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Vier poetische Hauptwerke.

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cred sind Voltaire's, nicht Göthe's Eigenthum. Wirklich großartige, geistig bedeutende, künstlerisch vollendete dramatische Werke hat Göthe in den 60 Jahren seiner Dichterlaufbahn bei all seinem Genie nur drei geschrieben: Iphigenie, Tasso, Faust.

Von den größeren epischen Werken ist nur eines vollendet: Hermann und Dorothea. Reineke Fuchs ist eine bloße Bearbeitung, die Achilleis ein schwaches Bruchstück. Nun bleiben noch die Elegien, die Epigramme und Sprüche, der Westöstliche Divan, die Balladen und die lyrischen Gedichte. Von den letz teren sind über ein Drittel Gelegenheitsgedichte, weit über ein Drittel Liebesgedichte. Der Divan besteht weit über die Hälfte wieder aus Liebesgedichten. Stellt man einerseits das Didaktische, andererseits die Liebespoesie zusammen, so bleibt in der Mitte nicht viel übrig: Gott, Welt, Vaterland, Kunst, Geschichte, überhaupt alles Ideale ist sehr dürftig bedacht.

An Schönheit der Form übertrifft Göthe nicht bloß in seiner Lyrik und in seinen größeren Werken, sondern oft in seinen geringsten Fragmenten alle übrigen deutschen Dichter. Was er mit seinem Zauberstab berührt, das wird schön. Hierin zeigt sich sein Genius und nicht nur sein Genius, sondern auch der Fleiß des echten Künstlers. Er wurde sein ganzes Leben lang nicht müde, die Schönheit der Form wie ein Juwel zu achten, zu pflegen und weiterzubilden. Wäre die schöne Form das Höchste in Kunst und Leben, so wäre Göthe, troß seiner vielen unvollendeten Pläne, wirklich als ein Ideal deutscher Bildung zu be trachten. Kunst und Leben heischen aber mehr: sie verlangen als Seele der schönen Form Wahrheit und sittliche Güte.

Hier liegt nun der schwache Punkt in Göthe's gesammter Dichtung und schriftstellerischer Thätigkeit. Das beherrschende Grundprincip des glänzend begabten Dichters ist keine vom Himmel stammende und gen Himmel strebende Inspiration, es sind nicht die christlichen Ideale 1, sondern der mächtige Eros des

1 Selbst sein Bewunderer Lytton Bulwer sieht sich zu dem Geständniß gedrängt, daß Göthe Tugend und Laster zu gleichgiltig

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Das Grundthema der Göthe'schen Poesie.

heidnischen Alterthums, eine um das Ewige und Göttliche unbekümmerte Lebenslust und Genußsucht, die sinnliche Liebe in ihrem vollen Frühlingszauber und Jugendreiz, wie in dem trüben Sturm und der öden Zerrissenheit, die sie nach kurzem Genuß im Menschenherzen zurückläßt.

Bei Göthe's Lyrik kann hierüber wohl kaum ein Zweifel sein. Bis auf einen geringen Bruchtheil ist sie nur Ein Liebeslied, das in allen Accorden und Melodien, Tonarten und Tonstufen die verschiedenen Phasen, Glück und Unglück der Liebe besingt. Die Elegien führen das Thema weiter bis an die Grenzen, wo der Realismus schön zu sein aufhört, das Tagebuch und die Walpurgisnacht noch weit darüber hinaus. Die vier Romane behandeln dasselbe Thema in weiterem Rahmen. Glühende Liebessehnsucht, Liebeslust und Liebesleid eine Weiber-Manns-Atmosphäre, nach Fr. Vischers Ausdruck - schwebt drückend schwül über allen. Der Faust ist dicht von derselben Luft gesättigt; denn Gretchen und Helena sind es schließlich, um welche sich Fausts ganzes Sinnen und Trachten dreht. Tasso ist ein Liebesschwärmer, wie Faust und Werther. Selbst Hermann und Dorothea sind von jener Liebesluft nicht unberührt geblieben. Unter Göthe's Hand gestaltet sich der Götz schließlich zum Ehebruchsdrama, Egmont zur Liebestragödie, Achilles selbst zum verliebten Schwärmer. Im Großkophta wird eine Verführung, in der Stella die Bigamie breit ausgemalt, in der Pandora die Schwärmerei eines verliebten Greises gefeiert. In den fastnachtsmäßigen Jugendspäßen macht sich des Dichters Leidenschaft in derben Zoten Luft, in den Singspielen tändelt und wiegt sie sich in reizenden

aufgefaßt habe, wie bloße Farben für seine Künstler-Palette. „This want of indignation for the bad, this want of enthusiasm for the good, and this want of worship for the heroic, have been much dwelt upon by his adversaries or depreciators, and the charge is not without some foundation, when confined to him as artist." Caxtonia. Coll. of Brit. Authors. Leipzig, Tauchnitz. Vol. 693. II. 232.

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Duetten, in der Marienbader Elegie und im Schlusse des Faust versucht sie sich auch noch sehnsüchtig in den Himmel hineinzuliebeln.

Die Dichtkunst erheischt, wie die meisten andern Künste, ihrem Wesen nach ein leicht erregbares Naturell, eine lebhafte Phantasie, eine lebendige Empfänglichkeit für alles sinnlich Schöne. Dichterische Gemüther neigen zur Liebe hin, wie Verliebte von selbst poetisch zu werden pflegen. Unter den Dichtern hat die Literaturgeschichte verhältnißmäßig wenige aufzuweisen, welchen. die Liebe nicht irgend einen Streich gespielt oder welche sie nicht in kleinere oder größere Verirrungen hineingerissen hätte. Dennoch pflegt man gegen Dichter in diesem Punkte eine gewisse Nachsicht zu üben und sie nicht nach dem strengen Maßstab zu messen, nach welchem man ernstere, prosaische Charaktere bemißt: nicht als ob für sie ein anderes Sittengeset gälte, sondern weil in ihrem Naturell und in ihrer Kunst selbst ein gewisser Milderungsgrund der Schuld liegt. Handelte es sich bei Göthe nur um eine oder die andere derartige Verirrung, so wäre es gewiß unbillig, nicht auch gegen ihn jene Nachsicht walten zu lassen, welche man andern Dichtern angedeihen läßt. Leider handelt es sich aber bei ihm nicht um solche verzeihliche Schwächen. Bei ihm ist die Verirrung nahezu permanent geworden. Er hat sie zum Princip, zum System erhoben. Mitten in einer christlichen Gesellschaft hat er sich offen zum Heidenthum bekannt und ebenso offen nach dessen Grundsäßen sein Leben eingerichtet. Wie seine Briefwechsel und die Zeugnisse Anderer ausweisen, ist der größere Theil seiner Poesie aus unentschuldbaren, immoralischen Liebesverhältnissen erwachsen, er hat zum öffentlichen Aergerniß die Ehe viele Jahre lang verschmäht, leichtfertig mit den Herzen von Frauen und Mädchen gespielt, keiner wahre Treue bewahrt, bis in's höchste Alter hinein wieder andere junge Mädchen an sich gezogen und besungen und in seinen Dichtungen wie in seinen Prosaschriften und Briefen, in seinen Natur- und Kunststudien eine solche Lust an wollüstigem Sensualismus an den Tag gelegt, wie sie kein consequenter Mann nach christlichen Grund

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Die Helden der Göthe'schen Poesie.

sätzen zu entschuldigen vermag. Schon Gelzer hat deßhalb in den vierziger Jahren diese Grundrichtung Göthe's als einen „Fluch der Literatur" bezeichnet und mit begründetem Unwillen und Kummer zurückgewiesen, und trotz der seither üppig emporgewucherten Göthe-Verehrung hat ein anderer wackerer Protestant noch unlängst in einer der ersten Zeitschriften Nordamerika's dieses Urtheil erneuert:

„Nur auf den cynischen, französischen Grundsaß hin, daß,die Frau keine ungeschriebenen Rechte habe, die der Mann zu achten verpflichtet sei' kann Göthe als Mensch irgendwelche Vertheidigung finden. Zu allen Zeiten haben sich die großen Dichter der Religion angeschlossen, indem sie die Treue als wesentliche Tugend der Liebe anerkannten. Dieses Gefühl hatte im Herzen der Menschheit ein Echo gefunden, und, obwohl nur unvollkommen in's Leben übergetragen, hat sie die Ideale der Reinheit, Treue und Aufopferung in Lied und Dichtung gefeiert. Es war Göthe vorbehalten, sowohl durch sein Leben, wie durch seine Schriften, die Nichtigkeit dieser Ideale zu predigen. Der Impuls des vorübergehenden Augenblicks ist das Gesetz seiner meisten Helden, wie dieß auch bei ihm der Fall war, und Treue war für ihn ein Begriff, dessen er so unfähig war, daß auch nicht eine Spur von Scham seitens dieser Charaktere ist, wenn sie davon abfallen. Dieses Unbekanntsein mit der absoluten Forderung der Liebe ist eine der seltsamsten Lacunen, die je eine so große, begabte Natur

1 ,,On the sole testimony of his autobiography and of his writings, we gather, that he was irreligious; that he, systematically, for sixty years, trifled with the affections of women, and then left them cruelly in the lurch; that from his early youth he mingled in certain companies and in certain transactions which are utterly incompatible with purity and uprightness of character, and in short, that he can have no claim to be a model man in a Christian country." J. Rick aby (The Month. London 1876. XXVIII. 281).

2 H. Gelzer, Die deutsche poetische Nationalliteratur. Leipzig 1841. S. 280. 281.

Göthe's Gleichgültigkeit gegen die sittlichen Ideale. 429

an den Tag legte, der nur Lord Bacons leidenschaftslose Untreue und der Verrath an der Freundschaft gleichkommt. Zartgefühl ist des Dichters Eldorado', sagte Edgar Poe, und Göthe besaß kein Zartgefühl. Aus jeder Seite von Göthe's großem Roman strahlt herrlich das milde Licht eines Genius; doch des lieblichsten, gewinnendsten, des am wenigsten angreifenden und selbstbehauptenden, welchen die Welt je gesehen hat. Man weiß nicht, worüber man am meisten staunen soll: über die wunderbare Anschauung und Beobachtung, über die Universalität seiner Sympathie, über die Inspiration seiner Reflexionen, den unvergleichlichen Stil und den goldenen, zauberischen Duft, der Alles umhüllt, oder über die milde Gleichgiltigkeit gegen alle althergebrachten Regeln der Wohlanständigkeit, der Pflicht, Ehre und Wahrheit, über das naive Ignoriren uralter Geseze der Liebe und Ehre, oder über das verhängnißvolle Naturgesetz, daß Gutes wie Böses gleich zulässig als erziehliche Einflüsse seien. Trotz seiner kosmischen Natur bildete Göthe nie einen wahrhaften Helden, und dieß läßt keine andere, als die betrübende Erklärung zu, daß er, obwohl ein Genie in der höchsten Bedeutung des Wortes, doch nicht das Genie der Mannheit besaß — ja, er konnte es nicht einmal begreifen. Denn das Wesen der Mannheit besteht nicht darin, der Leidenschaft Sklave zu sein', sondern die Pflichten des Mannes zu begreifen und unerschütterlich zu erfüllen." 1

Man erwidere nicht, das dieser sensualistischen Grundrichtung des Dichters doch auch ein ebenso mächtiges wissenschaftliches Streben nach Wahrheit zur Seite gehe. Denn seine wissenschaftlichen Studien ordnen sich sein ganzes Leben lang den künstlerischen unter, wie diese einem heitern, durch keine sittlichen Schranken beengten Lebensgenuß. Eine ernste, auf das Höchste gerichtete Lebensanschauung fehlt.

Es würde zu weit führen, noch einmal seinen sogenannten philosophischen und religiösen Entwicklungsgang in's Einzelne

Bei H. White, Göthe

1 Atlantic Monthly. Oct. 1877. in Amerika (Göthe-Jahrbuch. V. 238. 239).

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