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Die Zauberfage wird zum Liebessschauspiel.

des Papstes, des Sultans, des Kaisers, in die kleineren fürstlichen Residenzen, an die deutschen Universitäten, in die Städte, Burgen, Bauernhöfe und Schenken des ganzen alten Reiches. Das Volksschauspiel und Puppenspiel verseßt Faust gleich an den Hof des Herzogs von Parma. Göthe's Faust kam aber nicht weiter, als in Auerbachs Keller zu Leipzig und in Gretchens Stüb

chen und Garten. Da begegnete dem Dichter genau dasselbe, was ihm bei „Götz von Berlichingen" begegnet war. Wie der biedere Götz von der schönen Adelheid verdrängt ward, so mußte Faust vor Gretchen weichen. Aus der großartigen Magussage ward eine Liebesgeschichte. Statt in wildem Sinnenrausch von Genuß zu Genuß zu stürmen, Weiber aller Nationen und Länder und zuletzt die Helena als die Krone aller zu begehren, spinnt sich Faust in die Liebe zu dem ersten besten Bürgermädchen ein und kommt nicht mehr weiter. Die Dichtung gestaltet sich erst zum Liebesidyll und dann zur schlichten, bürgerlichen Tragödie.

Diese Gretchentragödie ist wohl Göthe's vollendetste dramatische Leistung; die Kerkerscene, mit welcher sie schließt, welche Göthe aber 1790 noch nicht veröffentlichte, sein tragisches Meisterwerk. Die erste Begegnung auf der Straße, Gretchens Stübchen, ihre kindische Freude an dem geschenkten Schmuck, ihre Scheu vor Mephistopheles, ihr Spaziergang mit Faust im Garten, ihr Liebesgeständniß mit Blumenzupfen, das ganze Aufkeimen der ersten Liebesneigung zur hingebendsten Leidenschaft ist so einfach, wahr und zart geschildert, mit so anmuthigen Genrebildern freundlicher Häuslichkeit umgeben, mit einem solchen Zauber von Kindlichkeit und harmloser Unbefangenheit verklärt, daß das Gesammtbild jedes weichere Gemüth unwiderstehlich fesseln muß 2. „Die Farben sind dem wirklichen Leben entnommen, so daß jeder fühlt,

1 Gretchens rührende Gestalt lebte im Dichter fort und fie erschien ihm in einzelnen Bildern. Der titanische Fauft und das Ganze der Handlung trat in den Hintergrund.“ Schröer a. a. O. S. XXXIX.

2 Dr. Otto Vilmar, Zum Verständnisse Göthe's. Marburg 1861. S. 250-345.

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die Geschichte habe sich schon tausendmal zugetragen. Aber ihre Mischung ist so meisterhaft, daß man auch hier die unmittelbarste Beziehung auf Selbsterlebtes bei Göthe annehmen muß... Ein großer Charakter ist Gretchen auf keine Weise. Sie ist nichts als Natur, aber eben darum unendlich reizend. Ihre Schönheit lockt den Verführer, ihre Wahrheit und Unschuld zwingt ihm Liebe ab."1 Mit der erwachten Leidenschaft tritt Gretchen aber aus dem seligen Reich der Kindesunschuld heraus. Es ist kein edler, redlicher Bräutigam, der um ihre Hand freit, es ist der mit Gott und Welt zerfallene Faust, der einen Satan zum Begleiter und Helfer hat. Unvermerkt ist das Netz der Verführung um das arme, schwache Kind geschlungen, und mit dem Traum der Liebe zieht Unruhe, Leidenschaft, Schuld und Verbrechen in den engen, kleinen Kreis ihres Lebens ein. Die ganze Verwicklung, einigermaßen ein Bild jeder Sünde, ist mit dem tiefsten psychologischen Blick, mit der fesselnden Einfachheit wahrer Kunst, mit der ergreifendsten Gefühlswahrheit gezeichnet 2. Mit erschüttern

1 F. Deycks, Göthe's Faust. Koblenz 1834. S. 23. 24. Aehnlich sagt der dänische Schriftsteller Sören Kirkegaard: „Vi kende denne Pige fra Goethes Faust. Det var en borgerlig lille Pige, ikke, som Elvira, bestemt til et kloster; men dog opdragen i Herrens Frygt, om end hendes Sjael var for barnlig til at föle Alvoren, som Goethe saa uforlignelig siger: Halb Kinderspiel, halb Gott im Herzen. Hvad vi elsker hos denne Pige er hendes rene Sjaels yndige Enfoldighed og Ydmyghed." Enten - Eller. Kjöbnhavn 1865. I. 201. Molitor (Ueber Göthe's Faust Mainz 1869. S. 58 ff.) geht aber viel zu weit, wenn er Margarete als „die vollendetste Frauengestalt bezeichnet, welche Göthe geschaffen hat“. Sie ist mehr Kind als Frau, und daß Göthe-Mephistopheles fie wie einst seine „Bili" gelegentlich „Grasaff“ nennt, ist nicht ohne psychologische Bedeutung.

2 Wenn der italienische Satansdichter Josue Carducci Gret= chen „la stupida ragazza Goethiana“ nennt, „das alberne Göthe'sche Mädchen, das sich dem ersten Besten preisgibt, dann ihr Kind erdrosselt und schließlich in's Paradies kommt“, so wird Mephisto's Ironie hiermit einseitig übertrieben. Wie jede Sünde, so schließt

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Der Charakter Gretchens.

der Tragik bricht die Katastrophe herein. Gretchens Unruhe am Spinnrad, ihre ersten Gewissensbisse am Brunnen, ihr Hilferuf zur Mater dolorosa, ihre Herzensqual beim Dies irae im Dom und endlich ihr Wahnsinn im Kerker bilden eine Reihe der wirksamsten Scenen. Sie sind bis auf den kleinsten Zug der Wirklichkeit abgelauscht, vom tiefsten Gefühl belebt und von einem. poetischen Zauber, wie ihn nur die echtesten Volksballaden besitzen.

Aber Faust? Was hat die gewaltige, dämonische Faustsage mit dieser in sich abgeschlossenen, einheitlichen Liebestragödie zu schaffen? Braucht es einen Gelehrten, einen Magus, einen Titanen, um ein armes Kind, wie Gretchen, zu verführen? Oder gar vollends einen Dämon, ausgestattet mit allen Zauberkräften der Hölle? Könnte ein beliebiger, reicher Cavalier mit Hilfe der Kupplerin Marthe nicht ebenso gut dieses schnöde Werk der Verführung zu Stande bringen? 1

auch Gretchens Schuld allerdings eine ungeheure Thorheit in sich, das Preisgeben des höchsten Gutes um einer elenden, hinfälligen Lust willen. Doch die Schuld wird gemildert und macht ein wirkliches dramatisches Mitgefühl möglich, indem Gretchen als unerfahrenes Kind der berechnetsten Verführungskunst fast wehrlos gegen= übersteht und die Versuchung mit der bezaubernden Macht der ersten, scheinbar berechtigten Liebe an sie herantritt. Unrichtig wird die Auffassung Gretchens erst dadurch, daß Göthe sie am Schluß des zweiten Theiles (V. 7452 ff.) im Glorienschein des Himmels als völlig schuldlos hinstellt:

„Gönn' auch dieser guten Seele,

Die sich einmal nur vergessen,
Die nicht ahnte, daß sie fehle,

Dein Verzeihen ungemessen.“

Hierdurch wird nicht nur Gretchens Schuld, sondern die ganze Tra= gödie der Verführung mit einem höchst bedenklichen Strahlenglanz der Verklärung umgeben. Vgl. A. Müller, Ethischer Charakter von Göthe's Faust. Regensburg 1885. S. 184. 185.

1

· Sogar einer von Göthe's wärmsten neueren Lobrednern, Karl Lucae (Zur Götheforschung der Gegenwart. Marburg 1878. S. 14), meint, daß der „trunkene Totalitätsdrang, diese maßlose Selbst=

Der theologische Sagenstoff zurückgedrängt.

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Unverkennbar gewinnt das Bild des anspruchslosen, einfachen Mädchens durch den schroffen Contrast zu dem hochfahrenden, an aller Wissenschaft verzweifelnden Gelehrten, welcher im Liebesgelispel Gretchens jene Befriedigung findet, die er in allen vier. Facultäten umsonst gesucht1. Nicht minder wirksam ist es, daß dem frommen Kinde, das eben noch von der Beichte gekommen, das mitten im Liebesgetändel Faust über seine Religion katechisirt, das selbst nach dem Falle noch Zuflucht bei der Madonna sucht, der leibhaftige Dämon mit allem zündenden Witz, Spott und Sarkasmus eines Voltaire gegenübersteht, zugleich Fausts Sinnlichkeit erregend und verhöhnend, für ihn das Netz ausspannend und ihm den Genuß störend und vergällend, den ganzen Liebestraum aufbauend und vernichtend. Das sind sehr effectvolle Gegensätze. Aber Faust, der Held der alten Sage, sinkt durch dieses schäferhafte Liebesspiel zu einem weichlichen, träumerischen Poeten, zu einer Marionette des Mephistopheles, „zu einem ganz gewöhnlichen Liebhaber herab, der eigentlich für den Standpunkt der bürgerlichen Moral gemeine Streiche begeht“. „Was ist ungenügender," ruft Gottschall mit Recht aus, als einen mit dem Erdgeist Ringenden zuletzt mit Jugendstreichen enden zu sehen, die sich über das Triviale nur durch das Verbrecherische erheben ?" 2

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Göthe selbst fühlte, daß ihm durch die breite Entwicklung der Gretchentragödie der eigentliche Plan der Dichtung entschlüpft sei. Er glaubte ihn in Italien wieder gefunden zu haben3 und rückte in die bisherige Folge der Scenen zwei neue ein, welche

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überhebung" Fausts, eigentlich in flacher Unbedeutendheit" endigt: „denn um ein Gretchen unglücklich zu machen, war kein Titan, fein Faust erforderlich".

1 Den Gegensatz des Faustcharakters zu jenem des Don Juan hat Sören Kirkegaard (Enten-Eller. I. 203) meisterlich gezeichnet. 2 R. von Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur. I. 79. Vgl. Adam Müller, Ethischer Charakter von Göthe's Faust. S. 45-58. 78-87.

81.

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3 Göthe's Werke [Hempel]. XXIV. 480.

Gespräche. II. 91.

Eckermann,

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Rückkehr zum alten Plan. Die Herenküche.

offenbar darauf berechnet sind, die bürgerliche Gretchentragödie auf die Höhe der religiös-philosophischen Zaubersage emporzuheben. Es ist die Herenküche" 1 und die Scene „Wald und Höhle". Bevor der kleine Liebesroman beginnt, wird Faust in die Herenküche geführt, erblickt im Zauberspiegel die schönste aller Frauen und erhält jenen Trank, von welchem Mephistopheles sagt: „Du siehst mit diesem Trank im Leibe

Bald Helenen in jedem Weibe."

Nach dem ersten Stelldichein mit Gretchen aber ist jene Scene Wald und Höhle" eingerückt, worin Faust als poetischer Naturschwärmer eine melancholische Felseneinsamkeit aufsucht, sein und Gretchens Loos betrauert, jedoch durch die kupplerischen Reden des Mephistopheles von Neuem in seine Sinnlichkeit verstrickt wird. Die Fortsetzung des Liebesabenteuers, das nun zum Verbrechen fortschreiten soll, wird hier allerdings als ein furchtbares Opfer hingestellt, das die Hölle fordert; aber Faust sinkt hier gerade mehr als je aus der Rolle eines himmelstürmenden Titanen zu jener eines thränenseligen, verliebt traurigen und traurig verliebten Poeten herab2. Der Gretchenroman wird durch ein fremdartiges Element unterbrochen, ohne dadurch an innerer Bedeutung zu gewinnen, und nach dem Untergang Gretchens stellt sich nun die bedenklichste Frage ein, was aus Faust werden soll? Er hat Gretchen in's Unglück gestürzt - soll er für diesen Frevel straflos ausgehen?

Abermals stand das Problem vor Göthe, das er beim Beginn der Dichtung nicht zu lösen wagte. Er wagte es auch jezt nicht. Jahre verflossen, bis er endlich, unter Schillers Anregung, die ihm selbst fremd gewordene Dichtung wieder hervorzog und die wichtigste Frage derselben zu entscheiden suchte.

1 Felix Bobertag, Fauft und Helena. Göthe-Jahrbuch.

I. 49-58.

2 Ueber den pessimistischen Anhauch der ganzen Dichtung vgl. David Asher, Arthur Schopenhauer als Interpret des Göthe'schen Faust. Leipzig 1859.

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