiter und lebendig. Wahrscheinlich beim Gehen über die Treppen zog er sich jedoch eine Erkältung zu. Am andern Morgen, als das kleine Wölfchen" zum Großvater kam, um bei ihm zu früh stücken, war dieser noch im Bett und fühlte Schmerzen in der Brust. Der Hausarzt Dr. Vogel ward gerufen. Er fand Göthe sehr matt, zerschlagen, müde im Kopf, unaufgelegt, niedergedrückt. Wenn man kein Recht mehr hat, zu leben," klagte er, so muß man sich gefallen lassen, wie man lebt." Der Arzt war nicht ohne Besorgniß und hielt es für nöthig, die Großherzogin zu benachrichtigen; die von ihm verordneten Medicamente hatten indeß gute Wirkung; gegen Abend schon trat Besserung ein und Göthe konnte sich mit Dr. Riemer einige Zeit über Sprachstudien unterhalten 2. An den folgenden Tagen besserten sich

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1 Ebds. S. 257.

2 Soret, Notice sur Goethe 1. c. Dr. Karl Wilh. Müller, Göthe's lette literarische Thätigkeit, Verhältniß zum Ausland und Scheiden. Jena 1832. Dr. Vogel, Die lehte Krankheit Göthe's.

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Letter Brief an Wilhelm von Humboldt.

auch Appetit und Schlaf wieder. Am 17. konnte er den folgenden, merkwürdigen Brief an Wilhelm von Humboldt dictiren, der ihm unter dem 6. Januar geschrieben und ihn besonders inständig gebeten hatte, den zweiten Theil des „Faust" recht bald zu veröffentlichen 1:

„Weimar, den 17. März 1832. „Nach einer langen unwillkürlichen Pause beginne ich fol gendermaßen, und doch nur aus dem Stegreif. Die Thiere werden durch ihre Organe belehrt, sagten die Alten. Ich sehe hinzu: die Menschen gleichfalls, sie haben jedoch den Vorzug, ihre Organe wieder zu belehren.

„Zu jedem Thun, daher zu jedem Talent, wird ein Angebornes gefordert, das von selbst wirkt und die nöthigen Anlagen unbewußt mit sich führt, deßwegen auch so geradehin fortwirkt, daß, ob es gleich die Regel in sich hat, es doch zuleßt ziel- und zwecklos ablaufen kann. Je früher der Mensch gewahr wird, daß es ein Handwerk, daß es eine Kunst gibt, die ihm zur geregelten Steigerung seiner natürlichen Anlagen verhelfen, desto glücklicher ist er. Was er auch von außen empfangen, schadet seiner eingebornen Individualität nichts. Das beste Genie ist das, welches alles in sich aufnimmt, sich alles zuzueignen weiß, ohne daß es der eigentlichen Grundstimmung, demjenigen, was man Charakter nennt, im mindesten Eintrag thue, vielmehr solches noch erst recht erhebe und durchaus nach Möglichkeit befähige.

„Hier treten nun die mannichfaltigen Bezüge ein zwischen dem Bewußten und Unbewußten. Denke man sich ein musikalisches

1 Bratranek, Göthe-Humboldt Briefwechsel. S. 300.

2 Hier will ich nun," schrieb Göthe schon den 9. Juni 1831 an Zelter, „da noch etwas Raum ist, eines der größten Worte niederschreiben, welche unsere Altvordern zurückgelassen haben (!): Die Thiere werden durch ihre Organe unterrichtet.' Nun denke man sich, wie viel vom Thiere im Menschen übrig bleibt (!) und daß dieser die Fähigkeit hat, seine Organe zu unterrichten, so wird man gern auf diese Betrachtungen immer zurückkehren.“ Göthe-Zelter Briefwechsel. V. 199.

Testamentarischer Rückblick auf den „Faust“.

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Talent, das eine bedeutende Partitur aufstellen soll: Bewußtsein und Bewußtlosigkeit werden sich verhalten wie Zettel und Einschlag, ein Gleichniß, das ich so gerne brauche. Die Organe des Menschen durch Uebung, Lehre, Nachdenken, Mißlingen, Förderniß und Widerstand und immer wieder Nachdenken, verknüpfen ohne Bewußtsein in einer freien Thätigkeit das Erworbene mit dem Angeborenen, so daß es eine Einheit hervorbringt, welche die Welt in Erstaunen seßt. Dieses Allgemeine diene zu schneller Beantwortung Ihrer Frage und zur Erläuterung des wieder zurückkehrenden Blättchens.

„Es sind über 60 Jahre, daß die Conception des Faust bei mir jugendlich, von vorneherein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag. Nun hab' ich die Absicht immer sachte neben mir hergehen lassen, und nur die mir gerade interessantesten Stellen durchgearbeitet, so daß im zweiten Theile Lücken blieben, durch ein gleichmäßiges Interesse mit dem Uebrigen zu verbinden. Hier trat nun freilich die große Schwierigkeit ein, dasjenige durch Vorsatz und Charakter zu erreichen, was eigentlich der freiwilligen thätigen Natur allein zukommen sollte. Es wäre aber nicht gut, wenn es nicht auch nach einem so lange thätig nachdenkenden Leben möglich geworden wäre, und ich lasse mich keine Furcht angehen: man werde das Aeltere vom Neuern, das Spätere vom Frühern unterscheiden können; welches wir dann den künftigen Lesern zur geneigten Einsicht übergeben wollen.

"Theilen Sie mir aber auch etwas von Ihren Arbeiten mit. Riemer ist, wie Sie wohl wissen, an die gleichen und ähnliche Studien geheftet, und unsere Abendgespräche führen oft auf die Grenzen dieses Faches. Verzeihung diesem verspäteten Blatte! Ungeachtet meiner Abgeschlossenheit findet sich selten eine Stunde, wo man sich diese Geheimnisse des Lebens vergegenwärtigen mag." 1

Das war Göthe's letter Brief. Aus seinen feierlich sibyllinischen Worten tönt uns seine lehte Dichtersorge entgegen: diejenige um das Schicksal seines „Faust". Sollte es ihm gelungen

1 Bratranet, Göthe-Humboldt Briefwechsel. S. 301.

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sein, der vielversprechenden Jugenddichtung durch den ruhigen Fleiß seiner lezten Jahre einen vollständig gleichmäßigen, befriedigenden, harmonischen Abschluß zu geben? Er hoffte es; aber völlig war er seiner Sache nicht sicher.

Sonntag (den 18.) und Montag (den 19. März) konnte er einige Stunden außerhalb des Bettes zubringen. Er las in einem französischen Hefte und musterte Kupferstiche. Doch in der Nacht vom 19. auf den 20. befiel ihn Fieberschauer und Schmerz im ganzen Leib, Athembeklemmung und große Angst und Unruhe. Erst am Morgen erlaubte er indeß, den Arzt zu rufen.

„Ein jammervoller Anblick,“ erzählt dieser 1, „erwartete mich! Fürchterlichste Angst und Unruhe trieben den seit lange nur in gemessenster Haltung sich zu bewegen gewohnten, hochbejahrten Greis mit jagender Hast bald in's Bett, wo er durch jeden Augenblick veränderte Lage Linderung zu erlangen vergeblich suchte, bald auf den neben dem Bette stehenden Lehnstuhl. Die Zähne klapperten ihm vor Frost. Der Schmerz, welcher sich mehr und mehr auf der Brust festsette, preßte dem Gefolterten bald Stöhnen, bald lautes Geschrei aus. Die Gesichtszüge waren verzerrt, das Antlitz aschgrau, die Augen tief in ihre lividen Höhlen gesunken, matt, trübe; der Blick drückte die gräßlichste Todesangst aus. Der ganze eiskalte Körper triefte vor Schweiß, den ungemein häufigen, schnellen und härtlichen Puls konnte man kaum fühlen, der Unterleib war sehr aufgetrieben, der Durst qualvoll. Mühsam einzeln ausgestoßene Worte gaben die Besorgniß zu erkennen, es möchte wiederum ein Lungenblutsturz auf dem Wege sein."

Nach anderthalb Stunden gelang es dem Arzt, die Qual dieses Krankheitsanfalls allmählich zu sänftigen. Die Angst des Todeskampfes wich. In seinem Lehnstuhl fand der Kranke endlich Ruhe; er vertauschte ihn nicht wieder mit dem Bette. Zum letzten Male sette er seine officielle Unterschrift mit zitternder Hand unter ein Blatt: es war, um einer in der Fremde weilenden weimarischen Künstlerin eine Unterstützung zu verwilligen.

1 Vogel a. a. O. S. 16.

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