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richtet haben; aber hat er in einer andern Rücksicht doch auch manches Verdienst, und verrichtet er manche rühmliche That; es ist gerecht, daß wir dieß bemerken und anerkennen. Er mag tief versunken feyn, und sich in einem schrecklichen Verderben befinden; aber ist noch einiges Gefühl vorhanden, ist doch noch etwas übrig, wobey man ihn faffen, und zum Guten zurückführen kann: es ist gerecht, daß wir dieß bemerken und anerkennen. Die Vorstel Lung, welche wir uns von einem Menschen bilden, ist ja nur dann der Wahrheit gemäß, wenn sie al les so enthält, wie es bey ihm vorkommt, wenn sie nicht das Böse allein, sondern auch das damit vera knüpfte Gute in sich faßt. Wir werden also Lasters Haften nur dann Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn wir das Gute, welches sie noch an sich haben, richtig bemerken.

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Aber dieß ist noch nicht genug; wir müssen es auch unpartheyisch schäßen. Dem Herrn im Evangelio leuchtet die Klugheit, mit welcher sich der ungerechte Haushalter aus seiner Verlegenheit zog, nicht bloß ein, er gesteht sie nicht bloß zu: er betrachtet sie sogar mit Billigung, und erkennt ihren Werth; der Herr lobte den ungerechten Haushalter, heißt es, daß er klüglich ge than hatte. Es ist wahr, die grossen Talente, die ungemeinen Kenntnisse, die ausserordentliche Ue bung in Geschäften, der unerschütterliche Muth, die bewundernswürdige Gegenwart des Geistes, der durchdringende Scharfsinn, die Vorzüge des Körpers und der ganzen Gestalt fallen bey manchen Lasterhaften so stark in die Augen, daß wir sie nicht übersehen können, daß wir ihre Wahrheit oft auch wider unsern Willen zugestehen müssen. Aber dann find wir gemeiniglich ungerecht genug, den Werth dieser Eigenschaften in Zweifel zu ziehen; wir geben uns Mühe, fie darum, weil sie nun gerade Das

Eigenthum eines Menschen sind, der seiner Gesins nungen wegen Verachtung verdient, als geringfügig vorzustellen. Aber hört Gold auf, das edelste Metall zu seyn, wenn es sich in einem unreinen Ge fäße befindet? Sind die edlen Fähigkeiten und Kräfte, die Gott in unsre Natur gelegt hat, darum'wes niger seine Gaben, weniger werth, von uns geschäzt zu werden, wenn sie einem Menschen anvertraut sind, der sie mißbraucht? Nur der ist gerecht, der jedes Ding nach seinem wahren Werthe nimmt, ohne sich durch zufällige Nebenumstände irre machen zu lassen. Wollen wir Lasterhafte mit Gerechtigkeit behandeln : so lasset uns jeden Vorzug, den die Hand des Schöpfers in fie gelegt hat, mit Ehrfurcht betrachten; so laffet uns jede gute Eigenschaft, die sie sich selbst erworben haben, billigen und rühmen; so laffet uns jedes Verdienst, das sie sich gemacht haben, ohne Verkleinerung und ohne neidische Unbilligkeit berech nen; so lasset uns eben so weit von einer unvernünftigen, alles wegwerfenden Verachtung, als von einer übertriebenen Bewunderung entfernt seyn. Lasterhaften Gerechtigkeit widerfahren lassen, heißt, das Gute, welches sie besißen, auch unparthenisch schäßen.

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Es heißt endlich bey seinem Verhalten gegen sie Rücksicht darauf nehmen. Es ist einmal nicht möglich, M. 3., ausser aller Verbins dung mit Lasterhaften zu leben; unsre Umstände, unsre Verwandtschaften, unsre bürgerlichen Verhältniffe, die Pflichten unsers Berufs nöthigen uns, mit Menschen umzugehen, Menschen zu gebrauchen, durch Menschen zu wirken, mit deren Gesinnungen und Betragen wir nichts weniger, als zufrieden sind, die wir für ungebessert Halten müssen. Aber offenbar würden wir ihnen unrecht thun, und uns selber schaden, wenn wir das Gute, welches sie noch besißen, ganz aus den Augen verlören. Läßt sichs nicht läugnen, daß sie bey allen den Fehlern, welchen sie nach

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hängen, doch auch manche schäßenswürdige Eigen schaft an sich haben, so ist es billig und recht, daß wir ihnen in dieser Hinsicht unsre Uchtung nicht vers sagen. Läßt sichs nicht läugnen, daß sie der Leidens schaft, von der sie beherrscht werden, ungeachtet, reich an allerley nüßlichen Kenntnissen, an mannig faltiger Gelehrsamkeit, an wichtigen Erfahrungen find so ist es billig und recht, daß wir von ihnen lernen, und ihre Einsichten zu unserm Unterricht anwenden. Läßt sichs nicht läugnen, daß sie mit ihren Ausschweifungen einen hohen Grad von Klugheit, von Arbeitsamkeit, von redlicher Zuverlässigkeit ver binden: so ist es billig und recht, daß wir sie zu allem dem gebrauchen, wozu sie zu gebrauchen sind, ihnen in allem dem trauen, wo man ihnen trauen kann, und sie Andern in allen den Stücken vorzie hen, wo sie dieses Vorzugs werth find. Jeder uns gegründete Argwohn gegen Lasterhafte, iede unver diente Zurücksetzung derselben, jede übertriebene Vers achtung, jede schüchterne Absonderung, wo man auch dann zurückweicht, wenn weder für unsre Tugend, noch für unser Wohl etwas zu befürchten ist, ver lezt die Rechte, die auch der Lasterhafte besist, und wird Beleidigung. Wir lassen Lasterhaften nur dann Gerechtigkeit widerfahren, wenn wir das Gute, wel ches noch ben ihnen angetroffen wird, richtig bemer ken, unparthenisch schäßen, und ber unserm Verhal ten darauf Rücksicht nehmen: nur dann, wann wie so handeln, kann kein Lasterhafter sich beklagen, keiz ner beweisen, daß irgend ein Anspruch, den er zu machen berechtigt ist, von uns vernachlässigt werde.

Doch es giebt unzählige Menschen, denen ein folches Verhalten gegen Verbrecher, die ihrer Aus schweifungen wegen Verachtung verdienen, eine tadelno würdige Gelindigkeit, ein Mangel an wahrem Tus gendeifer zu senn scheint, der ein sehr zwendeutiges Licht auf unsre eigne Denkungsart werfen muß; und

vornäm

vornämlich darum, weil man von der bisher erklärten Gerechtigkeit nichts wissen will, herrscht in der mensch= lichen Gesellschaft so viel Mißtrauen, so viel unbillige Entfernung, so viel Lieblosigkeit selbst bey denen, die fich für frömmer halten, als Andre. Laffet mich also die Ursachen noch besonders angeben, warum eine solche Gerechtigkeit gegen Lasterhafte, deren Vernunftmässigkeit jedem Uuparthenischen ohne hin in die Augen fallen muß, Pflicht für Chris ften ist, eine Pflicht, deren Erfüllung fie auf keine Weise verweigern dürfen. Ju der Behutsamkeit, in der Liebe, in der Klugheit, in der Aufmerksamkeit auf das Beyspiel Gottes und Jesu endlich, mit der Christen handeln sollen, liegen diese Ursachen; lasset sie mich einzeln genauer entwickeln.

Lasterhaften Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist schon darum Pflicht, weil Christen mit Behuts. samkeit handeln, weil sie nicht eher absprechen sol len, als bis sie genau unterrichtet sind. Es schien keinem Zweifel unterworfen, daß der Haushalter im Evangelio ein lasterhafter Verschwender sey; und doch verurtheilt ihn sein Herr nicht ungehört, doch fordert er ihn erst zur Rechenschaft auf, und will es erwarten, ob er sich werde rechtfertigen können; doch geht er so behutsam zu Werke, daß er alle Schritte des Verbrechers beobachtet, um ihm auf keine Art unrecht zu thun. O wie können wir uns versündigen, M. 3., wie schwer können wir Men schen beleidigen, die vielleicht Achtung und Liebe, die wenigstens Schonung verdient hätten, wenn wir ge gen die, welche uns als Lasterhafte erscheinen, nicht eben so behutsam zu Werke gehen! Ist es nicht offenbar, daß das Verderben böser Menschen oft lange nicht so groß ist, als der allgemeine Ruf és vorstellt? Ist es nicht bekannt, daß Verläumdung, Haß und Feindschaft Manchen mit dem Namen eines M

D. Meinh. vollst. Predigtsammlg. 3. 20.

Lasterhaften brandmarkt, der nichts weiter, als ganz gewöhnliche Fehler an sich hat? Ist es nicht am Tage, daß durch eine Menge von Ursachen, oft selbst Unschuldige in einen nachtheiligen Verdacht gerathen, daß selbst gute Menschen zuweilen verkannt werden, daß nicht selten die Besten und Tugendhaftesten wenig stens eine Zeitlang das Schicksal trifft, für verab scheuungswürdige Bösewichter gehalten zu werden? Solltet ihr noch nie Gelegenheit gehabt haben, selbst die verschrieensten Menschen, selbst die, welche in der Entfernung eurer ganzen Verachtung werth zu seyn schienen, ben näherer Bekanntschaft ganz anders zu finden, Eigenschaften, Gesinnungen, Vorzüge, wohl gar Tugenden in ihnen zu entdecken, die ihr ihnen gar nicht zugetraut hattet, und euch mit ihnen aus zusöhnen? Seßet nun, es sey Grundsatz ber uns, dem, der einmal den Ruf des Lasterhaften hat, keine Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihn ungehört und ungeprüft zu verurtheilen: werden wir uns nicht an tausend Unschuldigen versündigen, werden wir nicht unvorsichtiger Weise an unzähligen Beleidigungen Theil nehmen, die man ihnen anthut; werden wir nicht mit einer Verblendung handeln, deren ein ver nünftiger Christ sich schämen muß? O in einer Welt, wo tausend Ursachen uns hindern, jeden Menschen sogleich in seiner wahren Gestalt zu erblicken, wo tausend Umstände oft gerade auf die Würdigsten nachtheilige Schatten von mancherley Art werfen: muß der feste, unverbrüchliche Vorsatz in uns herrschen, gerecht gegen Jeden zu seyn, er stelle sich uns dar, wie er wolle, und auch den Lasterhaften erst schärfer ins Auge zu fassen, ehe wir ihn verurtheilen; schon die Behutsamkeit, mit der Christen handeln müssen, verbindet uns zu dieser Pflicht.

Aber auch die Liebe. Denn bedenket es wohl, von dem Wohlwollen, welches das Christenthum von uns verlangt, von der Liebe, die es uns als Haupt

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