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Die Trilogie der unglücklichen Liebe.

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dem Werk, ohne daß die Empfindung des Inhalts sich ganz hätte verlieren können.“ 1

Inhalt und Stimmung des neuen Romans kommen schon darin mit Werther“ und „Wilhelm Meister" überein, daß der Dichter sich von allen großen Bewegungen seiner Zeit, von der gesammten Welt- und Völkergeschichte auf das Gebiet des Gefühlslebens zurückzieht und auch da wieder sich von allem Erhebenden, Großen, Schönen abwendet und sein Interesse auf den engen Kreis des Krankhaften, des Ungesunden, selbstgemachter Phantasieleiden, moralischer Verirrung beschränkt. Man könnte die drei Romane wohl passend eine „Trilogie der unglücklichen Liebe" nennen. Beim jungen Werther" entwickelt sie sich zur tollsten Schwärmerei, an welcher der weichliche Held elend zu Grunde geht. Bei „Wilhelm Meister“ wird sie zu einer Art von Erfahrungs- und Bildungsschule ausgesponnen, durch welche er von aller Poesie curirt, ein nüchterner, blasirter Lebemann wird. Aber wie „Wilhelm Meister" den Werther" Lügen straft, so paralysirt der Eduard" der Wahlverwandtschaften" wieder den „Meister", soweit man wenigstens die Dichtung im geistigen Leben ihres Urhebers betrachtet. Göthe schwärmt wohl, wie der junge „Werther", er macht der Braut und Frau eines Andern den Hof, er erfährt dabei alle Qualen einer hoffnungslosen Liebe; aber er erschießt sich nicht. Er wird nun „Wilhelm Meister", d. h. er fängt die Komödie von vornen an, aber viel leichtsinniger und mit zunehmender weltmännischer Gewandtheit. Kommt ihm die erste Geliebte abhanden, so träumt er ihr zwar noch einige Zeit pathetisch nach, siedelt aber unbedenklich zu einer zweiten und dritten und vierten über und wird allmählich ein „weiser Mann". Aber auch mit dieser Weisheit ist es wieder nicht richtig. Denn der vielerfahrene und wohlroutinirte Eduard", der jene ganze Bildungsschule durchgemacht, vermag sich gegen die geringste Versuchung nicht zu sichern; fast naiver und thörichter als Werther tappt er in die böse Gelegenheit, erliegt ihr und geht troß

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1 Göthe's Werke [Hempel]. XXVII. 187.

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Werther, Meister und die Wahlverwandtschaften.

aller Weisheit des „Wilhelm Meister" daran zu Grunde. Auch das ist aber theilweise wieder Fiction. Der Dichter kehrt nach dem geistigen Ehebruch wieder zu „Wilhelm Meister“ zurück und erholt sich in den Novellen der Wanderjahre“ von dem Jammer der unglücklichen Liebe.

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Die Widersprüche sind zu schroff, als daß man sich Mühe geben sollte, sie künstlich auszugleichen. Der natürliche Ausgleich liegt darin, daß zwar alle drei Romane mitsammt ihrem Anhang, den Wanderjahren", bis zu einem gewissen Grade „Bekenntnisse“ Göthe's, Confessionen“ seines Lebens sind, aber nicht im selben Grade und nicht in derselben Weise. „Wilhelm Meister“ zeichnet annähernd die Entwicklung, die er durchgemacht, und die prak tische Lebensweisheit, zu der er gelangt ist, „Werther“ und „Die Wahlverwandtschaften“ dagegen nur vorübergehende Stimmungen und Zustände, welche er mit Hilfe jener Lebensweisheit überwand. Diese Lebensweisheit aber liegt wesentlich darin, zwar im Leben selbst Roman an Roman zu spinnen und in Dichtungen auszusprechen, die „Liebe“ mithin zur Haupttriebkraft des Lebens und der Dichtung zu machen, sie selbst aber keineswegs so ernst und tragisch zu nehmen, wie die Helden der Romane, sondern von einer begrabenen Liebe dichtend wieder zu einer neuen überzugehen, und so zu lieben“ und zu dichten bis zum Tode. In der Behaglichkeit, womit der sechzigjährige Herr noch alles Liebesleid eines untreuen Ehemannes und eines kaum der Pension entronnenen Mädchens durchlebt und durchleidet, zerlegt und bis in's Kleinste beschreibt, ja zu seiner Hauptaufgabe, zum Mittelpunkt seines Dichtens und Denkens für zwei Jahre macht, liegt schon das Geständniß, daß ihm in diesem angeblichen Leiden unendlich wohl ist, daß er mit Wollust darin lebt und webt, daß ihn ein Mädchenherz mehr interessirt, als alle Philosophien und Religionssysteme, alle Königreiche, Wissenschaften und Künste der Erde.

Wie im „Werther“, so hat es Göthe auch in den „Wahlverwandtschaften" durchaus nicht auf eine spannende Verwicklung abgesehen. Es ist die einfachste Liebesgeschichte von der Welt,

Eduard und Charlotte.

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eine häusliche Tragödie, wie sie sich, bei den sittlich faulen Zuständen der modernen Zeit, in belebten Großstädten wie auf einsamen Landsizen, unzähligemal abgespielt hat und, leider Gottes, noch abspielt.

Ein vornehmer junger Herr und ein reiches Dämchen vom selben Alter, von Jugend auf mit einander bekannt, völlig für einander passend, lieben sich herzlich und wollen sich heirathen. Aber der böse Geiz tritt dazwischen. Eduard wird von seinen Eltern eine reichere ältere Frau aufgedrängt, Charlotten ein wohlhabender, nicht geliebter, aber geehrter Mann. Der Tod löst indeß beide Convenienzheirathen nach kurzer Zeit. Eduard und Charlotte werden wieder frei und heirathen einander nun, durch ansehnliche Erbschaften zu größerem Besitz und vornehmster Unabhängigkeit gelangt. Sie schwimmen im Geld und haben nur die eine Sorge, es auf die angenehmste Weise auszugeben. Charlotte wirft sich auf Park- und Gartenkunst, Eduard auf Sport und Landwirthschaft. Doch das ist mehr Spielerei, als wirkliches Interesse. Sie lieben sich, aber ohne jene Leidenschaft, welche für krankhafte und empfindsame Gemüther den einzigen Reiz des Lebens ausmacht. Die Kraft und das Glück, welche eine feste, entschieden erfaßte Lebensaufgabe von selbst gewährt, fehlt dem vornehmen, spielerischen Ehepaar. Sie sind blasirt. Sie langweilen sich.

Auf dieser dumpfen Langeweile baut sich die Handlung des Romans auf. Nichts erhellt und lichtet die drückende Atmosphäre. Kein leidenschaftlicher, gewitterartiger Ausbruch säubert sie. Wolke ballt sich auf Wolke. Unter diesem schwülen Himmel bricht in vier Herzen das zehrende Fieber unglücklicher Liebe aus und läßt Leser und Leserin durch sechsunddreißig Kapitel daran hinschmachten, ohne daß eine große, edle That, ein wahrhaft schöner Charakter, ein tröstendes Ereigniß den Geist aus diesem düstern, jammervollen Lazarethbilde hinausführte. Wie im Werther, ist die ganze Geschichte eine pathologische Analyse, viel feiner, viel glatter, viel vornehmer, viel ruhiger, aber nichts als Liebesjammer von Anfang bis zum Ende. Alles spielt sich in Stimmungsbildern,

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Ottilie und der Hauptmann.

Zuständen, Reflexionen, Situationen der traurigsten Art ab. Werther kann dießmal keine Pistolen bekommen, Lotte siecht an der Schwindsucht hin, und die Qual, welche mit dumpfer Langeweile begonnen, erstirbt trüb und lahm in dumpfer „Resignation".

Der Wunsch, sein einförmiges Dasein kurzweiliger zu gestalten, bringt Eduard auf den Plan, einen Freund, den Hauptmann, der sich in unangenehmer, vereinsamter Lage befindet, in sein Haus aufzunehmen. Charlotte mahnt ab. Es ahnt ihr nichts Gutes. Da aber Eduard auf seinem Wunsche besteht, rückt auch sie mit einem ähnlichen heraus: ihre schöne, junge Nichte Ottilie, die sich in einer Pension ziemlich unglücklich fühlt, zu sich zu rufen. Es wird nun kurzweiliger auf dem Schlosse. Nicht daß das bereits ältere Paar unter seinen Augen ein neues bräutliches Verhältniß heranreifen sähe. In einem galanten chemischen Gespräch erklärt der Hauptmann jene chemischen Processe für die bedeutendsten und merkwürdigsten, „wo vier, bisher je zwei zu zwei verbundene Wesen, in Berührung gebracht, ihre bisherige Vereinigung verlassen und sich auf's Neue verbinden. In diesem Fahrenlassen und Ergreifen, in diesem Fliehen und Suchen glaubt man wirklich eine höhere Bestimmung zu sehen; man traut solchen Wesen eine Art von Wollen und Wählen zu und hält das Kunstwort Wahlverwandtschaften für völlig berechtigt."

„Denken Sie sich,“ fährt er fort, „ein A, das, mit einem B innig verbunden, durch viele Mittel und durch manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie sich ein C, das sich ebenso zu einem D verhält; bringen Sie nun die beiden Paare in Berührung! A wird sich zu D, C zu B werfen, ohne daß man sagen kann, wer das andere zuerst verlassen, wer sich mit dem andern zuerst wieder verbunden habe."

Scherzend nennt Eduard seine Frau A, sich B, den Capitän C und Ottilie D. Der Scherz wird bald Ernst. Es beginnt die leidenschaftliche Herrschaft der Wahlverwandtschaften. Eduard faßt eine steigende Zuneigung zu der jungen Ottilie, Charlotte

Mittlers Sermon über die Ehe.

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verliebt sich in den Hauptmann. Da auf keiner Seite religiöser Ernst, Charakter, sittliche Würde vorhanden, folgen die vier Romanfiguren wirklich wie chemische Atome willenlos der Versuchung wie einer naturnothwendigen Affinität. Das Ehepaar kommt zum geistigen Ehebruch. Der Hauptmann wird zum Verräther an seinem Freunde, das liebe Kind" Ottilie wird mit seiner Weichheit und Empfindsamkeit leichten Kaufs von dem erfahrenen Weltkinde Eduard in den Strudel der verhängnißvollsten Leidenschaft hineingerissen.

Göthe lehrt durchaus nicht, daß er die sinnliche Liebe für eine nothwendig handelnde Elementarkraft halte, die den Willen unwiderstehlich fortreißt wie die chemische Affinität die Atome. Der Roman enthält im Gegentheil sehr schöne, wenn auch nicht völlig correcte Stellen über Liebe und Ehe.

„Wer mir den Ehestand angreift," läßt er Mittler, den wunderlichen Berather entzweiter Familien, sagen, wer mir durch Wort, ja durch That diesen Grund aller sittlichen Gesellschaft untergräbt, der hat es mit mir zu thun; oder wenn ich nicht seiner Herr werden kann, habe ich nichts mit ihm zu thun. Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur. Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen. Unauflöslich muß sie sein; denn sie bringt so vieles Glück, daß alles einzelne Unglück dagegen gar nicht zu rechnen ist. Und was will man von Unglück reden? Ungeduld ist es, die den Menschen von Zeit zu Zeit anfällt, und dann beliebt er, sich unglücklich zu finden. Lasse man den Augenblick vorübergehen, und man wird sich glücklich preisen, daß ein so lange Bestandenes noch besteht. Sich zu trennen, gibt's gar keinen hinlänglichen Grund. Der menschliche Zustand ist so hoch in Freuden und Leiden gesetzt, daß gar nicht berechnet werden. kann, was ein Paar Gatten einander schuldig werden. Es ist eine unendliche Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen werden kann. Unbequem mag es manchmal sein, das glaub' ich wohl und das ist eben recht. Sind wir nicht auch mit dem Gewissen verheirathet, das wir oft gerne los sein möchten, weil

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