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Faust zum tragischen Genie erhoben.

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Göthe löste die Aufgabe mit bewundernswerther Geschicklichkeit. Für jeden, der keine klaren religiösen und philosophischen Ideen besißt, ist Faust in einigen Scenen zu einem erhabenen Genie, einem Gelehrten, einer großartigen tragischen Persönlichkeit aufgebauscht, einer Art typischer Figur für das ernsteste, tiefste, wenn auch immer unbefriedigte Ringen nach Wahrheit. Diese ganze Maschinerie beruht zwar abermals auf Irrthum und Täuschung. Denn der aufrichtig nach Wahrheit ringende Genius kann nie so jämmerlich unbefriedigt bleiben, als Faust sich hier zeigt: Gott läßt ihm so viel natürliche Erkenntniß zu Theil werden, daß sie für sein natürliches Leben ausreicht, und so viel Gnade, daß er durch den Glauben demüthige Zufrieden heit in diesem Leben, feste Zuversicht für das Jenseits findet. Alles pomphafte Gerede des Faust von Streben nach Wahrheit und Gottähnlichkeit ist deßhalb bloßer Schein und im Grunde nichts weniger als erhaben und tragisch. Diese Armseligkeit und Schwäche hat Göthe aber meisterlich zu bedecken und zu be schönigen gewußt.

Mit einem fast unerschöpflichen Aufwand der schönsten Verse und Gedanken wird aus dem an Glauben und Wissen schiffbrüchigen, wirren, hochmüthigen, abergläubischen Zweifler und Zauberer, der gewissenlos genug ist, nebenher medicinische Charlatanerie zu treiben, ein idealer Dulder gemacht, der ohne jede Schuld, ja gerade weil er das Edelste anstrebt, Gott ähnlich werden möchte, namenlos unglücklich wird und das tiefste Mitleid einflößt. Nicht wegen toller Selbstüberschätzung und Vermessenheit, sondern aus dem edelsten Trieb nach Wahrheit fällt er der entseßlichsten Seelenqual, ja der Verzweiflung anheim. Er setzt schon die Giftphiole an den Mund, um diesem Jammer ein Ende zu machen. Die Osterglocken und das Lied der Engel, Jünger und frommen Frauen halten ihn im Leben zurück; aber den Glauben seiner Kindheit kann er nicht mehr finden. Der Osterspaziergang mit Wagner verseht ihn in neue Traurigkeit, weil er auch in seinem praktischen Leben nichts als Lüge und Täuschung zu finden glaubt. Er bringt einen schwarzen geheim

Baumgartner, Göthe. III. 2. Aufl.

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Die Wette auf Erden.

nißvollen Pudel mit nach Hause, der sich beim Lesen des Johannis-Evangeliums als Dämon zu erkennen gibt. Durch magische Künste beschworen, bietet Mephistopheles dem unbefriedigten Forscher seine Dienste an. Faust willigt ein. Ein Zauberschlaf bietet ihm die erste Probe magischer Kräfte. Faust verflucht nun sich, die Welt, Glauben, Hoffnung, Liebe. Die Dichtung ist eine Strecke weit von der ganzen Kraft der alten Volkssage angehaucht. Aber schon in dem Geisterchor, der den Fall der alten Welt be trauert, taucht der fremde, moderne Gedanke auf, eine neue Welt zu erbauen. Faust nimmt Mephistopheles in seinen Dienst, er verschreibt sich ihm, doch ohne jeden Glauben an seine Macht. Der Teufel fann ihm nichts bieten, was er sich nicht auch selbst verschaffen könnte. Um das Jenseits kümmert er sich nicht:

„Aus dieser Erde quillen meine Freuden Und diese Sonne scheinet meinen Leiden; Kann ich mich erst von ihnen scheiden,

Dann mag, was will und kann, gescheh’n“

Spöttisch und verächtlich verpfändet er sich Mephistopheles mit der Versicherung, es werde ihm nie gelingen, ihn zu befriedigen, zur Ruhe zu bringen, am Weiterstreben zu hemmen:

Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich gethan!

Kannst du mich schmeichelnd je belägen,

Daß ich mir selbst gefallen mag;
Kannst du mich mit Genuß betrügen,
Das sei für mich der lezte Tag!
Die Wette biet' ich!"

Diese Wette ist der zweite große Angelpunkt der neuen Dichtung. Faust läßt sich die Moral wohl gefallen, die „der Herr“ im Prolog aufgestellt. Auch ihm gelten die Sittengesehe der alten Welt nicht mehr. Die einzige Forderung, die Gott an den Menschen stellt, ist, sich immer weiter zu entwickeln, immer

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Die Walpurgisnacht. Gretchen im Kerker.

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weiterzustreben. Alle Sünden, alle Verbrechen können den Menschen nicht von Gott abbringen, wenn er sich nicht hier auf der Erde zur Ruhe setzt. Verführung der Unschuld schadet nichts, wenn man nur nicht bei der Verführten beharrt, sondern immer wieder neue Lüste und Genüsse sucht. Mord und Todtschlag haben nichts zu sagen, wenn der geniale Urheber des Mordes sich nur zeitig davonmacht und in neuen Kreisen strebend weiterwirkt.

„Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen."

"

Nachdem Göthe so alle alten beschränkten" Sittenbegriffe bei Seite geräumt und mit dem dunkeln Phrasenthum eines ewigen Fortschritts ersetzt hatte, wagte er es nunmehr beherzt, die „Gretchentragödie" als Hauptbestandtheil in sein Weltgedicht aufzunehmen. Durch den Blick in den Zauberspiegel und den Herentrant ist sie bereits in den Kreis dämonischer Magie gerückt und damit verbunden. Fausts Liebe ist kein bloßes Spiel mehr, sondern ein furchtbares Netz, in dem er sich und die Geliebte verstrickt. Die anscheinend harmlose Tändelei führt zur Schuld und zum Verbrechen. Die neu eingerückte Valentinsscene beleuchtet mit der packendsten volksthümlichen Gewalt die Nieder: trächtigkeit Fausts und die namenlose Schmach, zu der das unschuldsvolle, engelgleiche Gretchen herabgesunken. Faust verläßt sie jetzt, um mit Mephisto auf dem Brocken alle Orgien einer Walpurgisnacht durchzutoben. Da, mitten im wüstesten Herenreigen und Zauberspuk sieht er das gespenstische Bild der Verlassenen mit dem rothen Streifen um den Hals. Er will sie retten. In zwei gedrängten Prosascenen ist Fausts Qual und Elend mitten im Saus und Braus der Leidenschaft mit hinreißender Kraft gezeichnet. Und nun folgt die gewaltigste, er greifendste Scene, die Göthe je geschrieben hat: die Scene im Kerker. In Gretchens wahnsinnigen Fieberträumen schildert der Dichter das Schrecklichste, was sich der directen dramatischen Darstellung entzog: den Muttermord, den Kindsmord, Gret

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Der vollendete erste Theil ein Mysterienspiel. chens namenlose Qual und Schmach, im furchtbarsten Gegensatz zu dem erträumten und so schauerlich zerstörten Liebesglück. Ophelia und Lady Macbeth sind hier völlig erreicht, wenn nicht übertroffen. Die Liebestragödie hat den furchtbarsten, erschütterndsten Schluß, dessen sie fähig war. Scheu weicht die Entehrte vor dem Dämon und um seinetwillen vor dem Geliebten zurück und wendet sich in ihren Phantasien zu Gott und seinen Heiligen. Versöhnend mildert der Gedanke göttlicher Erbarmung das Schauspiel eines völlig zertrümmerten Daseins, eines durch schnöde Verführung grausam geknickten jungen Herzens.

Es liegt auf der Hand, daß man das so vollendete Drama den ersten Theil des „Faust" — nicht mit den regelmäßigen classischen Tragödien eines Sophokles oder Racine oder mit Göthe's eigener Iphigenie vergleichen darf. Göthe selbst hat es in der Zeit, da er es zu vollenden suchte, „barbarisch" genannt. Sein hellenischer Kunstgeschmack war davon nicht befriedigt. Denn Aristoteles und die drei Einheiten sind darin völlig bei Seite gesetzt. Nicht einmal die freiere Architektonik der Shakespeare'schen Stücke ist innegehalten. Der „Faust“ ist mehr Natur- als Kunstgewächs, das merkwürdigste deutsche Volksschauspiel der neuern Zeit. In Stoff und Gehalt, Form und Sprache, Geist und Ton reiht es sich als Weiterentwicklung an das alte deutsche Mysterienspiel, wie es Hans Sachs aus dem Mittelalter überkommen und wie es als Volksschauspiel, allerdings abgeblaßt und immer mehr verbauert, sein kümmerliches Dasein fristete bis in Göthe's Zeit. Es offenbart die gewinnende Zartheit des deutschen Gemüths, die äßende Grübelei und den Tiefsinn des deutschen Geistes, die langsame aber furchtbare Gewalt deutscher Leidenschaft, die muntere, bis zur Derbheit kecke Frische deutschen Volkshumors, alle Arten und Unarten des deutschen Stammes. Was immer deßhalb auch gegen den „Faust" gesagt und geschrieben worden ist, er war aus der Liebe des deutschen Volkes nicht zu verdrängen. Gelehrte und Ungelehrte hielten ihn für das bedeutendste Nationalgedicht. Die mittelalterliche Ausstattung, die

Faust als Triumph der Romantik.

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rührend eingeflochtene Erinnerung an den katholischen Cultus und die, wenn auch vorwiegend dämonische, doch immerhin wunderbare, stets an's Uebernatürliche streifende Sphäre der Dichtung haben dieselbe zu einer Haupterscheinung der sogen. Romantik gemacht und auch weite katholische Kreise dafür gewonnen 1. Fast die ganze Tragödie läßt sich in katholischem Sinne deuten, und es bleibt dann höchstens etwa der Vorwurf, daß das Liebesleben Fausts zu bezaubernd verführerisch, die dämonischen Herenscenen stellenweise zu derb, ja obscön gehalten sind. Wäre nur die doppelte Wette, im Himmel und auf Erden, nicht! Aber durch jene sind alle religiösen und sittlichen Verirrungen Fausts von vornherein gutgeheißen, durch diese werden sie sogar zum Idealbild wahrhaft großer, edler, immer voranstrebender genialer Naturen erhoben. In diesen beiden Angelpunkten wendet sich

1 Einen seiner wärmsten ersten Bewunderer fand Göthe's „Faust“ an dem katholischen Fürsten Anton Heinrich Radziwill (geb. 1775, gest. 1833), welcher nicht nur die musikalischen Partien zu dem Stück selbst componirte, sondern auch den königlichen Hof in Berlin für dasselbe gewann, so daß Zelter über die erste Auffüh= rung (24. Mai 1820) an Göthe melden konnte: „Denkst du dir nun den Kreis dazu, in dem dieß alles vorgeht: einen Prinzen als Mephisto, unsern ersten Schauspieler als Faust, unsere erste Schau= spielerin als Gretchen, einen Fürsten als Componisten, einen wirklich guten König als ersten Zuhörer, mit seinen jüngsten Kindern und ganzem Hofe, eine Capelle der ersten Art wie man sie findet, und endlich einen Singchor von unsern besten Stimmen, der aus ehrbaren Frauen, mehrentheils schönen Mädchen und Männern von Range (worunter ein Consistorialrath, ein Prediger, eine Consistorial= rathstochter), Staats- und Justizräthen besteht, und dieß alles an= geführt vom königlichen General-Intendanten aller Schauspiele der Residenz, der den Maschinenmeister, den Dirigenten, den Souffleur macht; in der Residenz, in einem königlichen Schloffe; so sollst du mir den Wunsch nicht schlimm heißen, dich unter uns gewünscht zu haben." Göthe-Zelter Briefwechsel. III. 100. 101. Vgl. ebds. II. 213. 215. 226-228; III. 98 ff.; VI. 67 ff. 414. ff. 422 ff.

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