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Die drei Hauptstadien der Faustdichtung.

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samsten und fruchtbarsten Jahren der Sturm- und Drangperiode (von 1770 oder 1771 bis 1775), dann zur Zeit seines Zusammenlebens mit Schiller (von 1797 bis 1802) und endlich in den letzten Jahren seines Lebens (von 1824 bis 1831). Als Frucht solcher eingehender Beschäftigung mit dem großen Stoff erschien der Faust dreimal in neuer Gestalt vor dem deutschen Publikum: 1790 als Fragment, 1808 als vollendeter erster Theil, 1833 (nach des Dichters Tode) endlich vollständig in zwei Theilen.

Ein vollständig abgerundetes Werk aus einem Guß konnte bei einer solchen Art des Schaffens nicht zu Stande kommen1. Der 75jährige Greis, der mit einem Eckermann und Riemer seine lehten Papiere ordnete, war ein ganz anderes Wesen, als der rüstige Mann, der an Schillers Seite antike und deutsche Bildung zugleich theoretisch und praktisch verschmelzen wollte, und dieser schon bedächtige Geheimrath und Künstler war ein ganz anderes Wesen, als der von jugendlicher Phantasiefülle übersprudelnde Frankfurter Advocat, der die ersten Scenen der Dichtung in einem Genierausch glücklich - unglücklicher Liebe dahingestürmt hatte. Indem der Dichter, wählerisch zaudernd, berechnend, umgestaltend, die Einfälle, Jdeen, Studien, Erfahrungen, Eindrücke von sechzig Jahren in das Penelopegewebe seines Werkes einflocht, gewann dasselbe zwar einen bunten Gedanken- und Formenreichthum, wie es kein Werk Shakespeare's oder Calderons besitzt, aber es verlor die organische Einheit, Klarheit, Harmonie einer naturgemäßen Kunstschöpfung. Den ursprünglich gothischen Grundbau umschnörkeln und umkrusten griechische Tempelchen, römische Arkaden, wirre Renaissance- und Rococogestalten. Der kraftvolle Stamm der Jugenddichtung ist wie vom Sturm ge

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1 Ueber den fragmentarischen Charakter der Dichtung und die Stilverschiedenheiten, welche die Göthe - Forscher gleichfam als Leitfossile für die Entwicklungsgeschichte derselben benüßen, f. W. Scherer, Betrachtungen über Göthe's Faust. Göthe-Jahrbuch. VI. 231-261.

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Fragmentarischer Charakter der Dichtung.

knickt, von späteren Schlingpflanzen in verschwenderischer Fülle umrankt, aber kein innerlich vom selben Geiste belebtes Ganze mehr. Ein 80jähriger, geheimnißthuerischer Greis hat aus den tausend verschiedenen Blumen und Blättern eine malerische Gruppe zusammengestellt; es ist eine Gruppe von bezauberndster Schönheit, aber es ist nicht derselbe Baum auf dem Gipfelpunkt seiner harmonischen Entwicklung.

3. Das Faust-Fragment von 1790.

„Das Tiefsinnigste und Erhabenste, was gedichtet worden ist, ist der ‚Faust; ich weiß außer dem ,Göz und den ‚Räubern keine Dichtung, die so ge= waltig auf mich eingewirkt hätte. Aber für mich schließt sie schon in den ältesten Fragmenten ab." Ludwig Tieck (Köpke. II. 189).

„Daß in der Dichtung vom Faust das ganze Streben jener dunkeln Sturm- und Drangperiode in seinen Tiefen und Höhen dargestellt, der Held ein Repräsentant, das Werk ein Symbol dieser Zeit geworden ist, hat wohl jeder gefühlt, der einmal einen Blick in das Treiben jener Jahre hineingeworfen hat.”

Gervinus.

Obwohl Fragment, ist Göthe's erster „Faust" neben „Göß“ und Werther“ die bedeutendste Dichtung seiner Jugend, eines der Hauptdenkmale der Sturm und Drangperiode. Wie der "Werther" ist es tief in das Naturgefühl, in die Liebesempfindsamkeit jener Zeit getaucht; wie „Gög" greift es zurück an die Grenzen des Mittelalters, der katholischen Zeit, doch nur in revolutionärem, nicht in religiösem Geiste.

Einen großen Theil ihres Zaubers - das vergessen oft die Leser und die Commentatoren dankt diese Dichtung der alten Sage, dem Volksbuch und dem Puppenspiel. Faust, Mephisto, Wagner Faust's Ueberdruß an der Wissenschaft die Verschreibung an den Teufel Fausts Schwanken zwischen Himmel und Hölle sein Umgang mit der Magie die Weltfahrt

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dazu eine Menge kleiner einzelner Züge hat Göthe nicht erfunden; sie sind oft kühner, drastischer, schärfer, markiger im Volksbuch gezeichnet. Ihre tiefen, gewaltigen Wurzeln, ihre Lebenskeime, ihren Saft hat seine Dichtung in dem alten Sagenbuch. Sein Verdienst beschränkt sich darauf, die Poesie desselben em

368 Faust als Bild der Sturm- und Drangperiode

pfunden, in sich aufgenommen, neu erweckt und in wahrhaft volksthümlicher Form und Sprache neugestaltet zu haben. Das Kostbarste der Sage, ihren tiefen theologischen Gehalt, hat der junge Göthe aber entweder nicht begriffen, oder nicht gewürdigt, oder nicht anerkennen wollen. Das Letzte ist das Wahrscheinlichste. Vom positiven Christenthum abgefallen, von den verschwommenen Ideen der Revolution beherrscht, zwischen den kühnsten Dichterplänen und dem weichherzigsten Liebesleben phantastisch hin- und herschwankend, geberdete er sich zwar selbst als Titane und sprach so von dem Troß der Riesengeister gegen Gott, daß Stolberg davor graute; aber als Dichter hatte er nicht den Muth, die alte Sage im Sinne des Titanismus umzugestalten und wie Lessing beherzt auszusprechen: Faust darf um keinen Preis in die Hölle! Er ließ Himmel und Hölle, Theologie und Philosophie auf sich beruhen. Nach einer kurzen Skizzirung des Magus, in welcher seine Rettung oder sein Untergang unentschieden bleibt, verweilt er bei einer der untergeordnetsten Episoden der Sage: bei Fausts Liebe zu einer armen Krämersmagd.

Das Faust-Fragment hat weder Prolog, noch Vorspiel. Es beginnt mit dem ersten Monolog Fausts, den Göthe dem Anfang des Puppenspiels entnommen hat und der ursprünglich aus Marlowe's "Faust" stammt. Faust ist aller vier Facultäten überdrüssig und verlegt sich auf Magie. Er spricht aber durchaus nicht wie ein Teufelsbanner aus Luthers Zeit, voll Verzweiflung an Schrift und Offenbarung, voll düsteren Glaubens an des Dämons Macht; sondern wie ein echtes Kind der Sturmund Drangperiode, voll Abneigung gegen die hergebrachte Schulweisheit der Pedanten, voll träumerischer, schwärmerischer Sehnsucht nach der Natur“ als dem Inbegriff des Wahren, Guten und Schönen. In ihren Geheimnissen hofft sein Verstand Befriedigung, in ihrer Größe und Schönheit träumt sein Herz Ruhe und Seligkeit zu finden. Der Erdgeist, den er citirt, verspricht ihm in einem kühnen pantheistischen Weltbild das Ersehnte: da wird der Träumer durch den philisterhaften Wagner aufgescheucht. Alle folgenden Scenen des ersten Theils: Fausts Verzweiflungs

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Wendung des Genies gegen die Schule.

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und Selbstmordsmonolog, der Ostergesang der Engel, Weiber und Jünger, der Spaziergang vor dem Thor, die Erscheinung und Beschwörung des Pudels, Fausts Zauberschlaf, Fausts Fluch über Welt und Leben und der darauffolgende Geisterchor, fehlen noch. Vor Allem aber fehlt der Angelpunkt der ganzen Sage: die Verschreibung an den Teufel. Faust bricht nach der unwillkommenen Störung durch Wagner gleich in den Entschluß aus:

„Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern." 1

Das weitere Zwiegespräch zwischen Faust und Mephistopheles entwickelt den Gedanken, daß dieses träumerische Ringen nach dem Unendlichen vergeblich ist. Faust anerkennt es mit Trauer, Mephistopheles spottet darüber:

„Seg' dir Perrücken auf von Millionen Locken,

Sez' deinen Fuß auf ellenhohe Socken,

Du bleibst doch immer, was du bist." 2

Drum mahnt er Faust, alles ideale, wissenschaftliche Streben fallen zu lassen und Welt und Leben zu genießen:

„Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,

Und grad mit in die Welt hinein !” 3

Nachdem Faust eingewilligt, verspottet Mephistopheles im Gespräche mit dem Schüler noch einmal zum Ueberfluß alle menschliche Schul- und Büchergelehrsamkeit in studentisch-übermüthiger Weise, im kecken Ton der „Frankfurter Recensionen“.

Nun sollte nach der Sage die Weltfahrt beginnen, erst in engerem Kreise mit üppig wollüstigem Leben, dann hinunter in die Hölle, hinauf in die Gestirne, hinaus an die großen Höfe

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