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Gefahren des Göthe-Cultus.

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den Inbegriff seiner Irrthümer als die Hochblüthe unserer „natio nalen Bildung“ jedermann zum Studium und zur thatsächlichen Aneignung anempfehlen. Hat auch der Göthecult in seinen lächerlichsten Uebertreibungen sich bisher noch auf engere Kreise be schränkt, so ist er doch durch Literatur und Presse zu einer alle Lebenskreise beherrschenden Macht gelangt, durch die Schule zum öffentlichen Institut geworden. Denn Göthe wird da nicht mehr bloß als Muster der Sprache und des Stiles erklärt, sondern als Lehrer echt christlicher, nationaler und humaner Bildung" angepriesen.

Welche Gefahr für Religion und Sitte hierin liegt, bedarf wohl keines ausführlicheren Nachweises mehr. Göthe's Poesie und sein Leben sprechen deutlich genug. Mögen auch gewissenhafte Lehrer seine Werke nur in sehr beschränkter Auswahl erklären, so gewährt dieses doch nur wenig Schutz, da seine Werke überall im Umlauf, überall zu haben sind, in wohlfeilen Classikerund Volksausgaben, in zierlichen Salonbänden, reich ausgestattet in den herrlichsten Prachtausgaben. Seine Lieder werden gesungen, seine Dramen gespielt, seine Helden und Heldinnen, er selbst und die ganze Schaar seiner Geliebten sind in allen Schaufenstern zu treffen. Um seine Dichtungen zu verstehen, braucht man keine fremde, keine alte Sprache zu erlernen. Seine Ideen und Ideale gehen nur selten über die Vorstellungen des allergewöhnlichsten Publikums hinaus, und wo das der Fall sein sollte, stehen schon zahlreiche Commentare bereit, welche unter dem Schein philologischer Gelehrsamkeit seine Liebesgeschichten weitererzählen. Mit dem Ansehen des größten Dichters und Classikers umkleidet, als der Wohlthäter, als der Ruhm der Nation betrachtet, dringt Göthe in alle Kreise des Lebens ein, mit dem berückenden Zauber der schönen Form zieht er, seinem „Rattenfänger" gleich, alle Herzen an sich, besonders die Frauen und die Jugend. Er predigt Unglauben und Unfitte nie so keck, so frech, wie Voltaire, Wieland, die neueren französischen Natura

1 Worte des früheren Cultusministers Dr. Falk.

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Der Göthe-Cultus und die Schule.

listen; sondern stets verschleiert, mild, gewinnend, verführerisch, in anscheinend harmloser Gestalt, stets mit Beimischung von Gutem und Wahrem, Halbwahrem und Halbgutem. Er untergräbt Glauben und Sitte der Jugend, ohne daß sie sich deßhalb der Verführung bewußt wird. Soll das Gift seiner heidnischen Lebensgrundsäße nicht in immer weitere Kreise dringen, so ist es fürwahr hohe Zeit, daß Alle welchen ein Einfluß auf die Jugend und deren Erziehung vergönnt ist, diese Gefahr ernstlich beherzigen und ihre Kräfte vereinigen, um derselben zu steuern.

Vor Allem ist klar, daß die Lectüre und das Studium Göthe's wieder nach den Grundsäßen einer wahrhaft christlichen Pädagogik beschränkt werden muß, welche auf Religion und sittliche Bildung mehr Gewicht legt, als auf schöne Form, Stil und Sprache. An dem heutigen Göthe-Cultus kann und darf sich die Schule nicht betheiligen, wenn sie christlich bleiben will. Sie muß vielmehr die irrigen Anschauungen berichtigen, die jener Cultus nothwendig erweckt. Alle Vorsichtsmaßregeln, alle Chrestomathien, alle purgirten Schulausgaben helfen nichts, wenn man dabei den Dichter der „Iphigenie“ u. s. w. aus schlecht verstandenem Nationalgefühl oder ästhetischer Ueberschäßung mit Fluthen des Lobes überschüttet; wenn man statt besserer Autoritäten unaufhörlich für jeden, selbst für den banalsten Gedanken „Eckermanns Gespräche“ und Verse aus Göthe citirt; wenn man alle Aesthetik und Poetik auf Göthe gründet; wenn man ihn unaufhörlich mit Dante, Shakespeare und Calderon zusammenstellt, und dabei der Jugend feierlich zu verstehen gibt, daß er als Dichter alle diese früheren Dichter weit hinter sich zurückgelassen habe, daß unser Göthe“ überhaupt der größte Dichter und Universalmensch, der Höhepunkt aller Cultur sei. Und doch hat Göthe nicht so viel von scholastischer Theologie und Philosophie gewußt, um auch nur Dante's Göttliche Komödie" nothdürftig zu verstehen; er hat keine einzige Tragödie geschrieben, die sich als eigentliches Bühnenstück mit den Meisterwerken Shakespeare's und Calderons vergleichen läßt; er hat das auch selbst

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gefühlt: „Ich bin nicht zum tragischen Dichter geboren, da meine Natur conciliant ist.“ 1

Sage man, statt jener unaufhörlichen Lobsprüche, es der Jugend offen heraus, wie tief Göthe als Mensch steht, wie hohl und oberflächlich seine Weltanschauung, wie unsittlich und verderblich seine Lebensgrundsätze waren, wie wenig er als Naturforscher und Kunstautorität zu bedeuten hat. Sage man es der Jugend, wie er nach dreißig Jahren thörichter Irrfahrt zur Poctik des Aristoteles griff und als Mann von fünfzig Jahren, zum größten Nutzen seiner poetischen Entwicklung, endlich jene Kunstregeln studirte, welche seit Jahrhunderten an allen katholischen Unterrichtsanstalten die Grundlage der Poetik bildeten. Erkläre man der Jugend das unruhige, fragmentarische Treiben des jungen Göthe den ungeheuern Schaden, den ihm die Zersplitterung seiner Kräfte gebracht hat. Erkläre man der Jugend die Schwächen und Fehler der Göthe'schen Poesie im Gegensatz zu den Alten, zu Shakespeare und Calderon. Es gibt kaum cin Citat aus Göthe, das sich nicht ebenso gut durch eines aus den alten Classikern oder aus den trefflichsten katholischen Schriftstellern ersetzen ließe!

nichts als Göthe?

Warum immer Göthe? Göthe? Was ist denn im Grunde für die Wahrheit der sieben Sacramente gewonnen, wenn dieser weimarische Hofrath, der Gemahl der tanzlustigen Christiane Vulpius fie schön fand, aber nicht daran glaubte?

Was helfen seine Skizzen der Flucht nach Aegypten, wenn dieselben nur dazu dienen sollen, unsere Jugend in die unsaubere Gesellschaft Wilhelm Meisters einzuführen?

Was hat er über die Alten, über die Bibel, über Religion, Kunst, Literatur und Leben Gutes gesagt, was man nicht bei katholischen Denkern, Dichtern, Künstlern und Schriftstellern richtiger und reiner, sehr oft auch schöner und besser gesagt finden könnte? Warum glauben wir den gewissenhaftesten katholischen

1 Göthe-Zelter Briefwechsel. VI. 328.

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Göthe's Werke und das chriftliche Gewissen.

Gelehrten und Forschern erst dann, wenn Göthe oder Eckermann seinen Segen dazu gesprochen?

Ferne sei es, Göthe in Bausch und Bogen aus der Schule verdrängen zu wollen. Seine Werke enthalten formlich und inhaltlich mannigfaltigen Bildungsstoff, welcher in der Hand und unter der Leitung eines tüchtigen, gewissenhaften Lehrers der Jugend zum Nutzen gereichen kann. Aber ein Dichter für die Jugend einfachhin ist Göthe nicht. So viel Schönes er in einzelnen Werken und in der Form überhaupt bieten mag, den eigentlichen Kern seiner Welt- und Lebensanschauungen müssen wir entschieden. von uns weisen, wenn christlicher Sinn und christliche Sitte nicht völlig untergehen sollen. Die einseitige, in hohem Grad lächerliche Geistestyrannei, welche sein Ansehen auf den heutigen Unterricht ausübt, muß deßhalb gebrochen werden. Und das gilt nicht bloß von Schule und Unterricht, es gilt auch von den weiteren Kreisen des Lebens.

Hier ist es allerdings schwieriger, Grenzen anzugeben, innerhalb deren Göthe's Schriften, unbeschadet christlicher Wahrheit und Sitte, Zutritt und Einfluß finden mögen. Die Kirche ist gegen schöngeistige Werke nie mit jener Strenge aufgetreten, welche sie gegen strict theologische und philosophische Werke irrigen und schädlichen Inhalts auszuüben pflegt. Göthe's Werke sind nie ausdrücklich und namentlich auf den römischen Inder gekommen. Man hat sie den allgemeinen Vorschriften desselben überLassen, wie die Päpste der Renaissance einst die Schriften eines Boccaccio, Valla, Beccadelli und Poggio dem Gewissen des Einzelnen überließen. Damit ist den Schriften Göthe's indeß durchaus kein Freipaß ausgestellt. Abgesehen von zahlreichen Stellen, welche die Forderungen christlicher Zucht und Sitte schwer verlezen, sind sie durchgängig von den gefährlichsten Irrthümern durchsäuert, an welchen unsere moderne Zeit krankt und welche das vaticanische Concil in seinen verpflichtenden Beschlüssen ausdrücklich verworfen hat. Jener Naturalismus, Pantheismus und religiöse Indifferentismus, in welchem Göthe's gesammte Poesie wurzelt und welcher sich in seinen Prosaschriften deutlich genug

Veritas liberabit vos!

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breit macht, ist von der Kirche selbst für immer gebrandmarkt. Unberührt oder nur leicht berührt von diesen Irrthümern sind nur wenige seiner Werke; in schroffster Fassung treten sie ebenfalls nur in verhältnißmäßig wenigen auf; bei weitem die meisten aber sind in anmuthigster und verlockendster Form davon durchtränkt und deßhalb ganz dazu angethan, die religiösen Begriffe zu verflachen und zu verdunkeln, den christlichen Glauben zu schwächen und zu untergraben. Je nach der Klarheit, Treue und Festigkeit eines Jeden wird sich dieser Einfluß sehr verschieden modificiren; aber die Lectüre Göthe's ohne jede Beschränkung für unverfänglich zu halten, ist eine vollständig irrige Vorstellung, und für ihn schwärmen kann nur derjenige, der entweder seine Irrthümer theilt oder, aus Mangel an Urtheil und gründlichen Kenntnissen, sie gar nicht merkt.

Sehr viel ist für echte christliche Bildung gewonnen wenn wir von dem nahezu gözzendienerischen Cult des großen Dichters wieder zu einer nüchternen, vernünftigen und gerechten Würz digung seines Lebens und seiner Werke zurückkehren, wenn wir ihn kennen, wie er wirklich war, und wenn wir ihn nicht mehr achten, als er es verdient. Der Zauber seiner Liebeslieder wird gewaltig gedämpft, wenn man sein Verhältniß zu den Frauen einmal im nüchternen Lichte der Wahrheit besehen hat. Die Werthschätzung seiner pantheistischen Faseleien wird sehr herabgestimmt, wenn man die festen Grundsäße einer gründlichen Philosophie und die Lehre des Christenthums dagegenhält. Sein Ruhm als Naturforscher und Kunsttheoretiker wird um so mehr erbleichen, je mehr man unabhängig von ihm diese Wissenszweige betreibt. Niemand wird so thöricht sein, den untreuen Liebhaber Friederikens und der Frau von Stein, den Genossen der tanzsüchtigen Christiane Vulpius, den greisen Anbeter einer Ulrike von Levehow für das wirkliche Ideal eines deutschen Mannes, für ein nachahmenswerthes Vorbild zu halten. Die Frauen werden die lockenden Sirenentöne seiner Liebespoesie mit jenem edeln Hochsinn von sich weisen, mit welchem eine heilige Agnes den unlautern Bewerber von sich stieß. Jünglinge und Männer wer

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