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Verwicklung und Katastrophe.

es unbequemer ist, als uns je ein Mann oder eine Frau werden könnte ?" 1

Der Roman verläuft jedoch auf geradezu entgegengesetzten Bahnen. Charlotte und der Hauptmann bringen zwar ihre gegenseitige leidenschaftliche Liebe den äußeren, einmal bestehenden Verhältnissen zum Opfer, fie trennen sich; doch die Herzen bleiben aneinander gefesselt. Bei Eduard aber wirkt die Liebe zu Ottilie wie eine chemische „Wahlverwandtschaft“, eine unbezähmbare Naturgewalt. Kaum weiß er, daß Ottilie ihn wieder liebt, so dringt er auf Scheidung von Charlotte. Doch diese wird Mutter und muß im Interesse des Kindes für ihre Ehe mit Eduard einstehen. Um sich zu zerstreuen, zieht Eduard in den Krieg, aus dem er ruhmgekrönt wiederkehrt, aber nicht geheilt von seiner Neigung für Ottilie. Diese hegt das Liebesverhältniß ebenfalls weiter, bis ein plößliches Ereigniß sie aus demselben aufscheucht. Das Kind Charlottens, das bedeutsamer Weise nicht die Züge seiner Eltern, sondern jene des Hauptmanns und Ottiliens trägt 2, ertrinkt durch einen Unfall in einem Teiche. Für Eduards Wünsche scheint jetzt das lezte Hinderniß hinweggeräumt. Doch Ottilie ist von dem Unglücksfall auf's Tiefste betroffen. Sie ist ganz unschuldig daran. Während sie Alles aufgeboten, um das Kind von einer Spazierfahrt nach Hause zu bringen, ist es ihrem Arm entschlüpft, in's Wasser gefallen. Alle Wiederbelebungsversuche sind vergeblich. Vor Ergriffenheit fällt sie selbst wie eine Leiche zu Boden. Scheinbar starr und todt, hört sie, wie Charlotte jezt bestimmt in ihre Scheidung von Eduard willigt, damit dieser in Ottiliens Liebe Ersatz für das todte Kind und das gestörte Familienglück finde. Jetzt erst durchschaut sie die Tragweite ihres Verhältnisses ganz und klar und denkt an Sühne: „Ich bin aus meiner Bahn geschritten, ich habe meine Gesetze

1 Göthe's Werke [Hempel]. XV. 81.

2 Wie Lewes bemerkt, folgt Göthe hierin einem alten Volks= glauben, den die Physiologie nicht bestätigt. Lewes [Frese]. 11. Aufl. Stuttgart 1877. II. 453.

Vorzüge des Romans.

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gebrochen, ich habe sogar das Gefühl derselben verloren . . Eduard's werde ich nie! Auf eine schreckliche Weise hat mir Gott die Augen geöffnet, in welchem Verbrechen ich befangen bin. Ich will es büßen, und Niemand gedenke mich von meinem Vorsatz abzubringen." 1

Zu ihrem Unglück ist ihre Buße aber nicht diejenige einer Christin, sondern diejenige eines überspannten Frauenzimmers. Sie tödtet sich durch langsame Aushungerung. Eduard härmt sich in ähnlicher Weise zu Tode. Im Grabe finden sich endlich die wahlverwandten Elemente.

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Formlich ist die ganze Erzählung ein Meisterwerk. Wenn Lewes meint, der Stoff hätte zwar für eine kleine Erzählung, eine Novelle" hingereicht, sei aber durch breitspurige Ausführung zum Romane verdorben worden, so beurtheilt er die „Wahlverwandtschaften" nicht nach dem Plane des Dichters, sondern nach außenliegenden Momenten. In die kleine Welt, welche Göthe schildern will, passen die Beschreibungen, deren Breite Lewes tadelt, ebenso wohl als die vornehme Langeweile, womit der Roman beginnt. Die Verbesserungen im Park, die Errichtung der Mooshütte, die Wiederherstellung der Kapelle, die Anlage neuer Wege gehören durchaus mit zu dem Kreis der handelnden Personen, sie geben als Staffage die natürlichsten Stimmungsbilder, sie sind auf's Feinste mit dem ganzen Seelengemälde verschmolzen. Auch die Tagebücher Ottiliens fügen sich, soweit sie deren Stimmungen zeichnen, trefflich in den Rahmen des Ganzen; nur wo der neue Salomo ihr ganze Acten aus dem Archiv seiner eigenen Lebensweisheit unterschiebt, entsteht zwischen ihrem Inhalt und dem Charakter des jungen Mädchens eine gewisse Dissonanz. Auch diese gleicht sich indeß einigermaßen aus, wenn man das Tagebuch nicht zu strenge nimmt, sondern nur als Gelegenheit, die der Dichter sich bereitet, um gewissermaßen als griechischer Chor zwischen die Handlung und den Leser zu treten, ihm von den

1 Göthe's Werke [Hempel]. XV. 223.

2 A. a. . II. 456.

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Meisterhafte Abrundung des Romans.

Erfahrungen seines Alters mitzutheilen und einem an sich untiefen weiblichen Gefühlsleben einigen Gehalt zu verleihen.

Wie im Werther“ ist der ganze psychologische Zerseßungsproceß - denn das ist schließlich diese Geschichte unglücklicher Liebe mit einem Kennerblick geschrieben, der tief in alle Gründe und Abgründe des Menschenherzens geschaut; mit der Wahrheit und Lebendigkeit eines Herzens, das alles Leid der Liebe bis in die kleinsten Einzelheiten an sich durchgefühlt; mit jenem feinen Künstlerverstand, der dieß bunte Gewirre verschwommener und ringender Gefühle mit der durchsichtigsten Klarheit zum Kunstwerk zu gestalten wußte. Ein Jüngling hat Alles empfunden, ein Greis Alles aufgezeichnet. Der Dichter erscheint zugleich als Arzt und Kranker; aber als Arzt, der sich selbst kurirt, ist er weit überlegener, als einst im „Werther“. Die poetische Lebendigkeit der Zeichnung, der Farbe, der Handlung hat dabei verloren. Viele der Nebenpersonen, der Architekt, die Vorsteherin, der Gehilfe u. s. w., haben, wie in der „Natürlichen Tochter", nicht einmal Namen erhalten. Der Hauptmann und Charlotte, Eduard und Ottilie selbst sind äußerlich mehr typisch allgemein als concret aufgefaßt. Doch ihr ganzes Seelenleben ist so individuell, so scharf charakteristisch ausgeführt, so harmonisch abge: rundet, so bis in's Kleinste motivirt, wie in keinem andern Romane Göthe's. Auch das äußere Culturbild besitzt die lebensvollste Klarheit und Wahrheit 1.

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Gervinus erklärt die Wahlverwandtschaften" geradezu als das Meisterstück der neueren Novellistik überhaupt und findet sie mit den Novellen des Cervantes darin verwandt, daß sie jene durchsichtige Helle, jene Plan- und Regelmäßigkeit in Entwurf und Ausführung, jene Quadratur der Anlage, jene gerad

1,Les moeurs de la société polie qui s'était formée en Europe, à l'image de la France, moeurs d'une classe et non d'un peuple, les relations qu'entretiennent les gens du monde, y sont décrites par un observateur très-pénétrant et toujours bien informé." A. Mézières, Revue des Deux Mondes. C. 879.

Zeitgenössische Beurtheilungen des Romans.

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Linige Richtung der Empfindungen und Leidenschaften, und die lehte Vollendung einer berechneten und mit künstlerischem Bewußtsein durchgeführten Darstellung an sich tragen“1.

Der Roman fand indeß keine ungetheilt günstige Aufnahme. Die feindlichen Stimmen waren sogar zahlreicher, als die freundlichen 2. Der Vorwurf der Immoralität wurde viel allgemeiner laut, als gegen den „Werther". Er ist bis heute nicht ver stummt 3.

1.Gervinus, Geschichte der poetischen Nationalliteratur. Leipz. 1844. V. 711.

2 Sehr begeistert war der alte Heinr. Voß: „O Sie unendlich reicher Mann! Wie wissen Sie zu beglücken! ... Mir ist, als wenn Sie keines Ihrer frühern Werke mit dem Behagen, mit der Gluth und Innigkeit geschrieben hätten, und doch sehe ich keines Ihrer frühern Werke geringer an, als vor Lesung Ihrer Wahlver= wandtschaften"" (26. Dec. 1809). Göthe Jahrbuch. V. 77. Wieland dagegen mißfiel der Roman; nur an Ottilie fand er bei der dritten Lesung endlich einen künstlichen Magnet, der sein Urtheil günstiger stimmte. Dünger, Freundesbilder aus Göthe's Leben. Leipzig 1853. S. 399.

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3 Den schärfsten Angriff machte Rehberg, der ein ebenso tüchtiger Kenner Englands als unbestechlicher Gegner der französischen Revolution war, in einer Recension, welche den Jahrgang 1810 der Allgemeinen Literaturzeitung von Halle eröffnete. „Er erzählte den Inhalt der Wahlverwandtschaften' und nahm die Charaktere durch. Er erklärte den Eduard für einen baronisirten Wilhelm Meister, den er hinwieder als einen charakterlosen Laps bezeichnet hatte, so daß Eduard schließlich kurzweg als Baron Laps figurirt. Er be= hauptete, Ottilie sei nicht ein echtes Kind von des Dichters Geiste, sondern sündhafter Weise erzeugt, in doppelter Erinnerung an Mig= non und an ein altes Bild von Masaccio oder Giotto. Er glaubte, nicht uneben, eine Verwandtschaft zwischen Luciane und der natürlichen Tochter herauszufühlen. Und er meinte schließlich: Wie kann man aus solchen Geschöpfen eine Tragödie machen! O göttlicher Sophokles! Heiliger Shakespeare, Richardson, Rousseau und wer sonst das menschliche Herz durch den Kampf der Leidenschaft mit Baumgartner, Göthe. III. 2. Aufl.

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Die Fabel an sich nicht unmoralisch.

Was die Fabel selbst in ihren Hauptumrissen betrifft, so ist dieser Vorwurf gewiß unbegründet. Sie zeigt, wie ein äußer lich glückliches Familienleben durch Mangel an tieferer, innerer Bildung, durch leichtsinniges Spielen mit der sittlichen Gefahr, blinde Hingabe an die Leidenschaft, Halbheit in deren Bekämpfung langsam unterwühlt wird, endlich zusammenbricht und diejenigen mit in den Untergang zieht, die sich mehr oder weniger schuldvoll jenem thörichten Spiel überlassen haben. Schon der geistige Ehebruch wird von Eduard selbst als Verbrechen gebrandmarkt. Ottilie erkennt ihr Verhältniß zu Eduard als einen Bruch des Gesetzes, als ein Verlassen der gottgewollten Bahn, als ein Verbrechen an, das Buße und Sühnung erheischt. In ihrem und Eduards Untergang wird der poetischen Gerechtigkeit einigermaßen Genüge geleistet. Die Fabel an sich rechtfertigt deßhalb die Vorwürfe nicht, welche gegen die Moralität des Romans erhoben worden sind. Von aller Verfänglichkeit freisprechen läßt er sich aber dennoch nicht.

Zunächst haftet ihm jene Verfänglichkeit an, welche allen pathologischen Liebesromanen gemeinsam ist und welche in der verführerischen Macht unglücklicher Liebe selbst liegt. Die Frau von Staël hat darüber ein sehr wahres Wort gesagt und Göthe selbst hat es übersezt: „Was man gegen die Romane, in welchen die Liebe behandelt wird, immer mit vielem Recht sagen kann, ist, daß die Leidenschaft darin so gemalt ist, daß sie dadurch erzeugt werden kann, und daß es Augenblicke des Lebens gibt, in welchen diese Gefahr größer ist als alle Vortheile, die man davon erwarten konnte."1 Verschuldetes und unverschuldetes Mißgeschick dämpfen den Reiz der Leidenschaft nicht, ja erhöhen sie ihn nur, wenn er durch anziehende Schilderung zum Gegenstand der Liebe und Theilnahme geworden. Eine bloß allgemeine Moralität

dem Gefühle des Erhabenen zu bewegen wußte! Hat der Ver= fasser des Werther und der Iphigenie hier sich selbst oder sein Publikum verspotten_wollen ?““ Göthe-Jahrbuch. VI. 352.

1 Göthe's Werke [Hempel]. XXIX. 841.

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