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Die gothische Kapelle und das Krippenspiel.

einer Kirche gewesen, weiß er nicht einmal mehr, wie jeder gläubige Protestant und Katholik die zehn Gebote auslegt, und läßt eine lange Rede los, um sie abzuschaffen und durch bessere zu ersehen. Die Rede erinnert unglücklicher Weise die abgehärmte Ottilie an ihre sündige Liebe. Das ist der letzte Stoß. Jezt bricht sie zusammen. Der langsame Selbstmord ist dadurch gemildert, und der Dichter steht nicht an, sie heilig zu sprechen, ja sogar zur Wunderthätigen zu machen. So wird in feinster Weise, auf Schritt und Tritt, jede christliche Anschauung zerstört, unterminirt, in jenen Gefühlsdusel verflüchtigt, den Göthe anderwärts für Religion ausgab.

In besonders bestrickender Weise sind dabei jene katholischen Elemente verwerthet, durch welche die protestantischen Romantiker in ihrer Novellistik dem katholischen Glaubensleben sich wenigstens äußerlich einigermaßen näherten, sowie der abergläubische Mysticismus, durch den sie sich den katholischen Glauben zu ersezen suchten. In die modern-liberale Gesellschaft tritt ein christlichgermanischer junger Architekt und Maler, der sich in Ottilie verliebt und auch diese etwas beschäftigt; in dem materialistischideenlosen Park wird eine gothische Kapelle stilgerecht restaurirt, mit Glasfenstern, Chorstühlen und einer schweren, eisenbeschlagenen Thüre; auf die blaue Decke werden Engel gemalt, die alle etwas Ottilie gleichen; Ottilie geht dahin, nicht um zu beten, sondern um von Eduard zu träumen. „Die farbigen Scheiben," meint sie, machen den Tag zur ernsten Dämmerung", und Jemand müßte eine ewige Lampe stiften, damit auch die Nacht nicht ganz finster bliebe. Auf Weihnachten bereitet der Architekt eine Krippendarstellung vor. „Ein schöner, frischer Knabe war gefunden; an Hirten und Hirtinnen konnte es uns nicht fehlen.“ Zur Madonna ist Ottilie ausersehen. Der Architekt arbeitet Tag und Nacht, die Darstellung wird glänzend, nur fehlen die Zuschauer, welche das fromme Schauspiel hätten genießen können.

„Der Architekt allein, der als langer schlanker Hirt von der

1 Ebds. XV. 240. 241.

Ottilie als Wunderthäterin.

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Seite über die Knieenden hereinsah, hatte, obgleich nicht in dem genauesten Standpunkt, noch den größten Genuß. Und wer be schreibt auch die Miene der neugeschaffenen Himmelskönigin? Die reinste Demuth, das liebenswürdigste Gefühl von Bescheidenheit bei einer großen unverdient erhaltenen Ehre, einem unbegreiflich unermeßlichen Glück bildete sich in ihren Zügen, sowohl indem sich ihre eigene Empfindung, als indem sich die Vorstellung ausdrückte, die sie sich von dem machen konnte, was sie spielte."

In der gothischen Kapelle finden Eduard und Ottilie ihre Ruhestätte, sie wird zum Wallfahrtsort, nachdem Ottiliens Dienstmädchen, wie es meint, durch Ottilie wunderbare Rettung gefunden.

„Zärtliche Mütter brachten zuerst heimlich ihre Kinder, die mit irgend einem Uebel behaftet waren, und sie glaubten eine plötzliche Besserung zu spüren. Das Zutrauen vermehrte sich, und zuletzt war Niemand so alt und so schwach, der sich nicht an dieser Stelle eine Erquickung und Erleichterung gesucht hätte. Der Zudrang wuchs, und man sah sich genöthigt, die Kapelle, ja außer den Stunden des Gottesdienstes die Kirche zu verschließen." 1

Wie fein Göthe in künstlerischer Hinsicht all diese katholischen Anklänge ausgeführt, wie sehr er dabei die ähnlichen Darstellungen der protestantischen Romantiker übertraf, hat A. Schöll sehr verständnißvoll dargelegt. Er hat aber übersehen, daß die protestantische Romantik und der katholische Glaube zwei ganz verschiedene Dinge sind, und daß Göthe, indem er jene künstlerisch überwand, diesen zwar sehr verkappt und spöttisch mitangriff und herunterzog, aber den Werth seiner Lehren und Gebräuche, die tiefste Poesie seines Wesens keineswegs entwerthete.

Der Angriff liegt in dem frivolen Mengseln der schönen, echt poetischen Formen, welche dem Dichter viele der anmuthigsten

1 Ebds. XV. 136 ff. 142 ff. 169 ff. 244 ff. 246.

2 A. Schöll, Göthe in Hauptzügen seines Lebens und Wirkens. Berl. 1882. S. 398-412.

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Mißhandlung der katholischen Momente.

Bilder liefern, mit schalem Unglauben und Aberglauben, rationalistischem Gefasel und eitler Kunsttändelei, Jammer und Sünde. Die echt christliche und deutsche Kunst wird aus ihrer idealen Höhe in einen lächerlichen Realismus herabgezogen und als bloße Theaterdecoration den Damen zu Füßen gelegt. Die neueste Madonna Göthe's, die Wunderthäterin Ottilie, ist zugleich eine Art nervös-magnetischen Mediums. So fein und empfindlich sind ihre Nerven, daß ein Pendel in ihrer ruhigen Hand zu schwingen beginnt, daß sie die Nähe eines verborgenen Kohlenlagers wittert. Sie hat hellsehende Träume, und da sie links am Kopfe, Eduard rechts am Kopfe ein chronisches Kopfleiden hat, so ist an sympathetischer Wahlverwandtschaft nicht zu zweifeln. Das engelgleiche Wesen, die Heilige der gothischen Kapelle, ist aber nicht nur ein Phänomen dunkeln Aberglaubens; ihr religiös ausstaffirtes Traumleben schwebt und schwimmt beständig in geistigem Ehebruch; ihre angeblichen Wunder sind der Lohn eines langsamen Selbstmords, und das liebliche, an sich so traute Krippenbild ist mit echt Voltaire'scher Frivolität zwischen ein zerstörtes Familienleben und das Grab einer Selbstmörderin gerückt. Das religiöse, katholische Element paradirt also genau in derselben Weise, wie Bischöfe, Mönche und Nonnen in zahlreichen Opern, als pathetisch - romantisches Gegenstück zu dem Augentrost, an welchem der moderne Lebemann sich am liebsten weidet.

Wie wenig ernst im Sinne des Dichters die dürftige Moral der „Wahlverwandtschaften“ zu nehmen ist, bezeugt das Fragment „Pandora", welches aus derselben Zeit und aus denselben Gemüthsstimmungen herrührt und theilweise schon 1808 in Seckendorfs Zeitschrift Prometheus", ganz 1810 als Taschenbuch erschien.

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1 Göthe's Werke [Hempel]. X. 291–384. — Dünger, Göthe's Prometheus und Pandora. Leipz. 1854. Riemer, Mittheilungen. II. 596-598. A. Schöll, Göthe. S. 418–461. Schubarth, Zur Beurtheilung Göthe's. Breslau 1820. I. 160–166. franz, Göthe u. s. Werke. S. 201-206. Leben. Bremen 1858. II. 227. 228.

Rosen

Schäfer, Göthe's

Das Fragment „Pandora“.

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„Pandora sowohl als die Wahlverwandtschaften," sagt Göthe selbst, „drücken das schmerzliche Gefühl der Entbehrung aus und konnten also neben einander gar wohl gedeihen." 1

Aus Ottiliens gothischer Grabkapelle, die für ihn doch nichts weiter als gothischer Schnickschnack war, kehrte er hier in sein Lieblingsreich der altgriechischen Sage zurück. Er mag vielleicht daran gedacht haben, sein früheres Fragment „Prometheus“ zu vollenden. Aber er selbst war nicht Prometheus mehr. Die himmelstürmende Wuth der Revolutionszeit hatte sich gelegt. Die Titanen hatten nichts zu Stande gebracht, als eine unsägliche Verwirrung. Prometheus selbst kam ihm jest, unter napoleonischer Beleuchtung, wie ein unkünstlerischer, materialistischer, gewaltthätiger Grobschmied vor, ungefähr wie der Thor der altgermanischen Sage. Er wandte sich deßhalb dem von der griechischen Sage sehr ungünstig behandelten Epimetheus zu. In ihm glaubte er eher einen Träger für seine Ideen zu finden. Aus dem griechischen Unbedacht“ schuf er sich einen weichen, melancholischen, deutsch-hellenischen Träumer, einen Dichter, der in Pandora's Liebe und Schönheit einst den Inbegriff aller Seligkeit zu erobern hoffte. Doch Pandora ist ihm entschwebt. Keiner seiner Träume hat sich verwirklicht. Als enttäuschter Greis klagt er, daß die Hämmer der prometheischen Schmiede ihn so früh vom Schlummer wecken. Seine Jugend selbst, sein ganzes Leben däucht ihm verfehlt. Er ist ein völliger Pessimist geworden:

"

„So bitt're Mühe war dem Jüngling auferlegt,
Daß, ungeduldig in das Leben hingewandt,
Ich unbedachtsam Gegenwärtiges ergriff
Und neuer Sorge neubelastende Qual erwarb.
So flohst du, kräft'ge Zeit der Jugend, mir dahin,
Abwechselnd immer, immer wechselnd mir zum Troft,
Von Fülle zum Entbehren, von Entzücken zu Verdruß.
Verzweiflung floh vor wonniglichem Gaukelwahn,
Ein tiefer Schlaf erquickte mich von Glück und Noth;

1 Göthe's Werke [Hempel]. XXVII. 177.

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Phileros, Elpore und Epimeleia.

Nun aber, nächtig immer schleichend wach umher,
Bedaur' ich meiner Schlafenden zu kurzes Glück,
Des Hahnes Krähen fürchtend, wie des Morgensterns
Voreilig Blicken. Beffer blieb es immer Nacht.“ 1

Ein Liebeslied des Phileros, Prometheus' Sohn, scheucht ihn aus seinen jammervollen Betrachtungen auf. Dieser sucht seine Geliebte und erinnert den Alten damit an seine eigene einstige Liebeszeit. Epimetheus erzählt nun seine Bewerbung um Pandora und sein Liebesglück in langem, träumerischem Monolog und schläft dabei ein. Inzwischen geht die Schmiede des Prometheus auf: bald glühen die Essen, Waffen werden geschmiedet, Hirten bestellen sich Schwerter zum Kampf. Den Epimetheus erscheint Elpore, seine und Pandora's Tochter, im Traum und verkündet ihm in den süßesten Melodien eines Liebesliedes Pandora's Wiederkunft:

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„Werden wir uns wiederfinden?"
Ja gewiß!

Treu wiederfinden?

Nimmer scheiden?" Ja doch, ja! 2

Noch mächtiger wallt die Liebessehnsucht des Greises auf, als die von Phileros mit dem Schwert verfolgte Epimeleia fliehend dahereilt. Sie hat ihm, dem jugendlichen Liebhaber, mit einem Hirten die Treue gebrochen. Er will sie tödten. Da aber Epimetheus sie schirmt, eilt er verzweifelnd fort, sich selbst den Tod zu geben. Epimeleia erzählt in glühender Romanze ihrer Liebe Lust und Leid. Da glaubt ihr Vater seine Pandora wieder vor sich zu sehen und schildert im Zwiegespräch mit Prometheus deren Schönheit, begeistert wie Einer, der zum ersten Male liebt. Doch bald erinnert er sich, daß er Pandora verloren, und der Liebeshymnus stimmt sich herab zum traurigsten Klagegefang. Da

1 Göthe's Werke [Hempel]. X. 340.

2 Ebds. S. 355.

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